Die Heimatbasis des fliegenden Personals im europäischen Arbeits- und Sozialrecht

THOMASMETESCH (WIEN)
Flug- und Kabinenbesatzungen sind schon dem Wesen ihrer Tätigkeit nach räumlich mobil und verrichten diese permanent grenzüberschreitend. In den klassischen Kategorien des europäischen Arbeitsprozess-, Arbeitskollisions- und Sozialrechts, deren Zuordnungsregeln auf leicht quantifizierbare tatsächliche Tätigkeitsschwerpunkte in verschiedenen Staatsgebieten zugeschnitten waren, ließen sie sich – wie auch andere Beschäftigte des Verkehrssektors und Transportgewerbes – nur schwer fassen und gaben so Anlass zu Judikaturentwicklungen, gesetzgeberischen Neuerungen und rechtswissenschaftlicher Debatte. Auf der Suche nach stabilen und möglichst wenig missbrauchsanfälligen Anknüpfungspunkten wurde hierbei auch auf Konzepte aus anderen Rechtsgebieten, konkret des Luftfahrtrechts, zurückgegriffen. Diese Verschränkung und etwaige Auswirkungen auf das europäische Arbeitsprozess- und Arbeitskollisionsrecht werden im Folgenden dargestellt.
  1. Der Begriff der „Heimatbasis“ im unionalen Luftfahrtrecht

    1. Vorbemerkung

    2. Luftfahrtrechtliche Definition der Heimatbasis

  2. Die Heimatbasis im unionalen Arbeitsprozess- und Arbeitskollisionsrecht

    1. Vorbemerkung

    2. Kollisionsrechtliche Heimatbasis als „gewöhnlicher Arbeitsort“ iSd EuGVVO und Rom I-VO

  3. Die Heimatbasis im unionalen Sozialrecht

    1. Vorbemerkung zur Koordinierungs-VO

    2. Flugpersonal-Sonderregelung der Koordinierungs-VO

    3. Mehrere Heimatbasen?

  4. Fazit

1.
Der Begriff der „Heimatbasis“ im unionalen Luftfahrtrecht
1.1.
Vorbemerkung

Im Laufe dieses Beitrags wird gezeigt werden, dass die Heimatbasis den Schlüsselbegriff zur Einordnung des Flugpersonals in das europäische Arbeitsund Sozialrecht darstellt; eine Definition sucht man in diesen Materien jedoch vergebens. Vielmehr wird in unterschiedlicher Weise – von bloßer Bezugnahme als Indiz (Prozess- und Kollisionsrecht) bis hin zu unmittelbarer Anknüpfung (Sozialrecht) – das luftfahrtrechtliche Konzept der „Heimatbasis“ und damit eine Materie herangezogen, deren Regelungsziele sich nicht mit den arbeits- und sozialrechtlichen decken. Aufgrund dieser Bezugnahmen scheint es geboten, die luftfahrtrechtliche Definition der „Heimatbasis“ und ihre Rechtsgrundlagen eingangs in Kürze darzustellen.

1.2.
Luftfahrtrechtliche Definition der Heimatbasis

Die luftfahrtrechtliche Definition der „Heimatbasis“ findet sich in der Durchführungs-Verordnung (-VO) (EU) 965/2012* („Air Ops Regulation“, in der Praxis oft auch „EASA-OPS“* genannt), die noch auf Basis der VO (EG) 216/2008* erging, und lautet wie folgt: „‚Heimatbasis‘ (home base): der vom Betreiber gegenüber dem Besatzungsmitglied benannte Ort, wo das Besatzungsmitglied normalerweise eine Dienstzeit oder eine Abfolge von Dienstzeiten beginnt und beendet und wo der Betreiber normalerweise nicht für die Unterbringung des betreffenden Besatzungsmitglieds verantwortlich ist.“*Der EuGH hat bereits darauf hingewiesen, dass die „Heimatbasis“ 26 in diesem Sinn weder „beliebig“ – sondern nach oben genannten Kriterien – noch von AN-Seite bestimmt wird, sondern eben vom Luftfahrtunternehmer für jedes Besatzungsmitglied.*

