Prekäre Arbeitsbedingungen als Thema des EU-Arbeitsrechts: Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen
Prekäre Arbeitsbedingungen als Thema des EU-Arbeitsrechts: Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen
Am 21.12.2017 legte die Europäische Kommission (EK) einen Vorschlag für eine RL über transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union vor.* Diese RL soll die Nachweis- bzw Dienstzettel-RL* ersetzen, welche Mindeststandards für die schriftliche Information der AN über die wesentlichen Aspekte des Arbeitsverhältnisses enthält. Die Initiative soll auch zur Umsetzung der Grundsätze 5 „Sichere und anpassungsfähige Beschäftigung“ sowie 7 „Informationen über Beschäftigungsbedingungen und Kündigungsschutz“ der im November 2017 proklamierten – rechtlich unverbindlichen – europäischen Säule sozialer Rechte* (ESSR) beitragen.* Grundsatz 5d der ESSR enthält die Formulierung: „Beschäftigungsverhältnisse, die zu prekären Arbeitsbedingungen führen, werden unterbunden, unter anderem durch das Verbot des Missbrauchs atypischer Verträge.“
Hintergrund der Initiative ist die durch die Zunahme atypischer, einschließlich neuer Beschäftigungsformen* veränderte Arbeitswelt.* Nach Angaben der EK war 2016 rund ein Viertel der Arbeitsverträge in der EU atypisch (dh befristete und/oder Teilzeitbeschäftigung).* Darüber hinaus weist der EK-Vorschlag darauf hin, dass fast 20 % der seit 2014 geschaffenen Arbeitsformen auf sogenannte „neue Formen der Beschäftigung“ entfielen.* Demnach haben zwischen vier und sechs Millionen AN in der EU „Abruf- oder Gelegenheitsarbeitsverträge, oft ohne Angabe, wann und wie lange sie arbeiten werden“.* Aus Sicht der EK hat der Flexibilisierungstrend auf den Arbeitsmärkten zwar Beschäftigungschancen eröffnet, „[d]iese Tendenzen haben jedoch auch Instabilität und eine abnehmende Planbarkeit in einigen Arbeitsbeziehungen zur Folge, vor allem für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in besonders prekären Verhältnissen“.*
In den Verhandlungen im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens nahmen die beteiligten AkteurInnen deutlich unterschiedliche Positionen ein. Während die allgemeine Ausrichtung des Rats* zum Teil eine Abschwächung der von der EK vorgeschlagenen Rechte für AN vorsah, enthielt der Bericht des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten des Europäischen Parlaments* mehrere Änderungsanträge, die auf gegenüber dem EK-Vorschlag verstärkte AN-Rechte abzielten. Schließlich wurde 296 ein Kompromiss erzielt. Dieser wurde am 16.4.2019 vom Europäischen Parlament* und am 13.6.2019 vom Rat angenommen.*
Die neue RL* geht über den Regelungsbereich der bisherigen Nachweis-RL hinaus. Neben erweiterten Informationspflichten der AG über die wesentlichen Aspekte des Arbeitsverhältnisses enthält sie auch mehrere Mindeststandards zu bestimmten Bereichen der Arbeitsbedingungen. Darüber hinaus enthält die RL spezifische Rechtsdurchsetzungsinstrumente. Die RL muss von den Mitgliedstaaten bis 1.8.2022 umgesetzt werden (Art 21 Abs 1 RL).
Im Folgenden wird ein Überblick über die wichtigsten Inhalte der neuen RL gegeben, gefolgt von einem kurzen politischen Fazit.
Als Rechtsgrundlage der RL wird Art 153 Abs 2 lit b iVm Art 153 Abs 1 lit b AEUV genannt. Diese Rechtsgrundlage ermöglicht die Festlegung von Mindestvorschriften zu Arbeitsbedingungen im Rahmen einer RL.
Die RL hat zum Ziel, „die Arbeitsbedingungen zu verbessern, indem eine transparentere und vorhersehbarere Beschäftigung gefördert und zugleich die Anpassungsfähigkeit des Arbeitsmarktes gewährleistet wird“
(Art 1 Abs 1 RL).
