Becker/Dörre/Reif-Spirek (Hrsg)Arbeiterbewegung von rechts? Ungleichheit – Verteilungskämpfe – populistische Revolte

Campus Verlag, Frankfurt/New York 2018, 359 Seiten, kartoniert, € 24,95

KLAUSFIRLEI (SALZBURG)

Das Buch thematisiert und analysiert die Erfolge rechtspopulistischer Parteien, Bewegungen und Aktionen im Bereich der „Arbeiterbewegung“. Besonders bei schlecht qualifizierten ArbeiterInnen ist der rechtsradikale Populismus, bekanntlich auch in Österreich und Deutschland, zu einer dominierenden Kraft geworden. Es stellen sich dazu viele Fragen: Was sind die Ursachen? Was haben diese Tendenzen mit dem „neuen“ Kapitalismus zu tun, der soziale Errungenschaften radikal in Frage stellt? Wie kann man diesen Entwicklungen wirksam begegnen?

Der Sammelband beruht auf der Tagung „Arbeiterbewegungen von rechts“, die von der DFG-KollegforscherInnengruppe „Postwachstumsgesellschaften“ im Juni 2017 gemeinsam mit der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen durchgeführt wurde.

Das Buch will die neuen Momente des (Rechts-)Populismus auf der gesellschaftlichen Ebene erfassen und deren Ursachen nachgehen. Den HerausgeberInnen ist klar, dass diese Fragen höchst unterschiedlich beantwortet werden, etwa die, ob der Rechtspopulismus nicht doch eher vom Bürgertum oder von Mittelschichten getragen wird, ob soziale Deklassierung und Deprivation ausschlaggebend sind oder ob es primär um Besitzstandswahrung bzw um so etwas wie Wohlstandschauvinismus geht. Ein Diskussionsschwerpunkt ist, welchen Beitrag die Gewerkschaften und demokratische Parteien leisten können, um dem Aufstieg der Neuen Rechten entgegen zu wirken.

Die Antworten in diesem Band fallen unterschiedlich und kontrovers aus. Eine einheitliche Linie oder einheitliche Schlussfolgerungen sind nicht zu erkennen. Das Buch verzichtet daher auch darauf, sich um eine einheitliche Rechtspopulismus-Definition zu bemühen.

Eine bedeutsame Rolle spielt die These des französischen Soziologen Robert Castel, der hinsichtlich des Aufstiegs des front national als Hauptursache die Prekarisierung der Arbeitsgesellschaft diagnostizierte und der auch Statutskonkurrenzen abstiegsbedrohter Gruppen, die mit den Mitteln des Ressentiments ausgetragen werden, beschreibt. Der neue Rechtspopulismus versuche damit, soziale Fragen als nationale Frage zu thematisieren und sich auf diese Weise gegen die herrschenden politischen Eliten zu wenden. Das Buch nimmt auch Repräsentationsdefizite des politischen Systems in den Blick. Nicht übersehen wird auch, dass der Rechtspopulismus neben seiner Globalisierungs- und EU-Kritik starke kapitalismuskritische Elemente enthält.

Als in hohem Maße diskussionswürdig wird die autobiographische Studie von Didier Eribon angesehen, vor allem, da er ua kritisiert, dass es heute an angemessenen Interpretationen der sozialen Frage durch die bisherigen „klassischen“ Repräsentanten der AN fehlt. Eribon behauptet eine Mitverantwortung der sozialdemokratischen und sozialistischen Linken am Aufstieg des Rechtspopulismus. Er stellt fest, dass die Idee der Unterdrückung, iS einer strukturierenden Polarität zwischen Herrschenden und Beherrschten, aus dem Diskurs der Linken verschwunden ist. Eribon sieht daher die Wahl des front national durch ArbeiterInnen als eine Art politischer Notwehr an.

Teil I des Buches ist den Fragen gewidmet, was Populismus ist, was ihn rechts macht und warum er für die Arbeiterschaft attraktiv ist. Diskutiert werden als Ursachen zB Gerechtigkeitsprobleme, Rassismus, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und die bekannten paranoiden Haltungen zu Flucht und Migration. Teil II enthält Studien, die sich mit völkisch populistischen Orientierungen in der Arbeitswelt und der diesbezüglichen Rolle von Gewerkschaften befassen. In Teil III werden Befunde aus europäischen Ländern präsentiert, konkret die rechtspopulistischen bzw rechtsextremen Formationen in Österreich, Polen und Portugal. Dadurch werden Einblicke über die politischen, sozialen und kulturellen Kontextbedingungen des Rechtspopulismus ermöglicht. Im Teil IV wird die oben angesprochene Kontroverse um Klassen- versus Identitätspolitik nochmals aufgenommen.

