23„Vergeltungskündigung“ von Geschäftsbeziehungen mit ehemaligem Arbeitnehmer rechtsmissbräuchlich?
„Vergeltungskündigung“ von Geschäftsbeziehungen mit ehemaligem Arbeitnehmer rechtsmissbräuchlich?
Gewährt eine Bank ihren (ehemaligen) AN sowie deren Ehegatten im Rahmen einer betrieblichen Übung Sonderkonditionen für deren Bankgeschäfte, wobei die anzuwendenden AGB eine begründungslose, fristgebundene Kündigung ermöglichen, so richtet sich die Frage, ob in der Ausübung eines solchen Kündigungsrechts ein rechtswidriger Entzug des Rechts auf die Sonderkonditionen liegt, nicht nach den Grundsätzen der Beendigung einer entsprechenden betrieblichen Übung, sondern danach, ob die Kündigung in dieser Form ausgeübt werden durfte. Auch ein freies Kündigungsrecht darf nicht in sittenwidriger (schikanöser) Weise ausgeübt werden.
Erfolgt die Kündigung von Geschäftsbeziehungen mit einem (ehemaligen) AN ausschließlich aus Revanche für das Erheben einer Zivilklage und das Erstatten einer Strafanzeige gegen die Bank, so ist von einer schikanösen Rechtsausübung auszugehen. Eine solche ist hingegen nicht anzunehmen, wenn der (ehemalige) AN geradezu mutwillig offenkundig unberechtigte Ansprüche gestellt hat und insb auch die Strafanzeige mutwillig und jeder objektiven Grundlage entbehrend erstattet und selbst nach Darlegung der Rechtslage durch die Strafverfolgungsbehörden hartnäckig weiter verfolgt wurde.
Der Erstkl war von 1.5.1970 bis zu seiner Pensionierung am 31.12.2005 bei der bekl Bank beschäftigt. Die Zweitkl und Ehefrau des Erstkl war von 1.6.1968 bis 15.5.1974 bei der Bekl angestellt. Bei der Bekl besteht die Übung, aktiven und pensionierten Mitarbeitern vergünstigte Sonderkonditionen für Bankgeschäfte zu gewähren. Unstrittig ist, dass sich diese betriebliche Übung ua auch auf Ehepartner der MitarbeiterInnen erstreckte.
Der vom Erstgericht festgestellte Sachverhalt ist wie folgt zusammenzufassen:
Die Kl unterhielten seit 1973 bei der Bekl verschiedene Konten, Sparbücher, Depots und Schließfächer und waren zT beide gemeinsam, zT alleine jeweilige(r) Inhaber(in) [...].
Bei den Geschäftsabschlüssen wurde jeweils auf die für den jeweiligen Vertrag geltenden AGB der Bekl verwiesen, die auch Kündigungsbestimmungen enthalten. Die sonderkonditionierten Gebühren für (ehemalige) Mitarbeiter wurden jeweils als Spezialvereinbarung „darübergelegt“. Die Kl hatten auch nach der Pensionierung des Erstkl Kontoverbindungen und Sparbücher bei der Bekl.
Die Bekl kündigte mit Schreiben vom 10.10.2014 zum 15.12.2014 die Bankgeschäfte mit den Kl (formal überwiegend in Entsprechung der jeweiligen Inhaberschaft) auf. Sie begründete dies mit einem Vertrauensverlust und der Unzumutbarkeit der Weiterführung der Geschäftsbeziehung wegen der vom Erstkl „im Jahr 2014 völlig ungerechtfertigt und haltlos gegen unser Haus eingebrachten Strafanzeige, deren ausschließlicher Zweck in der ‚Förderung‘ der Durchsetzung der in dem von ihm angestrebten arbeitsgerichtlichen Verfahren ... behaupteten Forderung besteht
“. Aus der Sicht des Erstkl war ebenfalls das aus dem arbeitsgerichtlichen Verfahren resultierende Strafverfahren Grund für die Beendigung der Geschäftsbeziehungen. Auch die Zweitkl erachtete die Kündigungen als „Retourkutsche“.