Die Frage, ob – wie im EK-Vorschlag vorgesehen –* der AN-Begriff zum ersten Mal in einem EURechtsakt definiert werden sollte,* war in den Verhandlungen höchst umstritten. Der diesbezügliche Kompromiss ist die Formel, wonach die Mindestrechte der RL für jede/n AN in der EU gelten, die/der nach den Rechtsvorschriften, Kollektiv-Verträgen oder Gepflogenheiten des jeweiligen Mitgliedstaates „einen Arbeitsvertrag hat oder in einem Arbeitsverhältnis steht, wobei die Rechtsprechung des Gerichtshofs
[des EuGH, Anm] zu berücksichtigen ist“
(Art 1 Abs 2 RL).
In den Erwägungsgründen der RL (FN 5 zu ErwG 8 RL) werden mehrere EuGH-Urteile angeführt, in denen der Gerichtshof Kriterien für den AN-Status aufgestellt hat, beginnend mit der Rs Lawrie-Blum
.* In diesem Urteil legt der EuGH als „[d] as wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses“ fest, „daß jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält“
*. Risak und Dullinger arbeiten heraus, dass der EuGH auf dieser Basis – unbeschadet „kleinere[r] Änderungen und gelegentlich abweichende[ r] Formulierungen“
,* wie etwa der Ergänzung, dass es sich um eine „tatsächliche und echte Tätigkeit
“* handeln muss – ein faktisch einheitliches Konzept des AN-Begriffs entwickelte.*
ErwG 8 der RL hält fest: „Falls sie die genannten
[vom EuGH aufgestellten, Anm] Kriterien erfüllen, könnten Hausangestellte, Arbeitnehmer, die auf Abruf, intermittierend, auf der Grundlage von Gutscheinen und auf Online-Plattformen beschäftigt sind, sowie Praktikanten und Auszubildende in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen.“
Darüber hinaus wird festgehalten, dass tatsächlich Selbständige nicht in den Anwendungsbereich der RL fallen sollten; Scheinselbständige, die formal selbständig sind, aber „die typischen Kriterien für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses“
erfüllen, jedoch schon (ErwG 8 RL).
Die Möglichkeiten für Mitgliedstaaten, in der Umsetzung der RL Ausnahmen vom Anwendungsbereich vorzusehen, sind enger gefasst als in der bisherigen Nachweis-RL. Die Mitgliedstaaten können in der Umsetzung der RL AN mit einer vorab festgelegten und tatsächlich geleisteten durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von bis zu drei Stunden in einem Referenzzeitraum von vier Wochen vom Anwendungsbereich der RL ausnehmen (Art 1 Abs 3 RL). AN mit Null-Stunden-Verträgen dürfen aber nicht von den Bestimmungen der RL ausgenommen werden (Art 1 Abs 4 RL). Die Mitgliedstaaten können darüber hinaus aus objektiven Gründen entscheiden, die Mindeststandards zu Arbeitsbedingungen für BeamtInnen, Katastrophenschutzorganisationen, Streitkräfte, Polizeibehörden, RichterInnen, StaatsanwältInnen,297 ErmittlerInnen oder andere Strafverfolgungsbehörden nicht anzuwenden (Art 1 Abs 6 RL). Für natürliche Personen, die AG in Haushalten sind, gelten auch Ausnahmemöglichkeiten von einzelnen Verpflichtungen (Art 1 Abs 7 RL).
Gemäß der RL haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass AG vorgeschrieben wird, die AN schriftlich (Art 3 RL) „über die wesentlichen Aspekte des Arbeitsverhältnisses
“ zu informieren (Art 4 Abs 1 RL). „Die Informationen sind in Papierform oder – sofern die Informationen für den Arbeitnehmer zugänglich sind, gespeichert und ausgedruckt werden können und der Arbeitgeber einen Übermittlungs- oder Empfangsnachweis erhält – in elektronischer Form zur Verfügung zu stellen und zu übermitteln
“ (Art 3 RL).
Zu mindestens folgenden Aspekten müssen der/ dem AN bis zum siebten Kalendertag ab dem ersten Arbeitstag Informationen zur Verfügung gestellt werden (Art 5 Abs 1 iVm Art 4 Abs 2 RL):
„Personalien der Parteien des Arbeitsverhältnisses“ (Art 4 Abs 2 lit a RL);
Arbeitsort;
Angabe(n) zur Tätigkeit;
Beginn des Arbeitsverhältnisses;
gegebenenfalls Ende oder Dauer eines befristeten Arbeitsverhältnisses;
gegebenenfalls Dauer und Bedingungen der Probezeit (in der bisherigen Nachweis-RL nicht enthalten);
Informationen zur Vergütung (inklusive allfälliger separater Bestandteile);
bestimmte Informationen zur Arbeitszeit bei „völlig oder größtenteils vorhersehbar[en]“ (Art 4 Abs 2 lit l RL) Arbeitsmustern (inklusive ggf Modalitäten und Vergütung von Überstunden und Modalitäten von Schichtänderungen [die beiden letzteren Aspekte waren in der Nachweis-RL nicht enthalten]);
sowie bestimmte Informationen zur Arbeitszeit bei „völlig oder größtenteils unvorhersehbar[en]“ (Art 4 Abs 2 lit m RL) Arbeitsmustern (inklusive Anzahl der garantiert bezahlten Stunden und Vergütung für zusätzliche Arbeitsstunden) (in der Nachweis-RL nicht enthalten).
