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Sechste Urlaubswoche auf dem Prüfstand

PETER C.SCHÖFFMANN (WIEN)
EuGH 13.3.2019 C-437/17Eurothermen-Resort Bad Schallerbach
  1. § 3 Abs 2 Z 1 und Abs 3 UrlG, wonach nur fünf Jahre aus einem vorangegangenen Arbeitsverhältnis auf die 25 Dienstjahre für die sechste Urlaubswoche angerechnet werden, verstößt nicht gegen die AN-Freizügigkeit.

  2. Die Bestimmung hält keinen AN davon ab, seinen derzeitigen AG zu verlassen, um zu einem anderen AG in einen anderen Mitgliedstaat zu wechseln. Eine solche Auswirkung wäre zu ungewiss und zu indirekt, als dass sie die AN-Freizügigkeit beeinträchtigen könnte.

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

[...]

6 Eurothermen ist eine im Tourismusbereich tätige Gesellschaft. Sie hat ihren Sitz in Bad Schallerbach (Österreich) und beschäftigt eine Reihe von AN, die Vordienstzeiten bei anderen AG im Hoheitsgebiet anderer Mitgliedstaaten [...] zurückgelegt haben.

7 Der BR von Eurothermen erhob als zuständiges Organ der Arbeitnehmerschaft von Eurothermen eine Klage im Rahmen des besonderen Verfahrens gem § 54 Abs 1 [ASGG]. [...]

9 Nach Ansicht des BR [...] stellt der Umstand, dass § 3 Abs 2 Z 1 und Abs 3 UrlG die Berücksichtigung von Vordienstzeiten, die bei anderen, in anderen Mitgliedstaaten ansässigen AG zurückgelegt worden sind, auf fünf Jahre beschränkt, eine Beschränkung der in Art 45 AEUV garantierten AN-Freizügigkeit dar.

10 Er ist der Auffassung, dass diese Vordienstzeiten nach dem Unionsrecht vollständig angerechnet werden müssten, so dass jeder AN mit 25-jähriger Berufserfahrung nach § 2 Abs 1 UrlG Anspruch auf eine sechste Urlaubswoche habe. [...]

14 [D]er [OGH hat] das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Sind Art 45 AEUV und Art 7 Abs 1 der VO 492/2011 dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren [...] entgegenstehen [...]?

Zur Vorlagefrage

16 Art 45 Abs 2 AEUV verbietet jede auf der Staatsangehörigkeit beruhende unterschiedliche Behandlung der AN der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen. Art 7 Abs 1 der VO Nr 492/2011 [ist] nur eine besondere Ausprägung des [...] Art 45 Abs 2 AEUV [...] auf dem speziellen Gebiet der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen [...] und ist daher ebenso auszulegen [...].

17 Da die den AN eingeräumten Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub unbestreitbar zum Gebiet der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen gehören, fällt die [...] nationale Regelung somit in den Anwendungsbereich [dieser] Bestimmungen.

18 [D]er [...] Grundsatz der Gleichbehandlung [verbietet] nicht nur offensichtliche Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle verschleierten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungskriterien de facto zum gleichen Ergebnis führen (vgl ua Urteile vom 5.12.2013, SALK, C-514/12, EU:C:2013:799, Rn 25 [...], sowie vom 2.3.2017, Eschenbrenner, C-496/15, EU:C:2017:152, Rn 35 [...]).

19 [E]ine Vorschrift des nationalen Rechts [ist mittelbar diskriminierend], wenn sie – obwohl sie ungeachtet der Staatsangehörigkeit anwendbar ist – sich ihrem Wesen nach stärker auf AN, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sind, als auf inländische AN auswirken kann und folglich die Gefahr besteht, dass sie die Erstgenannten besonders benachteiligt, [...] sofern sie nicht objektiv gerechtfertigt ist und in angemessenem Verhältnis zum verfolgten Ziel steht (vgl Urteil vom 2.3.2017, Eschenbrenner, C-496/15, EU:C:2017:152, Rn 36 und die dort angeführte Rsp). [...]

23 [D]a sie unterschiedslos für alle AN mit mindestens 25 Berufsjahren gilt, ohne dass es auf ihre Staatsangehörigkeit ankommt, [kann § 3 Abs 2 Z 1 und Abs 3 UrlG] keine unmittelbar an die Staatsangehörigkeit anknüpfende Diskriminierung begründen.

