189Kettenbefristungen an den Universitäten gemäß § 109 Abs 2 UG 2002 – Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH
Kettenbefristungen an den Universitäten gemäß § 109 Abs 2 UG 2002 – Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH
Frau Minoo Schuch-Ghannadan (Kl) war bei der Medizinischen Universität Wien vom 9.9.2002 bis zum 30.4.2014 als Wissenschaftlerin aufgrund aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge teilweise als Vollzeit-, teilweise als Teilzeitkraft beschäftigt. Nach diesen knapp zwölf Jahren wurde der Arbeitsvertrag nicht mehr verlängert – laut ihrem Vorgesetzten mangels ausreichender Drittmittel.
Gem § 109 Abs 2 Universitätsgesetz (UG) ist eine mehrmalige unmittelbar aufeinanderfolgende Befristung von Verträgen bei AN, die im Rahmen von Drittmittelprojekten oder Forschungsprojekten beschäftigt werden und bei ausschließlich in der Lehre verwendetem Personal zulässig. Die Gesamtdauer solcher, unmittelbar aufeinanderfolgender Arbeitsverhältnisse darf sechs Jahre, im Fall der Teilzeitbeschäftigung acht Jahre, nicht überschreiten. Eine darüber hinausgehende einmalige Verlängerung bis zu insgesamt zehn Jahren, im Fall der Teilzeitbeschäftigung bis zu insgesamt zwölf Jahren, ist bei sachlicher Rechtfertigung, insb für die Fortführung oder Fertigstellung laufender Forschungsprojekte und Publikationen, zulässig. (Anmerkung der Bearbeiterin: § 109 Abs 2 UG stellt eine Abweichung vom allgemein Arbeitsrecht dar; die Aneinanderreihung zweier oder mehrerer befristeter Verträge ist grundsätzlich unzulässig, wenn sie nicht sachlich gerechtfertigt werden.)
Die Kl begehrte mit Klage beim ASG Wien die Feststellung, dass ihr Arbeitsverhältnis mit der Medizinischen Universität Wien über den 30.4.2014 hinaus fortbestehe. Zu diesem Zeitpunkt sei die gesetzlich zulässige Höchstdauer befristeter Arbeitsverhältnisse, die in ihrem Fall acht Jahre betrage, bereits überschritten gewesen. Außerdem stelle § 109 Abs 2 UG eine Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten dar. Frauen würden, da sie seltener vollzeitbeschäftigt seien, durch diese Bestimmung in besonderer Weise benachteiligt. Eine solche Ungleichbehandlung sei mangels sachlicher Rechtfertigung eine unionsrechtswidrige mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Nach Ansicht der Medizinischen Universität Wien sei im vorliegenden Fall die Verlängerung der Höchstdauer aufeinanderfolgender befristeter Verträge auf zwölf Jahre zulässig, da der letzte befristete Vertrag geschlossen worden sei, um es der Kl zu ermöglichen, ein Projekt fortzuführen und Tätigkeiten im Rahmen dieses Projektes abzuschließen.
Die Klage wurde zuerst vom ASG Wien mit der Begründung abgewiesen, dass eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses der Kl bis zu einer Höchstdauer von zwölf Jahren zulässig gewesen sei. Das Berufungsgericht hob das Urteil mit der Begründung auf, dass trotz eines entsprechenden Einwands der Kl nicht ausreichend geprüft worden335sei, ob § 109 Abs 2 UG mit dem Unionsrecht vereinbar sei.
Das ASG Wien hat das Verfahren daraufhin ausgesetzt und den EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens angerufen. Es wollte im Wesentlichen wissen, ob § 109 UG eine unzulässige mittelbare Diskriminierung von Frauen bewirkt. Zu den vorgelegten Fragen entschied der EuGH am 3.10.2019 wie folgt:
§ 4 Nr 1 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit („Grundsatz der Nichtdiskriminierung“) steht der Regelung des § 109 Abs 2 UG, welche bei befristeten Arbeitsverhältnissen für Teilzeitbeschäftigte eine längere maximal zulässige Dauer festlegt als bei einer vergleichbaren Vollzeitbeschäftigung, entgegen, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus objektiven Gründen gerechtfertigt und steht in einem angemessenen Verhältnis zu diesen Gründen, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist. Der Pro-rata-temporis-Grundsatz gem § 4 Nr 2 der Rahmenvereinbarung kommt nicht zum Tragen.
Art 2 Abs 1 Buchst b der GleichbehandlungsRL 2006/54 („mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts“) steht der Regelung des § 109 Abs 2 UG, welche bei befristeten Arbeitsverhältnissen für Teilzeitbeschäftigte eine längere maximal zulässige Dauer festlegt als bei einer vergleichbaren Vollzeitbeschäftigung entgegen, wenn erwiesen ist, dass der prozentuale Anteil der benachteiligten weiblichen Beschäftigten signifikant höher ist als der der benachteiligten männlichen Beschäftigten, und die Regelung nicht durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt ist oder die Mittel zur Erreichung dieses Ziels nicht angemessen und erforderlich sind.
Art 19 Abs 1 der GleichbehandlungsRL 2006/54 („Beweislast“) verlangt von der Kl nicht, dass sie (um den Anschein einer Diskriminierung glaubhaft zu machen) – in Bezug auf die AN, die von der nationalen Regelung betroffen sind – konkrete statistische Zahlen oder konkrete Tatsachen vorbringt, wenn sie zu solchen Zahlen oder Tatsachen keinen oder nur schweren Zugang hat.