Schröder/Urban (Hrsg)Gute Arbeit. Transformation der Arbeit – Ein Blick zurück nach vorn
Bund Verlag, Frankfurt am Main 2019, 349 Seiten, gebunden, € 39,90
Schröder/Urban (Hrsg)Gute Arbeit. Transformation der Arbeit – Ein Blick zurück nach vorn
Die vorliegende Publikation ist das Jahrbuch des „Index Gute Arbeit“ des Deutschen Gewerkschaftsbundes (https://index-gute-arbeit.dgb.de/https://index-gute-arbeit.dgb.de/). Dessen Initiativen für „Gute Arbeit“ fußen in den frühen 2000er-Jahren und stellten einen Kontrapunkt zum damaligen Mainstream der Diskussionen dar, der vom Schlagwort „Hauptsache Arbeit, egal unter welchen Bedingungen“, dominiert war. Dabei „ging [es] stets darum, das Thema Gute Arbeit in die aktuellen gewerkschaftlichen und gesellschaftlichen Debatten zurückzuholen, eine Dialogplattform zu schaffen, die Impulse und Erfahrungen aus Gewerkschaften, Wissenschaften und betrieblicher Praxis aufnimmt und zugleich mit Blick auf die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen Probleme und Aufgaben guter Arbeitsgestaltung analysiert und den Gewerkschaften strategische Angebote unterbreitet“
(Müller/Pickshaus/Reusch/Schröder/Urban, 15 f).
Das Buch beinhaltet 22 Beiträge namhafter AutorInnen und gliedert sich in vier thematische Abschnitte:
Transformation der Arbeit
Arbeitspolitische Perspektiven für Gute Arbeit
Bilanz und Ausblick
Gute Arbeit: Aufgaben und Konflikte.
Komplettiert wird es durch einen umfänglichen Anhang mit (statistischen) Daten zu den Themenfeldern Arbeitsbedingungen und -verhältnisse, Psyche und Arbeit sowie Arbeit und Gesundheit (vgl Reusch/Lenhardt/Kuhn/Moritz).
Im Zentrum des Jahrbuchs steht die Transformation der Arbeitswelt in Deutschland in den vergangenen 20 Jahren. Dabei geht es nicht nur darum, Formen, Ausprägungen und Treiber dieser Transformation in der Industriearbeit (vgl Hofmann) und im Bereich der Dienstleistungsarbeit (vgl Bsirske) zu beschreiben und zu analysieren (Abschnitt 1). Es geht auch um Fragen danach, welche arbeitspolitischen Perspektiven sich aus dieser Transformation ergeben, wo und wie Ansatzpunkte für solidarisches Handeln in einer fragmentierten Arbeitswelt identifiziert werden können, welche Aufgaben Gute Arbeit zu erfüllen hat und mit welchen Konflikten zu rechnen ist, denn: Die Durchsetzung von Guter Arbeit ist eine Frage gesellschaftspolitischer Machtverhältnisse.
Dementsprechend vielfältig sind die Beiträge des Bandes. Neben einer Würdigung der „Initiative Gute Arbeit“ anlässlich ihres zehnjährigen Bestehens (vgl Schröder; Brandl) werden im Abschnitt 2 diese Themen beleuchtet: Gute Arbeit und Demokratie (vgl Urban), die Automobilindustrie im Umbruch (vgl Jakob) sowie ein besseres Leben durch weniger Arbeit (vgl Dörre).
Im dritten Abschnitt stehen folgende Aspekte von Guter Arbeit im Mittelpunkt: Arbeit und Ökologie (vgl Pickshaus/Waclawczyk), Arbeitszeit und Leistung (vgl Urban/Ehlscheid), digitaler Wandel (vgl Sauerland), menschengerechte Arbeitsgestaltung (vgl Fergen), Gutes agiles Arbeiten (vgl Müller/Wille), körperliche Belastungen (vgl Scherbaum/Tieves-Sander) und Interaktionsarbeit (vgl Böhle/Thorein).
Um Aufgaben- und Konfliktfelder geht es im vierten Abschnitt des Jahrbuchs. Dabei werden die präventive Arbeitsgestaltung (vgl Rothe/Beermann), die notwendige Umsetzung von Tarifabschlüssen in den Betrieben (vgl Zitzelsberger), die Tarifpolitik für ein Gutes Leben (vgl Reuter/Sterkel) sowie eine nachhaltige Personalpolitik in Kindertageseinrichtungen (vgl Klaudy/Stöbe-Blossey/Wegner) beleuchtet.
