109

Rückständige Betriebliche Vorsorgekassen-Beiträge nur für die letzten zwei Jahre vor Insolvenz gesichert

MARGITMADER
§ 1 Abs 2 Z 2 und § 13a iVm 13d IESG

Eine Absicherung der Beiträge nach dem IESG erfolgt insoweit, als der Insolvenz-Entgelt-Fonds dem Krankenversicherungsträger die offenen Beiträge der letzten zwei Jahre vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw dem gem § 1 Abs 1 IESG gleichgestellten Zeitpunkt zu leisten hat. Für die letzten zwei Jahre („Beitragsjahre“) ist damit also das AN im Hinblick auf die Verletzung von Meldepflichten verbleibende Restrisiko auch bei der Abfertigung neu durch das IESG abgesichert.

Ein gegen den Insolvenz-Entgelt-Fonds geltend gemachter Anspruch muss einer der in § 1 Abs 2 IESG normierten Anspruchsarten, die der Gesetzgeber als gesichert anerkannt hat, zugeordnet werden; eine Umgehung ist unzulässig. Wenn im IESG eine „speziellere“ Regelung besteht, kann nicht auf die „allgemeinere“ Regelung betreffend allfällige Schadenersatzansprüche nach § 1 Abs 2 Z 2 IESG zurückgegriffen werden.

SACHVERHALT

Der Kl war bei der späteren Schuldnerin mehrmals, ua auch in der Zeit vom 9.2.2004 bis 10.6.2005, als AN beschäftigt. Obwohl das Arbeitsverhältnis dem Betrieblichen Mitarbeiter- und Selbständigenvorsorgegesetz (BMSVG) unterlag, wurden von der Schuldnerin für den genannten Zeitraum keine Beiträge an die Vorsorgekasse abgeführt. Mit Beschluss vom 1.6.2015 wurde ein Insolvenzeröffnungsantrag gegen die AG mangels Kostendeckung abgewiesen. Der Kl stellte am 21.2.2016 bei der IEF-Service GmbH einen Antrag auf Insolvenz-Entgelt für eine aus der Nichtzahlung der Beiträge resultierende Schadenersatzforderung in Höhe von € 549,- netto. Die IEF-Service GmbH lehnte den Anspruch ab.

In der gegen den ablehnenden Bescheid erhobenen Klage wurde vorgebracht, der geltend gemachte Betrag, der sich aus der Summe der vom AG zu Unrecht einbehaltenen Beiträge errechne, wäre dem Kl bei der im Jahre 2016 erfolgten Auszahlung der Abfertigung als zusätzlicher Kapitalbetrag zugekommen, es handle sich daher um einen gesicherten Schadenersatzanspruch.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es sei unzulässig, die als solche bereits verjährten und nach § 13d IESG nicht gesicherten BMSVG-Beiträ-198ge in eine Schadenersatzforderung umzuqualifizieren, um die Grenzen der Sicherung nach dem IESG zu umgehen. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Revision wurde abgewiesen.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„1. Der Kläger gründet seinen Rechtsstandpunkt, bei dem geltend gemachten Anspruch handle es sich um eine nach dem IESG gesicherte Schadenersatzforderung, argumentativ auf die Entscheidung 8 ObS 10/95 (RIS-Justiz RS0064097), mit der die Qualifikation der Pensionseinbuße eines Arbeitnehmers wegen vom Arbeitgeber unvollständig entrichteter Pensionsversicherungsbeiträge als nach § 1 Abs 2 Z 2 IESG gesicherter Schadenersatzanspruch bestätigt wurde.

Die zitierte, nur knapp begründete und vereinzelt gebliebene Entscheidung ist aber aus den folgenden Überlegungen nicht einschlägig:

Zunächst ist auf die Besonderheit hinzuweisen, dass sich die Beklagte im Verfahren 8 ObS 10/95 in ihrer Revisionsbeantwortung dem Standpunkt des Klägers angeschlossen hatte und die maßgebliche Rechtsfrage zwischen den Parteien des Revisionsverfahrens daher nicht mehr strittig war.

Der vom Kläger begehrten Verallgemeinerung der Entscheidung 8 ObS 10/95 steht auch die jüngere Rechtsprechung zum Thema ‚Pensionsschaden‘ (8 ObS 14/05z, 8 ObA 66/09b) entgegen.