Die VO (EU) 965/2012 sieht weiters vor, dass der „Betreiber jedem Besatzungsmitglied eine Heimatbasis zuzuweisen [hat]“* und knüpft an diese Zuweisung Rechtsfolgen wie besondere Mindestruhezeiten.* Der Betreiber hat ua über die zugewiesene Heimatbasis individuelle Aufzeichnungen (iZm mit Dienst-, Flug- und Ruhezeiten) für jedes Besatzungsmitglied zu führen.* Dass die Heimatbasis an einem einzigen Flughafen zu liegen hat, wird auch in den von EASA erlassenen Certification Specifications and Guidance Material for Commercial Air Transport by Aeroplane – Scheduled and Charter Operations („CS-FTL.1“)* explizit klargestellt (arg: „The home base is a single airport location [...].“*). Bei den CS-FTL.1 handelt es sich im Wesentlichen um eine Auslegungshilfe zu den Durchführungsbestimmungen der VO (EU) 965/2012.*

Auch der auf die luftfahrtrechtliche Definition verweisende EU-Sozialrechtsgesetzgeber geht vom Grundsatz aus, dass der Betreiber einem Besatzungsmitglied eine Heimatbasis zu benennen hat (siehe unten, Pkt 3.3.); damit stützt auch eine systematische Zusammenschau der verschiedenen Regelungsregime den Wortlaut der luftfahrtrechtlichen Bestimmung. Die Benennung von mehr als einer Heimatbasis („Doppelstationierung“) ist daher im Ergebnis unzulässig.*

Der Vollständigkeit wegen sei darauf hingewiesen, dass die aktuelle Definition beinahe wortident jener früheren im Anhang III der VO (EWG) 3922/91* – die in den hier relevanten Aspekten von den Durchführungsbestimmungen der VO (EU) 965/2012 als materiell derogiert zu betrachten ist* – entspricht, auf die in hier relevanten Unionsrechtsakten noch verwiesen wird (siehe unten, Pkt 3.2.). Aufgrund der im Wesentlichen gleichlautenden Bestimmungen zur „Heimatbasis“ werfen diese noch nicht aktualisierten Verweise keine Probleme auf. Im Folgenden wird daher – ungeachtet etwaig veralteter Verweise – auf die aktuelle Definition in der VO (EU) 965/2012 Bezug genommen, wenn von der „Heimatbasis“ im luftfahrtrechtlichen Sinn die Rede ist.

2.
Die Heimatbasis im unionalen Arbeitsprozess- und Arbeitskollisionsrecht
2.1.
Vorbemerkung

Weder das europäische Arbeitsprozess- noch das Arbeitskollisionsrecht verweisen unmittelbar auf die luftfahrtrechtliche Definition der „Heimatbasis“. Dennoch ist dieses Konzept auch im Rahmen von EuGVVO* und Rom I-VO* von großer Bedeutung – konkret bei der Prüfung des „gewöhnlichen Arbeitsortes“ des fliegenden Personals, dem wichtigsten Kriterium zur Bestimmung sowohl der internationalen Zuständigkeit der Gerichte als auch des anwendbaren nationalen Rechts in (individual-)arbeitsrechtlichen* Angelegenheiten.*27

Begrifflich wird im Folgenden zwischen luftfahrtrechtlicher (siehe oben, Pkt 1.2.) und kollisionsrechtlicher Heimatbasis unterschieden. Letztere verstanden als „gewöhnlicher Arbeitsort“ iSd EuGVVO und Rom I-VO, an dem die vom EuGH hinsichtlich des Flugpersonals entwickelten Kriterien tatsächlich vorliegen (zu diesen Kriterien siehe unten, Pkt 2.2.). Denn schon aufgrund des sogenannten „faktischen Ansatzes“* kommt es im Rahmen der Prüfung des „gewöhnlichen Arbeitsortes“ weder darauf an, welcher Ort ursprünglich von den Parteien des Arbeitsvertrages als Heimatbasis vereinbart wurde, noch (ausschließlich) darauf, welcher Ort vom AG (im Luftfahrtrecht: „Betreiber“)* als „Heimatbasis“ iSd luftfahrtrechtlichen Vorschriften benannt wurde. Diese Differenzierung ist schon deshalb geboten, weil Divergenzen zwischen kollisionsrechtlicher Heimatbasis und ursprünglich vereinbarter oder luftfahrtrechtlich benannter Heimatbasis nicht gänzlich auszuschließen sind.

