KiesowDie Rückkehr an den früheren Arbeitsplatz und Arbeitsarrangements – Beiträge der Richtlinie 2010/18/EU zu einer benachteiligungsfreien Rückkehr aus dem Elternurlaub

Nomos Verlag, Baden-Baden 2018, 426 Seiten, kartoniert, € 109,–

KARINBURGER-EHRNHOFER (WIEN)

Das vorliegende Werk von Daniel Kiesow ist die überarbeitete Dissertation des Autors, die im Herbst 2015 vom Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Bremen angenommen wurde. Es gliedert sich in eine Einleitung, vier Sachkapitel und ein abschließendes Kapitel mit Schlussbetrachtungen.

Im ersten Sachkapitel setzt sich Kiesow mit der vorhandenen Ausgangslage zum Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie auf europäischer und nationaler (also deutscher) Ebene auseinander. Neben der Erkenntnis, dass die für Deutschland angeführten Feststellungen punkto hoher Teilzeitquote bei Frauen und gender-pay-gap bzw gender-pension-gap nahezu 1 : 1 auf Österreich umzulegen sind, bleibt an dieser Stelle vor allem die Definition von Vereinbarkeit im Gedächtnis, die nicht als uneingeschränkte Parallelität von Beruf und Familie gesehen wird, sondern als Instrumentarium, mit dessen Hilfe Kollisionen bestehender Verpflichtungen vermieden werden können und das im unvermeidbaren Konfliktfall hilft, diesen möglichst schonend aufzulösen. Dabei zeigt der Autor auch auf, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie oft eine Frage der Gleichstellung der Geschlechter ist; eine Schlussfolgerung, die für Österreich bereits 2007 von Trost (Abhängige Arbeit und die Wahrnehmung gesellschaftlicher Aufgaben im Familienverband, DRdA 2007, 435) gezogen wurde.

Das zweite Kapitel widmet sich der Darstellung der geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen im Rahmen des Völker-, Unions- sowie des nationalen Rechts. Darin wird vor allem ersichtlich, dass sich auf unionsrechtlicher Ebene der Zweck der Vereinbarungsinstrumente geändert hat. Die diesbezüglichen Regelungen zielen nicht mehr ausschließlich darauf ab, dass es überhaupt ein Recht auf Vereinbarkeit iSd Gewährung eines Elternurlaubs gibt, sondern es steht nunmehr das Bestreben im Vordergrund, dass die Inanspruchnahme eines Elternurlaubs zu keinen beruflichen Nachteilen führen darf.

Diese Zwecksetzung leitet ab S 120 zum eigentlichen Thema des Buches, dem Rückkehrrecht nach Elternurlaub, über. In diesem dritten Kapitel wird versucht, Antworten auf drei Fragen zu erhalten: Wie wird der Arbeitsplatz, an dem vor Antritt des Elternurlaubs gearbeitet wurde, bestimmt? Welche Arbeitsplätze sind diesem früheren Arbeitsplatz gleichwertig? Wie ist im Rahmen des Rückkehrrechts mit innerbetrieblichen Veränderungen während des Elternurlaubs umzugehen? Bei der Beantwortung der ersten Frage stellt der Autor unter Heranziehung anderer unionsrechtlicher Regelungen, die in einem nahen zeitlichen Zusammenhang mit der Elternurlaubs-RL ergangen sind (etwa der Rahmenvereinbarung über integrative Arbeitsmärkte) sowie solchen, die ebenfalls den Begriff „Arbeitsplatz“ verwenden (vor allem die Mutterschutz-RL), nachvollziehbar klar, dass bei der Beurteilung des Arbeitsplatzes vor Inanspruchnahme eines Elternurlaubs nicht ausschließlich auf das Wo der Arbeitsleistung abgestellt werden darf, sondern auch bzw vor allem auf das Was und das Wie der Arbeitsleistung, also auf die inhaltlichen und sonstigen Arbeitsbedingungen. Dieses Ergebnis entspricht auch dem Telos des unionsrechtlich verbrieften Rückkehrrechts, nämlich dem Schutz vor Benachteiligung wegen der Inanspruchnahme eines Elternurlaubs.

