Work-Life-Balance Richtlinie: Ein Schritt in Richtung sozialeres Europa?

BIANCASCHRITTWIESER

Im Juni 2019 wurde die sogenannte Work-Life-Balance Richtlinie* beschlossen. Sie sieht bestimmte Mindestrechte für erwerbstätige Eltern und pflegende Angehörige in der EU vor. Ihr vorrangiges Ziel: Durch einen verbesserten Rechtsrahmen sollen mehr Väter für die Kinderbetreuung gewonnen und die Gleichberechtigung der Geschlechter in der Arbeitswelt gefördert werden.

1.
Einleitung

Im April 2017 hat die EU-Kommission einen Richtlinienvorschlag zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige vorgelegt (Work-Life-Balance Richtlinie). Es handelt sich dabei um eine legislative Maßnahme, die im Zusammenhang mit der Europäischen Säule der sozialen Rechte getroffen wurde. Zwei Jahre wurde der Richtlinienvorschlag verhandelt und schließlich war es so weit: Im April 2019 hat das Europäische Parlament* und im Juni 2019 abschließend der Rat* einige neue Mindeststandards für Eltern-, Vaterschafts- und Pflegeurlaub sowie für flexible Arbeitszeitregelungen beschlossen. Die Richtlinie stellt im Wesentlichen darauf ab, durch verbesserte Bedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familienleben der Unterrepräsentation von Frauen im Berufsleben entgegenzutreten. Erwerbstätige Eltern sollen mehr Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von beruflichen und familiären Pflichten geboten werden. Dabei soll das Augenmerk auch auf eine Steigerung der Väterbeteiligung gelegt und damit eine partnerschaftliche Teilung der Kinderbetreuung gefördert werden.

Diese Ziele sollen durch die Verbesserung und Modernisierung des Rechtsrahmens der Union erreicht werden. Als Mindeststandards werden daher etwa ein Recht auf eine Vaterzeit in der Dauer von zehn Arbeitstagen, ein Recht auf Elternkarenz von vier Monaten pro Elternteil (wobei nur mehr zwei Monate davon auf den anderen Elternteil übertragen werden können) und flexible Arbeitszeitregelungen bis zum achten Geburtstag des Kindes, inklusive eines Rechts auf Rückkehr zur ursprünglichen Arbeitszeit, festgelegt.

2.
Eckpunkte der Richtlinie im Detail

Die Work-Life-Balance Richtlinie legt im Wesentlichen vier individuelle Rechte für erwerbstätige* Eltern und pflegende Angehörige fest:

  1. Ein Recht auf eine Vaterzeit von zehn Arbeitstagen bzw zwei Kalenderwochen anlässlich der Geburt eines Kindes inklusive einer Bezahlung oder einer Vergütung in dieser Zeit (Art 4).

  2. Ein Recht auf Elternkarenz von vier Monaten pro Elternteil bis zum achten Geburtstag des Kindes, wobei zwei Monate davon unübertragbar sind. Bezüglich einer Bezahlung oder Vergütung für den unübertragbaren Teil haben die Mitgliedstaaten Vorkehrungen zu treffen (Art 5).

  3. Recht auf fünf Tage Freistellung pro Jahr für pflegende Angehörige bzw Personen im gleichen Haushalt (Art 6).

  4. Möglichkeiten flexibler Arbeitszeitregelungen bis zum achten Geburtstag inklusive eines Rechts auf Rückkehr zum ursprünglichen Arbeitszeitmuster (Art 9).

Gleichzeitig mit der Festlegung dieser Mindeststandards hat der europäische Gesetzgeber auch Vorkehrungen getroffen, dass die Umsetzung 369 dieser Richtlinie nicht zum Anlass genommen wird, in diesen Bereichen Rechte abzubauen. Es darf zu keiner Absenkung des allgemeinen Schutzniveaus in den von der Richtlinie erfassten Bereichen kommen (Art 16). Diese sogenannte Nicht-Rückschritts-Klausel ist vor allem für jene Mitgliedstaaten wie beispielsweise Österreich relevant, deren Rechte für erwerbstätige Eltern am Arbeitsplatz schon vor Inkrafttreten dieser Richtlinie in vielen Bereichen weitaus besser sind. Österreich hat somit im Rahmen der Umsetzung die Möglichkeit, weitere Verbesserungen, als in der Richtlinie vorgesehen sind, einzuführen. Bestehende bessere Regelungen sind aber jedenfalls beizubehalten.

