99Keine Anrechnung konsumierter Freizeit bei selbstständiger Erwerbstätigkeit auf Urlaubsersatzleistung gem § 1 Abs 3 Z 3 IESG
Keine Anrechnung konsumierter Freizeit bei selbstständiger Erwerbstätigkeit auf Urlaubsersatzleistung gem § 1 Abs 3 Z 3 IESG
Ein AN muss sich nach § 1 Abs 3 IESG zur Vermeidung einer doppelten Abgeltung den gegen einen neuen AG gebührenden Naturalurlaub auf die für denselben Zeitraum gebührende Urlaubsersatzleistung anrechnen lassen.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass auch freie Tage, für die schon dem Grunde nach überhaupt kein Entgeltanspruch besteht, mit Urlaubstagen kompensierbar sind. Ein selbstständig Erwerbstätiger hat weder gegen sich selbst einen Freistellungsanspruch noch einen iSd § 1 Abs 3 Z 3 IESG „erworbenen“ Entgeltanspruch. Konsumierte Freizeit, die den Erwerbstätigen nicht in eine Lage versetzt, die in Bezug auf das Entgelt mit den Zeiten geleisteter Arbeit vergleichbar ist, ist kein Urlaub.
Eine Anrechnung solcher Freizeit nach § 1 Abs 3 Z 3 IESG auf eine Urlaubsentschädigung scheidet mangels der erforderlichen Gleichartigkeit aus.
Die Kl war von 1.6.1993 bis 26.2.2016 bei der späteren Schuldnerin beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch berechtigten vorzeitigen Austritt der Kl. Ab 7.3.2016 war die Kl selbststänselbstständig erwerbstätig. Am 29.2.2016 wurde ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der AG eröffnet. Die Kl beantragte bei der IEF-Service GmbH Insolvenz-Entgelt für Kündigungsentschädigung sowie Urlaubsersatzleistung von 27.2. bis 30.6.2016. Aufgrund des am 1.6.2016 beginnenden neuen Urlaubsjahres hätte die Kl bis 30.6.2016 einen weiteren Urlaubsanspruch von 2,08 Arbeitstagen erworben, dem eine Urlaubsersatzleistung in Höhe des Klagsbetrags entspricht. Die IEF-Service GmbH lehnte die Gewährung von Insolvenz- Entgelt für den in der Zeit von 1.6. bis 30.6.2016 fiktiv entstandenen Anspruch auf Urlaubsersatzleistung wegen der in dieser Zeit ausgeübten selbstständigen Tätigkeit ab.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Zur Vermeidung einer doppelten Abgeltung müsse sich ein AN nach § 1 Abs 3 IESG den gegen einen neuen AG gebührenden Naturalurlaub auf die für den selben Zeitraum gebührende Urlaubsersatzleistung anrechnen lassen. Einen Naturalurlaubsanspruch habe die Kl jedoch als Selbstständige nicht erwerben können. Sowohl das Berufungsgericht als auch der OGH bestätig-183ten diese E. Die Revision der Bekl wurde daher abgewiesen.
„1. Die Beklagte argumentiert, der Oberste Gerichtshof judiziere in ständiger Rechtsprechung, dass auf einen als Teil der Kündigungsentschädigung geltenden (fiktiven) Urlaubsersatzleistungsanspruch ab dem vierten Monat nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses (§ 29 Abs 2 AngG, § 1 Abs 3 Z 3 IESG) der im selben Zeitraum gegen einen neuen Arbeitgeber entstandene Naturalurlaubsanspruch anzurechnen sei, weil es andernfalls zu einem ‚Doppelverdienst‘ käme (vgl RIS-Justiz RS0028674). Ob das auf die Kündigungsentschädigung anzurechnende Einkommen aus einer unselbstständigen oder einer selbstständigen Tätigkeit stamme, spiele keine Rolle. Es komme nach der zitierten Rechtsprechung bei der Gegenrechnung von Naturalurlaubsansprüchen aber auch nicht darauf an, wie hoch das Einkommen aus der neuen Tätigkeit ist. Es sei daher bei einer neuen selbstständigen Tätigkeit ‚das (aliquote) Entgelt anzurechnen‘ und ‚eventualiter von einem fiktiven Bestand eines anrechenbaren Urlaubs in Natura auszugehen‘.
