106

Kein Schadenersatzanspruch eines Lehrlings bei formwidriger Auflösung in der Probezeit

MANFREDTINHOF

Entschließt sich ein Lehrling, eine formwidrige Kündigung gegen sich gelten zu lassen, kann er allein aus der Formwidrigkeit keine Ansprüche ableiten, sondern nur aus der Unbegründetheit der Auflösungserklärung. Da während der Probezeit die Auflösung keines Grundes bedarf, besteht in einem solchen Fall kein Schadenersatzanspruch gegen den Lehrberechtigten.

SACHVERHALT

Der bekl Lehrberechtigte übermittelte der Kl im zweiten Monat ihrer Beschäftigung als Lehrling folgende WhatsApp-Nachricht: „Ich habe mit meinem Steuerberater gesprochen und wir beenden das Lehrverhältnis mit heutigen Tag in der Probezeit.“ Der Anwalt der Kl teilte dem Bekl in der Folge mit, dass die Kl von ihrem Wahlrecht Gebrauch mache, die an sich rechtsunwirksame Beendigungserklärung zwar als wirksam zu akzeptieren, aber aus der rechtswidrigen Auflösungserklärung anfallende Schadenersatzansprüche geltend zu machen. In der Klage wurden eine Kündigungsentschädigung für drei Monate sowie die Feststellung des Anspruchs auf Kündigungsentschädigung unter Anrechnung des künftigen Verdienstes bis zum Ende der Weiterverwendungszeit begehrt.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kl nicht Folge. Die ordentliche Revision wurde zugelassen, weil zur Frage der Rechtsfolgen der Ausübung des Wahlrechts eines Lehrlings bei mangels Schriftform ungültiger Auflösung in der Probezeit eine Klarstellung durch den OGH erforderlich erscheine. Die insofern zulässige Revision der Kl wurde aber vom OGH nicht als berechtigt angesehen.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„[…]

2. Wurde die Auflösung des Lehrverhältnisses nicht wirksam schriftlich erklärt, kommt es grundsätzlich zu keiner Beendigung des Lehrverhältnisses. Der Lehrling kann aber in diesem Fall zwischen der Fortsetzung des Lehrverhältnisses einerseits und dem Akzeptieren der Auflösung des Lehrverhältnisses unter gleichzeitiger Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen wegen dessen unberechtigter Auflösung wählen (9 ObA 297/99f; 9 ObA 53/03i; vgl auch RIS-Justiz RS0113482, RS0028238). Die Klägerin hat von diesem Wahlrecht Gebrauch gemacht und ausdrücklich erklärt, die Beendigung zu akzeptieren und Schadenersatz geltend zu machen. […]

4. Im konkreten Fall wurde das Lehrverhältnis vom Beklagten während der Probezeit beendet. Die Probezeit soll dem Lehrberechtigten die Möglichkeit geben, den Lehrling als Person und in seinem Verhalten kennen zu lernen und ihn auf seine Eignung für den Lehrberuf zu prüfen, bevor das Lehrverhältnis nur noch aus ganz bestimmten Gründen aufgelöst werden kann (AB 216 BlgNR 21. GP 1 f zur BAG-Novelle BGBl I 2000/83). Nach § 15 Abs 1 BAG können während der ersten drei Monate sowohl der Lehrberechtigte als auch der Lehrling das Lehrverhältnis jederzeit einseitig auflösen. Auf einen Grund für die Auflösung kommt es dabei nicht an. Das bedeutet aber auch, dass ein Dienstnehmer aus der in der Probezeit herbeigeführten Lösung des Dienstverhältnisses wegen der Auflösung des Dienstverhältnisses, mag nun die Auflösung aus einem wichtigen Grund oder grundlos geschehen sein, keine Ansprüche ableiten kann (RIS-Justiz RS0028461). […]

Richtig ist daher davon auszugehen, dass eine wegen Verstoßes gegen Formvorschriften rechtsunwirksame Beendigungserklärung das Vertragsverhältnis grundsätzlich nicht auflöst. Macht aber der Arbeitnehmer von seinem Wahlrecht Gebrauch, die 195 Beendigung des Arbeitsverhältnisses dennoch anzuerkennen, wird die relative Nichtigkeit der Kündigung, die sich aus der Verletzung der Formvorschriften ergibt, saniert (9 ObA 97/05p). Es kommt zu einer rechtswirksamen Beendigung mit Lösungswirkung zu dem sich aus der Beendigungserklärung ergebenden Zeitpunkt. Damit kann der Dienstnehmer aber Schadenersatzansprüche nicht aus der (geheilten) Rechtsunwirksamkeit der Beendigungserklärung, sondern nur noch aus deren allfälliger Unbegründetheit bzw Fristwidrigkeit ableiten.

Die Klägerin hat sich wie schon ausgeführt ausdrücklich entschlossen, die Rechtsunwirksamkeit der Beendigungserklärung nicht geltend zu machen; sie kann daher Ansprüche nur daraus ableiten, dass die Beendigung nicht gerechtfertigt war. Während der Probezeit kann das Lehrverhältnis aber, wie ebenfalls schon ausgeführt, ohne Angabe von Gründen jederzeit einseitig aufgelöst werden (§ 15 Abs 1 BAG). Die ‚Unbegründetheit‘ kann daher in einem solchen Fall nicht zu Schadenersatzansprüchen führen.