2.1.
Elternrechte und Rechte für pflegende Angehörige am Arbeitsplatz
2.1.1.
Recht auf eine Vaterzeit von zehn Arbeitstagen

Nach Art 4 der Richtlinie sollen Väter (Adoptivväter) einen Rechtsanspruch auf zehn Arbeitstage bzw zwei Kalenderwochen Freistellung aus Anlass der Geburt eines Kindes haben. Dieses Recht soll grundsätzlich auch gleichgeschlechtlichen Paaren für ihre Kinder zustehen.

Der Anspruch ist weder an eine bestimmte Betriebszugehörigkeit noch an eine bestimmte Betriebsgröße gekoppelt. Ebenso ist kein gemeinsamer Haushalt mit dem Kind erforderlich.

Zusätzlich ist eine Bezahlung oder Vergütung vorgesehen (Art 8 Abs 2): nämlich mindestens in der Höhe des „Krankengeldes“, wobei eventuell festgelegte Obergrenzen in den Mitgliedstaaten zu berücksichtigen sind. Die Richtlinie legt aber nicht fest, ob die Geldleistung vom AG, der Krankenkasse oder anderen Stellen auszuzahlen ist. Der Anspruch auf Bezahlung kann im Gegensatz zum Rechtsanspruch auf Dienstfreistellung von einer Mindestbeschäftigungsdauer abhängig gemacht werden. Sie darf aber maximal sechs Monate unmittelbar vor dem errechneten Geburtstermin des Kindes betragen.

2.1.2.
Recht auf Elternkarenz von vier Monat

Nach der Richtlinie hat jeder Elternteil einen eigenen Anspruch auf vier Monate Elternkarenz bis maximal zum achten Geburtstag des Kindes (Art 5). Die Inanspruchnahme kann auch in flexibler Form gestaltet werden. Zwei Monate des Elternurlaubs/der Elternkarenz dürfen allerdings nicht auf den anderen Elternteil übertragen werden. Ein Elternteil allein kann demnach gemäß der Richtlinie maximal sechs Monate Elternkarenz in Anspruch nehmen. Geht der zweite Elternteil nicht in Karenz, dann verfallen die zwei Monate. Es gilt somit das Prinzip „choose it or lose it“.

Der Anspruch auf Elternurlaub kann an eine bestimmte Betriebszugehörigkeit (maximal ein Jahr) geknüpft werden. Zusätzlich können die Mitgliedstaaten festlegen, unter welchen Umständen der/die AG ein Aufschiebungsrecht bezüglich des Antrittszeitpunkts der Karenz hat. Falls der Elternurlaub in (Eltern-)Teilzeit beantragt wird, soll dem AG sogar ein Ablehnungsrecht zustehen. Er muss die Gründe dafür nur schriftlich darlegen.

Für den nicht übertragbaren Teil sieht die Richtlinie auch eine Bezahlung bzw Vergütung vor: Sie ist von den Mitgliedstaaten oder den Sozialpartnern so festzulegen, dass die Inanspruchnahme der Elternkarenz erleichtert wird.

2.1.3.
Recht auf fünf Tage Urlaub für pflegende Angehörige

Ein Recht auf Freistellung von grundsätzlich fünf Arbeitstagen pro Jahr für pflegende Angehörige ist in Art 6 der Richtlinie vorgesehen. Die Freistellung gilt für Angehörige (Sohn, Tochter, Vater, Mutter, EhepartnerIn, gleichgeschlechtliche Paare) oder eine im gleichen Haushalt lebende Person. Pflegebedürftigkeit und schwerwiegender medizinischer Grund sind Voraussetzungen für den Anspruch. Für die Pflege der Angehörigen ist kein gemeinsamer Haushalt erforderlich.

Bezüglich der Bezahlung bzw Vergütung in der Zeit der Freistellung wurde keine Vorkehrung in der Richtlinie getroffen: Denn die Mitgliedstaaten können selbst entscheiden, ob sie eine Bezahlung in dieser Zeit gewähren.

2.1.4.
Flexible Arbeitszeitregelungen für Eltern und pflegende Angehörige

Eltern und pflegende Angehörige können nach der Richtlinie flexible Arbeitszeiten beim/bei der AG beantragen (Art 9). Für Eltern soll die Option bis zum achten Geburtstag des Kindes bestehen. Für die flexible Arbeitszeitregelung darf auch eine angemessene zeitliche Begrenzung gelten und von einer bestimmten Beschäftigungsdauer abhängig gemacht werden (maximal sechs Monate).

