ReuterDer Betriebsrat als Mandant im Rahmen des § 111 BetrVG

Nomos Verlag, Baden-Baden 2018, 308 Seiten, kartoniert, € 82,–

THOMASMATHY (LINZ)

Mit dem vorliegenden Werk, welches auf ihrer im Wintersemester 2017/18 approbierten Dissertation beruht, führt Iris Reuter den Fragenkreis rund um den Anspruch des BR auf Beiziehung eines Beraters bei Betriebsänderungen einer eingehenden Untersuchung zu. Für den Schwerpunkt der Arbeit – die Bestimmung der Reichweite der Rechtsfähigkeit des BR und die daran anknüpfenden haftungsrechtlichen Fragen – bildet § 111 Satz 2 BetrVG allerdings bloß den Ausgangspunkt der dogmatischen Auseinandersetzung. Dies ist freilich insofern nicht überraschend, als gerade diese Thematik seit der E des Bundesgerichtshofes (BGH) 82 vom 25.10.2012, III ZR 266/11 im Schrifttum kontrovers diskutiert wird. Die Kernaussagen des BGH lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Da das Bestehen eines Kostenerstattungs- bzw Freistellungsanspruchs des BR gegenüber dem AG gem § 40 Abs 1 BetrVG vom Bestehen einer Verpflichtung gegenüber einem externen Gläubiger abhängt, könne auf eine entsprechende Rechtsfähigkeit des BR im Außenverhältnis geschlossen werden. Bei einer Überschreitung der Grenzen der Rechtsfähigkeit komme eine verschuldensunabhängige Haftung des als Vertreter gegenüber dem Berater auftretenden Betriebsratsmitgliedes (idR des Betriebsratsvorsitzenden) analog § 179 BGB in Betracht. Bevor auf einige der zentralen Thesen des Werkes eingegangen wird, soll zum besseren Verständnis der Problematik zunächst die Entstehungsgeschichte des § 111 Satz 2 BetrVG kurz umrissen werden:

Der Gesetzgeber des Betriebsverfassungs-Reformgesetzes 2001 hat erkannt, dass der BR zur Ausübung seiner Betriebsänderungen betreffenden Befugnisse im Zeitalter der Globalisierung und Digitalisierung vielfach auf externes Know-How angewiesen ist (BT-Drs 14/5741, 51). Zwar hat § 80 Abs 3 BetrVG seit jeher den Anspruch des BR vorgesehen, externe Sachverständige auf Kosten des AG (§ 40 Abs 1 BetrVG) beizuziehen; dieses Recht ist jedoch von einer vorherigen Vereinbarung mit dem AG abhängig. Genau diese Voraussetzung wurde jedoch vom Gesetzgeber in Bezug auf Betriebsänderungen als untragbar angesehen: Damit das erforderliche Know-How dem BR „schnellstmöglich“ zur Verfügung steht, soll dieser (in Unternehmen mit mehr als 300 AN) einen Berater bei Betriebsänderungen gem § 111 BetrVG ohne vorherige Vereinbarung mit dem AG hinzuziehen können (BT-Drs 14/5741, 51 f). Vor dem Hintergrund dieser unmissverständlichen gesetzgeberischen Intention erscheint es befremdlich, dass vom „Privileg des Alleingangs“ in der Praxis kaum je Gebrauch gemacht wird (Jaeger/Steinbrück, Persönliche Haftung von Betriebsratsmitgliedern für Beraterhonorare? NZA 2013, 401 [404 f]).

Verständlich wird dies erst, wenn man die restriktive Handhabung des § 111 Satz 2 BetrVG durch die hA berücksichtigt. Werden die Grenzen der Rechtsfähigkeit des BR überschritten, birgt dies nämlich sowohl für Betriebsratsmitglieder als auch für Berater Gefahren: Erstere müssen fürchten mit ihrem privaten Vermögen analog § 179 Abs 1 oder Abs 2 BGB zu haften, wenn sie als Vertreter gegenüber dem Berater aufgetreten sind. Zweitere müssen fürchten, „leer“ auszugehen, wenn ihnen die Überschreitung der Grenzen der Rechtsfähigkeit bekannt war oder doch bekannt sein musste (vgl § 179 Abs 3 BGB). Das stellt freilich alles andere als einen Anreiz dar, ohne vorherige Zusicherung der Kostentragung durch den AG tätig zu werden.

In ihrer Untersuchung setzt Reuter bei den Grundlagen an: Mit der hA zum BetrVG qualifiziert sie den BR als Träger der betriebsverfassungsrechtlichen Rechte und Pflichten. Dem BR kommt jedoch keine umfassende Rechtsfähigkeit, insb keine umfassende Vermögensfähigkeit, zu. Der Umfang der (Teil-)Rechtsfähigkeit des BR ergibt sich aus den einzelnen Rechtssätzen, welche den BR als Zurechnungsendpunkt von Rechten bzw Pflichten vorsehen. Die Autorin unterscheidet hinsichtlich der Teilrechtsfähigkeit des BR in Bezug auf vermögensrechtliche Rechte und Pflichten terminologisch zwischen Teilvermögensrechtsfähigkeit und Teilvermögenspflichtfähigkeit. Diese Unterscheidung ist dem Grunde nach sicherlich berechtigt, deren Handhabung bereitet jedoch selbst der Autorin mitunter Schwierigkeiten (vgl S 95): Aus § 111 Satz 2 BetrVG folgt nämlich nicht nur eine Teilvermögenspflichtfähigkeit (arg: Honoraranspruch des Beraters), sondern eben auch eine Teilvermögensrechtsfähigkeit (arg: Anspruch auf die Beratungsleistung). Es ist dies jedoch bloß eine kleine Unpräzision, die für die weitere Arbeit ohne nennenswerte Bedeutung ist.