2.2.
Kollisionsrechtliche Heimatbasis als „gewöhnlicher Arbeitsort“ iSd EuGVVO und Rom I-VO

Die EuGVVO sieht vor, dass AG ua vor dem Gericht des Ortes geklagt werden können, an dem oder von dem aus AN gewöhnlich ihre Arbeit verrichten oder zuletzt gewöhnlich verrichtet haben (Art 21 Abs 1 lit b sublit i EuGVVO). Dem Kriterium kommt ua deshalb große praktische Bedeutung zu, weil Gerichtsstandsvereinbarungen in Arbeitsverträgen, die nicht bloß den AN zusätzliche Wahlmöglichkeiten einräumen, idR unwirksam sind, weil sie vor Entstehen der konkreten Streitigkeit abgeschlossen wurden (Art 23 EuGVVO).* Ebenso normiert die Rom I-VO im Rahmen der objektiven Anknüpfungsregeln – vorausgesetzt also, es wurde keine Rechtswahl getroffen –,* dass der Arbeitsvertrag primär dem Recht des Staates unterliegt, in dem oder andernfalls von dem aus AN in Erfüllung des Vertrags gewöhnlich ihre Arbeit verrichten (Art 8 Abs 2 Rom I-VO). Da die beiden Verordnungen eine „Funktions- und Auslegungseinheit“* bilden, beziehen sich die folgenden Ausführungen zum Kriterium des „gewöhnlichen Arbeitsortes“ gleichermaßen sowohl auf die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit wie auf die des anwendbaren Arbeitsrechts.

Das Schlüsselelement zur Bestimmung des gewöhnlichen Arbeitsortes des fliegenden Personals liegt in der Formulierung von dem aus AN gewöhnlich ihre Arbeit verrichten“, die nicht zufällig bereits als „Flugbegleiterklausel“* und „base rule“* bezeichnet wurde. Diese Formulierung fand sich zwar in der Altfassung der EuGVVO* noch nicht im Normtext, war in der Neufassung der EuGVVO aber dennoch kein unionsrechtliches Novum. Denn einerseits kodifizierte der europäische Gesetzgeber damit nur die bereits stRsp des EuGH zum Begriff des „gewöhnlichen Arbeitsortes“ im europäischen Prozess- und Kollisionsrecht,* andererseits fand die Anpassung an das weite Verständnis des EuGH vom „gewöhnlichen Arbeitsort“ Jahre zuvor bereits bei der Textierung der Rom I-VO statt.*

Spezifisch das fliegende Personal betreffend blieb dabei das Verhältnis zwischen arbeitsprozess- und kollisionsrechtlicher base ruleund luftfahrtrechtlicher „Heimatbasis“ ungeklärt. Der EuGH hatte in der Rs Noguiera* mittlerweile die Gelegenheit klarzustellen, dass eine unmittelbare Gleichsetzung der Begriffe mangels Bezugnahme der Vorschriften aufeinander sowie aufgrund divergierender Regelungsziele der jeweiligen Sekundärrechtsakte nicht in Betracht käme (Rz 66).* Zur Bestimmung des gewöhnlichen Arbeitsortes blieb der EuGH seiner „indiziengestützten Methode“ (Rz 62, 68) treu, mit der alle Aspekte des Einzelfalls Berücksichtigung finden sollen.

Demnach ist jener Ort der gewöhnliche Arbeitsort, „von dem aus der Arbeitnehmer seine Verkehrsdienste erbringt, an den er danach zurückkehrt, an dem er Anweisungen dazu erhält und seine Arbeit organisiert und an dem sich die Arbeitsmittel befinden“ (Rz 63). Im Luftverkehrssektor ist hierbei auch auf den Ort Bedacht zu nehmen, 28 an dem die Flugzeuge stationiert sind, in denen die Arbeit gewöhnlich verrichtet wird (Rz 64). Die „Staatszugehörigkeit von Flugzeugen“, wo diese also registriert sind, spielt hingegen keine Rolle (Rz 76). Gleichzeitig sprach der EuGH aus, dass der Begriff „Heimatbasis“ iSd luftfahrtrechtlichen Vorschriften „einen Aspekt dar[stellt], der bei der Ermittlung der [...] genannten Indizien eine wichtige Rolle spielen und es unter Umständen wie denen der Ausgangsverfahren ermöglichen kann, den Ort zu bestimmen, von dem aus die Arbeitnehmer gewöhnlich ihre Arbeit verrichten“ (Rz 69). Die (luftfahrtrechtliche) „Heimatbasis“ würde nur dann die Relevanz verlieren, „wenn unter Berücksichtigung aller möglichen tatsächlichen Umstände des jeweiligen Falles Anträge [...] eine engere Verknüpfung mit einem anderen Ort als der ‚Heimatbasis‘ aufwiesen“ (Rz 73).