Als ein roter Faden zieht sich durch das Buch, dass Gute Arbeit nur als „Gute Arbeit für alle“ emanzipatorisch und sozialreformerisch sein kann. „In einer Zeit, in der vor allem die Ungleichheit von Menschen betont wird (Stamm gegen Rand, Alt gegen Jung, Mann gegen Frau, Deutsche gegen Fremde) und (im Gewand der Identität) eine lange unvorstellbare gesellschaftliche Akzeptanz findet, müssen Forderungen nach ‚guter Arbeit‘ universell sein. Es braucht Normen, die Arbeitende verbinden und nicht weiter spalten“
(Mayer-Ahuja 81). Ein Ansatzpunkt für solidarisches Handeln läge demnach im Sachverhalt, dass die Arbeitenden Lohnabhängige und als solche vom Verkauf der eigenen Arbeit abhängig sind. Daraus ergäben sich typische Konflikte für den Großteil der Erwerbstätigen. Gute Arbeit müsse daher für alle Lohnabhängigen – und nicht nur für einige von ihnen – durchgesetzt werden, „notfalls auch gegen Interessen von Wirtschaft und Staat“
. „Gute Arbeit für alle“
sei daher „alles andere als ein harmonisches Konzept“
(aaO 82).
Für universelle Regeln und „Gute Arbeit für alle“ plädiert auch Hofmann in seinem Beitrag über die Transformation der Industriearbeit (vgl 29-35). Angesichts fragmentierter Arbeitsrealitäten, polarisierter Qualifikationsstrukturen, agilen Arbeitens etc könnten sich Gewerkschaften nicht darauf beschränken, lediglich den Wandel „sozialverträglich zu gestalten. Stattdessen müssen wir Einfluss nehmen und selbst darüber entscheiden, wohin der Ball rollt“
(aaO 34). „Zentraler Handlungsort“
für die Mobilisierung von Solidarität und die Durchsetzung von „Guter Arbeit für alle“ sei 84 der Betrieb. Eingebettet ua in „handlungsbereite und auch konfliktfähige“
Mitbestimmungsstrukturen sowie die Beteiligung der Belegschaften (aaO 34 f).
Für den Dienstleistungsbereich habe sich die Agenda 2010 als „Abwertungsagenda“ (Bsirske 37) besonderen Ausmaßes erwiesen, ua geprägt durch Privatisierungen, intensivierten Konkurrenz-, Lohn- und Kostendruck und folglich verschärften Spaltungs- und Polarisierungstendenzen. Gleichzeitig hätte sich der Fokus von sozial- und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen auf das einzelne Individuum verengt. Dieses neue Arbeitsmarktregime hätte nicht nur die Prekarisierung vorangetrieben, sondern „kann auch als Angriff gegen gewerkschaftliche Organisationsmacht und Interessenvertretung angesehen werden“
(Bsirske 39). Mit der Forcierung von „Guter Arbeit“ hätten die Gewerkschaften zwar einen wichtigen Kontrapunkt zu diesen Entwicklungen gesetzt und einige „Kurskorrekturen“
– beispielsweise den gesetzlichen Mindestlohn – erwirkt. „[Z]u einem Kurswechsel ist es jedoch noch ein weiter Weg“
(aaO 42).
Und wie bewerten die Arbeitenden selbst ihre Arbeitsbedingungen? Kondensiert aus drei Befragungen in Betrieben der Metallindustrie und von Dienstleistungsunternehmen zeigt Sauer (vgl 240-251), wie sich der Problemdruck in Folge von marktzentriertem Arbeiten – Stichworte: Vermarktlichung, indirekte Steuerung, Entsicherung, Flexibilisierung und Subjektivierung von Arbeit – deutlich zugespitzt hat: „Krise ist immer“
(aaO 243). Und das auf mehreren Ebenen: im Hinblick auf den Zeit- und Leistungsdruck, das Verhältnis von Arbeit und Privatleben und die – nicht nur in der prekären Arbeit, sondern auch breitflächig in der „Normalarbeit“ – gestiegene Unsicherheit. Dieses „Regime der Unsicherheit“
würde nicht nur Abstiegs- und Zukunftsängste bei den davon Betroffenen erzeugen, sondern auch der traditionellen betrieblichen Mitbestimmungs- und Gestaltungspolitik den Boden entziehen. Darüber hinaus erodiere auch die politische und gewerkschaftliche Gegenmacht: „mit dem klassischen Instrumentarium kann nicht mehr hinreichend auf die Erfahrungen des Abstiegs, der Abwertung, des Kontrollverlusts sowie auf die wachsenden Zukunftsängste der abhängig Beschäftigten reagiert werden“
(Sauer 250): Folglich, so das Fazit, ginge ein „weiter wie bisher“ nicht mehr. Nötig sei vielmehr „ein Systemwandel, ein radikaler Neuansatz, dessen entscheidende Qualität darin besteht, dass er ‚von unten‘ erfolgen muss [...]. Angesichts der Zuspitzung der betrieblichen Probleme wäre eine Neuverständigung über offensive und partizipative Strategieangebote dringend erforderlich“
(Sauer 251 f).
Insgesamt ist das Jahrbuch eine Lektüre, die gleichermaßen lohnt wie nachdenklich stimmt.