Einen Antrag auf flexible Arbeitszeitregelungen kann der/die AG auch ablehnen oder verschieben. Außerdem sieht die Richtlinie keinerlei Durchsetzungsmöglichkeit für AN vor. Stimmt der AG allerdings einer flexiblen Arbeitszeitregelung für eine bestimmte Zeit zu, dann hat der/die AN nach Ablauf dieser Phase auch wieder ein Recht auf Rückkehr zum ursprünglichen Arbeitszeitmuster.370

2.2.
Schutz vor Diskriminierung und Kündigung

In der Richtlinie ist auch ein Schutz vor Diskriminierung und Kündigung (samt Vorbereitungen darauf) ua wegen der Inanspruchnahme von Elternrechten vorgesehen (Art 12). Gründe für eine Kündigung muss der/die AG in der Regel schriftlich darlegen. Im Falle der (beabsichtigten) Inanspruchnahme von flexiblen Arbeitszeitregelungen muss er die Gründe für die Kündigung nur anführen, wenn es der/die AN verlangt.

2.3.
Nicht-Rückschritts-Klausel

Die Umsetzung der Richtlinie darf keinesfalls als Rechtfertigung für die Absenkung des allgemeinen Schutzniveaus in den von der Richtlinie erfassten Bereichen herangezogen werden (Art 16). Damit hat der europäische Gesetzgeber auch sichergestellt, dass im Zuge einer Umsetzung der Richtlinie die Bestimmungen des österreichischen Mutterschutz- bzw Väter-Karenzgesetzes für AN nicht verschlechtert werden dürfen.

3.
Umsetzung und Handlungsbedarf für Österreich?

Die Umsetzungsfrist ist in Art 20 verankert. Dem Grunde nach ist die Richtlinie innerhalb von drei Jahren innerstaatlich umzusetzen (2.8.2022).

Vorbehaltlich einer genaueren Prüfung der Umsetzungsverpflichtungen für Österreich sind ein paar Punkte schon jetzt absehbar:

Beim Rechtsanspruch auf eine Vaterzeit von zehn Arbeitstagen anlässlich der Geburt eines Kindes war der österreichische Gesetzgeber bereits aktiv. Am 1.9.2019 ist der Rechtsanspruch auf Dienstfreistellung in der Dauer eines Monats (Papamonat) inklusive Kündigungs- und Entlassungsschutz in Kraft getreten. Somit haben nunmehr alle Väter, die AN sind, einen Anspruch auf eine Freistellung. Hier besteht also kein Umsetzungsbedarf mehr. In dieser Zeit ist in Österreich auch unter bestimmten Bedingungen eine Geldleistung, der Familienzeitbonus,* vorgesehen. Diese Geldleistung gibt es bereits seit 2017. Allerdings erhalten Väter in diesem Monat nur ca € 700,-. Zudem wird der Familienzeitbonus von einem späteren Bezug des Kinderbetreuungsgeldes wieder in Abzug gebracht. Die europäische Work-Life-Balance Richtlinie sieht hingegen eine finanzielle Absicherung wie im Krankheitsfall vor (Art 8 Abs 2). Gleichzeitig enthält die Richtlinie aber auch Ausnahmeregelungen hinsichtlich der Bezahlung: Die Mitgliedstaaten müssen dann keine finanzielle Leistung in der Höhe des Krankengeldes vorsehen, wenn es während der Elternkarenz für jeden Elternteil in der Dauer von mindestens sechs Monaten einen Einkommensersatz von mindestens 65 % gibt, wenn auch mit einer Obergrenze. In Österreich gibt es das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld mit einem Einkommensersatz von 80 % und einem maximalen Betrag von € 2.000,- pro Monat. Das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld kann, wenn dieses von beiden Elternteilen in Anspruch genommen wird, längstens bis zu 426 Tage ab der Geburt des Kindes (14. Lebensmonat des Kindes) bezogen werden. Auf Grund dieser Ausnahmebestimmung wäre es denkbar, dass Österreich die Geldleistung (den Familienzeitbonus) in der bisherigen Höhe beibehalten kann.