Die Kl brachten im Wesentlichen vor, sie hätten auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Erstkl Anspruch auf die Geschäftsverbindungen zu den Sonderkonditionen gehabt. Es handle sich um eine durch jahrelange Gewährung solcher Leistungen entstandene betriebliche Übung, die die Bekl grundsätzlich allen aktiven, aber auch ehemaligen Mitarbeitern und deren Ehegatten gewähre. Dies führe zu einzelvertraglichen Ansprüchen der Kl, die nicht einseitig und beliebig abgeändert werden könnten. Die Vorgehensweise der Bekl, einen geldwerten und arbeitsvertraglich begründeten Vorteil aufzukündigen, sei sitten- und rechtswidrig, sodass den Kl Schadenersatzansprüche für die einzelnen Konten in Form der Differenz zwischen den bei der Bekl und nun bei einer anderen Bank desselben Bankenverbundes bestehenden Bedingungen zustünden. Es bestehe auch ein Feststellungsinteresse für die Haftung der Bekl für künftige Schäden.
Die Kl erstatteten Vorbringen zur Berechnung ihrer Mehrbelastungen, die sie zuletzt mit insgesamt 3.660,78 € sA bezifferten. [...] Die Kl erstatteten auch Vorbringen zur Haftung der Bekl für künftige Schäden aus den schlechteren Sparbuchkonditionen, die zT erst mit Laufzeitende bezifferbar seien. [...] Das hilfsweise erhobene Feststellungsbegehren, dass die Aufkündigung der Geschäftsbeziehung unwirksam sei (§ 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG analog), ließen sie im Zuge des Verfahrens fallen [...].
Davon wurde ein Betrag von 2.285,52 € sA [...] bereits rechtskräftig abgewiesen.
Die Bekl bestritt und wandte mangelnde Aktivlegitimation der Zweitkl und Unschlüssigkeit des Klagebegehrens ein. Ua sei unklar, wer jeweiliger Inhaber der Konten sei. Inhaltlich berief sie sich im Wesentlichen auf die gemäß den jeweiligen Geschäftsbedingungen mögliche Kündbarkeit der Verträge. Die betriebliche Übung könne auch nicht anders verstanden werden. Sie bestehe nur darin, Sonderkonditionen solange zu gewähren, als die Geschäftsbeziehungen aufrecht seien. Es widerspräche auch fundamentalen Grundsätzen der Privatautonomie, wenn die Bekl zeitlich unbegrenzt und ohne Möglichkeit einer Aufkündigung an diese Verträge gebunden wäre. Bei den Sonderkonditionen handle es sich auch nicht um einen Teil des Arbeitsentgelts, sondern allenfalls um „entgeltferne“ Leistungen, deren Widerruf ohne Weiteres möglich sei. Richtigerweise handle es sich aber um jeweils eigenständige, vom Dienstverhältnis losgelöste Vertragsbeziehungen. Die Kl hätten248 der Bekl auch anstandslos auf erste Aufforderung hin mitgeteilt, auf welche Konten die Werte zu übertragen seien und Schlüssel und Bankomatkarte zurückgegeben, wodurch sie die Beendigung akzeptiert hätten.
Das Erstgericht schränkte das Verfahren auf den Grund des Anspruchs ein [...] und wies das Klagebegehren ab. [...]
Das Berufungsgericht gab der Berufung, soweit sie sich gegen die Abweisung von 2.285,52 € sA richtete, mit Teilurteil keine Folge (rechtskräftig). Im Übrigen, dh hinsichtlich der Abweisung von 1.375,26 € sA sowohl im Haupt- als auch im Eventualbegehren, des Feststellungsbegehrens und des Eventualfeststellungsbegehrens und der Kostenentscheidung, hob es mit dem bekämpften Beschluss das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. [...] Der Rekurs sei zur Frage der Bindung des Widerrufs einer betrieblichen Übung an das Vorliegen wichtiger Gründe zulässig. [...]
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs [der Bekl] ist zulässig, im Ergebnis aber nicht berechtigt. [...]
4. Die Bekl bekämpft [...] vor allem die Ansicht des Berufungsgerichts, dass eine betriebliche Übung, für bestimmte Geschäftsbeziehungen Sonderkonditionen zu gewähren, vom DG zwar grundsätzlich widerrufen werde könne, diese Möglichkeit aber an das Vorliegen „wichtiger“ Gründe gebunden sei.
