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Verwirkung des Entlassungsrechts trotz Suspendierung

KLAUSBACHHOFER

Vorläufige Maßnahmen, etwa die bis zur Klärung der tatsächlichen oder rechtlichen Lage vorgenommene Suspendierung eines AN, können die Annahme eines Verzichts des AG auf die Ausübung des Entlassungsrechts verhindern. Allerdings muss die Dienstfreistellung zur Klärung der tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen für einen Entlassungsausspruch erfolgen und für den DN als vorläufige Maßnahme zur Vorbereitung einer Entlassung erkennbar sein; nur wenn dem DN erkennbar ist, dass sein Verhalten die schwerwiegende Folge der Entlassung nach sich ziehen kann und nur noch Abklärungen der Sach- und Rechtslage erforderlich sind, kann aus dem Zeitablauf allein nicht auf einen Verzicht auf die Ausübung des Entlassungsrechts geschlossen werden.

Eine Suspendierung des DN vom Dienst schließt daher nicht in jedem Fall eine Verwirkung des Entlassungsrechts aus. Sie bedeutet insb nicht, dass der DG in jedem Fall über die Dauer der Erhebungen hinaus bis zu einem beliebigen Zeitpunkt die Entlassungsgründe „vorrätig“ halten und mit dem Ausspruch der Entlassung zuwarten könnte.

SACHVERHALT

Der Kl war seit 2007 bei der Bekl als Distributionsleiter einer Zustellbasis angestellt. Er wurde am 27.7.2016 wegen entlassungswürdiger Vorkommnisse in seiner Zustellbasis, die im Zuge einer Kontrolle der 22 Rayone des Kl festgestellt worden waren, dienstfreigestellt. Als Grund für die Dienstfreistellung wurden ihm die „Vorkommnisse in der Zustellbasis“ genannt. Der Kl musste Schlüssel, Chip und Handy abgeben und wurde gebeten, seine Privatnummer zu hinterlegen. Nach der Dienstfreistellung gab es zwischen dem Kl und der Bekl zunächst keinen Kontakt mehr.

Mit E-Mail vom 13.4.2017 begehrte der Kl die anteilige Auszahlung der jährlichen Distributionsleiter- und einer Vertretungsprämie. Mit E-Mail vom 3.5.2017 forderte die Bekl den Kl auf, sich am 5.5.2017 zu einer Niederschrift in der Zustellbasis einzufinden. Der Kl nahm diesen Termin aus gesundheitlichen Gründen nicht wahr.

Nachdem der Kl per E-Mail vom 30.5.2017, gerichtet an den Vorstand der Bekl und deren Prokuristen, Kritik ua am Vorgehen seiner Vorgesetzten, an seiner Dienstfreistellung und dem Ergebnis der im Sommer 2016 durchgeführten Kontrollen geübt und die Rechtsvertreterin des Kl in einem weiteren Schreiben vom 1.6.2017 die Bekl neuerlich zur Zahlung der Prämien und einer Unternehmensbeteiligung aufgefordert hatte, wurde der Kl mit Schreiben der Bekl vom 4.7.2017 entlassen.

Der Personalausschuss erhob gegen die Entlassung des Kl Widerspruch, weil er sie für verfristet und sozialwidrig hielt. Er selbst führte keine Entlassungs- oder Kündigungsanfechtung für den Kl durch.319

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Der Kl begehrte, die Entlassung für rechtsunwirksam zu erklären. Er brachte ua vor, ihm sei kein Grund für die Dienstfreistellung genannt worden. Die Aufarbeitung der behaupteten Dienstpflichtverletzungen habe keinesfalls ein Jahr gedauert. Die Entlassung sei daher verfristet. Als Kündigung sei sie auch sozial ungerechtfertigt, weil er im 56. Lebensjahr stehe und mit Langzeitarbeitslosigkeit zu rechnen habe.

Die Bekl wandte ein, sie habe nach Hervorkommen der Missstände umfangreiche Nachforschungen begonnen. Dem Kl sei am 5.5.2017 Gelegenheit gegeben worden, sich zu den Verdachtsmomenten zu äußern, die er unter Hinweis auf einen Operationstermin nicht wahrgenommen habe. Es seien noch ergänzende Einvernahmen erfolgt, bis mit Schreiben vom 4.7.2017 die Entlassung ausgesprochen worden sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Kl habe infolge der Suspendierung aus dem Zeitablauf allein nicht mehr auf einen Verzicht der Bekl auf die Ausübung des Entlassungsrechts schließen können. Das Berufungsgericht teilte diese Beurteilung und gab der Berufung des Kl keine Folge.