Unter „Arbeitsmuster
“ versteht die RL „die Organisationsform der Arbeitszeit
“ nach einem bestimmten, von der/vom AG festgelegten Schema (Art 2 lit c RL).
Zu mindestens folgenden Aspekten müssen der/ dem AN innerhalb eines Monats ab dem ersten Arbeitstag Informationen zur Verfügung gestellt werden (Art 5 Abs 1 iVm Art 4 Abs 2 RL):
Identität des entleihenden Unternehmens bei Leiharbeit, „
wenn und sobald bekannt
“ (Art 4 Abs 2 lit f RL) (in der Nachweis-RL nicht enthalten);gegebenenfalls Anspruch auf von der/vom AG bereitgestellte Fortbildung (in der Nachweis-RL nicht enthalten);
Dauer des bezahlten Urlaubs oder „
Modalitäten der Gewährung und der Festlegung dieses Urlaubs
“ (Art 4 Abs 2 lit i RL);Kündigungsverfahren (inklusive Länge der Kündigungsfristen oder Modalitäten für deren Festsetzung);
gegebenenfalls Angabe von anzuwendenden Kollektivverträgen;*
sowie gegebenenfalls die Identität der zuständigen Sozialversicherungsträger (in der Nachweis-RL nicht enthalten).
Bei grenzüberschreitend entsandten AN (im Richtlinientext „in einen anderen Mitgliedstaat oder in ein Drittland geschickte Arbeitnehmer
“ [Art 7 RL]) müssen AG vor der Abreise zusätzlich zu den genannten folgende weitere Informationen bereitstellen (Art 7 Abs 1 RL):
Land bzw Länder (in der Nachweis-RL nicht enthalten) und geplante Dauer des Arbeitseinsatzes;
Währung der Vergütung;
gegebenenfalls mit Arbeitsaufträgen verbundene Geld- und Sachleistungen;
sowie Angaben zu allfällig vorgesehener Rückführung.
Bei Entsendungen innerhalb der EU sind zusätzlich folgende Informationspunkte erforderlich (Art 7 Abs 2 RL), die in der Nachweis-RL nicht enthalten waren:
Vergütung, auf die gemäß geltendem Recht des Aufnahme-Mitgliedstaates Anspruch besteht;
gegebenenfalls „
Entsendezulagen und Regelungen für die Erstattung von Reise-, Verpflegungsund Unterbringungskosten
“ (Art 7 Abs 2 lit b RL);sowie Link zur offiziellen Informations-Website des Aufnahme-Mitgliedstaates für entsandte AN.
Zusätzlich zu den oben angemerkten Ergänzungen bei den Informationspflichten im Vergleich zur bisherigen Nachweis-RL kam es im Detail auch in weiteren Punkten zu spezifischen Änderungen bzw Ergänzungen.
Die zusätzlichen Informationspflichten bei Entsendungen müssen von den Mitgliedstaaten jedoch nicht auf Entsendungen, die bis zu vier aufeinanderfolgende Wochen dauern, angewandt werden (Art 7 Abs 4 RL). Bei bestimmten Unterrichtungspflichten (zB bezüglich des Urlaubsanspruchs) können die Informationen gegebenenfalls durch Verweis auf die entsprechenden 298 Rechts- und Verwaltungsvorschriften bzw Satzungsbestimmungen oder Kollektivverträge (bzw konkrete Bestimmungen derselben [Art 7 Abs 3 RL]) erteilt werden (Art 4 Abs 3 RL).
Die RL enthält sechs Artikel, die Mindeststandards bezüglich bestimmter Aspekte der Arbeitsbedingungen festlegen.