Dazu war zu erwägen:
4.1. Eine vom AG durch regelmäßige, vorbehaltlose Gewährung bestimmter Leistungen an die Gesamtheit seiner AN begründete betriebliche Übung kann, soweit sie seinen Willen, sich diesbezüglich auch für die Zukunft zu verpflichten, unzweideutig zum Ausdruck bringt, durch die – gleichfalls schlüssige (§ 863 ABGB) – Zustimmung der AN zum Inhalt der einzelnen Arbeitsverträge werden (RIS-Justiz RS0014539; s auch RS0014543). Entscheidend ist, was der Partner bei sorgfältiger Würdigung dem Erklärungsverhalten entnehmen kann, welchen Eindruck die AN von dem schlüssigen Verhalten des AG haben mussten, nicht aber das tatsächliche Vorhandensein eines Erklärungswillens auf Seiten des AG (RIS-Justiz RS0014154). Grundsätzlich kann eine AG-Leistung, die als Betriebsübung in den Arbeitsvertrag Eingang gefunden hat, auch an Voraussetzungen gebunden sein, bei deren Wegfall auch die Einstellung der Leistung möglich wird (Mosler, Entgeltferne Leistungen – eine gesamtheitliche Analyse, in Brodil, Entgeltliches im Arbeitsrecht [2013] 57, 69 mwN).
4.2. Hier steht fest, dass den Kl in Entsprechung der betrieblichen Übung die jeweiligen Sonderkonditionen für ihre Geschäftsverbindungen gewährt wurden, die nach dem Vorbringen beider Streitteile in günstigeren Entgelten für die jeweiligen Leistungen bestanden. Dagegen wurde im vorliegenden Verfahren weder behauptet noch festgestellt, dass sich die betriebliche Übung auch auf das Eingehen der Geschäftsverbindungen als solche erstreckt hätte. Ein derartiges Verständnis ist auch nicht von vornherein geboten, muss es der Bekl doch freistehen, solche Geschäftsbeziehungen im Einzelfall, zB nach Maßgabe der Bonität eines Mitarbeiters, auch abzulehnen. Unstrittig ist weiter, dass weder zur Aufkündigung der Sonderkonditionen noch zur Aufkündigung der Geschäftsbeziehungen als solcher eine betriebliche Übung bestand.
4.3. Nach der Rsp kann eine betriebliche Übung vom DG im Allgemeinen nicht einseitig widerrufen werden (RIS-Justiz RS0033756 [T2]). Im vorliegenden Fall geht es jedoch nicht um den Widerruf der betrieblichen Übung als solcher, Mitarbeitern Sonderkonditionen zu gewähren, sondern ausschließlich um die Aufkündigung der Geschäftsbeziehungen zu einem einzelnen, der Bekl missliebig gewordenen ehemaligen Mitarbeiter und seiner Frau nach Maßgabe der vereinbarten Kündigungsmöglichkeiten, die eine begründungslose, fristgebundene Kündigung der jeweiligen Verträge vorsahen. Ob in der Ausübung eines solchen Kündigungsrechts ein rechtswidriger Entzug des Rechts auf die Sonderkonditionen liegt, ist daher nicht an den Grundsätzen der Beendigung einer entsprechenden betrieblichen Übung, sondern daran zu messen, ob die Kündigung in dieser Form ausgeübt werden durfte. Daran ändert auch nichts, dass die Sonderkonditionen – wie die Kl vorbringen – für sie einen entgeltwerten Vorteil aus dem Arbeitsverhältnis darstellen, weil dieser Vorteil nur mit der jederzeitigen Kündbarkeit der jeweiligen Geschäftsbeziehung eingeräumt wurde und auch nur in diesem Umfang Inhalt des Arbeitsvertrags werden konnte.
4.4. Das Berufungsgericht verwies darauf, dass Dauerschuldverhältnisse wie die hier in Rede stehenden Geschäftsverbindungen jedenfalls dann aufgelöst werden können, wenn ihre Aufrechterhaltung für einen Teil objektiv unzumutbar wäre, und schränkte im Ergebnis die vereinbarte freie Kündbarkeit der Verträge darauf ein. Die Anknüpfung einer Kündigung an das Vorliegen eines wichtigen Grundes entspricht der Rsp zur Möglichkeit einer vorzeitigen außerordentlichen Kündigung (vgl RIS-Justiz RS0018305; RS0027780 ua), übergeht hier aber, dass die Streitteile für die jeweiligen Dauerschuldverhältnisse eine freie Kündigungsmöglichkeit vereinbart hatten und auch nicht die Unzulässigkeit dieser Vereinbarungen eingewandt wurde.