Beim Thema Elternkarenz verlangt die Richtlinie einen unübertragbaren Teil von zwei Monaten. Das österreichische Mutterschutzgesetz (MSchG) sowie das Väter-Karenzgesetz (VKG) ermöglichen es Eltern, auf Grund der Geburt ihres Kindes eine Karenz bis zur Vollendung des zweiten Lebensjahres des Kindes in Anspruch zu nehmen. Einen unübertragbaren Anspruch auf zwei Monate Elternkarenz bis zu einem Alter von maximal acht Jahren kennt das österreichische MSchG bzw VKG in dieser Form nicht. Lediglich im Leistungsrecht, beim Kinderbetreuungsgeld, gibt es eine diesbezügliche Vorkehrung. 20 % Partneranteil sind hier immer für den zweiten Elternteil reserviert und können nicht auf den anderen Elternteil übertragen werden. Mit der Konsequenz: Nimmt ein Elternteil die 20 % nicht in Anspruch, dann geht er verloren.

In diesem Bereich wird Österreich daher Umsetzungsbedarf haben. Die genaue Ausgestaltung sollte unter Einbeziehung die Sozialpartner erfolgen.

Ein weiterer Umsetzungsbedarf für Österreich wird noch gesondert im Detail zu prüfen sein. Das betrifft insb die bestehenden Freistellungsansprüche in Bezug auf pflegende Angehörige.

4.
Fazit

Die Richtlinie sieht Mindeststandards auf europäischer Ebene für erwerbstätige Mütter und Väter sowie für pflegende Angehörige vor. Sie zielt darauf ab, durch einen verbesserten Rechtsrahmen erwerbstätige Eltern und pflegende Angehörige bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu unterstützen. Gleichzeitig soll die partnerschaftliche Teilung der Kinderbetreuung gefördert werden. Die Zielsetzung dieser Richtlinie ist ausdrücklich zu begrüßen. Viele der nun neu geschaffenen Rechte sind aber viel zu schwach, um die verfolgten Ziele, insb eine gleichberechtigte 371 Teilhabe am Arbeitsplatz, zu erreichen. So ist etwa die Vaterzeit von zehn Tagen viel zu kurz, um das beabsichtigte Ziel einer erhöhten Väterbeteiligung zu bewirken.

Eine besondere Schwachstelle der Richtlinie stellen die Ablehnungs- und Verschiebungsrechte des/der AG dar, und zwar sowohl beim Elternurlaub als auch bei den flexiblen Arbeitszeitregelungen. Damit wird dem Ziel der Richtlinie, nämlich der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, massiv entgegengewirkt. Denn nur ein durchsetzbarer und verlässlicher Rechtsanspruch auf Elternkarenz oder Elternteilzeit ermöglicht den Eltern die notwendige Planbarkeit der Kinderbetreuung. Dieses Aufschiebungsrecht wirkt umso schwerer, wenn kein geeigneter Kinderbetreuungsplatz verfügbar ist.

Was gänzlich fehlt sind starke Impulse seitens der EU-Kommission betreffend die Bereitstellung von ausreichend qualitätsvollen sowie leistbaren Kinderbetreuungsplätzen, insb für unter dreijährige Kinder (wie sie die Barcelona-Ziele vorgesehen haben). Das wäre aber von zentraler Bedeutung, denn Kinderbetreuung und Pflegeinfrastruktur sind wichtige Grundvoraussetzungen für die Erwerbsbeteiligung von Frauen und Männern.

Unabhängig vom Umsetzungsbedarf der Richtlinie in innerstaatliches Recht hat Österreich weiteren Handlungsbedarf beim Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Denn auch hierzulande ist man von einer tatsächlichen Gleichstellung der Geschlechter weit entfernt: Der Einkommensunterschied zwischen Frauen und Männern liegt derzeit bei 19,7 % (2017).* Die Beteiligung der Väter an der Kinderbetreuung ist noch immer viel zu gering. Bei nur 12 % der Paare geht auch der Vater in Karenz.* Österreich hat daher noch viel mehr Anstrengungen zu unternehmen, um diese Situation zu verbessern. Neben dem weiteren Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen braucht es intensive Bemühungen in Richtung partnerschaftlicher Teilung der Kinderbetreuung. So ist es beispielsweise notwendig, die Geldleistung während des Papamonats in Richtung einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld zu erhöhen (ohne späteren Abzug vom Kinderbetreuungsgeld). Zudem sind die AG stärker in die Pflicht zu nehmen: Es braucht eine verstärkte Sensibilisierung der Unternehmen, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen und Männer gelebt werden muss.372