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Überwachungsrecht des Betriebsrates betreffend Einhaltung betrieblicher Übungen

MARTINACHLESTIL

In einem Vorprozess war gem § 54 Abs 1 ASGG festgestellt worden, dass aufgrund des Vorliegens einer betrieblichen Übung die Wünsche der Angestellten der Bekl (mit Eintrittsdatum vor dem 1.2.2010) bei der Erstellung der Dienstpläne grundsätzlich zu berücksichtigen sind, und zwar dahingehend, dass je nach Beschäftigungsausmaß pro Woche eine bestimmte Anzahl an arbeitsfreien Tagen in einen sogenannten „Freiwunschkalender“ eingetragen werden kann und diese dann bei der Diensteinteilung zu berücksichtigen sind. Diese urteilsmäßige Verpflichtung wurde von der bekl AG durch eine entsprechende IT-Applikation (elektronischer Kalender) umgesetzt, in die die von der Betriebsübung erfassten AN ihre Freizeitwünsche mittels persönlicher Zugangsdaten eingeben können. Danach werden die Dienstpläne für jeweils drei Wochen im Voraus erstellt. Dabei werden Freiwünsche entweder berücksichtigt oder aufgrund dienstrechtlicher Gründe oder betrieblicher Notwendigkeit abgelehnt. Die AN erhalten parallel zum Dienstplan eine E-Mail, in welcher ihnen mitgeteilt wird, ob ihre Freiwünsche akzeptiert wurden. Darüber hinaus wird auch im Computerprogramm markiert, ob ein bestimmter Freiwunsch erfüllt wurde oder nicht.

Nach Erstellung des Dienstplans erhält der BR eine aktuelle Ausfertigung vom Dienstplan, nicht jedoch die Freiwunschaufzeichnungen oder einen Zugang zum elektronischen System. Mit der vorliegenden Klage begehrt nun der BR die Ausfolgung der Listen mit den Freiwünschen der Beschäftigten, in eventu die Bereitstellung des Zugangs zu diesen Listen. Erst mit dieser Information sei es ihm iSd § 89 ArbVG möglich, anhand des Dienstplans zu prüfen, welche und wie viele Freiwünsche die bekl AG aufgrund der bestehenden betrieblichen Übung erfüllt habe. Nach Ansicht der bekl AG beziehe sich das Überwachungsrecht des BR nur auf die Einhaltung der die AN des Betriebes betreffenden „Rechtsvorschriften“, nicht aber auf Arbeitsbedingungen arbeitsvertraglicher Natur.

Das Erstgericht folgte dieser Rechtsansicht und wies das Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht sah das anders und gab der dagegen erhobenen Berufung des kl BR Folge; das Überwachungsrecht des BR nach § 89 ArbVG beziehe sich auch auf einzelvertragliche Rechte, vor allem aber auf betriebliche Übungen. Der Rekurs an den OGH wurde zugelassen, weil zu dieser Frage noch keine oberstgerichtliche Rsp vorliege. Der OGH schloss sich der Auffassung des Berufungsgerichts an; ergänzend führte er aus:

Nach der Generalklausel des § 89 Satz 1 ArbVG hat der BR das Recht, die Einhaltung der die AN des Betriebes betreffenden Rechtsvorschriften zu überwachen. Die einschlägigen Gesetzesmaterialien (EB zu RV 840 BlgNR 13. GP 81) zeigen ein umfassendes Bild des Begriffs „Rechtsvorschriften“. Danach wird das Überwachungsrecht des BR mittels einer Generalklausel umschrieben und durch die beispielsweise Aufzählung einzelner Überwachungsbefugnisse ausgeformt. Die umfassende Formulierung der Generalklausel soll ein umfassendes Überwachungsrecht des BR bezüglich der Einhaltung aller die AN berührenden Normen (zB arbeits-, steuer- oder sozialversicherungsrechtlichen Inhalts) sicherstellen. Es kommt daher nicht darauf an, ob sich solche Normen aus Gesetz, VO, KollV, Satzung, Mindestlohntarif oder BV, Bescheid oder Einzelarbeitsvertrag, oder etwa aus schuldrechtlichen Vereinbarungen zwischen BR und Betriebsinhaber ergeben.

Im Schrifttum wird die im vorliegenden Verfahren strittige Frage, ob auch betriebliche Übungen vom Überwachungsrecht des BR erfasst sind, unter Bezugnahme auf die umfassende Generalklausel des § 89 Satz 1 ArbVG und die beispielhafte Aufzählung von „sonstigen arbeitsrechtlichen Vereinbarungen“ in § 89 Z 2 Satz 1 ArbVG, ebenfalls überwiegend bejaht. Nur so könne das Ziel des Gesetzgebers (Sicherstellung der korrekten Behandlung der AN, insb auch korrekte Berechnung und Ausbezahlung der den AN zustehenden Bezüge) umgesetzt werden.190

Der OGH schließt sich diesen Überlegungen an. Der in der Generalklausel des § 89 ArbVG enthaltene Begriff „Rechtsvorschrift“ ist nicht auf Gesetz, VO oder KollV, Satzung, Mindestlohn oder BV beschränkt, sondern umfassender auch iS von betrieblichen Übungen, die zumindest einen Teil der Belegschaft betreffen, zu verstehen.

Dem BR ist es aber nur dann möglich, seine durch § 89 ArbVG eingeräumten Überwachungsrechte wirkungsvoll wahrzunehmen, wenn er in Kenntnis aller dafür erforderlichen Informationen ist bzw er sich diese durch Einsicht in die entsprechenden Unterlagen beschaffen kann. Er hat somit das Recht, in die „Freiwunschlisten“ der Mitarbeiter – in welcher Form auch immer – Einsicht zu nehmen. Nur so kann er seiner Pflicht nachkommen, die Einhaltung der die AN des Betriebes betreffenden Rechtsvorschriften, wozu auch betriebliche Übungen zählen, zu überwachen.