4.5. Wie jedes Recht darf allerdings auch ein freies Kündigungsrecht nicht in sittenwidriger (schikanöser) Weise ausgeübt werden. Eine gegen die guten Sitten verstoßende missbräuchliche Rechtsausübung liegt vor allem dann vor, wenn demjenigen, der sein Recht ausübt, jedes andere Interesse abgesprochen werden muss als eben das Interesse, dem anderen Schaden zuzufügen (s RIS-Justiz RS0026271). Schikane liegt aber auch dann vor, wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen ein ganz krasses Missverhältnis besteht (RIS-Justiz RS0026271 [T19]), wenn unlautere Motive der Rechtsausübung augenscheinlich im Vordergrund stehen und daher andere Ziele der Rechtsausübung völlig in den Hintergrund treten249 (RIS-Justiz RS0026271 [T24]; s auch [T22]), wenn sohin unlautere Motive der Rechtsausübung das lautere Motiv eindeutig überwiegen (RIS-Justiz RS0026271 [T20]). Beweispflichtig dafür, dass der Rechtsausübende kein anderes Interesse hat als zu schädigen, oder dass doch der Schädigungszweck und unlautere Motive so augenscheinlich im Vordergrund stehen, dass andere Ziele der Rechtsausübung völlig in den Hintergrund treten, ist der die Schikane Behauptende (RIS-Justiz RS0026271 [T21]). Begründet aber der Ablauf eines Geschehens die Vermutung der Schädigungsabsicht, ist es Sache des Bekl, einen gerechtfertigten Beweggrund für sein Verhalten zu behaupten und zu beweisen (RIS-Justiz RS0026271 [T28]).
4.6. Hier haben sich die Kl schon in erster Instanz auf eine sittenwidrige Rechtsausübung durch die Bekl berufen und daraus zuletzt Schadenersatzansprüche abgeleitet. Das Berufungsgericht erachtete – wenngleich unter dem Aspekt der objektiven Unzumutbarkeit der Fortsetzung der Geschäftsbeziehungen – die Vorgänge um die Strafanzeige des Kl als weiter aufklärungsbedürftig. Dem ist auch unter dem Aspekt der Prüfung eines krassen Missverhältnisses zwischen den Eigeninteressen der Bekl an der Kündigung und der Rechtsverfolgung durch die Kl iS einer schikanösen Rechtsausübung nicht entgegenzutreten:
Zeigt sich, dass die Bekl ausschließlich aus Revanche für die Rechtsverfolgung des Erstkl die Geschäftsbeziehungen der Kl aufkündigte, so wäre ihr im vorliegenden Fall ein billigenswertes Interesse an diesen Aufkündigungen abzusprechen, weil damit nur das Recht eines (ehemaligen) AN, seine Ansprüche aus dem früheren Arbeitsverhältnis geltend zu machen (vgl § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG), „abgestraft“ würde, ohne dass sonst ein Interesse der Bekl am Abbruch der – mit den anderen Mitarbeitern fortgesetzten – Geschäftsbeziehungen zu den Kl erkennbar wäre. Dabei könnte sich das Sittenwidrigkeitskalkül zur Kündigung hier auch auf die Zweitkl beziehen, wenn die Bekl lediglich ihre Revanche gegen den Erstkl auch auf die Zweitkl erstrecken wollte. Dagegen läge keine schikanöse Rechtsausübung durch die Bekl vor, wenn klagsseitig geradezu mutwillig offenkundig unberechtigte Ansprüche gestellt würden und insb auch die Strafanzeige mutwillig und jeder objektiven Grundlage entbehrend erstattet und selbst nach Darlegung der Rechtslage durch die Strafverfolgungsbehörden hartnäckig weiter verfolgt wurde.
4.7. Der Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts erweist sich danach im Ergebnis als zutreffend. Zur Beurteilung einer allfälligen Rechtswidrigkeit der Kündigung wegen schikanöser Rechtsausübung werden weitere Feststellungen zu den Interessenlagen und den Rechtsausübungen der Streitteile zu treffen sein. [...]