Bereits in der Entscheidung 8 ObS 14/05z hat der Oberste Gerichtshof festgehalten, dass der Nachteil aus der Nichterfüllung einer vom Arbeitgeber gegenüber Dritten zu leistenden Zahlungspflicht (dort: Leistung des Deckungserfordernisses an eine Pensionskasse) nicht einfach auf die Bestimmung des § 1 Abs 2 Z 2 IESG (‚Schadenersatzansprüche‘) gestützt werden kann. Besteht ein vertraglicher Anspruch des Klägers gegen seinen ehemaligen Dienstgeber auf Leistung, ändert die Nichterfüllung dieser Verpflichtung an der ursprünglichen Rechtsnatur dieses Anspruchs nichts. Wäre der Rechtsgrund gesicherter Ansprüche beliebig austauschbar, könnte also der Arbeitnehmer immer eine vom Arbeitgeber nicht erfüllte vertragliche Verpflichtung zum Anlass nehmen, diesen nicht erfüllten Anspruch als ‚Schadenersatzanspruch‘ im Sinne des § 1 Abs 2 Z 2 IESG zu bezeichnen, könnten auf diesem Weg sämtliche Anspruchsbegrenzungen des IESG unterlaufen werden (s auch 8 ObS 19/98x). Die Nichterfüllung eines vertraglichen Anspruchs durch den Arbeitgeber kann nur unter den dafür speziell vorgesehenen Tatbestand des IESG subsumiert werden. Dem Arbeitnehmer steht es nicht frei, anstelle des primären Vertragsanspruchs Schadenersatz zu begehren, um die zeitlichen und betraglichen Limitierungen des IESG zu umgehen (8 ObS 14/05z).

Grundsätzlicher Zweck des BMSVG ist die Auslagerung der Abfertigungsverpflichtung (Abfertigung alt) des Arbeitgebers auf rechtlich selbständige Mitarbeiter-Vorsorgungskassen zur Optimierung der arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen des Abfertigungsrechts (ErlRV 1131 BlgNR 21. GP 45). Die Beitragseinhebung erfolgt im Verwaltungsverfahren nach dem ASVG durch den Träger der Krankenversicherung, die Veranlagung durch eine ausgelagerte Kasse. Der Krankenversicherungsträger hat die dem Lohnzettel entsprechenden Beiträge dabei unabhängig von deren tatsächlichen Zahlung an den Arbeitgeber an die Kasse zu überweisen (§ 27 Abs 8 iVm Abs 5 BMSVG).

Darüber hinaus erfolgt eine Absicherung der Beiträge nach dem IESG insoweit, als der Insolvenz- Entgelt-Fonds dem Krankenversicherungsträger die offenen Beiträge der letzten zwei Jahre vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw dem gemäß § 1 Abs 1 IESG gleichgestellten Zeitpunkt zu leisten hat (§§ 13d Abs 1 iVm 13a IESG). Der Oberste Gerichtshof geht davon aus, dass diese Beiträge – auch wenn keine entsprechende Meldung vorgelegen ist – an die Kasse zu leisten sind und Arbeitnehmern insoweit auch die Möglichkeit der Erhebung einer Feststellungsklage offensteht (vgl 8 ObS 5/09g, 8 ObS 8/16h). Für die letzten zwei Jahre (‚Beitragsjahre‘) ist damit also das Arbeitnehmern im Hinblick auf die Verletzung von Meldepflichten verbleibende Restrisiko (vgl Sundl in Reissner, Arbeitsverhältnis und Insolvenz5 458) auch bei der Abfertigung neu durch das IESG abgesichert.

Nach der ständigen Rechtsprechung muss ein gegen den Insolvenz-Entgelt-Fonds geltend gemachter Anspruch einer der in § 1 Abs 2 IESG normierten Anspruchsarten, die der Gesetzgeber als gesichert anerkannt hat, zugeordnet werden; eine Umgehung ist unzulässig (RIS-Justiz RS0120409; 8 ObS 6/11g; 8 ObS 11/11g). Wenn im IESG eine ‚speziellere‘ Regelung besteht, kann nicht auf die ‚allgemeinere‘ Regelung betreffend allfällige Schadenersatzansprüche nach § 1 Abs 2 Z 2 IESG zurückgegriffen werden (RIS-Justiz RS0120409).

