158Widerruf und Rückforderung von Arbeitslosengeld – Rechtslage im Entscheidungszeitpunkt ausschlaggebend
Widerruf und Rückforderung von Arbeitslosengeld – Rechtslage im Entscheidungszeitpunkt ausschlaggebend
Ein Leistungsbezieher bezog vom 2.8. bis 13.11.2012 sowie vom 11.7. bis 15.8.2013 Arbeitslosengeld. Am 3.10.2016 erlangte das Arbeitsmarktservice (AMS) im Zuge einer weiteren Antragstellung Kenntnis davon, dass der Antragsteller bereits am 1.10.2012 ein Studium aufgenommen hat. Mit zwei Bescheiden vom 10.11.2016 hat das AMS daher den Bezug des Arbeitslosengeldes im Zeitraum 1.10. bis 13.11.2012 sowie 11.7. bis 15.8.2013 widerrufen und die zu Unrecht bezogene Leistung zurückgefordert. Dies wurde damit begründet, dass der Leistungsbezieher in den beschwerdegegenständlichen Zeiträumen bereits als ordentlicher Hörer an der Montanuniversität Leoben zugelassen gewesen sei. Da er die große Anwartschaft zum Zeitpunkt der (ersten) Inanspruchnahme der AlV (31.7.2012) nicht erfüllt habe, liege Arbeitslosigkeit nicht vor (§ 12 Abs 4 AlVG). Die Leistung sei nicht nur zu widerrufen, sondern auch zurückzufordern, weil er dem AMS die Ausbildung nicht gemeldet habe.
Das BVwG folgte der Rechtsansicht des AMS und wies die Beschwerde ab. Die Revision wurde für unzulässig erklärt. Das Erkenntnis wurde nicht mündlich verkündet, sondern schriftlich erlassen und dem Beschwerdeführer am 9.5.2017 zugestellt.
Der Beschwerdeführer erhob eine außerordentliche Revision. Das Erkenntnis des BVwG sei nach dem 1.5.2017 ergangen, daher seien die §§ 24 Abs 2 und 25 Abs 6 AlVG idF SVÄG (Sozialversicherungs-Änderungsgesetz) 2017 (dreijährige Verjährungsfrist für Widerruf und Rückforderung) anzuwenden.
Der VwGH erklärte die Revision für zulässig, da das Erkenntnis des BVwG nicht im Einklang mit den §§ 24 Abs 2 und 25 Abs 6 AlVG idF BGBl I 2017/38BGBl I 2017/38 (SVÄG 2017) steht. Diese lauten auszugsweise wie folgt: Gem § 24 Abs 2 AlVG ist der Widerruf oder die Berichtigung der Leistung nach Ablauf von drei Jahren nach dem jeweiligen Anspruchs- oder Leistungszeitraum nicht mehr zulässig. Gem § 25 Abs 6 AlVG besteht eine Verpflichtung zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen nur dann, wenn eine solche innerhalb von drei Jahren nach dem jeweiligen Leistungszeitraum verfügt wird. Gem § 79 Abs 159 AlVG ist die Neuregelung mit 1.5.2017 in Kraft getreten und gilt für Anträge auf Berichtigung oder Nachzahlung, die nach Ablauf des 30.4.2017 gestellt werden.
Zunächst stellte der VwGH fest, dass die Erkenntniswirkungen der Erledigung erst mit der Zustellung am 9.5.2017 und damit nach dem Inkrafttreten der Novelle SVÄG 2017 eingetreten sind. Dann verwies er darauf, dass bei der Beurteilung, ob ein Widerruf einer zuerkannten Leistung nach § 24 Abs 2 AlVG zulässig ist und ob eine Verpflichtung zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen iSd § 25 Abs 6 AlVG durchgesetzt werden kann, nach dem im Verwaltungsverfahren geltenden allgemeinen Grundsatz das im Entscheidungszeitpunkt in Geltung stehende Recht anzuwenden ist (VwGH 898/75 VwSlg 9315 A). Die inhaltliche Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufes des Arbeitslosengeldes gem § 24 Abs 2 AlVG wäre hingegen – entsprechend der grundsätzlichen Zeitraumbezogenheit von Geldleistungen aus der AlV – nach der Rechtslage zu prüfen, die im Zeitraum der Gewährung der Leistung gegolten hat (4VwGH 26.5.2004, 2001/08/012 ua).279
Nach § 24 Abs 2 und § 25 Abs 6 AlVG idF BGBl I 2017/38BGBl I 2017/38 ist ein Widerruf nur zulässig und besteht eine Verpflichtung zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen nur dann, wenn der Widerruf bzw die Rückzahlungsverpflichtung mit erstinstanzlich erlassenem Bescheid innerhalb von drei Jahren nach dem jeweiligen Leistungszeitraum ausgesprochen wird. Auf den Zeitpunkt der Kenntnisnahme eines Rückforderungsgrundes durch das AMS kommt es nicht an. Da die beiden erstinstanzlichen Widerrufs- und Rückforderungsbescheide am 14.11.2016, sohin mehr als drei Jahre nach dem Ende der Leistungszeiträume ergangen sind, stehen § 24 Abs 2 und § 25 Abs 6 AlVG idF SVÄG 2017 dem Widerruf und der Rückforderung der Leistung entgegen. Der VwGH hat das Erkenntnis des BVwG daher wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.