2. Die Beklagte legt nicht näher dar, was sie unter der geforderten ‚aliquoten Anrechnung‘ des durch die selbstständige Tätigkeit erworbenen Entgelts auf die Urlaubsersatzleistung versteht. Soweit damit gemeint sein sollte, dass das Jahreseinkommen des Selbstständigen bei der Anrechnung nach § 1 Abs 3 Z 3 IESG so aufzuteilen wäre, dass darin ein fiktives Urlaubsentgelt für 5 Wochen enthalten ist, könnte die Beklagte damit für ihren Standpunkt schon insofern nichts gewinnen, als bei einer solchen Aliquotierung das anrechenbare durchschnittliche selbstständige Einkommen (von monatlich 1/12 der Jahressumme auf gerundet 1/13) sinkt. Dabei würde sich wiederum der unstrittig gesicherte Differenzanspruch auf die laufende Kündigungsentschädigung aliquot erhöhen. Eine insgesamt geringere gesicherte Forderung ergäbe sich danach nur, wenn das anrechenbare selbstständige Durchschnittseinkommen höher wäre als das frühere unselbstständige. Dies war bei der Klägerin nicht der Fall.
3. Im Übrigen beruhen die Ausführungen der beklagten Partei auch auf einem Missverständnis der wesentlichen Begründung der von ihr herangezogenen Rechtsprechung. Wenn bei der Anrechnung nach § 1 Abs 3 Z 3 IESG bzw § 29 Abs 2 AngG die aliquoten Naturalurlaubsansprüche und nicht deren ‚Geldwert‘ (Urlaubsersatzleistung aus dem alten und Urlaubsentgelt aus dem neuen Arbeitsverhältnis) gegenübergestellt werden, liegt die Begründung im Wesen des Urlaubsanspruchs als grundsätzlich in natura zu konsumierender, weil zur Erholung bestimmter bezahlter Freizeit, der sich nur bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses in einen Geldanspruch umwandelt. Gewährt auch das neue Arbeitsverhältnis einen konsumierbaren Anspruch auf bezahlten Urlaub im selben Ausmaß, dann ergibt die Kompensation mit dem auf die Anrechnungsperiode entfallenden fiktiven Urlaub aus dem alten Arbeitsverhältnis in Summe Null. Da hier kein Naturalurlaub entgeht, ist dafür schon dem Grunde nach kein Ersatz zu leisten (vgl schon 9 ObS 3/91), auch wenn die fiktive Urlaubsersatzleistung in der Kündigungsentschädigung höher gewesen wäre als das Urlaubsentgelt im neuen Arbeitsverhältnis (RIS-Justiz RS0077159).
4. Das Gesagte bedeutet allerdings entgegen der Auffassung der Revision keineswegs, dass auch freie Tage, für die schon dem Grunde nach überhaupt kein Entgeltanspruch besteht, mit Urlaubstagen kompensierbar sind. Zu den Voraussetzungen für eine wirksame Aufrechnung – hier der Anrechnung nach § 1 Abs 3 Z 3 IESG – gehört die Gleichartigkeit der Forderungen (§ 1438 ABGB; vgl 8 ObS 250/98t [gesicherte Abfertigung]). Urlaub gemäß § 2 UrlG ist Freistellung des Arbeitnehmers von seiner Arbeitspflicht für eine (durch Gesetz, kollektivrechtliche Norm oder Einzelarbeitsvertrag) bestimmte Zeit bei Fortzahlung des Arbeitsentgelts (ua Reissner in ZellKomm3 § 2 UrlG Rz 1; Löschnigg, Arbeitsrecht13 Rz 6/672).
