134Eine fristwidrige Kündigung bei einem vertraglich vereinbarten besonderen Kündigungsschutz ist unwirksam und beendet das Arbeitsverhältnis nicht
Eine fristwidrige Kündigung bei einem vertraglich vereinbarten besonderen Kündigungsschutz ist unwirksam und beendet das Arbeitsverhältnis nicht
Der Kl wurde mit Vertrag vom 7.5.2014 zum Geschäftsführer der Bekl bestellt. Der Geschäftsführerdienstvertrag enthält unter Pkt „9. Vertragsdauer, Kündigung“ ua folgende Bestimmungen:
„9.1 Dieser Dienstvertrag beginnt mit seiner Unterfertigung und wird auf unbestimmte Zeit geschlossen. Dieser Dienstvertrag kann von beiden Parteien unter Einhaltung einer sechsmonatigen Kündigungsfrist 255jeweils zum 30. (dreißigsten) Juni oder zum 31. (einunddreißigsten) Dezember gekündigt werden. Die Gesellschaft und der Geschäftsführer verzichten wechselseitig auf ihr ordentliches Aufkündigungsrecht dergestalt, dass eine Aufkündigung frühestens zum Ende des dritten Arbeitsjahres zulässig ist […].
[...] Liegt jedoch für den Geschäftsführer als Dienstnehmer ein Austrittsgrund im Sinn des § 26 AngG vor, so kann er auch vorzeitig während des Zeitraums von drei Jahren mit sofortiger Wirkung als Geschäftsführer bzw Dienstnehmer ausscheiden. […] Die Gesellschaft wird ihrerseits diesen Dienstvertrag während des Zeitraums von 3 Jahren nur aus wichtigem Grund vorzeitig, in diesen Fällen allerdings mit sofortiger Wirkung, beenden; wichtige Gründe bilden lediglich die in § 27 AngG angeführten Gründe, sofern ein derartiger Grund zusätzlich vom Geschäftsführer verschuldet wurde.
9.3 Sollte der Aufsichtsrat der Gesellschaft oder die Gesellschafterversammlung oder der Verwaltungsrat der T* Holding AG beschließen, die Gesellschaft nicht so wie bislang beabsichtigt fortzuführen (wie zB im Falle einer Unterschreitung des Business Plans, die eine weitere Finanzierung der Gesellschaft nicht mehr tunlich erscheinen ließe), steht der Gesellschaft in Abweichung der Bestimmung 9.2 (Kündigungsverzicht) das Recht zu, das Dienstverhältnis jeweils zum Monatsende mit einer Kündigungsfrist von 3 (drei) Monaten zu kündigen. […]“
Hintergrund der Vereinbarung über die Auflösung des Geschäftsführerdienstvertrages war der Wunsch des Kl, dass der Dienstvertrag so formuliert wird, dass er innerhalb der ersten drei Jahre nur unter besonderen Voraussetzungen aufgelöst werden kann. Aus Sicht der Bekl sollte aber für den Fall, dass der Businessplan nicht umgesetzt werden kann, also Erträge und Umsätze nicht im entsprechenden Ausmaß vorhanden sind, eine Regelung getroffen werden. Da der ursprüngliche Businessplan in den folgenden Jahren signifikant nicht erreicht wurde, sprach die Bekl unter Bezugnahme auf Pkt 9.3 des Geschäftsführerdienstvertrages mit Beendigungserklärungen vom 30.6. bzw 25.7.2016 die Kündigung des Kl aus. Der Kl begehrt mit seiner Klage ua die Feststellung des aufrechten Arbeitsverhältnisses, die Kündigungen seien fristwidrig erfolgt und daher rechtsunwirksam.
Da die Bekl die Kündigungen auf das vertraglich vereinbarte Sonderkündigungsrecht stützte, war vom OGH zunächst zu prüfen, ob dieses wirksam vereinbart worden war:
Bei der vertraglichen Gestaltung der Kündigungsmöglichkeiten sind die Bestimmungen des § 20 Abs 2 bis 4 AngG zu beachten. Diese Regelungen sind einseitig zwingend zugunsten des AN (§ 40 AngG). Es können demnach nur von der gesetzlichen Vorgabe abweichend Regelungen getroffen werden, die für den AN günstiger sind. Bei der Prüfung der Günstigkeit hat weder ein Gesamtvergleich, noch ein punktueller Vergleich der Bestimmungen zu erfolgen, sondern ein Gruppenvergleich rechtlich und sachlich zusammenhängender Normen. Ein rechtlicher und tatsächlicher Zusammenhang liegt vor, wenn die Bestimmungen den gleichen Regelungsgegenstand betreffen. Einzelne günstigere Tatbestandsmerkmale sind nicht isoliert zu betrachten. Dabei ist ein objektiver Maßstab anzulegen.
Im vorliegenden Fall haben die Parteien – neben einer Verlängerung der Kündigungsfrist auf sechs Monate und einer Einschränkung auf die Kündigungstermine 30.6. und 31.12. – einen beidseitigen Kündigungsverzicht auf drei Jahre vereinbart. Eine Auflösung sollte in dieser Zeit nur aus den Gründen der §§ 26 bzw 27 AngG möglich sein. Zusätzlich wurde ausschließlich der Bekl das strittige Sonderkündigungsrecht eingeräumt.