MaW: Der gewöhnliche Arbeitsort des fliegenden Personals liegt an der nach diesen Kriterien beurteilten tatsächlichen Heimatbasis, wobei der luftfahrtrechtlich vom AG bestimmten „Heimatbasis“ die Rolle als wichtiges Indiz zukommt. Der so in einer Gesamtbetrachtung bestimmte gewöhnliche Arbeitsort ist die Heimatbasis im kollisionsrechtlichen Sinn; diese kann theoretisch sowohl von der ursprünglich vereinbarten Heimatbasis (zB im Falle einer Versetzung, ungeachtet deren arbeitsrechtlicher Beurteilung) als auch von der luftfahrtrechtlich vom AG bestimmten „Heimatbasis“ abweichen (siehe bereits oben, Pkt 2.1.). Mit der indiziengestützten Methode versucht der EuGH explizit, Umgehungskonstruktionen hintanzuhalten (Rz 62).

ME nicht aufrechtzuerhalten ist angesichts der in der zitierten EuGH-Judikatur aufgestellten Kriterien die Ansicht, es müssten an der Heimatbasis auch zusätzliche Bodentätigkeiten (Einchecken, Sicherheitskontrolle) erbracht werden, damit diese als „gewöhnlicher Arbeitsort“ gelten könne.* Diese Auslegung führte dazu, dass die Anwendbarkeit der „Flugbegleiterklausel“ auf PilotInnen umstritten blieb, weil diese am Rückkehrpunkt oft keine Arbeitsleistungen mehr erbringen.* Auf ein derartiges Kriterium nimmt der EuGH in der Rs Nogueira jedoch keinerlei Bezug und vermeidet damit unnötige Differenzierungen innerhalb des fliegenden Personals.

Die kollisionsrechtliche Heimatbasis (der gewöhnliche Arbeitsort) liegt daher zusammengefasst an dem Ort, von dem aus AN ihre Verkehrsdienste erbringen, an densie danach zurückkehren, wo sie ihre Anweisungen erhalten, wo ihre Arbeit organisiert wird, wo sich ihre Arbeitsmittel befinden und wo die Flugzeuge stationiert sind, in denen sie gewöhnlich arbeiten.

Schließlich sei in diesem Zusammenhang angemerkt, dass für die kollisionsrechtliche Ausweichklausel der „engeren Verbindung zu einem anderen Staat“ (Art 8 Abs 4 Rom I-VO) – die anders als der „gewöhnliche Arbeitsort“ keine unmittelbare Entsprechung in der EuGVVO findet – kaum verbleibender Anwendungsspielraum ersichtlich ist. Zunächst ist sie als Ausnahmeregel schon grundsätzlich eng auszulegen, dh die besonderen Umstände, die die engere Verbindung zu einem anderen Staat begründen, müssen den gewöhnlichen Arbeitsort (Heimatbasis) deutlich überwiegen.* Das wird hinsichtlich des fliegenden Personals schon deshalb kaum der Fall sein, weil eines der wichtigsten Kriterien hierfür – das Land, in dem AN der SV und den diversen Renten-, Gesundheits- und Erwerbsunfähigkeitsregelungen angeschlossen sind –* ebenso an die (luftfahrtrechtliche) „Heimatbasis“ anknüpft (siehe unten, Pkt 3.2.). Darüber hinaus berücksichtigt der EuGH eine mögliche „engere Verknüpfung mit einem anderen Ort“ bereits in seiner – wohl gemerkt: zur EuGVVO ergangenen – Rsp zum „gewöhnlichen Arbeitsort“ in der Rs Noguiera (Rz 73), reduziert sie dort mE jedoch auf die Überprüfung dahingehend, ob die luftfahrtrechtlich bestimmte „Heimatbasis“ auch der tatsächlichen Heimatbasis im kollisionsrechtlichen Sinn entspricht. Der beschriebene Gleichklang zwischen EuGVVO und Rom I-VO wird daher auch durch die Ausweichklausel des Art 8 Abs 4 Rom I-VO nicht maßgeblich beeinträchtigt.

