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Vorspringer der Schiflugweltmeisterschaft 2016 unterliegt der Pflichtversicherung nach ASVG

GUSTAVSCHNEIDER (WIEN)
VwGH 3.4.2019 Ro 2019/08/0003BVwG 17.10.2018 G308 2176696-1/14EGKK Kärnten 12.10.2017 GPLA 08/2017
  1. Zur Beurteilung des DN-Begriffs ist entscheidend, ob bei einer Gesamtbetrachtung nach der Methodik des beweglichen Systems die Merkmale der persönlichen Abhängigkeit ihrem Gewicht und ihrer Bedeutung nach überwiegen.

  2. Eine persönliche Arbeitspflicht ist (ua) dann nicht gegeben, wenn demjenigen, dessen Leistungserbringung zu beurteilen ist, eine generelle Vertretungsbefugnis bei Erbringung dieser Leistung eingeräumt ist oder wenn ein Beschäftigter die Leistung bereits übernommener Dienste jederzeit nach Gutdünken ganz oder teilweise sanktionslos ablehnen kann („sanktionsloses Ablehnungsrecht“).

  3. Zwischen der sanktionslosen Ablehnung der Erbringung einzelner Leistungen, etwa bei deren Abruf im Zuge einer Rahmenvereinbarung bei verpflichtender Tätigkeit im Fall der Zusage, und einem generellen sanktionslosen Ablehnungsrecht, das die persönliche Abhängigkeit ausschließt, ist ein deutlicher Unterschied zu machen.

Der Revision wird Folge gegeben. Das angefochtene Erk wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben. [...]

Begründung

1 Mit Bescheid vom 12.10.2017 stellte die belangte Behörde fest, dass der Revisionswerber auf Grund seiner Beschäftigung bei der erstmitbeteiligten Partei als Vorspringer vom 12. bis 17.1.2016 der Vollversicherungspflicht gem § 4 Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 ASVG und der Arbeitslosenversicherungspflicht gem § 1 Abs 1 lit a AlVG unterlegen sei.

[...]

3 Die erstmitbeteiligte Partei erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde. [...]

4 Mit dem in Revision gezogenen Erk hat das Verwaltungsgericht der Beschwerde stattgegeben und festgestellt, dass der Revisionswerber [...] weder der Pflichtversicherung gem § 4 Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 ASVG noch der AlV gem § 1 Abs 1 lit a AlVG unterlegen sei. (Aus der Begründung des Erk geht hervor, dass das Verwaltungsgericht auch eine Pflichtversicherung nach § 4 Abs 4 ASVG verneint hat.) 36

5 Der Internationale Skiverband (FIS) sei als Dachverband von 117 nationalen Skiverbänden für die Ausrichtung internationaler Wettbewerbe im Bereich des Wintersportes zuständig. [...]

6 Je nach gewähltem Austragungsort betraue die FIS die einzelnen Mitgliedsverbände mit der Durchführung internationaler Wettbewerbe [...] nach Maßgabe der [...] „Bestimmungen für die Durchführung von FIS Weltmeisterschaften – Version November 2017“.

7 Diese Bestimmungen haben nach den Feststellungen [...] folgenden Inhalt: [...]

Gem A.1.3 müssen sich die Kandidaten für die Organisation von FIS-Weltmeisterschaften bereit erklären, den „FIS-Reglementen für die Organisation von FIS-Wettkämpfen“ (der Internationalen Skiwettkampfordnung – IWO) [...] zu entsprechen.

[...]

16 Gem Art 454.3 IWO muss der Veranstalter eines Skiflugwettkampfes dafür sorgen, dass mindestens zwölf qualifizierte Probeflieger (Vorspringer), die nicht am Wettkampf teilnehmen, täglich zur Verfügung stehen. Diese müssen durch ihren nationalen Verband nach Art 215 (der die Anmeldung von Wettkämpfern regelt) gemeldet sein. Alle müssen die Fähigkeit besitzen, von dem von der Jury für den Wettkampf festgelegten Startplatz zu starten. Alle Vorspringer müssen mindestens 18 Jahre alt sein. Das Einfliegen der Schanze hat unter Aufsicht der Jury zu geschehen. Es gelten die gleichen Regeln wie für den Wettkampf inklusive Materialkontrolle.

[...]