Das Recht jeder Arbeitnehmerin und jedes Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub ist nach Artikel 31 der Charta Teil der Grundrechte der Europäischen Union, wird in Art 7 der Richtlinie 2003/88/EG konkretisiert und entfaltet nach der Rechtsprechung des EuGH unmittelbare Wirksamkeit (EuGHC-282/10, Dominguez
, Rn 33–35 ECLI:EU:C:2012:3; C-684/16, Alag Plank
, Rn 62 ff ECLI:EU:C:2018:874).
Auch die Richtlinie 2003/88/EG behandelt den Anspruch auf Jahresurlaub und jenen auf Zahlung des Urlaubsentgelts als zwei Aspekte eines einzigen Anspruchs (vgl EuGHC-539/12, Lock
, Rn 17 ECLI:EU:C:2014:359 mwN; C-214/16, King
, Rn 35 ECLI:EU:C:2017:914). Der Urlaubsanspruch wird daher nicht erfüllt, wenn der Arbeitgeber zwar den Konsum von Freizeit ermöglicht, dafür aber nichts bezahlt (vgl EuGHC-214/16, King
, Rn 36).
Mit diesen Grundsätzen des nationalen und des Unionsrechts ist die Auffassung der Revisionswerberin nicht vereinbar, die Möglichkeit eines selbstständig Erwerbstätigen, Freizeit zu konsumieren, einem Urlaubsanspruch im Sinne des § 2 UrlG gleichzusetzen. Es ist Wesensmerkmal eines Anspruchs, dass es auch einen Verpflichteten gibt, gegen den er sich richtet. Der Selbstständige hat aber weder gegen sich selbst einen Freistellungsanspruch, noch einen im Sinne des § 1 Abs 3 Z 3 IESG ‚erworbenen‘ Entgeltanspruch. Konsumierte Freizeit, die den Erwerbstätigen nicht in eine Lage versetzt, die in Bezug auf das Entgelt mit den Zeiten geleisteter Arbeit vergleichbar ist (EuGHC-214/16, King
, Rn 35), ist kein Urlaub.184 Eine Anrechnung solcher Freizeit nach § 1 Abs 3 Z 3 IESG auf eine Urlaubsentschädigung scheidet mangels der erforderlichen Gleichartigkeit aus.“
Gem § 2 Abs 1 UrlG gebührt einem AN für jedes Arbeitsjahr ein ununterbrochener bezahlter Urlaub. Das Urlaubsausmaß beträgt bei einer Dienstzeit von weniger als 25 Jahren 30 Werktage und erhöht sich nach Vollendung des 25. Jahres auf 36 Werktage. Der Urlaub ist in natura als Freizeit zu gewähren, eine finanzielle Ablöse des Urlaubs während des aufrechten Arbeitsverhältnisses ist verboten. Nur bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist der nicht konsumierte Urlaub als Urlaubsersatzleistung abzugelten (§ 10 UrlG).
Wird das Arbeitsverhältnis durch vorzeitigen berechtigten Austritt des AN beendet, behält der AN gem § 1162b ABGB, unbeschadet eines allfälligen weitergehenden Schadenersatzes, seine vertragsgemäßen Ansprüche auf das Entgelt für den Zeitraum, der bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Ablauf der Vertragszeit oder durch ordnungsmäßige Kündigung hätte verstreichen müssen. Inhaltlich handelt es sich dabei um einen Schadenersatzanspruch. Die sogenannte Kündigungsentschädigung umfasst somit jenes Entgelt, das der AN hätte erhalten müssen, wenn das Arbeitsverhältnis durch eine ordnungsgemäße Kündigung seitens des AG beendet worden wäre. Der AN ist so zu stellen, wie er bei einer ordnungsgemäßen Beendigung des Arbeitsverhältnisses stünde und hat daher auch Anspruch auf die Abgeltung jener Urlaubstage, die innerhalb des Kündigungsentschädigungszeitraumes anteilig entstanden wären. Sofern dieser Zeitraum drei Monate nicht übersteigt, kann der AN das für diese Zeit gebührende Entgelt ohne Abzug sofort fordern. Ab dem vierten Monat gebührt die Kündigungsentschädigung allerdings nur unter Anrechnung dessen, was sich der AN infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung erworben oder zu erwerben absichtlich versäumt hat. Ist die vom AG einzuhaltende Kündigungsfrist länger als drei Monate, hat sich der AN somit ab dem vierten Monat ein allfälliges Einkommen aus selbstständiger bzw unselbstständiger Tätigkeit anrechnen zu lassen.
