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Kinderbetreuungsgeld: Feststellung des gemeinsamen Wohnsitzes nach ausländischem Melderecht

KRISZTINAJUHASZ

Existiert in einem Mitgliedstaat ein dem österreichischen Melderecht vergleichbares Meldesystem, ist die Vornahme einer hauptwohnsitzlichen Meldung entsprechend § 2 Abs 6 KBGG Voraussetzung für den Bezug des Kinderbetreuungsgeldes. Besteht hingegen ein derartiges System nicht oder ermöglicht es keine „hauptwohnsitzliche Meldung“, würde diese Anspruchsvoraussetzung dazu führen, dass eine vom persönlichen Anwendungsbereich des Art 2 VO (EG) 883/2004 erfasste Person allein aufgrund ihres Wohnsitzes in dem anderen Mitgliedstaat vom Bezug des Kinderbetreuungsgeldes schlechthin ausgeschlossen wäre. Ein derartiges Ergebnis wäre unionsrechtswidrig.

SACHVERHALT

Die Kl und ihr Ehemann sind die Eltern des 2017 geborenen Sohnes. Die Kl und das Kind sind am selben Wohnsitz in der Tschechischen Republik hauptwohnsitzlich gemeldet. Der Ehemann pendelt von Montag bis Donnerstag zwischen seinem Wohnsitz in der Tschechischen Republik und seiner Arbeitsstätte in Österreich. Er übernachtet jedoch stets in der Wohnung in der Tschechischen Republik und hält sich auch an den Wochenenden regelmäßig dort auf. Er ist an der Adresse seiner Betriebsstätte in Österreich hauptwohnsitzlich gemeldet.

Im Zeitraum August bis Dezember 2017 bezog der Ehegatte der Kl die Familienbeihilfe für das Kind. Seit Jänner 2018 wird die Familienbeihilfe von der Kl bezogen.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Die Bekl lehnte den Antrag der Kl auf Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes für den Zeitraum von 27.8. bis 31.12.2017 mit der Begründung ab, dass mangels gemeinsamen Wohnsitzes der Kl und ihres Ehemannes der § 2 Abs 8 KBGG über getrennt lebende Eltern anzuwenden sei.

Das Erstgericht gab der Klage auf Zuerkennung von Kinderbetreuungsgeld statt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl Folge und stellte ergänzend fest, dass sich der tatsächliche, gemeinsame Lebensmittelpunkt der Kl und ihres Sohnes in der Wohnung an der Adresse V in Z befinde, sie seien jedoch an der Adresse O (Tschechische Republik) hauptwohnsitzlich gemeldet. Rechtlich führte das Berufungsgericht aus, dass mangels Übereinstimmung der Hauptwohnsitzmeldung mit dem tatsächlichen Wohnort, die Kl das Erfordernis des gemeinsamen Haushalts mit ihrem Kind iSd § 2 Abs 6 KBGG nicht erfülle.

Im Revisionsverfahren brachte die Revisionswerberin vor, dass es ihr aufgrund des tschechischen Melderechts im fraglichen Zeitraum nicht möglich gewesen war, eine Hauptwohnsitzmeldung an der Adresse V vorzunehmen, da sie dort in einer Mietwohnung lebe, die nicht zu einer „hauptwohnsitzlichen Meldung“ berechtige. Deshalb war es ihr nach tschechischem Recht nicht möglich, am Ort ihres Hauptwohnsitzes (iSd § 1 Abs 7 MeldeG) eine „hauptwohnsitzliche Meldung“ gem § 2 Abs 6 KBGG zu erlangen, sowie die Anspruchsvoraussetzung des § 2 Abs 1 Z 2 iVm § 2 Abs 6 KBGG zu erfüllen. Somit hätte in ihrem Fall die Anspruchsvoraussetzung, wonach der Elternteil und das Kind an der Adresse ihrer dauerhaften Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft auch „hauptwohnsitzlich gemeldet“ sein müssen, unangewendet bleiben müssen.

Der OGH gab der außerordentlichen Revision Folge und verwies die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren Feststellungen zu den während des relevanten Zeitraums geltenden tschechischen Meldevorschriften sowie gegebenenfalls auch zu dem von der Kl behaupteten Mietverhältnis zu treffen haben.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„1.1. Gemäß § 2 Abs 1 Z 2 KBGG hat ein Elternteil Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld, wenn er mit dem Kind im gemeinsamen Haushalt lebt. Ein gemeinsamer 357Haushalt im Sinn dieses Gesetzes liegt gemäß § 2 Abs 6 Satz 1 KBGG in der hier (gemäß § 50 Abs 19 KBGG) anzuwendenden Fassung BGBl I 2016/53BGBl I 2016/53nur dann vor, ‚wenn der Elternteil und das Kind in einer dauerhaften Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft an derselben Wohnadresse leben und beide an dieser Wohnadresse auch hauptwohnsitzlich gemeldet sind‘.