24 Nach Ansicht des BR [...] und der Europäischen Kommission ist die [...] streitige nationale Regelung als mittelbar diskriminierend anzusehen. Die allermeisten österreichischen AN wohnten nämlich in Österreich und träten dort in das Berufsleben ein, so dass sie leicht 25 Jahre lang ununterbrochen im Dienst ein und desselben AG verbleiben und damit nach [§] 2 Abs 1 UrlG den Anspruch auf eine sechste Woche bezahlten Jahresurlaubs erwerben könnten. Insoweit genüge die Feststellung, dass 32 die meisten AN, die die in § 2 Abs 1 UrlG vorgesehene Voraussetzung einer Dienstzeit von 25 Jahren erfüllten, Österreicher seien.

25 Hingegen träten AN, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten seien, üblicherweise in ihrem Herkunftsmitgliedstaat in das Berufsleben ein und wechselten erst im weiteren Verlauf ihres Berufslebens zu einem österreichischen AG. Für sie sei es daher schwerer, die Dienstzeit zu erreichen, die erforderlich sei, um ebenso wie die österreichischen AN in den Genuss der sechsten Woche bezahlten Jahresurlaubs zu kommen. Die meisten AN, die von der in § 3 Abs 3 UrlG vorgesehenen nur teilweisen Berücksichtigung von Vordienstzeiten bei anderen AG betroffen seien, seien Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten.

26 Erstens ist zu bemerken, dass [§ 3 Abs 2 Z 1 und Abs 3 UrlG] sämtliche AN, sowohl österreichische als auch Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten, die 25 Jahre berufstätig waren, davon aber keine 20 bei ihrem derzeitigen AG zurückgelegt haben, gegenüber denjenigen benachteiligt, die 25 Jahre berufstätig waren und davon mindestens 20 bei ihrem derzeitigen AG zurückgelegt haben. Denn bei der erstgenannten Kategorie von AN hat der Beschäftigungswechsel zur Folge, dass die bei vorherigen AG erworbene Berufserfahrung nur bis zu der in § 3 Abs 3 UrlG vorgesehenen Grenze von fünf Jahren angerechnet wird.

27 Damit diese Ungleichbehandlung von AN, die an das Kriterium der Dienstzeit bei ihrem derzeitigen AG anknüpft, als mittelbar diskriminierend [...] angesehen werden kann, muss sie sich [...] stärker auf AN, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sind, als auf inländische AN auswirken können.

28 Entgegen dem Vorbringen des BR [...] und der Kommission ergibt sich indessen aus dem Vorlagebeschluss, dass nichts darauf hindeutet, dass österreichische AN üblicherweise 25 Jahre im Dienst ihres derzeitigen AG verbleiben. Folglich ist nicht nachgewiesen, dass diese Regelung speziell österreichische AN gegenüber AN, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sind, bevorzugt.

29 In Anbetracht dieser Erwägungen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die AN, die von der in § 3 Abs 3 UrlG vorgesehenen begrenzten Berücksichtigung von Vordienstzeiten bei anderen AG betroffen sind, mehrheitlich Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sind.

30 Entgegen dem, was die Kommission in ihren Erklärungen vorbringt, würde im Übrigen die Feststellung – auch wenn sie sich als zutreffend erweisen sollte –, dass die meisten AN, die das in § 2 Abs 1 UrlG vorgesehene Kriterium der Dienstzeit von 25 Jahren erfüllen, österreichische Staatsangehörige sind, als solche entsprechend den Ausführungen in Rn 28 des vorliegenden Urteils nicht die Schlussfolgerung erlauben, dass AN, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sind, mittelbar diskriminiert werden.

31 Zweitens kann die Kommission ihre Argumentation weder allgemein auf die Rsp des Gerichtshofs, wonach es für die Einstufung einer nationalen Maßnahme als „mittelbar diskriminierend“ nicht erforderlich ist, dass diese bewirkt, dass alle Inländer begünstigt oder ausschließlich die Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten benachteiligt werden (Urteil vom 20.6.2013, Giersch ua, C-20/12, EU:C:2013:411, Rn 45 und die dort angeführte Rsp), noch speziell auf die vom Gerichtshof in seinem Urteil vom 5.12.2013, SALK (C-514/12, EU:C:2013:799) gegebene Antwort stützen.

