Karfreitag – Feiertag für niemanden
Karfreitag – Feiertag für niemanden
Der Europäische Gerichthof anerkennt einen Anspruch auf einen freien Karfreitag für alle. Der österreichische Gesetzgeber schafft ihn wieder ab und greift außerdem ins österreichische Kollektivvertragssystem ein.
Grundsätzlich müssen AN in Österreich an einem Feiertag nicht arbeiten (Ausnahmen für bestimmte Bereiche wie zB öffentlicher Verkehr, Krankenhäuser, Gastgewerbe usw) und erhalten ihr Gehalt/ihren Lohn als Feiertagsentgelt. Falls sie doch arbeiten, bekommen sie zusätzlich sogenanntes Feiertagsarbeitsentgelt.
In Österreich gibt es 13 gesetzliche Feiertage, die im Feiertagsruhegesetz aufgezählt sind, es liegt damit zahlenmäßig im europäischen Mittelfeld (Berechnung AK Wien [2019], ua auf Basisdaten der Europäischer Kommission/EURES-Datenbank, Eurofound und Angaben nationaler Regierungen). Die meisten dieser Feiertage sind grundsätzlich durch das Konkordat mit der katholischen Kirche vereinbart (außer Oster- und Pfingstmontag und Stephanitag, Staatsfeiertag am 1. Mai und Nationalfeiertag am 26. Oktober).235
Das Konkordat gilt nicht unmittelbar, sondern muss durch Gesetze umgesetzt werden (bspw durch das Feiertagsruhegesetz, Arbeitsruhegesetz ua).
Für Angehörige der evangelischen Kirchen AB und HB, der Altkatholischen Kirche und der Methodistenkirche war bis 21.3.2019 auch der Karfreitag ein Feiertag.
Diese Regelung zum Karfreitag stand in einem Spannungsverhältnis zum europäischen Recht, weil sie direkt an die Religionszugehörigkeit anknüpfte und nur Angehörigen gewisser Religionen einen Anspruch einräumte. In der Literatur gab es schon länger Stimmen, die diese Regelung als diskriminierend erachteten.*
Die Antidiskriminierungsrichtlinie der Europäischen Union (RL 2000/78/EG), die ua die Diskriminierung aufgrund der Religion in der Arbeitswelt verbietet, wurde im Jahr 2000 beschlossen und in Österreich 2004 umgesetzt.
Verboten ist zum einen unmittelbare Diskriminierung, das ist, wenn eine Person aufgrund eines bestimmten Merkmals (bspw Religionszugehörigkeit) in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt. Zum anderen ist auch die mittelbare Diskriminierung untersagt, dh wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen mit einem geschützten Merkmal in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, es gibt eine sachliche Rechtfertigung – hier geht es also darum, ob sich scheinbar neutrale Regelungen diskriminierend auswirken.
Es gibt aber auch Ausnahmen vom Diskriminierungsverbot:
Zum einen sind Maßnahmen erlaubt, die zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind (Art 2 Abs 5 „Diese Richtlinie berührt nicht die im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Maßnahmen, die in einer demokratischen Gesellschaft für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit, die Verteidigung der Ordnung und die Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.“). Diese Ausnahme ist an die Regelung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zur Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit in Art 9 angelehnt. Beispiel für eine nach Art 9 zulässige Regelung: Strafbarkeit des Zugangs zu gesundheitsgefährdenden Rauschmitteln, die bei religiösen Gottesdiensten eingesetzt werden (Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer [Hrsg], EMRK – Europäischen Menschenrechtskonvention – HK).
Außerdem sind auch sogenannte positive Maßnahmen zur Gewährleistung der (tatsächlichen) völligen Gleichstellung im Berufsleben zulässig, um Benachteiligungen zu verhindern oder auszugleichen (Art 7 Antidiskriminierungs-RL) – bspw unter gewissen Voraussetzungen Geschlechterquoten.
Grundsätzlich binden europäische Richtlinien nur die Mitgliedstaaten, aber nicht den/die Einzelne/ n. Damit sich einzelne AN direkt auf das europarechtliche Diskriminierungsverbot stützen können, muss laut Rsp des EuGH ein sogenannter allgemeiner Rechtsgrundsatz, wie hier das Diskriminierungsverbot, vorliegen. Einen solchen sieht der EuGH regelmäßig nur dann als gegeben, wenn auch ein Grundrecht aus der Europäischen Grundrechtecharta (GRC, in Kraft seit dem Jahr 2009) betroffen ist – wie hier das Diskriminierungsverbot des Art 21.