Die in der Revision für deren gegenteiligen Standpunkt zitierten Autoren (Mader in DRdA-infas 2016, 54; Sundl in ASoK 2003, 186), die sich zugunsten einer unbegrenzten Sicherung der außerhalb des Zeitraums nach § 13d IESG rückständigen Beiträge als Schadenersatzforderungen aussprechen, berufen sich auf das Ergebnis der Entscheidung 8 ObS 10/95, überzeugen aber insoweit nicht. Die – gegenüber arbeitsrechtlichen Ansprüchen gegen den Dienstgeber engeren – Grenzen der Sicherung nach dem IESG, insbesondere der Grundsatz der Spezialität der Anspruchsarten und ihrer Beschränkungen – die auch nicht Gegenstand der Entscheidung 8 ObS 10/95 waren – finden darin keine Berücksichtigung.“199

ERLÄUTERUNG

Zweck des BMSVG ist die Auslagerung der Abfertigungsverpflichtung des AG auf rechtlich selbständige Mitarbeiter-Vorsorgekassen.

Das BMSVG gilt für alle Arbeitsverhältnisse, die auf einem privatrechtlichen Vertrag beruhen und deren vertraglich vereinbarter Beginn nach dem 31.12.2002 liegt. Die bis dahin geltenden Abfertigungsregelungen sowie kollektivvertragliche Abfertigungsbestimmungen sind nur dann weiter anzuwenden, wenn auf Grund von Wiedereinstellungszusagen oder Wiedereinstellungsvereinbarungen unterbrochene Arbeitsverhältnisse unter Anrechnung der Vordienstzeiten beim selben AG nach dem 31.12.2002 fortgesetzt werden, AN innerhalb eines Konzerns iSd § 15 AktG oder § 115 GmbHG in ein neues Arbeitsverhältnis wechseln oder unterbrochene Arbeitsverhältnisse unter Anrechnung der Vordienstzeiten beim selben AG fortgesetzt werden und durch eine am 1.7.2002 anwendbare Bestimmung in einem KollV die Anrechnung der Vordienstzeiten für die Abfertigung festgesetzt wird. Für Arbeitsverhältnisse, die zum 31.12.2002 bereits bestanden, kann in einer schriftlichen Vereinbarung zwischen AG und AN für die weitere Dauer des Arbeitsverhältnisses ab einem zu vereinbarenden Stichtag die Geltung des BMSVG an Stelle der bisher geltenden Abfertigungsregelungen vereinbart werden.

Der AG hat einen laufenden Beitrag in der Höhe von 1,53 % des monatlichen Entgeltes sowie allfälliger Sonderzahlungen an den zuständigen Krankenversicherungsträger zur Weiterleitung an die ausgewählte Betriebliche Vorsorgekasse zu überweisen, sofern das Arbeitsverhältnis länger als einen Monat dauert. Der erste Monat ist jedenfalls beitragsfrei. Der Anspruch des AN auf Abfertigung besteht ausschließlich gegenüber der Betrieblichen Vorsorgekasse. Der AG wird durch die ordnungsgemäße Entrichtung der Beiträge von weiteren Leistungsverpflichtungen befreit.

Die Beitragseinhebung erfolgt im Verwaltungsverfahren nach dem ASVG durch den Träger der KV. Der AG hat die Beiträge zur Betrieblichen Vorsorgekasse nach Maßgabe des § 58 Abs 1 bis 6 ASVG an den zuständigen Krankenversicherungsträger zur Weiterleitung an die Betriebliche Vorsorgekasse zu überweisen. Für die Einhebung und Weiterleitung der Betrieblichen Vorsorgekassen-Beiträge gelten somit die gleichen Regelungen wie für die allgemeinen Beiträge (Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherungsbeiträge) zur SV.

Im Fall der Insolvenz des AG umfasst der Anspruch des AN auf Insolvenz-Entgelt gem § 13a IESG nicht nur den tatsächlichen Entgeltanspruch des AN, sondern auch die auf den AN entfallenden Beitragsanteile zur gesetzlichen SV (DN-Beitragsanteile), mit Ausnahme der Beiträge zur AlV.

Für die vom AG zu leistenden Beiträge zur Betrieblichen Vorsorgekasse gilt gem § 13d IESG ebenfalls § 13a leg cit mit der Maßgabe, dass an die Stelle der DN-Beitragsanteile die Betrieblichen Vorsorgekassen- Beiträge treten.