32 Zum einen ist nämlich, wie der Generalanwalt in Nr 35 seiner Schlussanträge ausführt, die in der vorstehenden Randnummer angeführte Rsp erst dann einschlägig, wenn feststeht, dass sich die im Ausgangsverfahren streitige nationale Regelung mehr auf AN, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sind, auswirken kann als auf inländische AN. Da dies vorliegend jedoch nicht der Fall ist, kann die angeführte Rsp nicht als Grundlage für die Feststellung dienen, dass diese Regelung als mittelbar diskriminierend anzusehen ist.

33 Zum anderen ging es in der Rechtssache [...] SALK [...] um DN einer Gebietskörperschaft, deren streitige Regelung die Mobilität innerhalb einer Gruppe verschiedener AG gewährleisten und nicht die Treue eines AN gegenüber einem bestimmten AG honorieren sollte. Die vom Gerichtshof in jenem Urteil angestellten Erwägungen können folglich nicht auf die im Ausgangsverfahren streitige Regelung übertragen werden, die gerade die Treue eines AN gegenüber seinem derzeitigen AG honorieren soll.

34 Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass [§ 3 Abs 3 UrlG], die eine Ungleichbehandlung zwischen AN einführt, die an das Kriterium ihrer Dienstzeit bei ihrem derzeitigen AG anknüpft, nicht aus diesem Grund als eine mittelbare Diskriminierung von AN, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sind, und damit nicht als Verstoß gegen Art 45 Abs 2 AEUV angesehen werden kann.

Zu Art 45 Abs 1 AEUV

35 Geprüft werden muss noch, ob die im Ausgangsverfahren streitigen nationalen Bestimmungen eine nach Art 45 Abs 1 AEUV verbotene Beschränkung der AN-Freizügigkeit darstellen.

36 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art 45 AEUV sowie sämtliche Bestimmungen des Vertrags über die Freizügigkeit zwar den Unionsbürgern die Ausübung beruflicher Tätigkeiten aller Art im Gebiet der Union erleichtern sollen und Maßnahmen entgegenstehen, die die Unionsbürger benachteiligen könnten, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats als ihres Herkunftsmitgliedstaats eine Tätigkeit ausüben wollen. In diesem Zusammenhang haben die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten insb das unmittelbar aus dem Vertrag abgeleitete Recht, ihren Herkunftsmitgliedstaat zu verlassen, um sich zur Ausübung einer Tätigkeit in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats zu begeben und sich dort aufzuhalten (Urteil vom 18.7.2017, Erzberger, C-566/15, EU:C:2017:562, Rn 33 und die dort angeführte Rsp).

37 Das Primärrecht [...] kann einem AN jedoch nicht garantieren, dass ein Umzug in einen anderen Mitgliedstaat [...] in sozialer Hinsicht neutral ist, da ein solcher Umzug aufgrund der Unterschiede, 33 die zwischen den Systemen und Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bestehen, für die betreffende Person je nach Einzelfall Vorteile oder Nachteile in diesem Bereich haben kann (Urteil vom 18.7.2017, Erzberger, C-566/15, EU:C:2017:562, Rn 34 und die dort angeführte Rsp).

38 Das Unionsrecht garantiert nämlich nur, dass AN, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats als ihres Herkunftsmitgliedstaats eine Tätigkeit ausüben, denselben Bedingungen unterliegen wie die AN dieses anderen Mitgliedstaats (Urteil vom 23.1.2019, Zyla, C-272/17, EU:C:2019:49, Rn 45 und die dort angeführte Rsp).

39 Wie der Generalanwalt in den Nrn 51 und 58 seiner Schlussanträge feststellt, gelten die entsprechenden Erwägungen sowohl für einen AN, der einen den österreichischen Rechtsvorschriften unterworfenen AG verlassen möchte, als auch für einen AN, der Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats ist und eine Beschäftigung in Österreich attraktiv findet.

40 Entgegen dem Vorbringen des BR [...] und der Kommission ist die im Ausgangsverfahren streitige Regelung nicht geeignet, österreichische AN, die beabsichtigten, ihren derzeitigen AG zu verlassen, um zu einem AG eines anderen Mitgliedstaats zu wechseln, aber den Wunsch haben, anschließend in den Dienst ihres ersten AG zurückzukehren, hiervon abzuhalten. In Übereinstimmung mit den Ausführungen des Generalanwalts in den Nrn 60 bis 62 seiner Schlussanträge ist zu bemerken, dass sich die entsprechende Argumentation auf eine Gesamtheit von Umständen stützt, die zu ungewiss und zu indirekt sind, als dass diese Regelung die AN-Freizügigkeit beeinträchtigen könnte (vgl in diesem Sinne Urteil vom 27.1.2000, Graf, C-190/98, EU:C:2000:49, Rn 25).