20 Der ÖSV sei von der FIS mit der Durchführung der Skiflug-Weltmeisterschaften 2016 beauftragt worden. [...] Die Sportveranstaltung selbst [...] habe der ÖSV von der erstmitbeteiligten Partei durchführen lassen. Die erstmitbeteiligte Partei sei Veranstalterin des Wettkampfes und „übergeordnet für die Vorspringer zuständig“ gewesen.

21 Nach dem FIS-Reglement sei jeder Veranstalter verpflichtet, eine entsprechende Anzahl von Vorspringern stellig zu machen, die von den nationalen Verbänden entsprechend der IWO nominiert würden. [...]

Für die Skiflug-Weltmeisterschaften 2016 seien etwa 15 bis 20 Vorspringer engagiert gewesen, die vor Wettkampfbeginn etwa 80 bis 100 Flüge absolviert hätten.

[...]

23 Es seien immer genügend Vorspringer bei einer Veranstaltung vorhanden, weil die Mannschaften immer mit sehr viel mehr Wettkampfspringern anreisen würden, als tatsächlich teilnehmen dürften. Die nicht startenden Wettkampfspringer dürften ebenfalls als Vorspringer tätig werden. In der Praxis bestehe nie ein Mangel an Vorspringern. [...] Für eine Teilnahme als Vorspringer seien neben der sportlichen Eignung zwingend eine unterzeichnete „Athletenerklärung“ [...] Voraussetzung. Die Prämie müsse vom Sportler selbst bezahlt werden. Mit der genannten Athletenerklärung würden sich die Vorspringer jeweils zur Einhaltung des in der jeweiligen Disziplin geltenden FIS-Reglements verpflichten [...].

Den Vorspringern werde entweder telefonisch oder per E-Mail etwa zehn Tage vor dem Beginn der Veranstaltung bekannt gegeben, dass sie (nach Bestimmung durch das Wettkampfkomitee) offiziell als Vorspringer engagiert sind. [...] Als Mitglied der Jury sei der Rennleiter ua für die Entscheidung zuständig gewesen, ob die Schanze freigegeben werde, wann die Sprünge absolviert würden, wie viele Vorspringer springen müssten und ob ein Vorspringer nach einer Unterbrechung oder auf Verlangen eines Wettkampfspringers springen müsse.

[...]

25 Der [...] Revisionswerber [...] hätte die [...] „Athletenerklärung zur Eintragung beim Internationalen Skiverband (FIS)“ [...] unterschrieben. Der Revisionswerber habe sich mit Unterzeichnung dieser Athletenerklärung, die auch für das Vorspringen eine Voraussetzung darstelle, freiwillig und selbständig zur Einhaltung des FIS-Reglements, das auch für Vorspringer gelte, verpflichtet.

26 Der Revisionswerber habe [...] seinen Lebensunterhalt als Skispringer-Profi aus Preisgeldern bei Wettkämpfen, aus Unterhaltszahlungen seines Vaters sowie aus geringfügigen Einkünften [...] bestritten. Darüber hinaus habe er bei seinen Einsätzen als Vorspringer Aufwandsentschädigungen lukriert. Dabei habe es sich nicht um seine Haupteinkunftsquelle gehandelt.

27 [...] Die Auswahl des Mitbeteiligten als Vorspringer sei durch den Vorspringerchef und den Stützpunkttrainer erfolgt. Die erstmitbeteiligte Partei habe auf die Auswahl der Vorspringer keinen Einfluss gehabt.

[...]

29 Zweck des Vorspringens sei es (vgl Art 401.2 IWO), über die Beschaffenheit der Schanze und die Wettkampfbedingungen Informationen für den Veranstalter zu gewinnen, um einen ordnungsgemäßen und regelkonformen Wettkampf in Übereinstimmung mit dem FIS-Reglement sicherzustellen. Beim Skifliegen würden die Vorspringer auf die Beschaffenheit des Schanzeneinstiegs, der Anlaufspur, des Schanzentisches, des Aufsprunges und des Auslaufes achten, die Bedingungen in Bezug auf die Flugkurve und die Sichtbarkeit des Aufsprungs erheben und zu etwaigen Problemen oder Verbesserungen Rückmeldungen erstatten. Vor dem Wettkampf würden sie auch die Anlaufspur einfahren. Dabei würden alle vorhandenen Vorspringer eingesetzt. [...]

Es werde bei den Vorspringern auf eine ausgeglichene Anzahl an Sprüngen und auf Pausen geachtet. Ein Vorspringer sollte pro Tag nicht mehr als drei Sprünge absolvieren.

[...]