Der Artikel zur Höchstdauer von Probezeiten legt fest, dass eine Probezeit, „wenn das Arbeitsverhältnis nach Maßgabe des nationalen Rechts oder der nationalen Gepflogenheiten eine solche umfasst
“, sechs Monate nicht überschreiten darf (Art 8 Abs 1 RL). Bei befristeten Arbeitsverhältnissen muss sie „im Verhältnis zur erwarteten Dauer des Vertrags und der Art der Tätigkeit
“ stehen (Art 8 Abs 2 RL). Wird der Vertrag für dieselbe Funktion und dieselben Aufgaben verlängert, gilt keine neue Probezeit (Art 8 Abs 2 RL). Die Mitgliedstaaten „können in Ausnahmefällen längere Probezeiten festsetzen, wenn dies durch die Art der Tätigkeit gerechtfertigt oder im Interesse des Arbeitnehmers ist
“, und sie können die Möglichkeit einer entsprechenden Verlängerung der Probezeit festlegen, wenn die/der AN während dieser Zeit der Arbeit ferngeblieben war (Art 8 Abs 3 RL).
Die Mitgliedstaaten müssen sicherstellen, dass ein/e AG einer/einem AN weder verbieten darf, außerhalb dieser Beschäftigung ein weiteres Arbeitsverhältnis aufzunehmen, noch die/den AN in einem solchen Fall benachteiligen darf (Art 9 Abs 1 RL). Die Mitgliedstaaten dürfen jedoch „Bedingungen festlegen, bei deren Vorliegen die Arbeitgeber aus objektiven Gründen Unvereinbarkeitsbestimmungen anwenden dürfen, etwa aus Gründen der Gesundheit und der Sicherheit, zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen, der Integrität des öffentlichen Dienstes oder zur Vermeidung von Interessenkonflikten
“ (Art 9 Abs 2 RL).
AN mit „völlig oder größtenteils unvorhersehbar[ en]
“ Arbeitsmustern dürfen von der/vom AG nur zur Arbeit verpflichtet werden, wenn die Arbeit innerhalb vorab bestimmter Referenztage und -stunden stattfindet und die/der AG die/den AN „innerhalb einer angemessenen Ankündigungsfrist
“ (Art 10 Abs 1 lit b RL) gemäß den nationalen Rechtsvorschriften, Kollektivverträgen oder Gepflogenheiten über einen Arbeitsauftrag informiert (Art 10 Abs 1 RL). Wie oben angemerkt, definiert die RL „Arbeitsmuster
“ als „Organisationsform der Arbeitszeit
“ nach einem bestimmten, von der/vom AG festgelegten Schema (Art 2 lit c RL). Treffen eine oder beide Bedingungen nicht zu, kann die/der AN einen Auftrag ablehnen, ohne dass dadurch Nachteile entstehen dürfen (Art 10 Abs 2 RL). Wenn Mitgliedstaaten prinzipiell AG erlauben, einen Arbeitsauftrag ohne Entschädigung zurückzuziehen, so müssen sie sicherstellen, dass die/der AN Anspruch auf Entschädigung hat, wenn die/der AG den zuvor vereinbarten Auftrag „nach einer konkreten angemessenen Frist widerruft
“ (Art 10 Abs 3 RL). Die Referenzstunden und -tage, die Ankündigungsfrist und gegebenenfalls die Widerrufsfrist müssen in diesen Fällen in der schriftlichen Information enthalten sein (Art 4 Abs 2 lit m ii, iii RL).
Wenn die Mitgliedstaaten „Arbeit-auf-Abruf“
- oder ähnliche Arbeitsverträge erlauben, müssen sie mindestens eine der folgenden Maßnahmen setzen, „um missbräuchliche Praktiken zu unterbinden“
(Art 11 RL): „Beschränkungen der Anwendung und Dauer“
solcher Verträge (Art 11 lit a RL); „eine widerlegbare Vermutung, dass ein Arbeitsvertrag mit einem garantierten Mindestumfang bezahlter Stunden ausgehend von den in einem bestimmten Zeitraum durchschnittlich geleisteten Stunden vorliegt“
(Art 11 lit b RL); „andere gleichwertige Maßnahmen, mit denen missbräuchliche Praktiken wirksam verhindert werden“
(Art 11 lit c RL).