41 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren streitige nicht als eine nach Art 45 Abs 1 AEUV verbotene „Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit“ eingestuft werden kann. [...]

ANMERKUNG

Für den EuGH ist die begrenzte Vordienstzeitanrechnung (nach § 3 Abs 2 Z 1 und Abs 3 UrlG) mit der AN-Freizügigkeit (Art 45 AEUV) vereinbar. Nach 25 Dienstjahren erhöht sich der Urlaubsanspruch von fünf auf sechs Wochen (§ 2 Abs 1 UrlG). Die Dienstzeit muss bei jenem AG zurückgelegt werden, dem gegenüber der Anspruch geltend gemacht wird. Eine Anrechnung von anderen Zeiten ist idR nur begrenzt möglich (§ 3 Abs 2 UrlG). So sind Dienstzeiten in anderen Arbeitsverhältnissen (Z 1 leg cit) mit höchstens fünf Jahren zu berücksichtigen. Die fünf Jahre müssen nicht in einem Arbeitsverhältnis zurückgelegt worden sein, sondern können sich auch aus verschiedenen Arbeitsverhältnissen ergeben. Die jeweilige Beschäftigung muss aber mindestens sechs Monate gedauert haben.

Das Ausgangsverfahren war ein besonderes Feststellungsverfahren (§ 54 Abs 1 ASGG). Der kl BR behauptet, die Beschränkung der Anrechnung benachteilige Wander-AN besonders. Die Bestimmung verletze daher die AN-Freizügigkeit (vgl Vorlagebeschluss OGH 29.6.2017, 8 ObA 33/17m). Eine Verletzung der AN-Freizügigkeit ist zweifach denkbar: Zunächst durch eine andere Behandlung von Staatsangehörigen gegenüber anderen UnionsbürgerInnen (Diskriminierung), darüber hinaus kann aber auch eine „neutrale“ Regelung die Wahrnehmung der Freizügigkeit weniger attraktiv machen (Beschränkung). Die Anrechnungsbestimmung verletzt die AN-Freizügigkeit aber auf keine Weise. Auf Grundlage der E des EuGH hat der OGH das Feststellungsbegehren abgewiesen (OGH 29.4.2019, 8 ObA 19/19f).

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Diskriminierung

Dienstzeiten von anderen AG sind nur anrechenbar, soweit sie „im Inland“ zurückgelegt wurden (§ 3 Abs 2 Z 1 UrlG). Nach einhelliger Ansicht sind aber – über den Wortlaut hinaus – auch Zeiten im EU- und EWR-Raum zu berücksichtigen (OGH8 ObA 33/17m). Die Anrechnung (und ihre Beschränkung) unterscheidet also nicht nach InländerInnen und UnionsbürgerInnen. Eine unmittelbare Diskriminierung liegt daher nicht vor (Rn 23 des Urteils).

K. Mayr, der auf Seiten des Kl am Verfahren beteiligt war, sieht in der Anrechnung von Vordienstzeiten aber eine mittelbare Diskriminierung (Gebührt die sechste Urlaubswoche aufgrund der Freizügigkeit der Arbeitnehmer? ecolex 2016, 852). Er verweist hier auf die Rs SALK (EuGH 5.12.2013, C-514/12). Dabei ging es um eine Bestimmung des Salzburger L-VBG (§ 54 idF LGBl 2012/99). Sie legte fest, wie Vordienstzeiten für die Berechnung der Vorrückung in die nächste Entlohnungsstufe berücksichtigt werden. Es wurde danach unterschieden, ob die Vordienstzeit beim Land Salzburg geleistet wurde oder nicht. Im ersten Fall erfolgte die Anrechnung zu 100 %, ansonsten nur zu 60 %. Laut EuGH kann sich eine solche Regelung stärker auf Wander-AN auswirken, weil diese vor einer Beschäftigung beim Land Salzburg sehr wahrscheinlich in einem anderen Mitgliedstaat beschäftigt waren (Rn 28 des Urteils). Die Rs Eurothermen ist aber in einem wesentlichen Punkt anders gelagert: Die Anrechnungsbestimmung des UrlG gilt nämlich für inländische wie ausländische Vordienstzeiten gleichermaßen. Eine mittelbare Ungleichbehandlung wäre daher nur anzunehmen, wenn EU-AusländerInnen ihre Beschäftigung häufiger wechseln als ÖsterreicherInnen. Der OGH stellt bereits im Vorlagebeschluss klar, dass gerade das nicht der Fall ist. „Vielmehr wechseln auch inländische Arbeitnehmer häufig ihren Arbeitsplatz“ (OGH8 ObA 33/17m). Auch eine mittelbare Ungleichbehandlung kommt daher nicht infrage.