Im Gegensatz zum Wortlaut des § 2 Abs 6 KBGG idF BGBl I 2009/116BGBl I 2009/116 – demnach lag ein gemeinsamer Haushalt im Sinn dieses Gesetzes nur dann vor, ‚wenn der Elternteil und das Kind auch an derselben Adresse hauptwohnsitzlich gemeldet sind‘ – verlangt diese Bestimmung in der hier anzuwendenden Fassung BGBl I 2016/53BGBl I 2016/53 bereits ihrem Wortlaut nach ausdrücklich, dass Elternteil und Kind an jener Wohnadresse hauptwohnsitzlich gemeldet sein müssen, an der sie auch tatsächlich in Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft leben.

Dass die ‚hauptwohnsitzliche Meldung‘ am Ort des gemeinsamen Haushalts vorliegen muss, entsprach aber bereits der Rechtsprechung zur zitierten Vorgängerbestimmung: Demnach muss nach der Rechtslage seit der KBGG-Novelle BGBl I 2009/116BGBl I 2009/116kumulativ zum gemeinsamen Haushalt eine ‚hauptwohnsitzliche Meldung‘ am Ort des gemeinsamen Haushalts vorliegen […].

1.2. § 2 Abs 1 Z 4 KBGG sieht als eine Anspruchsvoraussetzung für den Bezug von Kinderbetreuungsgeld vor, dass der Elternteil und das Kind den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet haben müssen. Die Anspruchsvoraussetzung des § 2 Abs 1 Z 4 KBGG wird allerdings im Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004 durch deren Koordinierungsregeln überlagert […].

1.3. In Fällen […], in denen eine aus der VO (EG) 883/2004 abgeleitete Verpflichtung Österreichs zum Export von Kinderbetreuungsgeld an einen Elternteil mit Hauptwohnsitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union zu prüfen ist, stellt sich die Frage nach der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzung der ‚hauptwohnsitzlichen Meldung‘ gemäß § 2 Abs 6 KBGG. […] ein Elternteil, dessen Hauptwohnsitz nicht in Österreich liegt, [kann] keine ‚hauptwohnsitzliche Meldung‘ nach dem österreichischen MeldeG erlangen […].

Es bedarf daher der Auslegung des Tatbestandsmerkmals der ‚hauptwohnsitzlichen Meldung‘ gemäß § 2 Abs 1 Z 6 KBGG [Anm § 2 Abs 6 KBGG]. 1.4. Der Wortlaut des § 2 Abs 6 KBGG (‚hauptwohnsitzlich gemeldet‘) verweist nicht ausdrücklich auf das österreichische MeldeG. Eine Auslegung dahin, dass eine Meldung oder Registrierung des Hauptwohnsitzes (iSd § 1 Abs 7 MeldeG) einer Person in einem dem österreichischen Melderecht vergleichbaren, in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union eingerichteten System der Voraussetzung des § 2 Abs 5 KBGG [Anmerkung: § 2 Abs 6 KBGG] entspricht, erscheint damit nicht ausgeschlossen.

1.5.1. Zweck des Abstellens auf die ‚hauptwohnsitzliche Meldung‘ ist – ausweislich der Materialien (ErläutRV 340 BlgNR 24. GP 9 zu BGBl I 2009/116BGBl I 2009/116) – eine Entlastung des Krankenversicherungsträgers, aber auch der Eltern durch die Standardisierung des Nachweises des gemeinsamen Lebensmittelpunkts und des gemeinsamen Haushalts an einer bestimmten Adresse. […]

1.5.2. Nach dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 14.10.2016, G 121/2016, VfSlg 20.096, dient die gemeinsame Hauptwohnsitzmeldung, die den Mittelpunkt der Lebensbeziehungen dokumentiere, der leichteren Administrierbarkeit […].

1.5.3. Eine derartige Verwaltungsvereinfachung kann aber auch durch den urkundlichen Nachweis einer ‚hauptwohnsitzlichen Meldung‘ nach einem dem österreichischen Melderecht vergleichbaren ausländischen System erzielt werden. Existiert daher im jeweils zu betrachtenden Mitgliedstaat ein derartiges System, ist die Vornahme einer hauptwohnsitzlichen Meldung entsprechend der Ausgestaltung des jeweiligen Systems Voraussetzung für den Bezug des Kinderbetreuungsgeldes (vgl Art 5 lit b VO [EG] 883/2004).