Die dagegen gerichtete außerordentliche Revision des Kl wurde vom OGH als zulässig und berechtigt erkannt, weil die Frage der Verfristung einer Neubeurteilung bedürfe. Das Vorliegen von Entlassungsgründen war im Revisionsverfahren nicht mehr strittig.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

1. Die vorzeitige Auflösung des Arbeitsverhältnisses muss unverzüglich, dh ohne schuldhaftes Zögern, erklärt werden. Die dogmatische Rechtfertigung für diesen Grundsatz liegt primär in der jeder vorzeitigen Auflösung wesensimmanenten Unzumutbarkeit der auch bloß kurzfristigen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses (Pfeil in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 25 AngG Rz 31 mwN). Auch die Rechtsprechung verlangt, dass Gründe für die vorzeitige Lösung eines Dienstverhältnisses bei sonstiger Verwirkung des Entlassungsrechts unverzüglich, das heißt ohne schuldhaftes Zögern, geltend zu machen sind. Der Dienstgeber darf mit der Ausübung seines Entlassungsrechts nicht wider Treu und Glauben so lange warten, dass der Angestellte aus diesem Zögern auf einen Verzicht des Dienstgebers auf die Geltendmachung der Entlassungsgründe schließen muss; der Dienstnehmer, dem ein pflichtwidriges Verhalten vorgeworfen wird, soll darüber hinaus nicht ungebührlich lange über sein weiteres dienstrechtliches Schicksal im Unklaren gelassen werden. […]

Bei der Prüfung der Rechtzeitigkeit einer Entlassung ist folglich zu untersuchen, ob in dem Zuwarten mit der Entlassung ein Verzicht auf die Geltendmachung des Entlassungsgrundes zu erblicken ist oder ob dieses Zuwarten in Umständen begründet ist, welche die Annahme eines solchen Verzichts nicht rechtfertigen. […]

2. Vorläufige Maßnahmen, etwa die bis zur Klärung der tatsächlichen oder rechtlichen Lage vorgenommene Suspendierung eines Arbeitnehmers, können die Annahme eines Verzichts des Arbeitgebers auf die Ausübung des Entlassungsrechts verhindern (RS0028987). Allerdings muss die Dienstfreistellung zur Klärung der tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen für einen Entlassungsausspruch erfolgen und für den Dienstnehmer als vorläufige Maßnahme zur Vorbereitung einer Entlassung erkennbar sein; nur wenn dem Dienstnehmer erkennbar ist, dass sein Verhalten die schwerwiegende Folge der Entlassung nach sich ziehen kann und nur noch Abklärungen der Sach- und Rechtslage erforderlich sind, kann aus dem Zeitablauf allein nicht auf einen Verzicht auf die Ausübung des Entlassungsrechts geschlossen werden (9 ObA 185/00x). Eine Suspendierung des Dienstnehmers vom Dienst schließt daher nicht in jedem Fall eine Verwirkung des Entlassungsrechts aus (vgl auch RS0031587 [T2]). Sie bedeutet insbesondere nicht, dass der Dienstgeber in jedem Fall über die Dauer der Erhebungen hinaus bis zu einem beliebigen Zeitpunkt die Entlassungsgründe „vorrätig“ halten und mit dem Ausspruch der Entlassung zuwarten könnte. Denn wurde der Sachverhalt ermittelt und werden keine weiteren Abklärungen mehr vorgenommen, ohne dass der Dienstgeber den Fortbestand des Dienstverhältnisses – hier bei vollen Bezügen – in Frage stellt, so kann sich bei einem suspendierten Dienstnehmer mit zunehmendem Zeitverlauf der Eindruck verfestigen, dass die Suspendierung nicht mehr als vorläufige Maßnahme zur Vorbereitung einer Entlassung dient, sondern aus anderen Erwägungen als aus jenen erfolgt, die Anlass der Suspendierung waren. Anders als die Beklagte meint, spricht der zunehmende Zeitverlauf hier daher nicht gegen, sondern – im Gegenteil – zunächst für einen Fortsetzungswillen des Dienstgebers, wenn er Entlassungsgründe wie die vorliegenden auch bei zeitlich großzügig bemessener Ermittlungsarbeit nicht zum Anlass einer unverzüglichen Beendigung des Dienstverhältnisses nimmt.