Im Jahr 2015 klagte ein konfessionsloser AN, der an einem Karfreitag gearbeitet hat, Feiertagsarbeitsentgelt für die Arbeit an diesem Tag ein. Da es um die Auslegung von europäischem Recht, in diesem Fall Gleichbehandlungsrecht, ging, wurde die Sache vom OGH dem EuGH vorgelegt.
Der OGH stellte dem EuGH zusammengefasst folgende vier Fragen, sogenannte Vorlagefragen:*
- Widerspricht die österreichische Karfreitagsregelung der Antidiskriminierungs-RL?
- Ist die österreichische Karfreitagsregelung eine notwendige Maßnahme zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer und damit zulässig?
- Ist die österreichische Karfreitagsregelung eine positive Maßnahme zur Verhinderung bzw zum Ausgleich einer Benachteiligung und damit gerechtfertigt?
- Falls der EuGH eine Diskriminierung bejaht, müssen private AG, solange vom österreichischen Gesetzgeber keine diskriminierungsfreie Rechtslage geschaffen wurde, allen AN oder keiner/keinem die Rechte und Ansprüche am Karfreitag zugestehen?236
Der/die Generalanwalt/-anwältin am EuGH hat die Aufgabe, einen ersten Vorschlag für ein Urteil des EuGH in der Form von begründeten Schlussanträgen zu machen. Der EuGH ist an den Vorschlag nicht gebunden, faktisch folgt er jedoch in einem großen Teil der Fälle den Vorschlägen des/ der Generalanwalts/-anwältin.
Der zuständige Generalanwalt, Michal Bobek, sah in diesem Fall eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund der Religion gegeben. Eine gültige Rechtfertigung für diese Diskriminierung liege nicht vor, ebenso wenig eine positive Maßnahme. Er war jedoch nicht der Meinung, dass ein privater AG verpflichtet sei, AN, die am Karfreitag arbeiten, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit, zusätzlich zum normalen Arbeitslohn/-gehalt das Feiertagsarbeitsentgelt zu bezahlen. Nach seiner Ansicht sollen betroffene AN allenfalls Schadenersatzklage gegen den Staat (Österreich) einbringen können.
Der EuGH hat am 22.1.2019 nun Folgendes festgestellt. Die österreichische Karfreitagsregelung ist unmittelbar diskriminierend aufgrund der Religion, es ist keine Regelung zur Wahrung der Rechte und Freiheiten anderer und es handelt sich um keine zulässige positive Maßnahme. Insofern entspricht das Urteil der Position des Generalanwalts.
Der EuGH hat aber zudem eine Art Zwischenlösung geschaffen, indem er geurteilt hat, dass, solange der österreichische Gesetzgeber keine andere diskriminierungsfreie Regelung schafft, alle AN unabhängig von einer Religionszugehörigkeit Anspruch auf den freien Karfreitag haben und, falls sie aufgrund der Anweisung des AG doch arbeiten müssen, extra Feiertagsarbeitsentgelt erhalten müssen. Der EuGH hatte – bis zur Schaffung einer diskriminierungsfreien Rechtslage durch Österreich – eine Angleichung nach oben vorgenommen (das bedeutet, alle AN müssen den Anspruch haben).
Infolge des Urteils freuten sich Arbeiterkammer (AK) und Österreichischer Gewerkschaftsbund (ÖGB), ein Karfreitag für alle sei nur fair und argumentierten, dass dies nur ein kleiner Ausgleich für die von ihnen geleisteten überlangen Arbeitszeiten, für den 12-Stunden-Tag bzw die 60-Stunden- Woche und die schwere Erreichbarkeit der sechsten Urlaubswoche sei.* Die UnternehmerInnenseite hielt dagegen, sie könne sich das nicht leisten. Eigentlich ein klassischer Ausgangspunkt für SozialpartnerInnenverhandlungen. Dazu kam es aber nicht. Insb die AN-Seite wurde nicht eingebunden und es gab zudem auch keinen formellen Begutachtungsprozess.
Der erste Vorschlag der Bundesregierung eines „halben“ – oder besser gesagt – eines Viertel-Feiertags (frei ab 14 Uhr) stieß auf Ablehnung von verschiedensten Seiten.