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Beschränkung

Nationale Bestimmungen, die nicht zwischen InländerInnen und AusländerInnen unterscheiden, diskriminieren also nicht und sind idS „neutral“ 34 (Windisch-Graetz in Mayer/Stöger, EUV/AEUV Art 45 AEUV Rn 66). Aber auch solche neutralen Bestimmungen können die AN-Freizügigkeit beeinträchtigen, wenn UnionsbürgerInnen daran gehindert werden, ihr Herkunftsland zu verlassen, um in einem anderen Mitgliedstaat eine unselbstständige Tätigkeit auszuüben (vgl EuGH 15.12.1995, C-415/93, Bosman, Rn 96 f). Ein solches Beschränkungsverbot wurde erstmals im Hinblick auf die Warenverkehrsfreiheit formuliert (EuGH 20.2.1979, 120/78, Rewe-Zentral AG).

Da jede Maßnahme in irgendeiner Weise Grundfreiheiten beeinträchtigen kann (Thüsing, Europäisches Arbeitsrecht3 § 2 Rz 57), musste das Beschränkungsverbot konkretisiert werden. Was für die Warenverkehrsfreiheit die Rs Keck ist (EuGH 24.11.1993, C-267, 268/91, ), ist für die AN-Freizügigkeit die Rs Graf (EuGH 27.1.2000, C-190/98). Die AN-Freizügigkeit ist demnach nur dann beeinträchtigt, wenn die nationale Bestimmung den Zugang der AN zum Arbeitsmarkt beeinflusst (Rs Graf, Rn 23). Herr Graf kündigte sein Arbeitsverhältnis in Österreich, um eine neue Beschäftigung in Deutschland aufzunehmen. Durch seine Selbstkündigung verlor er seinen Anspruch auf Abfertigung alt (§ 23 AngG). Er war der Ansicht, dass dadurch die AN-Freizügigkeit beeinträchtigt wird. Der EuGH stellt aber klar, dass der Abfertigungsanspruch „von einem zukünftigen hypothetischen Ereignis“ abhängt, das „zu ungewiss und [...] zu indirekt“ wirkt (Rs Graf, Rn 24 f). Der Zugang zum Arbeitsmarkt setzt aber eine tatsächliche Auswirkung auf die AN voraus (SA Fennelly16.9.1999, C-190/98, Graf, Rn 32). Die Beeinträchtigung der AN-Freizügigkeit besteht also dann, wenn sie ein Zugangshindernis ist. Die AN-Freizügigkeit war daher nicht beeinträchtigt.

In der Rs SALK verstand der EuGH das Beschränkungsverbot hingegen (scheinbar) umfassender: Jede Beeinträchtigung der Freiheit sei verboten, „mag sie auch unbedeutend sein“ (Rs SALK Rn 34). Dieses Ergebnis passt nicht zum Tenor der Rs Graf, der ein Zugangshindernis voraussetzt. Der Widerspruch löst sich aber bei genauer Betrachtung der Rs SALK auf: Der EuGH trennt nämlich nicht scharf zwischen einer mittelbaren Ungleichbehandlung und einer „neutralen“ Beeinträchtigung. Eine genaue Unterscheidung wird auch in der Lehre teilweise abgelehnt. Sie sei praktisch ohne Bedeutung, weil sowohl für die Diskriminierung als auch die Beeinträchtigung derselbe Rechtfertigungsmaßstab gilt (Forsthoff in Grabnitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art 45 AEUV Rz 252). Richtigerweise ist aber von einem Vorrang des Diskriminierungsverbots auszugehen (Kocher in Frankfurter Komm EUV/ GRC/AEUV Art 45 AEUV Rz 124). Eine Beeinträchtigung ist nur zu prüfen, wenn zuerst eine Ungleichbehandlung verneint wird. Da in der Rs SALK die mittelbare Ungleichbehandlung bejaht wird (Rn 28, 31 des Urteils), stellt sich die Frage der Beeinträchtigung gar nicht. Aus der Rs SALK lassen sich damit keine Schlüsse für das Beschränkungsverbot ableiten, insb weicht sie nicht vom Zugangshindernis als Voraussetzung der Beeinträchtigung ab.