3.
Die Heimatbasis im unionalen Sozialrecht
3.1.
Vorbemerkung zur Koordinierungs-VO

Neben den bisher diskutierten (arbeitsrechtlichen) Aspekten stellt sich für Beschäftigte in mobilen und transnationalen Arbeitsverhältnissen regelmäßig die Frage, welcher Staat (sozialrechtlich) für etwaige Leistungen bei Krankheit, Arbeitslosigkeit, Alter, Arbeitsunfällen etc für sie zuständig ist. Im Verhältnis zu den hier relevanten (europäischen) Staaten findet die Koordinierung der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit auf der unionsrechtlichen Ebene statt, konkret in der am 1.5.2010 in Kraft getretenen VO (EG) 883/2004 („Koordinierungs-VO“).* Neben den (bislang noch:) 28 Mitgliedstaaten der EU gilt die Koordinierungs-VO auch im Verhältnis zur Schweiz und den EWR-Staaten Liechtenstein, Norwegen und Island.* Mit 29 der VO (EU) 1231/2010 („Drittstaats-VO“) wurde der persönliche Anwendungsbereich der Koordinierungs-VO ab 1.1.2011 von UnionsbürgerInnen und deren Familienangehörigen auf Drittstaatsangehörige mit rechtmäßigem Aufenthalt* in einem EU-Mitgliedstaat ausgeweitet (mit Ausnahme Dänemarks und Großbritanniens).

Die Koordinierungs-VO folgt dem Grundsatz, dass nur die Rechtsvorschriften eines einzigen Mitgliedstaates anzuwenden sind.* Ziel ist es einerseits zu verhindern, dass eine Person ohne sozialen Schutz bleibt, andererseits sollen das Zusammentreffen von Leistungen mit gleicher Zielrichtung sowie die Belastung mit doppelten Beiträgen vermieden werden.*

Das Leitprinzip zur Bestimmung des zuständigen Staates ist das Beschäftigungslandprinzip (lex loci laboris): Gem Art 11 Abs 3 lit a Koordinierungs-VO unterliegt eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung ausübt, den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats.

In zwei bedeutenden Konstellationen kommt es zu Ausnahmen von diesem Prinzip: Dies erstens bei Entsendungen gem Art 12 Koordinierungs-VO, bei welchen bis zu 24 Monate lang das Sozialversicherungsrecht des Entsendestaates anwendbar bleibt („Ausstrahlungsprinzip“).* Mangels ausdrücklicher Ausnahmebestimmungen kann das auch für Mitglieder des Flugpersonals gelten.* Zweitens gelangen dann, wenn AN ihre Beschäftigung gewöhnlich in mehreren Mitgliedstaaten ausüben, grundsätzlich die vom Beschäftigungslandprinzip abweichenden Regelungen gem Art 13 Koordinierungs-VO zur Anwendung; zu klären gilt es, ob und in welchem Umfang dieser Bestimmung im Hinblick auf das fliegende Personal noch Bedeutung zukommt (siehe unten, Pkt 3.3.)

3.2.
Flugpersonal-Sonderregelung der Koordinierungs-VO

Um die Anwendung des Beschäftigungslandprinzips auf die Flug- und Kabinenbesatzung zu erleichtern,* führte der Europäische Gesetzgeber mit Art 11 Abs 5 leg cit eine Sonderbestimmung ein, wonach die Tätigkeit für diesen Personenkreis als in dem Mitgliedstaat ausgeübt gilt, in dem sich die luftfahrtrechtliche „Heimatbasis“ iSd Anhangs III der VO (EWG) 3922/91 (zu diesem veralteten Verweis siehe oben, Pkt 1.2.) befindet.* Es handelt sich also um eine Konkretisierung des Beschäftigungsortes.* Die „Heimatbasis“ muss in einem Mitgliedstaat der EU liegen.*

Im Unterschied zu den arbeitsprozess- und arbeitskollisionsrechtlichen Bestimmungen stellt die luftfahrtrechtliche Heimatbasis im europäischen Sozialrecht nicht nur ein wichtiges Indiz dar, welches im Rahmen weiterer Kriterien zu betrachten ist, sondern dient als unmittelbares Anknüpfungsmoment.