7. Entgegen der Ansicht in der Revision ist der vorliegende Fall auch nicht mit dem eines begünstigten Behinderten vergleichbar, der die Auflösung eines Arbeitsverhältnisses ohne Zustimmung des Behindertenausschusses akzeptiert. In solchen Fällen wird der Kündigungsentschädigung aufgrund einer stark ausgeprägten Ähnlichkeit zu einem auf Lebenszeit oder für länger als fünf Jahre abgeschlossenen Arbeitsverhältnis eine Kündigungsfrist von sechs Monaten zu Grunde gelegt (vgl RIS-Justiz RS0052572). Bei Bemessung des Schadenersatzanspruchs wird diesfalls daher von einer (analog) herangezogenen Kündigungsfrist, nicht von einer jederzeitigen Beendbarkeit des Arbeitsverhältnisses ausgegangen. Während der Probezeit kann dagegen auch das Arbeitsverhältnis mit einem Behinderten nach § 8 Abs 1 Satz 2 BEinstG jederzeit aufgelöst werden, ohne dass ein Anspruch auf Kündigungsentschädigung zusteht.“

ERLÄUTERUNG

Die Natur des Lehrverhältnisses verlangt es, dessen Auflösung so schwierig wie möglich zu gestalten. Nach Ablauf der Probezeit kann das Lehrverhältnis daher ordnungsgemäß nur mehr im Einvernehmen – wobei hier vorher entweder eine Belehrungsbescheinigung der Arbeiterkammer oder eine Amtsbestätigung des Arbeitsgerichts eingeholt werden muss – oder bei Vorliegen eines triftigen Grundes aufgelöst werden (§ 15 Abs 1 BAG). Außerdem ist eine außerordentliche Auflösung gem § 15a BAG möglich, bei der aber auch ein bestimmtes Verfahren einzuhalten ist. Eine „normale“ Kündigung eines Lehrverhältnisses wie bei Angestellten und Arbeitern im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses ist nicht vorgesehen.

Jedenfalls bedarf die Auflösung eines Lehrverhältnisses zu ihrer Rechtswirksamkeit der Schriftform (§ 15 Abs 2 BAG). Diese unabdingbare Voraussetzung hat der Lehrberechtigte im hier vorliegenden Fall nicht eingehalten. Schon die Vorinstanzen sind davon ausgegangen, dass eine per WhatsApp erklärte Auflösung des Lehrverhältnisses gegen das genannte Schriftformgebot verstößt. Dies wird im Revisionsverfahren von keiner der Parteien mehr in Zweifel gezogen – vor allem auch im Hinblick auf die OGH-E 9 ObA 110/15i(vgl DRdA-infas 2016/53), in welcher das Höchstgericht davon ausging, dass nicht einmal ein vom schriftlichen (unterfertigten) Kündigungsschreiben erstelltes und über „Whats- App“ an den Arbeitsvertragspartner übermitteltes Foto desselben dem Schriftformgebot des dort anzuwendenden KollV gerecht wird.

Die Auflösungserklärung des Lehrberechtigten war aufgrund des Formfehlers somit rechtsunwirksam. Nach stRsp hat in solchen Fällen – sowie vor allem in den Bereichen des besonderen Bestandschutzes (zB im Behinderten- oder im Elternschutz) – der betroffene AN das Wahlrecht, die Unwirksamkeit einer Auflösungserklärung geltend zu machen und auf der Fortsetzung des Vertragsverhältnisses zu beharren oder sich dieser zu unterwerfen und die aus der vorzeitigen Beendigung resultierenden Ansprüche geltend zu machen. Die Kl hätte sich den vollen Bestandschutz eines Lehrverhältnisses sichern können, wenn sie die Rechtsunwirksamkeit der Beendigungserklärung (erst) nach Ende der Probezeit eingewendet hätte. Sie hat sich aber für die Akzeptanz der Beendigung entschieden, ist allerdings mit ihrem daraus iSd § 1162b ABGB geltend gemachten Schadenersatzanspruch in Form einer „Kündigungsentschädigung“ gescheitert. Nach dieser – freilich auch auf Lehrverhältnisse anzuwendenden – Gesetzesstelle behält ein AN bei einer ungerechtfertigten Entlassung oder einem berechtigten vorzeitigen Austritt, unbeschadet weitergehenden Schadenersatzes, seine vertragsgemäßen Ansprüche auf das Entgelt für den Zeitraum, der bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses durch Ablauf der Vertragszeit und durch ordnungsgemäße Kündigung hätte verstreichen müssen. Dieser Anspruch besteht für die ersten drei Monate ungekürzt, beim darüberhinausgehenden Zeitraum unter Anrechnung dessen, was der AN infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung erworben oder zu erwerben absichtlich versäumt hat. Ob und in welchem Umfang der AN Anspruch auf Kündigungsentschädigung hat, hängt daher davon ab, inwieweit ihm bei ordnungsgemäßer Beendigung des Dienstverhältnisses vertragsmäßige Ansprüche auf das Entgelt zugestanden wären.

Die Kl hat den Prozess somit deshalb verloren, weil ihr auch bei ordnungsgemäßer Beendigungserklärung – also wenn der Bekl schriftlich aufgelöst hätte – keine weitergehenden vertragsmäßigen Entgeltansprüche zugestanden wären. In der Probezeit kann das Lehrverhältnis jederzeit aufgelöst werden, es ist noch kein besonderer Bestandschutz vorhanden.196