In Anlehnung an die Rs Graf wird schließlich auch in der Rs Eurothermen eine Beeinträchtigung abgelehnt, weil die Bestimmungen des Urlaubsgesetzes zu ungewiss und zu indirekt wirken (Rn 40 des Urteils).

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Betriebstreue

In seinen Schlussanträgen kommt GA Saugmandsgaard Øe zum selben Ergebnis. Er befasst sich aber auch mit einer allfälligen Rechtfertigung der Regelung, hätte der EuGH eine mittelbare Ungleichbehandlung oder Beeinträchtigung bejaht. In seiner Vorlage geht der OGH davon aus, dass es sich bei der Anrechnungsbestimmung um eine Treueprämie handelt (OGH8 ObA 33/17m). So eindeutig ist der Zweck aber nicht. Eine klare Absicht des Gesetzgebers lässt sich nicht ermitteln. Die Materialien schweigen dazu. Der erste kodifizierte Urlaubsanspruch findet sich im Handlungsgehilfengesetz von 1910 („HGG“; RGBl 1910/20). Auch hier stieg der Urlaubsanspruch von zehn Werktagen auf bis zu drei Wochen (nach 15 Dienstjahren) an. Die Materialien verweisen lediglich auf die Regelung des Staatsdienstes (EB 192 AH 18. Sess 19). Das BeamtInnendienstrecht wurde aber erst mit der Dienstpragmatik von 1914 kodifiziert (RGBl 1914/15). Davor gab es keinen Rechtsanspruch auf Urlaub. Vielmehr wurde Urlaub nur gewährt, wenn er medizinisch erforderlich war. Je höher aber die Stellung der BeamtInnen, desto eher war das eine bloße Formalität. Je mehr Urlaub also, desto eher war man „wer“; vor allem, wenn man ihn für eine ausgedehnte Sommerfrische nutzte. Urlaub war also vorrangig Statussymbol (Megner, Beamte [1985] 142). Die Dienstpragmatik staffelte den Urlaubsanspruch daher nach Hierarchie: 14 Tage für die niedere Dienerschaft; fünf Wochen für SpitzenbeamtInnen (§ 42). Wenn das HGG den Urlaubsanspruch nach dem Dienstalter staffelt, dann um mittelbar die betriebliche Hierarchie abzubilden.

Zwar ist der Urlaub auch heute noch häufig Statussymbol. Sein Zweck hat sich aber doch stark gewandelt. Andernfalls wäre der gestaffelte Urlaubsanspruch eine kaum rechtfertigbare, mittelbare Ungleichbehandlung aufgrund des Alters. Zweck des Urlaubs ist nunmehr die Erholung (dazu Reissner in Neumayr/Reissner [Hrsg], Zell-Komm3 § 2 UrlG Rz 6 ff). Präventive Gesundheitsvorsorge ist hingegen Sache der SV (zB § 155 ASVG). Dementsprechend folgt auch der erhöhte Urlaubsanspruch samt Anrechnungsbestimmung einem anderen Zweck. Nur welchem?

K. Mayr hält die Treuefunktion für „sehr schwach“, weil der AG das Arbeitsverhältnis auch kurz vor Vollendung des 25. Dienstjahres kündigen könne, wenn der AN nicht mehr wirtschaftlich wertvoll sei. Tatsächlich habe die sechste Urlaubswoche daher eine Entgeltfunktion, als Gegenleistung für die Arbeit (ecolex 2016, 852 [852 f]). Das ist aber falsch. Die Fortzahlung des Entgelts darf nicht da rüber hinwegtäuschen, dass Erholungsurlaub ein Naturalanspruch ist; unabhängig davon, ob er nun fünf oder sechs Wochen dauert (vgl OGH 1.6.1988, 9 ObA 90/88). Dem unionsrechtlich gewährleisteten Urlaubsanspruch ist eine Entgeltfunktion ebenso fremd. Der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub 35 soll es den AN ermöglichen, sich zu erholen und über einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zu verfügen (EuGH 21.6.2012, C-78/11, ANGED, Rn 19). Daher sehen sowohl das UrlG (§ 7) als auch die Arbeitszeit-RL (Art 7 Abs 2 2003/88/EG) ein Ablöseverbot für den Urlaubsanspruch vor (dazu Fuchs/Marhold, Europäisches Arbeitsrecht5 [2018] 557 f).