Eine Bank (Bekl) kündigte einem ehemaligen Mitarbeiter (Erstkl), der 35 Jahre bei ihr beschäftigt war, knapp neun Jahre nach dessen Pensionsantritt sämtliche Geschäftsbeziehungen mit Sonderkonditionen. Auch die Geschäftsbeziehungen mit seiner Ehefrau (Zweitkl), selbst vor gut 40 Jahren für einige Jahre bei der Bank beschäftigt, wurden gekündigt. Der Grund? Der Erstkl hatte einen arbeitsgerichtlichen Prozess gegen die Bekl angestrengt und gegen diese Strafanzeige eingebracht, wobei beide Maßnahmen nach Ansicht der Bekl jeder Grundlage entbehrten; die Bank berief sich ua auf einen dadurch ausgelösten Vertrauensverlust und die Unzumutbarkeit der Weiterführung der Geschäftsbeziehung. Als Folge mussten die Kl zu einer anderen Bank wechseln, bei der sie nicht in den Genuss von günstigen Mitarbeiterkonditionen kamen, wie sie die Bekl ihren aktiven und ehemaligen MitarbeiterInnen sowie deren EhegattInnen im Rahmen einer betrieblichen Übung gewährte. Den daraus resultierenden Schaden wollten die Kl ersetzt bekommen, wobei sie sich ua – und hier primär interessierend – auf die missbräuchliche Ausübung des Kündigungsrechts beriefen. Nach rechtskräftiger Abweisung von knapp € 2.300,– waren vor dem OGH noch ca € 1.400,– strittig.
Im vorliegenden Verfahren stand außer Streit, dass weder zur Aufkündigung der Sonderkonditionen noch zur Aufkündigung der Geschäftsbeziehungen als solcher eine betriebliche Übung bestand. Hingegen gibt es keine Feststellungen dazu, inwieweit im Hinblick auf das Eingehen entsprechender Geschäftsbeziehungen arbeitsvertragliche Absprachen mit den BankmitarbeiterInnen oder betriebliche Übungen anzunehmen waren (siehe Pkt 4.2. der E). Die Kl hatten zwar in den (schon länger zurückliegenden) ersten Jahren ihrer Beschäftigung (Erstkl: 1970 bis 1973; Zweitkl: 1968 bis 1973) offenbar keine Konten bei der Bekl. Es dürfte heutzutage aber nicht unüblich sein, dass Banken von ihren MitarbeiterInnen erwarten oder sogar verlangen, dass zumindest das Gehaltskonto beim AG geführt wird (vgl etwa den Sachverhalt zu VwGH 21.5.2014, 2010/13/0196).
Sollten alle MitarbeiterInnen (auf Wunsch des AG) Konten mit Sonderkonditionen bei der Bank haben, stellt sich wohl durchaus die Frage, ob der AG die Kontoverträge einzelner MitarbeiterInnen „frei“ kündigen dürfte. Dem könnte nicht zuletzt die allgemeine Gleichbehandlungspflicht des AG entgegenstehen (anstelle vieler RIS-Justiz RS0060204), die – speziell im Zusammenhang mit betrieblichen Übungen – die willkürliche Schlechterstellung einzelner AN verbietet (anstelle vieler Jabornegg/Resch/Födermayr, Arbeitsrecht6 [2017] Rz 410, 416). Diese Überlegung klingt im zweiten Absatz des Pkt 4.6. der E an (arg: „mit den anderen Mitarbeitern fortgesetzten
“), wird aber vom 9. Senat nicht weiter verfolgt.