1.5.4. Besteht ein derartiges System nicht, oder ermöglicht es keine – im Hinblick auf den Zweck des § 2 Abs 6 KBGG mit dem österreichischen Melderecht vergleichbare – ‚hauptwohnsitzliche Meldung‘, würde dies dazu führen, dass eine vom persönlichen Anwendungsbereich des Art 2 VO (EG) 883/2004 erfasste Person allein aufgrund ihres Wohnsitzes in dem anderen Mitgliedstaat vom Bezug des Kinderbetreuungsgeldes schlechthin ausgeschlossen wäre.

Ein derartiges Ergebnis […] wäre daher unionsrechtswidrig.

1.5.5. Soweit aber eine unionsrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts nicht möglich ist, hat das nationale Gericht die der vollen Wirksamkeit des Unionsrechts entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechtes unangewendet zu lassen […]. Im Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004 hat daher bei Fehlen eines, dem österreichischen Melderecht vergleichbaren Systems im Wohnsitzmitgliedstaat die Anspruchsvoraussetzung der gemeinsamen „hauptwohnsitzlichen Meldung“ gemäß § 2 Abs 6 KBGG unangewendet zu bleiben.

2.1. Gemäß dem mit 1.1.2017 in Kraft getretenen und für Bezugszeiträume ab dem 1.1.2017 geltenden § 2 Abs 8 KBGG muss bei getrennt lebenden Eltern der antragstellende Elternteil […] nicht nur obsorgeberechtigt sein und mit dem Kind im gemeinsamen Haushalt leben, sondern auch Anspruch auf Familienbeihilfe haben und diese auch tatsächlich beziehen. Hingegen ist es bei gemeinsam lebenden Eltern unerheblich, welcher Elternteil Familienbeihilfe bezieht […].

2.2. Die Beklagte steht auf dem Standpunkt, auch für die Beurteilung, ob die Eltern des Kindes getrennt lebten, sei § 2 Abs 6 KBGG maßgeblich. 358 Der Umstand, dass der Ehemann der Klägerin, der im fraglichen Zeitraum die Familienbeihilfe bezogen habe, hauptwohnsitzlich an seiner Betriebsstätte in Österreich gemeldet sei, führe daher dazu, dass ungeachtet der tatsächlichen Verhältnisse von getrennt lebenden Eltern auszugehen sei.

2.3. Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden.“

ERLÄUTERUNG

Gem § 2 Abs 1 Z 2 KBGG hat ein Elternteil Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für sein Kind, wenn er mit diesem Kind im gemeinsamen Haushalt lebt, wobei § 2 Abs 6 KBGG den gemeinsamen Haushalt definiert. Nach den Ausführungen des OGH ist demnach kumulativ zur faktischen Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft zwischen dem Elternteil und dem Kind die hauptwohnsitzliche Meldung des beziehenden Elternteils und des Kindes an dieser Adresse erforderlich.

Das KBGG stellt auf den melderechtlichen Hauptwohnsitzbegriff ab (OGH 28.8.2014, 10 ObS 69/14s). Nach § 1 Abs 7 MeldeG ist der Hauptwohnsitz eines Menschen an jener Unterkunft begründet, an der er sich mit der Absicht niedergelassen hat, diese zum Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen zu machen. Dennoch verweist der Wortlaut des § 2 Abs 6 KBGG nicht ausdrücklich auf das österreichische MeldeG. Aus diesem Grund bedarf es der Auslegung des Tatbestandsmerkmals der „hauptwohnsitzlichen Meldung“ gem § 2 Abs 6 KBGG insb in Fällen, in denen eine aus der VO (EG) 883/2004 abgeleitete Verpflichtung Österreichs zum Export von Kinderbetreuungsgeld an einen Elternteil mit Hauptwohnsitz in einem Mitgliedstaat zu prüfen ist bzw in denen ein Elternteil, dessen Hauptwohnsitz nicht in Österreich liegt, keine „hauptwohnsitzliche Meldung“ nach dem österreichischen MeldeG erlangen kann. Bei zwischenstaatlichen Sachverhalten ist deshalb auf die Vergleichbarkeit des österreichischen Meldegesetzes mit den Regelungen des jeweiligen Mitgliedstaates abzustellen. Die von den Rechtsunterworfenen abverlangten Voraussetzungen iSd § 2 Abs 6 KBGG müssen auch von den vom persönlichen Anwendungsbereich des Art 2 VO (EG) 883/2004 erfassten Personen erfüllbar sein, um einen ex ante-Ausschluss vom Bezug des Kinderbetreuungsgeldes aufgrund des Wohnsitzes in dem anderen Mitgliedstaat und somit eine Unionsrechtswidrigkeit zu vermeiden. In Fällen, bei denen im anderen EU-Staat kein dem österreichischen Melderecht mit einer „Hauptwohnsitzmeldung“ vergleichbares System besteht, ist daher diese Bestimmung des KBGG nicht anwendbar.