Die Mitgliedstaaten müssen sicherstellen, dass AN, die eine allfällige Probezeit abgeschlossen haben und seit mindestens sechs Monaten bei der- bzw demselben AG tätig sind, einen Anspruch auf eine begründete schriftliche Antwort haben, wenn sie ihre/n AG „um eine Arbeitsform mit vorhersehbaren und sichereren Arbeitsbedingungen, falls verfügbar, ersuchen“
(Art 12 Abs 1 RL). Die Häufigkeit der entsprechenden Ersuchen kann durch die Mitgliedstaaten begrenzt werden (Art 12 Abs 1 RL). Die Antwort muss prinzipiell innerhalb eines Monats erfolgen (Art 12 Abs 2 RL). Die Mitgliedstaaten können eine verlängerte Frist festlegen bzw eine mündliche Antwort erlauben, wenn spezifische Voraussetzungen erfüllt sind (Art 12 Abs 2 RL).
Die Mitgliedstaaten müssen sicherstellen, dass den AN „Fortbildung kostenlos angeboten wird, als Arbeitszeit angerechnet wird und möglichst während der Arbeitszeiten stattfindet“
, wenn die/ der AG aufgrund von EU- oder nationalem Recht oder Kollektivverträgen zum Angebot von Fortbildung in Bezug auf die von den AN verrichtete Arbeit verpflichtet ist (Art 13 RL).299
Die Mitgliedstaaten können der RL zufolge den Sozialpartnern erlauben, Kollektivverträge mit Regelungen „beizubehalten, auszuhandeln, zu schließen und durchzusetzen“
, die von den Mindeststandards zu Arbeitsbedingungen der RL abweichen, „sofern der Schutz der Arbeitnehmer insgesamt gewahrt bleibt“
(Art 14 RL).
In ErwG 39 der RL wird angeführt, dass die Evaluierung der Nachweis-RL gezeigt habe, „dass Arbeitnehmer während des Arbeitsverhältnisses nur selten Rechtsbehelfe einlegen“
, wodurch das Ziel, dass AN über die wesentlichen Aspekte des Arbeitsverhältnisses informiert werden sollen, gefährdet sei. Aus diesem Grund verpflichtet die RL die Mitgliedstaaten dazu sicherzustellen, dass, wenn AN nicht rechtzeitig alle Informationen bezüglich der allgemeinen Informationsbestimmungen und Änderungen bei den von der RL umfassten Informationspunkten erhalten, eine oder beide der folgenden Bestimmungen angewandt wird (Art 15 RL):
Die/der AN kommt in den Genuss von für sie/ ihn günstigen, von der bzw vom AG widerlegbaren Vermutungen. Diese werden vom Mitgliedstaat festgelegt. ErwG 39 der RL hält dazu fest:
„Es sollte möglich sein, dass diese günstigen Vermutungen die Vermutung enthalten, dass der Arbeitnehmer ein unbefristetes Arbeitsverhältnis hat, dass es keine Probezeit gibt oder dass der Arbeitnehmer eine Vollzeitstelle innehat, wenn die entsprechenden Informationen fehlen.“
Die/der AN erhält die Möglichkeit einer Beschwerde bei einer zuständigen Behörde oder Stelle und des Erhalts einer angemessenen Abhilfe.
AN müssen darüber hinaus „Zugang zu wirkungsvoller und unparteiischer Streitbeilegung und einen Anspruch auf Abhilfe“
bei Verletzung ihrer Rechte haben, die ihnen aufgrund der RL zustehen (Art 16 RL). Dies gilt auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Art 16 RL). Die Mitgliedstaaten müssen zudem „wirksam[e], angemessen[ e] und abschreckend[e]“
Sanktionen beim Verstoß der entsprechenden nationalen Rechtsvorschriften vorsehen (Art 19 RL).
Die RL verpflichtet die Mitgliedstaaten auch dazu, Maßnahmen zu setzen, damit AN, einschließlich AN-VertreterInnen, vor jeglicher Benachteiligung geschützt sind, wenn sie durch eine Beschwerde oder ein Verfahren die aus der RL resultierenden Rechte durchsetzen wollen (Art 17 RL). Darüber hinaus werden die Mitgliedstaaten zu Maßnahmen verpflichtet, um eine Kündigung, deren Versuch oder „Maßnahmen mit gleicher Wirkung“
zu untersagen, wenn dies damit begründet wird, dass die AN die in der RL vorgesehenen Rechte in Anspruch genommen haben (Art 18 Abs 1 RL). In Bezug auf Kündigungen oder „Maßnahmen mit gleicher Wirkung“
(Art 18 Abs 2 RL), die aus Sicht der/des AN aufgrund der Inanspruchnahme der in der RL vorgesehenen Rechte ausgesprochen wurden, sind in der RL zudem spezifische Regelungen zur Beweislasterleichterung für AN enthalten (Art 18 Abs 2–6 RL).