32 Am Wettkampftag laufe das Springen für einen Vorspringer im Wesentlichen gleich ab wie für einen Wettkampfspringer. [...] Die Einsätze der Vorspringer würden sich je nach Bedarf täglich mehrmals wiederholen. In Bezug auf ihre Sicherheit würden Vorspringer wie Wettkampfspringer behandelt. Nach Beendigung des Wettkampfes hätten die Vorspringer keine weiteren Verpflichtungen. [...] 37

33 [...] Auf Grund der verlängerten Warte- und Ruhezeiten an Wettkampftagen seien die Vorspringer bei der Veranstaltung von etwa 11.00 bis 15.00 oder 16.30 Uhr vor Ort.

[...] Der Revisionswerber habe seine Sprünge entsprechend der Reihenfolge seiner Startnummer absolviert.

35 [...] Vorspringer seien nicht dazu verpflichtet, tatsächlich einen Sprung zu absolvieren. Dem Revisionswerber sei es – wie jedem anderen Vorspringer oder Wettkampfspringer auch – immer möglich gewesen, einen einzelnen Sprung oder mehrere Sprünge, aus welchen Gründen immer, sanktionslos abzulehnen. [...] Sage ein und derselbe Vorspringer an mehreren Veranstaltungen hintereinander ohne Grund kurzfristig ein Vorspringen ab, so werde in naher Zukunft auf Grund mangelnder Verlässlichkeit womöglich eher einem anderen Kandidaten der Vorzug gegeben. [...] Es sei jedoch vorrangiges Ziel eines jeden Sportlers, der sich zum Vorspringen melde, dieses [...] auch tatsächlich zu absolvieren.

[...]

37 Die Sprungausrüstung sei im Eigentum des Revisionswerbers gestanden. Er habe die Ausrüstungsbestimmungen des FIS-Reglements einhalten müssen.

38 Das FIS-Reglement habe die erstmitbeteiligte Partei [...] verpflichtet, auch für Vorspringer die Unterkunft, die Verköstigung und ein Shuttle [...] zur Verfügung zu stellen. [...]

39 Grundsätzlich erhalte jeder (Vor-)Springer, der zur Veranstaltung anreise, den pauschalierten Reisekostenersatz. Zudem erhalte ein Vorspringer ein pauschaliertes Taschengeld von € 100,– pro Tag. Springe ein Vorspringer etwa nur vier Tage von sechs Veranstaltungstagen und müsse für zwei Tage ein Ersatz-Vorspringer einspringen [...] so würde der erste Vorspringer € 400,– an Taschengeld erhalten und der Ersatzspringer € 200,– für die restlichen zwei Veranstaltungstage. Es werde jedoch unterschieden, ob es sich um eine vorüber gehende Verhinderung [...] oder um einen den Einsatz als Vorspringer beendenden Umstand (Erkrankung/Unfall/Abreise aus anderen Gründen) handle. Im ersteren Fall werde von der Veranstalterin der gesamte Aufwandersatz für alle Veranstaltungstage ausgezahlt. Im letzteren Fall würden nur die tatsächlich geleisteten Tage sowie die Reisekostenersätze honoriert.

[...]

42 Grundvoraussetzung für die Annahme persönlicher Abhängigkeit iSd § 4 Abs 2 ASVG – und damit für ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis – sei die persönliche Arbeitspflicht. Diese fehle insb dann, wenn einem Beschäftigten ein „sanktionsloses Ablehnungsrecht“ zukomme, wenn er also die Leistung bereits übernommener Dienste jederzeit nach Gutdünken ganz oder teilweise sanktionslos ablehnen könne. [...] Der Revisionswerber habe in seiner Eigenschaft als Vorspringer jederzeit und ohne Angabe von Gründen die Durchführung einzelner oder mehrerer Sprünge (auch noch im letzten Moment) sanktionslos ablehnen können. Von dieser Möglichkeit sei auch immer wieder – aus den unterschiedlichsten Gründen, auch bei „ungutem Gefühl“ des Vorspringers, etwa nach einem Sturz eines Kollegen – Gebrauch gemacht worden. [...]

Dem Revisionswerber sei damit ein generelles, sanktionsloses, seine persönliche Arbeitspflicht ausschließendes Ablehnungsrecht zugekommen. [...] Schon deshalb sei ein sozialversicherungspflichtiges Dienstverhältnis gem § 4 Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 ASVG zu verneinen.