Man wird die E (vgl insb Pkt 4.4. und 4.7.) vielmehr so verstehen müssen, dass der 9. Senat den Unterinstanzen die Rechtsansicht, die Geschäftsbeziehungen zwischen den Streitteilen seien nach250 Maßgabe der vereinbarten AGB (dh zB unter Wahrung der darin niedergelegten Frist) frei kündbar gewesen, für das weiterzuführende Verfahren überbunden hat (§ 511 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG; vgl OGH 8.2.1994, 10 ObS 14/94; allgemein dazu Zechner in
Aufbauend auf der überbundenen Rechtsansicht betont der 9. Senat zutreffend, dass selbst ein freies Kündigungsrecht nicht rechtsmissbräuchlich ausgeübt werden darf. Wenig erhellend ist die vorliegende E allerdings im Hinblick auf die allgemein maßgebliche Abwägung bei der Beurteilung eines Rechtsmissbrauchs. Verschiedene in der Judikatur vertretene Rechtssätze werden in Pkt 4.5. aneinandergereiht, ohne dass die (mitunter feinen) Unterschiede der einzelnen Begründungsmuster (siehe dazu Reischauer in Rummel, ABGB3 [2007] § 1295 Rz 64 ff mwN) auch nur angedeutet würden. Der Satzbau und das Wort „sohin
“ suggerieren sogar, dass alle zitierten Rechtssätze letzten Endes darauf hinauslaufen, dass von Rechtsmissbrauch nur dann auszugehen ist, wenn „unlautere Motive der Rechtsausübung das lautere Motiv eindeutig überwiegen
“. Dies dürfte in der Tat das maßgebliche Kalkül sein (siehe nur Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1295 Rz 61 ff; vgl auch OGH4 Ob 139/03z EvBl 2004/19; OGH6 Ob 169/16w NZ 2017, 26 [Diregger] = wbl 2017, 106 [Nicolussi] = GesRZ 2017, 57 [Weigand] = EvBl 2017/52 [Walch]), es wird aber keineswegs einhellig vertreten und ist auch nicht mit dem (krassen) Missverhältnis zwischen den beteiligten Interessen identisch (siehe dazu Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1295 Rz 64 lit c und f; vgl aber Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht II3 [2018] Rz A/4/24; Wagner in Schwimann/Kodek, ABGB4 [2016] § 1295 Rz 169a). Auf dieses stellt im Übrigen auch die vorliegende E letztlich wieder ab (Pkt 4.6. der E).
Bezogen auf den konkreten Fall wäre nach Ansicht des 9. Senats dann Rechtsmissbrauch anzunehmen, wenn die Bank die Geschäftsbeziehungen zu den Kl „ausschließlich aus Revanche für die Rechtsverfolgung des Erstklägers
“ aufgekündigt haben sollte (Pkt 4.6. der E). Das Recht eines (ehemaligen) AN, seine Ansprüche aus dem früheren Arbeitsverhältnis geltend zu machen, dürfe nicht „abgestraft
“ werden (Pkt 4.6. der E). Wurde jedoch „geradezu mutwillig
“ eine Klage vor den Zivilgerichten erhoben und „mutwillig
“ Strafanzeige erstattet (siehe dazu noch unten), dann sei eine Kündigung als Reaktion nicht rechtsmissbräuchlich.
Dem 9. Senat ist insoweit zuzustimmen, als dass es sich bei reiner „Revanche“ (also reiner Vergeltung, Rache) oder – wie es die Zweitkl formulierte – dem Erteilen einer „Retourkutsche“ für das Ergreifen von Rechtsverfolgungsmaßnahmen um von der Rechtsordnung verpönte Motive handelt. Dies kommt beispielsweise in § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG und § 15 Abs 1 AVRAG zum Ausdruck, die beide sogenannten „Vergeltungskündigungen“ entgegensteuern sollen (jüngst etwa OGH 29.5.2018, 8 ObA 20/18a; OGH 30.8.2018, 9 ObA 64/18d). Die praktisch wichtige Bestimmung des ArbVG enthält insofern aber wesentliche Einschränkungen: Geschützt ist nur, wer wegen einer „offenbar nicht unberechtigten Geltendmachung“ von Ansprüchen gekündigt wird, die außerdem vom AG „in Frage gestellt“ wurden. Erhebt der AN hingegen völlig haltlose Ansprüche – etwa Überstundenentgelt für ausdrücklich untersagte Überstunden (OGH9 ObA 108/98t ARD 4966/4/98) –, darf der AG darauf mit der Beendigung des Dienstverhältnisses reagieren. Die Argumentation des 9. Senats im vorliegenden Fall erinnert an dieses Muster, auf § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG wird in Pkt 4.6. auch hingewiesen. Doch eignet sich dieser Ansatz tatsächlich für die Schadenersatzpflicht wegen Rechtsmissbrauchs nach § 1295 Abs 2 ABGB? Darf ausschließlich oder zumindest eindeutig überwiegend in Schädigungsabsicht gehandelt und die Gegenseite durch Zufügung eines Schadens (den Entzug geldwerter Vorteile) „abgestraft“ werden, weil sie mutwillig Prozess geführt und/oder Strafanzeige erhoben hat? Selbst qualifiziert rechtswidriges Verhalten (zum Begriff des Mutwillens siehe Geroldinger, Der mutwillige Rechtsstreit [2017] 58 ff) macht Rache nicht zu einem lauteren Motiv. Mutwillige Prozessführung kann Schadenersatzansprüche nach sich ziehen (vgl §§ 19, 338 ABGB; § 408 ZPO; ausführlich dazu Geroldinger, Rechtsstreit 603 ff) und durch Mutwillensstrafen (zB § 512 ZPO) sanktioniert werden, liefert aber keinen Freibrief dafür, sich von Schädigungsabsicht treiben zu lassen.