Für den – aufgrund der klaren luftfahrtrechtlichen Vorschriften und der darauf bezogenen Überprüfung durch die zuständigen Luftfahrtbehörden wohl unwahrscheinlichen – Fall, dass es an der Benennung einer Heimatbasis mangelt bzw diese vom Luftfahrtunternehmer „beliebig“* (nicht iSd luftfahrtrechtlichen Definition, sondern als Umgehungskonstruktion) bestimmt wurde, wäre eine Heimatbasis als sozialrechtlicher Anknüpfungspunkt mE hilfsweise anhand der inhaltlichen Kriterien des Luftfahrtrechts (der Ort, an dem Dienstzeiten normalerweise beginnen und enden und an dem normalerweise keine Verantwortung des Betreibers für die Unterbringung besteht) zu ermitteln.

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass für all jene Mitglieder des fliegenden Personals, deren luftfahrtrechtliche Heimatbasis im Inland – also an einem österreichischen Flughafen – liegt, Österreich der zuständige Staat iSd Art 11 Abs 3 lit a Koordinierungs-VO ist (Besonderheiten sind wiederum bei Entsendungs-Konstellationen zu beachten).

3.3.
Mehrere Heimatbasen?

So klar die Anknüpfung an eine einzige luftfahrtrechtliche Heimatbasis auf den ersten Blick scheint, sie lässt doch einige Fragen – insb das Verhältnis von Art 11 Abs 5 zu Art 13 Koordinierungs-VO betreffend – offen. Denn offenkundig wird hier von der Prämisse ausgegangen, ein Mitglied des fliegenden Personals könne nur eine luftfahrtrechtliche Heimatbasis haben. Auch der – eigentlich zur Klärung dieses Verhältnisses intendierte – Art 14 Abs 5a Durchführungs-VO* vermag aufgrund seines unklaren Wortlauts nur bedingt Licht ins Dunkel zu bringen.*30

Wie bereits angemerkt (siehe oben, Pkt 1.2.), hat der Betreiber einem Besatzungsmitglied grundsätzlich nur eine „Heimatbasis“ zu benennen. Das bedeutet freilich nicht, dass das Besatzungsmitglied nicht für einen weiteren Betreiber tätig werden könnte, von dem wiederum eine „Heimatbasis“ zugewiesen wird. In diesem Fall könnte die Pilotin oder der Flugbegleiter über mehrere „Heimatbasen“ in verschiedenen Mitgliedstaaten verfügen.*

Art 14 Abs 5a Durchführungs-VO kann daher wohl nur dahingehend verstanden werden, dass Konstellationen mit mehreren „Heimatbasen“ nach den Regeln des Art 13 Koordinierungs-VO zu lösen sind* bzw dass auch bei Anwendung des Art 13 Koordinierungs-VO an den luftfahrtrechtlichen Begriff der „Heimatbasis“ angeknüpft werden soll.*

Demnach unterliegt eine Person, die gewöhnlich in zwei oder mehr Mitgliedstaaten eine Beschäftigung ausübt (hier: zwei oder mehr „Heimatbasen“ aufweist), den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats, wenn sie dort einen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit ausübt (Art 13 Abs 1 lit a Koordinierungs-VO).*

Beispiel 1: Eine Pilotin mit Wohnort Österreich fliegt für ein Unternehmen mit Sitz in Deutschland und hat ihre Heimatbasis in Österreich. Gleichzeitig fliegt sie für ein Unternehmen mit Sitz in Irland und hat eine Heimatbasis in Deutschland. Die Pilotin ist (vorausgesetzt, die Tätigkeit von der Heimatbasis in Österreich aus macht mindestens 25 % ihrer Gesamttätigkeit aus) im Wohnmitgliedstaat Österreich zu versichern, weil sie hier einen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit ausübt (Art 13 Abs 1 lit a leg cit).

Subsidiär gelangen die Regeln des Art 13 Abs 1 lit b sublit ii) bis iv) Koordinierungs-VO zur Anwendung,* also nur dann, wenn die Person keinen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit im Wohnmitgliedstaat ausübt (hier insb dann, wenn mehrere „Heimatbasen“ vorliegen, aber keine davon im Wohnmitgliedstaat). In diesem Rahmen kommt es nun auf den Sitz der jeweiligen AG an.

Der erste Fall betrifft die Konstellation, dass mehrere AG ihren Sitz in einem einzigen Mitgliedstaat haben; hier ist dieser Mitgliedstaat zuständig (Art 13 Abs 1 lit b sublit ii leg cit).