Bei Insolvenz des AG gebührt Insolvenz-Entgelt gem § 1 Abs 3 Z 3 IESG ebenfalls nicht für Ansprüche auf Kündigungsentschädigung, sofern dieser Anspruch das Entgelt für den Zeitraum von drei Monaten übersteigt, hinsichtlich jenes Betrages, den der AN infolge des Unterbleibens der Arbeitsleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung erworben oder zu erwerben absichtlich versäumt hat.
Dies gilt auch für den Anspruch auf Urlaubsersatzleistung. Ist der AN wiederum unselbstständig beschäftigt und erwirbt er im Zeitraum der Kündigungsentschädigung einen weiteren Urlaubsanspruch aus dem neuen Arbeitsverhältnis, so muss er sich diesen auf die geltend gemachte Urlaubsersatzleistung anrechnen lassen. Es müssen sich somit für den gleichen Zeitraum die Urlaubsersatzleistung als finanzielle Abgeltung des Urlaubsanspruchs aus dem alten Arbeitsverhältnis und der neu erworbene Urlaubsanspruch aus dem nachfolgenden Arbeitsverhältnis gegenüberstehen. Ist dies der Fall, wird der Anspruch des AN auf Urlaubsersatzleistung durch den für den gleichen Zeitraum neu erworbenen Anspruch auf Urlaub kompensiert, da der AN ja die Möglichkeit hat, den Urlaub in natura zu verbrauchen. Dies gilt auch dann, wenn die Urlaubsentschädigung aus dem früheren Arbeitsverhältnis höher gewesen wäre als das Urlaubsentgelt, das der AN im neuen Arbeitsverhältnis erhält.
Daraus kann jedoch – entgegen der Ansicht der Bekl – nicht abgeleitet werden, dass freie Tage, für die kein Entgeltanspruch besteht, mit Urlaubstagen kompensiert werden können. Zu den Voraussetzungen für eine wirksame Aufrechnung – hier der Anrechnung nach § 1 Abs 3 Z 3 IESG – gehört jedenfalls die Gleichartigkeit der Forderungen (§ 1438 ABGB; vgl OGH 24.6.1999, 8 ObS 250/98t [gesicherte Abfertigung]).
Im Anlassfall war die AN nach Ende ihres Arbeitsverhältnisses selbstständig erwerbstätig. Nach Ansicht des OGH ist es weder mit den Grundsätzen des nationalen noch des Unionsrechts vereinbar, die Möglichkeit eines selbstständig Erwerbstätigen, Freizeit zu konsumieren, einem Urlaubsanspruch iSd § 2 UrlG gleichzusetzen. Urlaub iSd § 2 UrlG ist als Freistellung des AN von seiner Arbeitspflicht für eine bestimmte Zeit unter gleichzeitiger Fortzahlung des Arbeitsentgelts definiert. Ein selbstständig Erwerbstätiger hat weder gegen sich selbst einen Freistellungsanspruch noch einen iSd § 1 Abs 3 Z 3 IESG „erworbenen“ Entgeltanspruch. Unter Hinweis auf die E des EuGH in der Rs King
(EuGH 29.11.2017, C-214/16) stellt der OGH klar, dass konsumierte Freizeit, die den Erwerbstätigen nicht in eine Lage versetzt, die in Bezug auf das Entgelt mit den Zeiten geleisteter Arbeit vergleichbar ist, kein Urlaub ist. Daher scheidet eine Anrechnung einer derartigen Freizeit nach § 1 Abs 3 Z 3 IESG auf eine Urlaubsersatzleistung bereits mangels Gleichartigkeit der Forderungen aus. 185