Angesichts der Vielzahl und Heterogenität der (insgesamt 21!) Beiträge kann hier nicht auf Einzelheiten, ja nicht einmal auf alle angesprochenen Themen eingegangen werden. Drei kurze Anmerkungen seien dennoch gestattet:

Zur österreichischen Situation findet sich ein Beitrag von Flecker/Altreiter/Schindler zum spannenden Thema „Erfolg des Rechtspopulismus durch exkludierende Solidarität? Das Beispiel Österreichs“. Festgestellt wird, dass in den 1990er-Jahren die extremen Rechte die soziale Frage für sich entdeckt und sich als „soziale Heimatpartei“ profiliert hat. Die nationale Präferenz für Sozialleistungen steht für ein Konzept einer exkludierenden Solidarität, einer Art Wohlfahrtschauvinismus. Folgerichtig soll Zuwanderung überhaupt gestoppt werden und Rückführungen von MigrantInnen sollen für eine sozialpolitisch-ethnische Reinheit sorgen. Damit ist diese „Solidaritäts“-Konzeption maßgeblich völkisch geprägt. Durch eine solche Sozialpolitik soll 77 die deutsche Volks-, Sozial- und Kulturgemeinschaft gestärkt werden. Das ist nicht mehr nur rechtspopulistisch, sondern rechtsextrem. In Wahrheit aber, so die These des Beitrags, werde unter dem Deckmantel der völkischen Solidarität die Entsolidarisierung der Gesellschaft durch Angriffe auf das „soziale Eigentum“ der BürgerInnen vorangetrieben.

Ein zweiter Beitrag soll kurz hervorgehoben werden, in dem es um das umstrittene und heftig diskutierte Thema „Identitätspolitik oder Klassenkampf. Über eine falsche Alternative in Zeiten des Rechtspopulismus“ geht, verfasst von Silke van Dyk und Stefanie Graefe. In diesem lesenswerten Beitrag geht es um die These, ob die Hinwendung von AN zum Rechtspopulismus als „Notwehr“ gegen den Neoliberalismus (wie etwa von Eribon) gedeutet werden kann. Die Autorinnen monieren, dass in der diesbezüglichen Diskussion wichtige Sachverhalte und Problemlagen nicht zur Geltung kommen. Es sollte nicht übersehen werden, dass der Rechtspopulismus gerade deswegen erfolgreich ist, weil er klassenübergreifend mobilisiert, also auch zB etablierte Selbständige und Beamtenmilieus erfasst. Auch die These, dass sich die (politische) Linke vorwiegend „Minderheitenthemen“ zugewendet hat und damit die unteren und kleinbürgerlichen Milieus vernachlässigt, wird kritisch-differenziert abgehandelt. Dass die politischen Anliegen der Linken aus dieser Perspektive dem Lebensstil und den Vorlieben Privilegierter entsprechen, kann in dieser vereinfachten Form nicht nachvollzogen werden. Die Verfasserinnen weisen die These zurück, dass die „Unterschichten“ quasi strukturell gesellschaftspolitisch reaktionär sind. Auch die These „Wer rechts wählt, will eigentlich soziale Gerechtigkeit“ wird kritisch beleuchtet. Der heute geläufigen Kritik an einer „identitätspolitisch“ orientierten Linken kann der Beitrag also wenig abgewinnen. Die Verfasserinnen meinen, dass Identitätspolitik nur teilweise als neoliberal verstanden werden kann. Ihr Fazit? Die Linke muss vor allem vermeiden, sich für eine der beiden Seiten – Kosmopolitismus versus soziale Frage – zu entscheiden.

Das Buch ist zu empfehlen. Es handelt sich um anregende Beiträge, die dazu motivieren, die in Zusammenhang mit dem Thema stehenden Fragestellungen vertieft zu diskutieren. Es ist kein Nachteil, dass die Befunde und Schlussfolgerungen konträr und heterogen sind. Das Thema ist nicht einfach, gerade für die Arbeiterbewegung, in der ein struktureller Hang zu so etwas wie einem „sozialen Nationalismus“ und zu regressiven Abschottungen und Besitzstandswahrung schlummert. Rechts- und Linkspopulismus sind oft nur schwer zu unterscheiden. Die Forderung nach einem linken Populismus gewinnt derzeit politisch an Boden.

Für Österreich ist der Gewinn für den Leser besonders hoch, ist doch die Debatte im Bereich der Linken, der „alternativen“ Kräfte und der Gewerkschaften überaus oberflächlich. Der Band liefert gute Argumente dafür, dass es sich dabei ganz offensichtlich nicht um ein Problem handelt, das sich lediglich auf eine gegnerische politische Bewegung bezieht, sondern dass es sich auch um ein internes Problem der „Arbeiterbewegung“ handelt.