Der zweite Fall liegt gem Art 13 Abs 1 lit b sublit iii leg cit vor, wenn eine Person zwar (unter mehreren AG) auch bei einem AG beschäftigt ist, der einen Sitz im Wohnmitgliedstaat aufweist, dort jedoch keine wesentliche Tätigkeit verrichtet (ansonsten wäre dieser zuständig, siehe oben). Hier ist der Staat außerhalb des Wohnmitgliedstaats zuständig.

Beispiel 2: Ein Pilot mit Wohnort Österreich fliegt für ein Unternehmen mit Sitz in Deutschland und hat seine Heimatbasis ebendort. Gleichzeitig fliegt er für ein Unternehmen mit Sitz in Österreich, hat seine Heimatbasis aber in Spanien. Hier liegt kein wesentlicher Teil der Tätigkeit im Wohnmitgliedstaat. Da es sich um zwei AG handelt, die ihre Sitze in zwei Mitgliedstaaten haben, von denen einer der Wohnmitgliedstaat ist, ist der Staat außerhalb des Wohnmitgliedstaats (Deutschland) zuständig.

Haben hingegen mindestens zwei AG ihre Sitze außerhalb des Wohnmitgliedstaats, aber nicht in einem einzigen Mitgliedstaat (siehe oben, Art 13 Abs 1 lit b sublit ii leg cit), sondern in voneinander verschiedenen Mitgliedstaaten, so ist wiederum der Wohnmitgliedstaat zuständig (Art 13 Abs 1 lit b sublit iv leg cit).

Beispiel 3: Ein Pilot mit Wohnort Österreich fliegt für ein Unternehmen mit Sitz in Irland und hat seine Heimatbasis in Spanien. Gleichzeitig fliegt er für ein Unternehmen mit Sitz in Frankreich und hat seine Heimatbasis ebendort. Hier liegt kein wesentlicher Teil der Tätigkeit im Wohnmitgliedstaat. Da es sich um zwei AG handelt, die ihre Sitze in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten außerhalb des Wohnmitgliedstaats des Piloten haben, ist wiederum der Wohnmitgliedstaat Österreich zuständig.*

4.
Fazit

Der Schlüsselbegriff zur arbeits- und sozialrechtlichen Einordnung des fliegenden Personals in die unionsrechtlichen Kollisionsnormen ist die Heimatbasis. Sowohl im europäischen Arbeitsprozess- als auch im Arbeitskollisionsrecht ist der „gewöhnliche Arbeitsort“ – das bedeutendste Anknüpfungskriterium – dort zu finden, wo die Heimatbasis gemäß den vom EuGH entwickelten Kriterien tatsächlich liegt. Darunter ist jener Ort zu verstehen, von dem aus AN ihre Verkehrsdienste erbringen, an den sie danach zurückkehren, wo sie ihre Anweisungen erhalten, wo ihre Arbeit organisiert wird, wo sich ihre Arbeitsmittel befinden und wo die Flugzeuge stationiert sind, in denen sie ihre Arbeit gewöhnlich verrichten. Die nach luftfahrtrechtlichen Vorschriften vom Betreiber benannte „Heimatbasis“ wird im Rahmen dieser Prüfung als wichtiges Indiz berücksichtigt.

Im europäischen Sozialrecht wird unmittelbar an die luftfahrtrechtliche Definition der „Heimatbasis“ angeknüpft. Da sich kollisionsrechtliche und luftfahrtrechtliche Heimatbasis zwar nicht theoretisch zwingend decken müssen, dies in der Praxis aber in aller Regel tun werden, wird so für ein Gros der Konstellationen ermöglicht, arbeitsrechtliche Streitigkeiten vor den Gerichten jenes Staates auszutragen, in dem die Heimatbasis tatsächlich 31 liegt, auf das Arbeitsverhältnis (vorbehaltlich etwaiger Rechtswahlklauseln) das Sachrecht ebendieses Staates anzuwenden und die Beschäftigten schließlich auch in das dortige Sozial(versicherungs)-system einzugliedern.

Es ist daher, von dogmatischen Feinheiten abgesehen, keineswegs verfehlt, von einem mittlerweile dem gesamten Sektor unterliegenden „Prinzip der Heimatbasis“* und einem diesbezüglich tendenziellen Gleichlauf zwischen europäischem Arbeitsund Sozialrecht* auszugehen.