Bei der Gewährung des Rückkehrrechts spricht sich Kiesow für ein stufenweises Vorgehen aus, wonach 73 zuerst zu prüfen ist, ob der frühere Arbeitsplatz auch nach der Rückkehr aus dem Elternurlaub verfügbar ist. Nur für den Fall, dass eine Rückkehr auf den früheren Arbeitsplatz unmöglich ist, ist das Anbot eines gleichwertigen Arbeitsplatzes im Rahmen des unionsrechtlichen Rückkehrrechts zulässig. Diese Ansicht begründet er mit der sE unzulässigen teleologischen Reduktion des hier einschlägigen § 5 Abs 1 der Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub (RV; Anhang zu RL 2010/18/EU). Wirft man – so wie Vinzenz in ihrer Entscheidungsbesprechung zu 9 ObA 6/18z (ZAS 2019, 176) – einen Blick auf Art 10 Abs 2 des Entwurfs einer RL zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige, mit der in naher Zukunft auch die Elternurlaubs-RL aufgehoben werden soll, so fällt auf, dass die darin gewählte Formulierung des Rückkehrrechts nach Elternurlaub jener der Mutterschutz-RL entspricht, wobei diese Formulierung wiederum von § 5 Abs 1 RV abweicht. Es spricht daher viel dafür, § 5 Abs 1 RV eigenständig zu interpretieren, womit dem von Kiesow vorgeschlagenen zweistufigen Verfahren (das beim Rückkehrrecht iSd Mutterschutz-RL gerade nicht angenommen wird) zuzustimmen ist.

Großen Raum nimmt daraufhin die Frage ein, in welchen Fällen vom Grundsatz der vorrangigen Rückkehr auf genau den früheren Arbeitsplatz abgewichen werden darf. Diesbezüglich arbeitet der Autor heraus, dass auch das Rückkehrrecht des § 5 Abs 1 RV eine eigenständige, unionsgrundrechtlich geschützte Rechtsposition darstellt. Die durch die Gewährung des Rückkehrrechts auf den früheren Arbeitsplatz stattfindende Einschränkung der ebenfalls unionsgrundrechtlich geschützten unternehmerischen Freiheit (Art 16 GRC) muss daher unter Zuhilfenahme des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes möglichst schonend erfolgen. Demnach ist eine Unmöglichkeit der Rückkehr auf den früheren Arbeitsplatz grundsätzlich dann anzunehmen, wenn dieser aufgrund von tatsächlichen Veränderungen (Betriebsstillegungen, Umstrukturierungen) nicht mehr existiert. Kommt es im Zuge der Rückkehrfrage zu einer Konkurrenz mit anderen AN, ist eine Auswahl anhand der Wertungen des § 5 Abs 1 RV zu treffen, wonach die Inanspruchnahme eines Elternurlaubs zu keiner Schlechterstellung führen darf. So kann ein durch die elternurlaubsbedingte Abwesenheit eingetretener oder zumindest befürchteter verminderter Kenntnisstand allein keine Unmöglichkeit begründen. Ist der konkurrierende AN unabhängig von der elternurlaubsbedingten Abwesenheit besser geeignet, ist im Rahmen des Rückkehrrechts allerdings Unmöglichkeit anzunehmen.

Im Fall der Unmöglichkeit der Rückkehr auf den früheren Arbeitsplatz ist eine gleichwertige – und nur für den Fall, dass auch dies unmöglich ist, eine ähnliche – Arbeit zuzuweisen. Bei beiden Alternativen ist vor allem auf die Grenzen des Arbeitsvertrags und den Schutzzweck des § 5 Abs 4 RV (Benachteiligungsschutz) zu achten, wobei dann aber im Einzelfall auch eine geringwertige Arbeit zugewiesen werden kann. Zurecht macht der Autor in der Folge darauf aufmerksam, dass es für die Effektivität des Rückkehrrechts wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen braucht, weshalb finanzielle Kompensationen vorzusehen sind, die vom Eintritt eines materiellen Schadens unabhängig sein müssen.

