RudnikDie Gesetzesumgehung in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts – Vom Sachgrunderfordernis zum Rechtsmissbrauchsverbot
Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2018, 374 Seiten, € 99,90
RudnikDie Gesetzesumgehung in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts – Vom Sachgrunderfordernis zum Rechtsmissbrauchsverbot
Das Buch – als Doktorschrift unter Betreuung von Christiane Broers (Universität Oldenburg) entstanden – nimmt sich eines großen Themas an: der Gesetzesumgehung. Diese Rechtsfigur im Dienste gerechterer Verträge hat im Arbeitsrecht eine weite Verbreitung. Hierauf wurde bekanntlich zurückgegriffen – nicht nur bei betriebsbedingten Kündigungen in der Kontrolle der Unternehmerentscheidung, sondern auch bei Befristungen von Arbeitsverträgen und insb von arbeitsvertraglichen Vereinbarungen, wie beim Widerrufsvorbehalt, bei Anwesenheitsprämien und bei der Rückzahlung von Ausbildungskosten und Weihnachtsgratifikationen. Das Bundesarbeitsgericht macht also recht häufig Gebrauch von diesem Kontrollmechanismus, dessen Verortung zwischen Gesetzesauslegung und Analogie bis heute nicht so recht geglückt ist.
Andere Rechtsordnungen kommen ganz ohne sie aus (wie zB das common law), in wieder anderen hat sie eine sehr viel größere Bedeutung und einen sehr viel weiteren Anwendungsbereich, wie die fraude à la loi in Frankreich. Das Verbot der Gesetzesumgehung greift ein, wenn – so eine geläufige Definition – der Zweck einer zwingenden Rechtsnorm dadurch vereitelt wird, dass andere rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten missbräuchlich verwendet werden, ohne dass es dafür einer Umgehungsabsicht oder eine bewusste Missachtung des zwingenden Rechtssatzes bedarf (siehe zuletzt etwa BAG vom 15.11.2018, 6 AZR 522/17). Entscheidend sind damit der Zweck des Gesetzes und die Missbräuchlichkeit des Handelns oder der Vereinbarung. Die Feststellung beider ist oft schwierig. Wie weit ist der Zweck des Gesetzes zu ziehen, wo liegt legitime Tatbestandsvermeidung und wo missbräuchliche Gesetzesumgehung vor? Wo richtet sich das Gesetz allein gegen einen bestimmten Weg, nicht aber gegen ein bestimmtes Ergebnis?
Tanja Rudnik widmet sich eben diesen Fragen – und sie tut es sachkundig und klug, ausgewogen und was sie schreibt, ist mit großem Gewinn zu lesen. Das Buch dürfte künftig das zentrale Referenzwerk in diesem Bereich sein.
Sie nähert sich dabei den Antworten auf die den Arbeitsrechtler interessierenden Fragen in kreisenden Bewegungen. Am Anfang steht eine Darstellung der Gesetzesumgehung insgesamt. Wer mit dem Thema vertraut ist, dem wird hier vieles bekannt vorkommen, und vielleicht ist es für den Arbeitsrechtler auch nicht jede Kurve wert, die sie fährt, nachzufahren. Als dogmatischen Auftakt für den weiteren Gang der Arbeit bildet dies jedoch eine solide Grundlage, auf die die Verfasserin immer wieder zurückkommt. Wichtig sind dann bereits die Weichenstellungen in den folgenden Kapiteln. Detailliert und kenntnisreich werden der Unterschied zwischen institutionellem und individuellem Rechtsmissbrauch sowie das Verhältnis von Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch herausgearbeitet – Unterscheidungen, die in der Rsp nicht nur des Bundesarbeitsgerichts oftmals untergehen.
So dauert es dann knapp über 100 Seiten, bevor das Tor zum eigentlichen Arbeitsrecht geöffnet wird. Der Tatbestand der objektiven Gesetzesumgehung in der Rsp des Bundesarbeitsgerichts wird feingliedrig analysiert. Doch es bleibt nicht bei einer Ordnung des Vorhandenen und Sichtung des Gegebenen, sondern es geht sogleich über in eine Bewertung der Konsistenz der so herausgearbeiteten Entscheidungslinien. Gerade im vergleichenden Pendelblick zur Gesetzesumgehung, zum Rechtsmissbrauch in der Rsp anderer Obergerichte werden die Defizite in den Lösungswegen des Bundesarbeitsgerichts offenbart. Den Ergebnissen der Verfasserin möchte ich dabei uneingeschränkt zustimmen. Insb die von ihr sehr kritisch beleuchtete Kernbereichslehre würde ich im Ergebnis wie in der Herleitung ablehnen. Es ist schlechterdings nicht möglich, objektive Maßstäbe für den Kern und für die Schale einer Klausel zu entwickeln und gerade am Beispiel der Nullstundenverträge zeigt sie, wie wenig diese Rsp zur Lösung der praktischen Fälle beitragen kann. Das Festhalten an der Kernbereichslehre ist vielmehr pfadabhängig: Es gab sie schon, bevor es die AGB-Kontrolle im BGB gab und sie war so nicht mehr als ein Hilfskonstrukt, was heute entbehrlich ist.
Gefallen haben mir insb auch die Auswirkungen zur Entschädigungsklage nach § 15 Abs 2 AGG. Was die Verfasserin hier schreibt, ist wie en miniature als Skizze mit Gewinn für sich selbst zu lesen. Die durch sie in einer sorgfältigen Einordnung vorgefundene zweistufige Lösung könnte die maßgeblichen Hinweise auch für die zukünftige Praxis geben. So möchte ich mich dann auch dem Schlusspetitum der Verfasserin anschließen, die einen Handlungsbedarf für die zukünftige Entwicklung sieht: mehr Transparenz in der Herleitung der Ergebnisse und der genutzten Methoden. Die Unschärfe, die in einer kontinuierlich fortentwickelnden Rsp liegt, kann durch den Gesetzgeber in wichtigen Tatbeständen der Umgehung (sie nennt § 613 Abs 4 BGB) vermieden werden, andere Fälle kommen hinzu. Insb im Bereich der Kettenbefristung aufgrund von immer wieder einsetzendem Vertretungsbedarf sollte der Gesetzgeber deutlich machen: Dauervertretungsbedarf ist kein Befristungsgrund!
Insgesamt ist es eine Arbeit, die mich beeindruckt hat und von der ich sicher bin, dass sie Maßstäbe in der weiteren Diskussion setzen wird. 75