[...] Sei eine Person nicht zu einem Tätigwerden verpflichtet, sondern sei nur vereinbart, dass bei Leistungserbringung ein Entgelt gebühre, und sei auch weder ein Mindestumsatz noch eine Sanktion bei Nichttätigwerden vorgesehen, so liege kein Dienstverhältnis vor.

44 Da § 4 Abs 4 ASVG eine Verpflichtung zur Erbringung von Dienstleistungen vorsehe, würde auch keine Pflichtversicherung des Revisionswerbers als freier DN bestehen.

[...] Der Revisionswerber sei bezüglich seines arbeitsbezogenen Verhaltens, insb bezüglich der Sprungtätigkeit, keinerlei Weisungen oder Kontrollen unterworfen gewesen.

[...]

47 Professionelle Einzelsportler würden in der Regel eine die Pflichtversicherung nach § 2 Abs 1 Z 4 GSVG begründende selbständige Tätigkeit als „neue Selbständige“ ausüben. Bis auf den Umstand, dass der Vorspringer keine bestmögliche Leistung liefern müsse, würden keine Unterschiede der Tätigkeit als Vorspringer zu jener als Wettkampfspringer bestehen. [...]

48 Die Revision sei gem Art 133 Abs 4 B-VG zulässig, weil es an höchstgerichtlicher Judikatur fehle, die sich mit der sozialversicherungsrechtlichen Situation von Einzelsportlern in weit verzweigten Vereins- bzw Verbandsstrukturen auseinandersetze. [...] Es sei in ähnlichen Fällen zu anderslautenden Entscheidungen durch das Bundesverwaltungsgericht gekommen.

49 Gegen dieses Erk richtet sich die vorliegende Revision.

[...]

54 In der Revisionsbegründung führte der Revisionswerber aus, [...] von einem sanktionslosen Ablehnungsrecht könne keine Rede sein. Würden sich Vorspringer grundlos weigern zu springen oder würden sie einfach wieder abreisen, so könnte das zu einer Absage der Großveranstaltung Skiflugweltmeisterschaft führen. [...] Die Ablehnung eines Sprunges sei nur vorgekommen, wenn [...] mentale Gründe in der Krisensituation nach einem Sturz vorgelegen seien.

[...]

57 Die Revision ist aus den vom Verwaltungsgericht genannten Gründen und außerdem deswegen zulässig, weil das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung der persönlichen Arbeitspflicht des Revisionswerbers von der Rsp des VwGH abgewichen ist. Sie ist auch berechtigt.

[...]

Entscheidend ist, ob bei einer Gesamtbetrachtung nach der Methodik des beweglichen Systems die Merkmale der persönlichen Abhängigkeit ihrem 38 Gewicht und ihrer Bedeutung nach überwiegen (vgl etwa VwGH 14.11.2018, Ra 2018/08/0172, 0173, mwN).

59 Grundvoraussetzung für die Annahme persönlicher Abhängigkeit iSd § 4 Abs 2 ASVG [...] ist stets die persönliche Arbeitspflicht. Fehlt sie, dann liegt ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nicht vor. Persönliche Arbeitspflicht ist (ua) dann nicht gegeben, wenn demjenigen, dessen Leistungserbringung zu beurteilen ist, eine generelle Vertretungsbefugnis bei Erbringung dieser Leistung eingeräumt ist oder wenn ein Beschäftigter die Leistung bereits übernommener Dienste jederzeit nach Gutdünken ganz oder teilweise sanktionslos ablehnen kann („sanktionsloses Ablehnungsrecht“, vgl etwa VwGH 24.11.2016, Ra 2016/08/0011, mwN). [...] Die bloße Befugnis eines Erwerbstätigen, ihm angebotene Beschäftigungsmöglichkeiten auszuschlagen, berührt die persönliche Arbeitspflicht in keiner Weise, mag diese Befugnis auch als „sanktionsloses Ablehnungsrecht“ (in einem weiteren Sinn) bezeichnet werden. Zwischen der sanktionslosen Ablehnung der Erbringung einzelner Leistungen, etwa bei deren Abruf im Zuge einer Rahmenvereinbarung bei verpflichtender Tätigkeit im Fall der Zusage, und einem generellen sanktionslosen Ablehnungsrecht, das die persönliche Abhängigkeit ausschließt, ist ein deutlicher Unterschied zu machen (vgl etwa VwGH 15.10.2015, 2013/08/0175; 14.10.2015, 2013/08/0226, mwN). Selbst eine ausdrücklich vereinbarte Befugnis des Beschäftigten, bereits zugesagte Arbeitseinsätze jederzeit nach Gutdünken sanktionslos ablehnen zu können, stünde im Verdacht, ein „Scheingeschäft“ zu sein, wenn eine solche Vereinbarung mit den objektiven Anforderungen der Unternehmensorganisation nicht in Einklang zu bringen wäre (vgl §§ 539 und 539a ASVG). Anders wäre ein Sachverhalt aber zB dann zu beurteilen, wenn der DG einfache Aushilfsarbeiten derart organisiert, dass für deren Durchführung jederzeit mehrere abrufbare Arbeitskräfte zur Verfügung stehen („präsenter Arbeitskräftepool“), und es ihm – nicht zuletzt wegen der Einfachheit der Arbeiten – gleichgültig ist, von welcher – gleichwertigen – Arbeitskraft aus dem potenziell zur Verfügung stehenden Kreis er die Arbeiten verrichten lässt. Steht dem DG die Möglichkeit offen, im Falle der (jederzeit möglichen) Absage der von ihm in Aussicht genommenen Person aus dem „Pool“ sofort die jeweils nächste Arbeitskraft abzurufen und stehen genügend Arbeitskräfte zur Verfügung, dann könnte der einzelne Teilnehmer am „Pool“, mit dem dies vereinbart wurde oder dem dies bekannt ist, tatsächlich in Übereinstimmung mit dem Vereinbarten davon ausgehen, einzelne Arbeitsleistungen jederzeit nach Gutdünken sanktionslos ablehnen zu dürfen (vgl VwGH 1.10.2015, Ro 2015/08/0020; 26.8.2014, 2012/08/0100).