Allerdings werden dann, wenn der Vertragspartner – wie von der Bank behauptet – einen gänzlich unbegründeten Zivilprozess vom Zaun bricht und eine völlig haltlose Strafanzeige erstattet, auch andere, lautere Motive für die Beendigung der Rechtsbeziehung eine Rolle spielen – etwa der von der Bank ins Treffen geführte Vertrauensverlust. Selbst das Motiv, sich von streitsüchtigen oder auch nur lästigen VertragspartnerInnen zu trennen, um sich weiteren (mit Streit verbundenen) zeitlichen und finanziellen Aufwand sowie Ärger zu ersparen, wäre für sich genommen keineswegs verpönt. Schon dann, wenn derartige Beweggründe keine völlig untergeordnete Rolle spielen und nicht ohne Weiteres von der Hand zu weisen sind, muss Rechtsmissbrauch bei Ausübung eines freien Kündigungsrechts verneint werden (vgl dazu Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1295 Rz 83). Ein Indiz dafür, dass es der Bank im vorliegenden Fall vorrangig um Rache gegangen sein könnte, mag die Kündigung auch jener Geschäftsbeziehungen sein, die ausschließlich mit der Zweitkl bestanden. Jedoch geht aus der E nicht hervor, inwieweit251 die Zweitkl in die Rechtsverfolgungsmaßnahmen des Erstkl eingebunden war und Anlass für den behaupteten Vertrauensverlust gegeben hat.
Die vorliegende E ist im Übrigen nicht dahingehend zu verstehen, dass die Kündigung eines Vertragsverhältnisses wegen der Einleitung von Rechtsverfolgungsmaßnahmen, die nicht „geradezu mutwillig“ sind, allgemein unzulässig wäre. Der 9. Senat eröffnet vielmehr selbst demjenigen, der „ausschließlich aus Revanche
“ (Pkt 4.6. der E) für Rechtsverfolgungsmaßnahmen einen Vertrag kündigt und dadurch schädigt, einen – mE unverdienten – Ausweg aus der Schadenersatzpflicht, wenn die Rechtsverfolgungsmaßnahmen vom Geschädigten „mutwillig
“ ergriffen wurden. Unklar ist, inwieweit der 9. Senat dabei tatsächlich zwischen zivilrechtlichen Schritten („geradezu mutwillig
“) und strafrechtlichen Maßnahmen („mutwillig und jeder objektiven Grundlage entbehrend ... und selbst nach Darlegung der Rechtslage durch die Strafverfolgungsbehörden hartnäckig weiter verfolgt
“) differenzieren möchte.
Ist Rache für Rechtsverfolgungsmaßnahmen durch den Entzug geldwerter Vorteile das eindeutig überwiegende Motiv einer Kündigung, ist mE Rechtsmissbrauch anzunehmen. Die allfällige Mutwilligkeit – iS offenkundiger, für jedermann leicht fassbarer Unbegründetheit (siehe Geroldinger, Rechtsstreit 603 ff; vgl auch § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG) – der Rechtsverfolgungsmaßnahme kann vor allem beim glaubhaften Beleg weiterer Motive (zB Vertrauensverlust) eine Rolle spielen.
Der 9. Senat hält fest, dass grundsätzlich derjenige für den Rechtsmissbrauch beweispflichtig sei, der diesen behauptet. Danach folgt jedoch eine ganz entscheidende Einschränkung: Begründe „der Ablauf eines Geschehens die Vermutung der Schädigungsabsicht, ist es Sache des Beklagten, einen gerechtfertigten Beweggrund für sein Verhalten zu behaupten und zu beweisen
“.