Auch die Kündigungsmöglichkeit des AG steht dem Treuezweck nicht entgegen. Nach Brameshuber kann eine Kündigung kurz vor Vollendung des 25. Dienstjahres – aufgrund des allgemeinen Kündigungsschutzes – (de facto) nicht grundlos ausgesprochen werden (Betriebstreue und Arbeitnehmerfreizügigkeit, ZESAR 2018, 16 [22]). Zudem widerspricht es gar nicht der Treuepflicht, dass AG nur wirtschaftlich wertvolle Beschäftigungen aufrechterhalten. Andernfalls wäre die soziale Gestaltungspflicht überspannt. Treu ist nicht schon, wer 25 Jahre im selben Betrieb sitzt. Es ist mit dem Treuegedanken sehr wohl vereinbar, dass die Beschäftigung für den AG auch (weiterhin) Sinn macht.

Daher ist von einem Funktionswandel des erhöhten Urlaubsanspruchs auszugehen (dazu F. Bydlinski, Methodenlehre2 [1991] 577 ff). An Stelle des Statussymbols ist die Betriebstreue getreten. Das macht auch – auf der Rechtfertigungsebene – den wesentlichen Unterschied zur Rs SALK aus. Nach Resch war Zweck der Anrechnungsbestimmung (§ 54 L-VBG) eine Verwaltungsvereinfachung. Die davor geltende Bestimmung war administrativ aufwendig und intransparent. Daher ersetzte man sie durch eine pauschale Anrechnung (Vordienstzeitanrechnung und Arbeitnehmerfreizügigkeit, ZESAR 2014, 155 [156 f]). Administrative Erwägungen alleine können aber einen Eingriff in die AN-Freizügigkeit nicht rechtfertigen (vgl zB EuGH 23.11.1999, C-369, 376/96, Arblade, Rn 37).

Bisher wurde die Betriebstreue vom EuGH noch nicht als Rechtfertigungsgrund bestätigt. In der Rs Köbler deutet er an, dass nicht auszuschließen sei, dass die Betriebsbindung ein zwingender Grund des Allgemeininteresses ist (EuGH 30.9.2003, C-224/01, Rn 83). Häufig scheiterte das Argument der Treueprämie daran, dass sie nicht von der Dienstzeit zu einem einzigen AG abhängt. Vielmehr wurden Dienstzeiten innerhalb einer bestimmten Gruppe von AG gleichbehandelt: zB öffentlich-rechtliche Einrichtungen in Deutschland (EuGH 15.1.1998, C-15/96, Schöning-Kougebetopoulou), öffentlicher Dienst in Österreich (EuGH 30.11.2000, C-195/98, Österreichischer Gewerkschaftsbund), öffentliche österreichische Universitäten (Rs Köbler) oder Universitäten in Deutschland (EuGH 10.3.2005, C-178/04, Marhold). Der EuGH sah darin keine Treueprämie, sondern – ganz im Gegenteil – einen Grund für eine erhöhte Mobilität innerhalb einer bestimmten Gruppe von AG (zB Hochschulen in einem Mitgliedstaat). Das führt letztlich zu einer Abschottung des Arbeitsmarkts gegenüber anderen Mitgliedstaaten und verletzt die AN-Freizügigkeit (Rs Köbler, Rn 86).

GA Saugmandsgaard Øe erkennt in seinen Schlussanträgen schließlich die Betriebstreue als zwingenden Grund des Allgemeininteresses an und hält die Anrechnungsbestimmung des UrlG für geeignet, das Ziel zu erreichen (Rn 65 ff der Schlussanträge). Der EuGH befasst sich hingegen nur am Rande mit dem Rechtfertigungsgrund, weil er ja ohnehin Ungleichbehandlung und Beeinträchtigung verneint. In seinem Urteil hält er die Bestimmung aber für geeignet, die Treue eines AN gegenüber seinem AG zu honorieren (Rn 33 des Urteils).