An diese Ausführungen schließt sich die – auch für Österreich grundsätzlich zutreffende – Feststellung, dass im nationalen Recht keine explizite Umsetzung des derzeit unionsrechtlich vorgesehenen Rückkehrrechts nach Elternurlaub erfolgt ist (in Österreich ist bloß für Beamte und Vertragsbedienstete ein Rückkehrrecht nach Karenz gesetzlich geregelt; vgl § 75b BDG bzw § 29d VBG). Vielmehr wird das Rückkehrrecht sowohl in Deutschland als auch in Österreich anhand allgemeiner arbeitsrechtlicher Grundsätze beurteilt. Hier wird vor allem auf die im Arbeitsvertrag vereinbarten Tätigkeiten und das damit in Verbindung stehende Weisungsrecht des AG abgestellt. Ob diese Vorgehensweise eine richtlinienkonforme Interpretation darstellt, bezweifelt für die österreichische Rsp schon Vinzenz (ZAS 2019, 176) und kommt ebenso wie Kiesow zum Ergebnis, dass selbst bei festgestellter Unionsrechtswidrigkeit aufgrund der grundsätzlich abgelehnten horizontalen Anwendbarkeit von Richtlinien kein unter Privaten durchsetzbarer Anspruch auf Weiterbeschäftigung am früheren Arbeitsplatz besteht. Da aber § 5 Abs 1 RV eine Konkretisierung des Art 33 GRC darstellt, könnte unter Verweis auf die Rsp des EuGH zur früheren österreichischen Karfreitagsregelung (EuGH 22.1.2019, C-193/17) eine unmittelbare Drittwirkung des Rückkehrrechts auch unter Privaten argumentiert werden (idS auch Vinzenz, ZAS 2019, 176 f). Kiesow verneint dies allerdings überzeugend, da Art 33 GRC nur die Inanspruchnahme eines Elternurlaubs regelt und seinen Schutz auf damit in Zusammenhang stehende Benachteiligungen beschränkt. Ein Rückkehrrecht formuliert Art 33 GRC nicht, weshalb diesem keine unmittelbare Wirkung unter Privaten zukommen kann.

Im vierten Kapitel widmet sich der Autor § 6 Abs 1 RV, wonach flankierend zum Rückkehrrecht im Anschluss an einen Elternurlaub zeitlich befristete Arbeitsarrangements beantragt werden können, mit deren Hilfe etwa im Wege von Anpassungen hinsichtlich der Dauer und/oder Lage der Arbeitszeit die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglicht wird. Nach einem Vergleich der unionsrechtlichen Vorgaben mit den in Deutschland anzutreffenden Ansprüchen kommt Kiesow – unter Nennung gegenläufiger Rechtsansichten – zum Ergebnis, dass die deutsche Elternteilzeit keine ausreichende Umsetzung des § 6 Abs 1 RV darstellt, da der Anspruch auf Elternteilzeit auf Zeiträume der Elternzeit beschränkt ist und demnach genau dort endet, wo die Arbeitsarrangements laut RV ansetzen. SE stellt die deutsche Elternteilzeit vielmehr eine der nach § 3 Abs 1 lit a RV zulässigen Varianten des Elternurlaubs dar, da es nach dieser Norm den Mitgliedstaaten freisteht, den Elternurlaub als Vollzeit- oder Teilzeiturlaub zu gewähren.

Wirft man einen Blick auf die österreichische Elternteilzeit, so zeigt sich, dass diese für einen über die Gewährung einer Karenz hinausgehenden Zeitraum beansprucht werden kann. Auch aufgrund der vorgesehenen Verfahrensbestimmungen, der gerichtlichen Durchsetzbarkeit und des geltenden Kündigungsschutzes scheinen daher die Regelungen zur Elternteilzeit nach dem österreichischen MSchG bzw VKG den Anforderungen des § 6 Abs 1 RV zu entsprechen, weshalb für Österreich mE kein weiterer Umsetzungsbedarf angenommen werden muss. Dies auch unter Berücksichtigung anderer (auch gerichtlich durchsetzbarer) AN-Ansprüche auf Pflege-, 74 Betreuungs- und Begleitungsfreistellung (vgl § 16 UrlG) sowie Familienhospizkarenzzeiten (§§ 14a f AVRAG). Denn auch, wenn diese Arbeitsarrangements zum Teil (vgl Familienhospizkarenzen) mit dem AG vereinbart werden müssen, besteht die Möglichkeit der klagsweisen Durchsetzung des jeweiligen Anspruchs, sollte keine Vereinbarung zustande kommen.

Am Ende des Buches runden 21 Schlussthesen sowie ein umfangreiches Literaturverzeichnis den positiven Eindruck des klar formulierten und überaus informativen Werks Kiesows ab.