Dieser Rechtssatz wurzelt in der OGH-E vom 19.8.2003 zu 4 Ob 139/03z und war damals ganz offenkundig eine Notlösung der dritten Instanz: Die Tatsacheninstanzen hatten infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung keine Feststellungen zur (auf der Hand liegenden) Schädigungsabsicht getroffen; die Annahme einer entsprechenden Vermutung ermöglichte es dem 4. Senat, eine Aufhebung zu vermeiden und selbst in der Sache zu entscheiden (vgl auch Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1295 Rz 83). Es muss jedoch bezweifelt werden, dass diese (in der OGH-E 4 Ob 139/03z einem deus ex machina gleichende) Vermutung, die zugunsten des Geschädigten Erfahrungssätze wirken lässt und den Schädiger zum (Voll-)Beweis eines lauteren Motivs zwingt (und damit über einen Prima-facie-Beweis zugunsten des Geschädigten hinausgeht), mit § 1295 Abs 2 ABGB vereinbar ist (arg: „offenbar“; zur Funktion dieses Wortes siehe Koziol, Haftpflichtrecht II3 Rz A/4/25; Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1295 Rz 83).
Am Rande sei angemerkt, dass sich der 9. Senat für diese Vermutung ausschließlich auf „RIS-Justiz RS0026271 [T28]“ beruft und der Rechtssatz RIS-Justiz RS0117937 unerwähnt bleibt, ja die vorliegende E noch nicht einmal mit diesem verknüpft ist. Das ist freilich nur ein Beispiel für einen gewissen „Wildwuchs“ im RIS-Justiz, der die Funktionsfähigkeit dieses ungemein wertvollen Informationssystems zu gefährden droht.
Führt das fortzusetzende Verfahren zum Ergebnis, dass die Bank rechtsmissbräuchlich gehandelt hat, so könnte die vom 9. Senat überbundene Rechtsansicht zur freien Kündbarkeit (siehe Pkt 1. der Glosse) noch bei der Prüfung der „Kausalität der Pflichtwidrigkeit“ (siehe dazu Geroldinger, Rechtsstreit 107 ff mwN; Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1295 Rz 1) nachhallen: Die schädigende Bank könnte dahingehend argumentieren, dass sie jederzeit nach Maßgabe der AGB kündigen durfte und sich das rechtswidrige Motiv daher allenfalls dadurch ausgewirkt hat, dass keine oder eine zu kurze Kündigungsfrist gewährt wurde. Denn auch im Falle einer Kündigung ohne verpöntes Motiv – als „rechtmäßigem Alternativverhalten“ – müssten die Kl neue Bankgeschäfte mit anderen AnbieterInnen eingehen und dort höhere Kontoführungsgebühren etc zahlen. Nur für allfällige Mehrkosten während der Kündigungsfrist nach den AGB wäre die Pflichtwidrigkeit kausal. Inwieweit die gewährte Frist von gut zwei Monaten (10.10. bis 15.12.2014) den AGB entsprach, geht aus der vorliegenden E nicht hervor. Sollte es sich um die für grundlose Kündigungen geltende Frist handeln, würde bei dieser Argumentation jede Schadenersatzpflicht entfallen.
Dabei würde allerdings übersehen, dass das rechtmäßige Alternativverhalten zur rechtsmissbräuchlichen Kündigung nicht die Vertragsauflösung ohne verpöntes Motiv, sondern das Unterbleiben der Kündigung ist (vgl dazu Geroldinger, Rechtsstreit 666, 712 f). Für eine Reduktion der Schadenersatzpflicht unter Kausalitätsgesichtspunkten müsste die bekl Bank daher behaupten und beweisen, dass sie die Geschäftsbeziehungen mit den Kl jedenfalls zu einem bestimmten Zeitpunkt gekündigt hätte, womit sie nur für die Mehrkosten, die aus der Vorverlagerung der Vertragsauflösung resultieren, verantwortlich wäre (zur Haftung bei hypothetischer bzw überholender Kausalität siehe Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1302 Rz 15). Für eine bloße Vorverlagerung des Schadens gegenüber einer Reserveursache gab es im vorliegenden Fall freilich keine Anhaltspunkte.252