Betrachtet man allein die Kündigungsmöglichkeit des AG, bestehen keine Bedenken gegen die Zulässigkeit der entsprechenden Regelung. Der AG verzichtet für drei Jahre auf die ordentliche Kündigungsmöglichkeit und behält sich die Kündigung nur aus einem bestimmten Grund vor. Da die Kündigung grundsätzlich keiner Begründung bedarf, ist die Vereinbarung eines bestimmten Kündigungsgrundes bei Ausschluss jeder sonstigen Kündigungsmöglichkeit nicht zum Nachteil des AN, auch wenn die Möglichkeit zur Kündigung hier von der wirtschaftlichen Situation des AG abhängt.
Betrachtet man ausschließlich das Kündigungsrecht des AN, ergibt sich für die ersten drei Jahre ein Verzicht auf eine Kündigungsmöglichkeit (ob eine solche Vereinbarung zulässig ist, musste nicht geprüft werden, weil die Unzulässigkeit von keiner der Parteien eingewendet wurde). Anders als der Bekl wurde dem Kl jedoch in der Vereinbarung keine Sonderkündigungsmöglichkeit eingeräumt.
Zu beachten ist, dass nach § 20 Abs 4 AngG die vom AG einzuhaltende Kündigungsfrist nicht kürzer sein darf als die mit dem Angestellten vereinbarte. Das ist Ausfluss eines generelleren Gleichheitsgebots, das ebenfalls aus dem das Arbeitsrecht beherrschenden Günstigkeitsprinzip folgt, wonach dem Angestellten die Lösbarkeit des Dienstverhältnisses jedenfalls nicht schwerer gemacht werden darf als dem AG. Dieser allgemeine Grundsatz ist nicht nur auf den in § 20 AngG unmittelbar geregelten Bereich von Kündigungsfristen und -terminen, sondern ganz allgemein für eine Ungleichgewichtung der Einschränkung der Kündigungsfreiheit bezogen. Stellt man im konkreten Fall die Kündigungsmöglichkeit des AN und des AG gegenüber, ist es offenkundig, dass die des Kl stärker eingeschränkt256ist als die der Bekl, weil ihm ein Sonderkündigungsrecht nicht zukommt. Während daher die Bekl trotz dreijährigem Kündigungsverzicht das Dienstverhältnis aufkündigen kann, wenn auch nur aus einem konkreten Grund, kann dies der Kl nicht. Damit verstößt die Vereinbarung gegen das zuvor dargestellte Symmetriegebot und ist unzulässig. Dieser Verstoß hat nicht bloß zur Folge, dass dem Angestellten dieselbe – wenngleich im Vertrag nicht vereinbart – Lösungsmöglichkeit wie dem AG zur Verfügung steht, vielmehr erfordert es das Gleichheitsgebot, dass die Lösungsmöglichkeit des AG – wie jene des AN – eingeschränkt wird. Das bedeutet im konkreten Fall, dass die Bekl das Arbeitsverhältnis ebenso wie der Kl vor Ablauf der Frist für den Kündigungsverzicht nur aus den Gründen des § 27 AngG auflösen kann. Ein Kündigungsrecht vor Ablauf der drei Jahre steht ihr dagegen nicht zu. Die Bekl war daher nach dem Gleichheitsgebot nicht berechtigt, das Dienstverhältnis unter Berufung auf Pkt 9.3 des Geschäftsführerdienstvertrags vor Ablauf der drei Jahre aufzulösen.
Zu prüfen ist nun, ob die rechtswidrige Kündigung zu einer Beendigung des Dienstverhältnisses geführt hat. Grundsätzlich beenden auch fristwidrige oder unzulässige Kündigungen das Arbeitsverhältnis und der AN ist auf Schadenersatzansprüche verwiesen. Ein vertraglicher Ausschluss der freien Kündbarkeit des Dienstverhältnisses wirkt aber ähnlich wie ein besonderer gesetzlicher Kündigungs- oder Entlassungsschutz. Eine trotz vereinbarten Ausschlusses der freien Kündbarkeit erfolgte Kündigung ist daher nicht wirksam; sie löst das Dienstverhältnis nicht auf. Dies gilt auch dann, wenn sich die Bekl zu Unrecht auf das Vorliegen des vereinbarten Sonderkündigungsrechts beruft bzw das Sonderkündigungsrecht insgesamt unwirksam vereinbart worden ist.
Abschließend ist daher festzuhalten, dass die Kündigungen vom 30.6. und 25.7.2016, die die Bekl jeweils unter Berufung auf das Sonderkündigungsrecht ausgesprochen hat, gegen den vertraglich vereinbarten besonderen Kündigungsschutz verstoßen und somit das Arbeitsverhältnis nicht beendet haben. Eine Konversion der unwirksamen Beendigung zu einer wirksamen zu einem späteren Zeitpunkt ist nach herrschender Judikatur abzulehnen.