Gemäß der enthaltenen Nicht-Rückschritts-Klausel rechtfertigt die RL nicht „eine Verringerung des den Arbeitnehmern in den Mitgliedstaaten bereits jetzt gewährten allgemeinen Schutzniveaus“
(Art 20 Abs 1 RL). Zudem berührt die RL nicht das Recht der Mitgliedstaaten, für die AN günstigere Rechtsvorschriften anzuwenden oder zu beschließen oder die Anwendung von für AN günstigere Kollektivverträge zu fördern oder zuzulassen (Art 20 Abs 2 RL). Zum Schutz der AN vor der Senkung von Schutzstandards ist in den Erwägungsgründen deutlich festgehalten: „Gemäß dem derzeitigen Rechtsrahmen erworbene Ansprüche sollten weiterhin gelten, es sei denn, durch diese Richtlinie werden günstigere Bestimmungen eingeführt. Die Umsetzung dieser Richtlinie darf weder dazu genutzt werden, bestehende Rechte abzubauen, die in vorhandenem Unionsrecht oder nationalem Recht festgelegt sind, noch darf sie als Rechtfertigung dienen, das allgemeine Schutzniveau für Arbeitnehmer in dem von der Richtlinie erfassten Bereich zu senken. Insbesondere sollte sie nicht als Grundlage für die Einführung von Null-Stunden-Verträgen oder ähnlichen Arbeitsverträgen dienen“
(ErwG 47 RL).
Vor dem Hintergrund der beträchtlichen Problematik prekärer Arbeitsverhältnisse in der EU ist es zu begrüßen, dass das Thema atypischer (und prekärer) Beschäftigung erneut auf die EU-Agenda gesetzt wurde.* Die – lange Zeit vernachlässigte – Schaffung verbindlicher sozialer Mindest-300 standards* ist essenziell, um die EU dem hohen Anspruch der im Primärrecht verankerten sozialen Ziele (zB dem Ziel der „Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, um dadurch auf dem Wege des Fortschritts ihre Angleichung zu ermöglichen“
[Art 151 AEUV]) zumindest in Ansätzen anzunähern. Mit Blick auf die Rechte der AN ist positiv zu bilanzieren, dass die erweiterten Informationsansprüche, die Rechtsdurchsetzungsinstrumente und die Mindeststandards zu einzelnen Aspekten der Arbeitsbedingungen das Potenzial haben, – je nach Ausgangslage der Mitgliedstaaten – einzelne arbeitsrechtliche Verbesserungen bzw Abmilderungen einzelner mit prekärer Arbeit verbundener Probleme zu bewirken. Insb mit Blick auf das österreichische Arbeitsrecht ist das Schutzniveau der Mindestanforderungen zu den von der RL adressierten Arbeitsbedingungen jedoch deutlich zu niedrig angesetzt. Darüber hinaus wird der beschränkte Umfang der Initiative den massiven mit prekärer Arbeit verbundenen Problemen bei Weitem nicht gerecht.
Notwendig ist eine umfassende Agenda zur Stärkung der Qualität der Arbeit in der EU, in deren Rahmen die Prekarität von Arbeit effektiv bekämpft wird, anstatt lediglich einzelne Merkmale derselben abzumildern.* Innerhalb des Rahmens der vom EK-Vorschlag adressierten Themenbereiche wäre es zudem sinnvoll gewesen, weitergehende AN-Rechte festzulegen. Dazu zählt etwa ein generelles Verbot von Arbeit auf Abruf, ein Verbot von nachvertraglichen Konkurrenzklauseln und ein Anspruch auf ein Mindestmaß an Weiterbildung während der Arbeitszeit und auf bezahlte Bildungskarenz.* Darüber hinaus besteht auch in weiteren Bereichen Handlungsbedarf für verbindliche soziale Mindeststandards mit hohem Schutzniveau und robuster Nicht-Rückschritts- Klausel, wie etwa in Bezug auf den Schutz vor unfreiwilligen Versetzungen und die Entgeltfortzahlung bei Krankheit, Pflege naher Angehöriger und sonstigen wichtigen Dienstverhinderungsgründen.*
Um die Qualität der Arbeit in der EU effektiv zu verbessern, ist letztlich vor allem auch eine entschiedene Abkehr von der angebotsorientierten wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Ausrichtung notwendig, auf deren Basis insb auch auf EU-Ebene wiederholt Druck in Richtung der Deregulierung der Arbeitsstandards ausgeübt wurde.*301