3. Im vorliegenden Fall erfolgte die Dienstfreistellung des Klägers am 27.7.2016 zur Klärung der ‚Vorkommnisse in S*‘, womit nach dem festgestellten Sachverhalt unzweifelhaft die Folgen der vom Kläger (mit-) zu verantwortenden Datenmanipulation zur Systemisierung der Rayone uä angesprochen waren. Die entsprechenden Kontrollen hatten vom 23.6. bis 4.7.2016 stattgefunden. Am 20.7.2016 war bereits eine interimistische Basenkoordinatorin eingesetzt. Diese blieb bis 15.10.2016 in jener Zustellbasis tätig. Aus dem festgestellten Sachverhalt geht aber nicht hervor, dass320die Beklagte nach diesem Zeitpunkt noch weitere Erhebungen getätigt oder auch nur Bedarf danach bestanden hätte. […] Das Vorbringen der Beklagten ON 15 S 5 wurde ohne jegliche Zeitangaben erstattet (zB ‚besonders genaue Prüfung‘; dem Kläger eingeräumte Gelegenheit, ‚an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken‘) und macht eine nahezu einjährige Dauer der Abklärung der Sach- und Rechtslage nicht plausibel. Für das Vorbringen der Beklagten, dass sich ‚letztlich aus ergänzenden Einvernahmen Ende Mai 2017 erstmals in ausreichender Deutlichkeit‘ ergeben habe, dass ‚der Kläger die Missstände zumindest billigend in Kauf genommen‘ habe (ON 6 S 8), bietet der festgestellte Sachverhalt keine Anhaltspunkte. Aus diesem geht vielmehr eine monatelange Nichtreaktion der Beklagten hervor, die den Kläger nach seinem Vorbringen annehmen ließ, dass seine Position wegen Restrukturierungsmaßnahmen aufgegeben und er ‚zwischengeparkt‘ werden sollte. Die Beklagte trat mit ihm auch erst wieder Anfang Mai 2017 in Kontakt, nachdem der Kläger Prämienansprüche geltend gemacht hatte. Doch selbst wenn man der Beklagten darin folgte, dass sie erstmals Ende Mai 2017 in ausreichender Deutlichkeit Klarheit hatte, dass ‚der Kläger die Missstände zumindest billigend in Kauf‘ nahm, würde dies ihr weiteres Zuwarten mit dem Entlassungsausspruch bis 4.7.2017 nicht erklären. Es könnte aber auch nicht auf ihre Kenntnis von der Haltung des Klägers zu den von ihm gesetzten Entlassungsgründen ankommen. Zusammenfassend ist daher eine Verfristung der Entlassung des Klägers wegen der ‚Vorkommnisse in S*‘ zu bejahen.

4. […] Da auch bei einer Verfristung von einer ungerechtfertigten Entlassung auszugehen ist und die Möglichkeit einer Entlassungsanfechtung eröffnet (Wolliger in Neumayr/Reissner, ZellKomm II3 § 106 ArbVG Rz 5), ist zu prüfen, ob die Anfechtungsvoraussetzungen des § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG vorliegen.

Nach den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen zu den Einkommensverhältnissen des Klägers und der voraussichtlichen Dauer seiner Arbeitslosigkeit ist hier nicht weiter zweifelhaft, dass die Beendigung des Dienstverhältnisses zu einer wesentlichen Beeinträchtigung seiner Interessen führt […].

Für diesen Fall hat bereits das Erstgericht darauf verwiesen, dass jene Umstände, die die Beklagte für die Entlassung des Klägers heranzieht, auch dann, wenn man einen Entlassungsgrund iSd § 27 Z 1 AngG verneinte, personen- und verhaltensbedingte Rechtfertigungsgründe (§ 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG) wären. […]

Allerdings gilt auch in diesem Zusammenhang der arbeitsrechtliche Unverzüglichkeitsgrundsatz (RS0109392; 9 ObA 134/18y). Hat der Dienstgeber ihm zur Kenntnis gelangte konkrete Vorfälle bloß zum Anlass für eine Ermahnung genommen, so kann eine derartige Erklärung nur dahin verstanden werden, dass der Dienstgeber auf das Recht, den Dienstnehmer wegen dieses Verhaltens zu entlassen bzw zu kündigen, verzichtet hat (9 ObA 134/18y mwN). Das kann aus den bereits dargelegten Gründen für den Fall einer Suspendierung, die auf dem Verdacht eines Entlassungstatbestands gründet, nach aufgeklärtem Sachverhalt aber nicht zum Anlass der Beendigung des Dienstverhältnisses genommen wird, nicht anders gelten.“

ERLÄUTERUNG

Diese E zeigt, dass im Falle des Vorliegens eines Entlassungsgrundes der Ausspruch einer Suspendierung alleine noch nicht ausreicht, um den Anforderungen des Unverzüglichkeitsgrundsatzes zu genügen. Sie verdeutlicht, dass der AG zum einen tunlichst konkret angeben sollte, welchem Zweck die Suspendierung dient, und zum anderen, dass die Suspendierung nach Vorliegen von Prüfergebnissen des untersuchten Sachverhalts nicht tatenlos prolongiert werden darf. Es ist nach Abschluss der erforderlichen Untersuchungen unverzüglich eine Beendigungserklärung auszusprechen, möchte der AG seines vorbehaltenen Entlassungsrechts nicht verlustig gehen.

In verfahrensrechtlicher Hinsicht zeigt die Entscheidung, dass letztlich auch bei festgestelltem Vorliegen eines Entlassungsgrundes eine erfolgreiche Anfechtung der verfristet ausgesprochenen Entlassung möglich ist, da auch in diesem Fall eine ungerechtfertigte Entlassung vorliegt. Auf die im vorliegenden Fall zusätzlich geltend gemachte Motivanfechtung musste der OGH gar nicht mehr eingehen, da bereits der Sozialwidrigkeitsanfechtung stattgegeben wurde. Die Verwirkung von Entlassungsgründen bedeutet nämlich auch die Verwirkung von (umgedeuteten) Kündigungsgründen.