Die Betrieblichen Vorsorgekassen-Beiträge sind somit – was die Sicherung durch den Insolvenz-Entgelt- Fonds (IEF) betrifft – den DN-Beitragsanteilen zur SV gleichgestellt. Gesichert sind jene Beiträge, die innerhalb der letzten zwei Jahre vor dem Insolvenzstichtag rückständig geworden sind. Der IEF schuldet die Beiträge dem für die Beitragseinhebung zuständigen Krankenversicherungsträger. Die Verrechnung der Beiträge erfolgt im direkten Weg.

Das IESG sieht somit keinen Anspruch des AN auf Direktauszahlung der Betrieblichen Vorsorgekassen- Beiträge durch den IEF vor. Die spezielle Norm des § 13d verweist ausdrücklich auf § 13a IESG. Daher fehlt es laut OGH an einem Recht des AN auf direkte Auszahlung der Beiträge. Der Anspruch des AN auf Leistung der korrekten Beiträge durch den AG kann daher nur gerichtlich festgestellt werden, aber nicht mittels Leistungsklage gegenüber dem IEF durchgesetzt werden (OGH 30.7.2009, 8 ObS 5/09g).

Hinsichtlich allfälliger weitergehender Schadenersatzansprüche der betroffenen AN war die Rechtslage bis zur vorliegenden E ungeklärt.

Im Anlassfall begehrt der AN nicht die Auszahlung der fehlenden Beiträge, sondern macht den Differenzbetrag zwischen der Abfertigung, die ihm tatsächlich ausbezahlt wurde, und jener Abfertigung, die er bei korrekter Beitragsentrichtung erhalten hätte, in Höhe der rückständigen Beiträge als Schadenersatzanspruch geltend. Der Kl stützt seine Argumentation dabei vor allem auf die 8 ObS 10/95OGH-E 8 ObS 10/95 vom 27.4.1995, wonach die Minderung der Pensionshöhe eines AN auf Grund der vom AG nicht ordnungsgemäß entrichteten Pensionsversicherungsbeiträge als nach § 1 Abs 2 Z 2 IESG gesicherter Schadenersatzanspruch qualifiziert wurde.

Nach Ansicht des OGH ist diese E jedoch nicht einschlägig. Auch die jüngere Rsp zum Thema „Pensionsschaden“ (8 OGH 6.10.2005, ObS 14/05z;OGH 22.9.2010, 8 ObA 66/09b) stehe dem entgegen. Bereits in der E 8 ObS 14/05z hat der OGH festgehalten, dass der Nachteil des AN aus der Nichterfüllung einer Zahlungspflicht, die der AG gegenüber einem Dritten zu leisten hat (konkret: Leistung des Deckungserfordernisses an eine Pensionskasse), nicht auf die Bestimmung des § 1 Abs 2 Z 2 IESG („Schadenersatzansprüche“) gestützt werden kann. Die Nichterfüllung dieser Verpflichtung ändere nichts an der ursprünglichen Rechtsnatur des An-200spruchs als vertraglicher Anspruch. Wäre der Rechtsgrund gesicherter Ansprüche austauschbar, könnte der AN jede vom AG nicht erfüllte vertragliche Verpflichtung als „Schadenersatzanspruch“ iSd § 1 Abs 2 Z 2 IESG geltend machen und auf diesem Weg sämtliche Anspruchsbegrenzungen des IESG unterlaufen (siehe auchOGH 29.1.1998, 8 ObS 19/98x). Dem AN steht es daher nicht frei, anstelle des primären Vertragsanspruchs Schadenersatz zu begehren, um die zeitlichen und betraglichen Limitierungen des IESG zu umgehen.

Nach der stRsp des OGH muss also ein gegen den IEF geltend gemachter Anspruch einer der in § 1 Abs 2 IESG normierten Anspruchsarten zugeordnet werden; eine Umgehung ist unzulässig. Wenn im IESG eine „speziellere“ Regelung – im Anlassfall § 13d IESG – besteht, kann nicht auf die „allgemeinere“ Regelung betreffend allfällige Schadenersatzansprüche nach § 1 Abs 2 Z 2 IESG zurückgegriffen werden.