Worin Reuter jedenfalls beigepflichtet werden muss, ist, dass sich aus § 40 Abs 1 BetrVG zwar eine Teilvermögensrechtsfähigkeit des BR, jedoch keine vermögensrechtliche Verpflichtungsfähigkeit ergibt (S 115 f). Die gegenteilige Auffassung des BGH erweist sich als nicht zwingend und kommt einem Zirkelschluss bedenklich nahe (vgl Uffmann, Anm 2 zu AP BetrVG 1972 § 40 Nr 110; Schmitt, Die Haftung betriebsverfassungsrechtlicher Gremien und ihrer Mitglieder [2017] 176 f, 183). Die Vermögensfähigkeit in Bezug auf Beraterverträge folgt vielmehr aus § 111 Satz 2 BetrVG. Damit stellt sich die Frage, ob zwischen der durch § 40 Abs 1 BetrVG vermittelten Vermögensrechtsfähigkeit und der durch § 111 Satz 2 BetrVG vermittelten Vermögenspflichtfähigkeit ein Zusammenhang besteht. Die zentrale These Reuters liegt nun darin, dass zwischen diesen eine akzessorische Verbindung besteht, welche sich aus der Verpflichtung des AG ergibt, die aus der Betriebsverfassung resultierenden Kosten zu tragen (S 117 ff): „Der Betriebsrat ist zur Vornahme kostenpflichtiger Rechtsgeschäfte nur insoweit ermächtigt, als der Arbeitgeber zur Kostentragung verpflichtet ist. Jenseits dieser Grenze besteht keine Ermächtigung zu rechtsgeschäftlichem Handeln; ist der Betriebsrat nicht rechtsfähig.“

Hinsichtlich der Prämisse, die gesetzliche Verpflichtung des AG zur Kostentragung begrenzt die mögliche betriebsverfassungsrechtliche Betätigung, sind jedoch Vorbehalte angebracht; dies selbst dann, wenn man nicht als solches in Frage stellt, dass das BetrVG vom Bestreben getragen ist, eine „Finanzierungslücke“ (zB die Verpflichtung gegenüber dem Berater übersteigt den Freistellungsanspruch gegenüber dem AG) hintanzuhalten (so etwa Schmitt, Haftung 183 ff): Reuter referiert die hA, nach der die Kostentragungspflicht des AG durch die Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit unter Zubilligung eines ex ante-Beurteilungsspielraums festgelegt wird (S 97 ff). Ein „Alles oder Nichts“ in Bezug auf die mögliche betriebsverfassungsrechtliche Betätigung wird man daraus jedoch nicht ableiten können. Instruktiv erscheint in diesem Zusammenhang die Verpflichtung des AG, dem BR die erforderlichen Sachmittel zur Verfügung zu stellen (§ 40 Abs 2 BetrVG). Dabei handelt es sich um einen Mindest anspruch des BR; zwischen diesem Mindestausmaß an Ausstattung und einer unzulässigen Begünstigung (§ 78 Satz 2 BetrVG) liegt ein Bereich, in dem es im Ermessen des AG steht, ob Ausstattung gewährt wird, die zwar nicht erforderlich, wohl aber „nützlich“ ist (vgl Bayreuter, Sach- und Personalausstattung des Betriebsrats, NZA 2013, 758 ff).

Gleiches wird man jedoch allgemein für die Kostentragungspflicht des AG anzunehmen haben: Was spräche auch dagegen, dass der AG den BR über die erforderliche Beratung hinaus auch die nützliche Beratung ermöglicht? Damit entsteht 83 jedoch ein Bereich, in dem nach dem Konzept Reuters die Rechtsfähigkeit des BR im Ermessen des AG liegt. Dies zeitigt wiederum Auswirkungen in Bezug auf eine Haftung analog § 179 BGB: So lehnt die Autorin eine analoge Anwendung des § 179 BGB ab, wenn der Betriebsratsvorsitzende auf der Grundlage eines wegen Überschreitens der Rechtsfähigkeit des BR nichtigen Beschlusses handelt. Der Betriebsratsvorsitzende könne die Reichweite der Kostentragungspflicht des AG nicht besser einschätzen als der Berater, weshalb die ratio legis des § 179 BGB nicht einschlägig sei (S 167). Es stellt sich jedoch die Frage, ob sich diese Ansicht (vollumfänglich) aufrechterhalten lässt, wenn die Rechtsfähigkeit des BR in einem Teilbereich von der Entscheidung des AG abhängig ist.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass es Reuter gelungen ist, das dogmatisch nicht überzeugende Ergebnis des BGH zur Rechtsfähigkeit des BR durch Einfügung eines gedanklichen „Zwischenschrittes“ zu untermauern. Der von ihr gewählte Ansatz bedarf jedoch zumindest in Randbereichen noch weiterführender Überlegungen.