Mit dem schlussendlich von den Regierungsparteien eingebrachten Abänderungsantrag wurde der Karfreitag kurzfristig als Feiertag abgeschafft (Link zum BGBl: https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/BGBLA_2019_I_22/BGBLA_2019_I_22.htmlhttps://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/BGBLA_2019_I_22/BGBLA_2019_I_22.html). Im Gegensatz zum Urteil des EuGH wurde somit eine Angleichung nach unten vorgenommen (dh, niemand hat mehr den Anspruch).
Gleichzeitig wurde die Möglichkeit geschaffen, einmal pro Jahr einen Urlaubstag einseitig zu bestimmen. Das bedeutet, dass AN einen Tag aus ihrem bestehendem Urlaubkontingent einmal pro Urlaubsjahr einseitig antreten können (im Gesetz untechnisch als „persönlicher Feiertag“ bezeichnet). Dazu müssen sie ihn drei Monate vorher (innerhalb einer schon abgelaufenen Übergangsfrist waren es zwei Wochen) schriftlich dem/der AG bekanntgeben. Der/die AG kann „ersuchen“, dass der/die AN an diesem Tag doch arbeitet. Falls der/die AN sich entscheidet, dem Ersuchen des/ der AG nachzugeben, muss zusätzlich zum normalen Lohn/Gehalt (das Gesetz spricht hier verwirrenderweise von „Urlaubsentgelt“, obwohl kein Urlaub verbraucht wird) für die an dem Tag geleistete Arbeit extra bezahlt werden. Das Bestimmungsrecht für den „persönlichen Feiertag“ hat der/die AN für dieses Urlaubsjahr aber trotzdem verbraucht.
Seit Beginn der 1950er-Jahre, dh schon vor Inkrafttreten des gesetzlichen Karfreitags, gibt es einen General-KollV, der es AN, die der evange237lischen Kirche AB und HB, der Altkatholischen Kirche und der Methodistenkirche angehören und in der gewerblichen Wirtschaft beschäftigt sind, ermöglicht, den Karfreitag freizubekommen, wenn sie das spätestens eine Woche vorher beim/bei der AG verlangen. Sollten sie dennoch beschäftigt werden, weil dies aus betriebsbedingten Gründen erforderlich ist, müssen sie zusätzlich Feiertagsarbeitsentgelt erhalten. Diese Regelung wurde sinngemäß für den Versöhnungstag (Jom Kippur) für AN, die der israelitischen Glaubensgemeinschaft in Österreich angehören, erweitert. Auch in Branchenkollektivverträgen finden sich diesbezügliche Regelungen.
Mit dem neuen Gesetz wird nun auch gesetzlich in Kollektivverträge eingegriffen. Normen der kollektiven Rechtsgestaltung (Kollektivverträge, uU Betriebsvereinbarungen), die nur für AN, die den evangelischen Kirchen AB und HB, der Altkatholischen Kirche oder der Evangelisch-methodistischen Kirche angehören, Sonderregelungen für den Karfreitag vorsehen, werden für unwirksam und künftig unzulässig erklärt (bspw § 33a Abs 2 Arbeitsruhegesetz). Dies geschah, ohne vorab Verhandlungen mit den SozialpartnerInnen zu führen bzw diesen die Möglichkeit dazu zu geben, auch auf Kollektivvertragsebene diskriminierungsfreie Lösungen zu finden. Insofern steht der gesetzliche Eingriff in die Kollektivverträge im Spannungsfeld mit der durch die Europäische Menschenrechtskonvention (Art 11 EMRK) und die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Art 28 GRC) geschützte Koalitionsfreiheit, die zum einen das Recht auf Bildung und Beitritt zu Gewerkschaften schützen, aber zum anderen eben auch das Recht, Kollektivverträge abzuschließen. Dieser Eingriff erscheint unverhältnismäßig, denn die Diskriminierung hätte auch mit gelinderen Mitteln beseitigt werden können. Der ÖGB bereitet eine entsprechende Klage vor (Pressekonferenz ÖGB vom 14.5.2019 https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20190514_OTS0145/oegb-bereitet-klage-gegen-karfreitagsregelung-vorhttps://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20190514_OTS0145/oegb-bereitet-klage-gegen-karfreitagsregelung-vor).238