60 Das Verwaltungsgericht [...] ließ es außer Acht, dass der Revisionswerber nicht die Ausübung seiner Tätigkeit als Vorspringer insgesamt [...], sondern nur die Durchführung des gefahrenträchtigen Sprungs selbst ablehnen konnte, was aus dem erforderlichen Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Vorspringer folgt.

[...]

Die Ansicht des Verwaltungsgerichts, dem Revisionswerber sei ein generelles, sanktionsloses, seine persönliche Arbeitspflicht ausschließendes Ablehnungsrecht zugekommen, sodass mangels persönlicher Arbeitspflicht auch keine persönliche Abhängigkeit vorgelegen und ein sozialversicherungspflichtiges Dienstverhältnis gem § 4 Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 ASVG schon deshalb zu verneinen sei, wird vom VwGH nicht geteilt.

62 Für die Beurteilung, ob eine Erwerbstätigkeit in persönlicher Abhängigkeit ausgeübt wird, ist es von besonderer Aussagekraft, ob der Erwerbstätige in einen Betrieb mit einer vom DG determinierten Ablauforganisation in einer Weise eingebunden war, dass dies der Erteilung ausdrücklicher persönlicher Weisungen und der Vornahme entsprechender Kontrollen gleichgehalten werden kann („stille Autorität“ des DG). Weiters spielt die für die Tätigkeit erforderliche Qualifikation eine Rolle, weil sich – unabhängig vom Vorliegen konkreter sachlicher Weisungen (die in der Realität des Arbeitsverhältnisses nicht immer erwartet werden können) – mit steigender Qualifikation in der Regel auch die fachliche bzw sachliche Entscheidungsbefugnis ständig erweitert. Qualifizierte sachliche Entscheidungsbefugnisse können einen gewissen Spielraum für eine eigenständige (unter Umständen auch unternehmerische) Gestaltung der Tätigkeiten eröffnen. Derartige Dispositionsmöglichkeiten stärken – insb bei Fehlen der Einbindung in eine Betriebsorganisation – die Sphäre persönlicher Ungebundenheit und sprechen für das Vorliegen eines freien Dienstverhältnisses.

[...]

65 Das zu erzielende Arbeitsergebnis bestand im vorliegenden Fall darin, für die vom 12. bis 17.1.2016 dauernde Skiflug-Weltmeisterschaft [...] alle Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die [...] teilnehmenden Wettkämpfer in einen die FIS-Regeln beachtenden Wettkampf treten können. Zur Erreichung dieses Ziels hat die erstmitbeteiligte Partei eine aus Infrastruktur (die einsatzbereite Flugschanze mit allen Zusatzeinrichtungen) und den beteiligten Personen gebildete betriebliche Organisation geschaffen, von der insb in Anbetracht der einzuhaltenden Wettkampfregeln und der Anweisungen des Rennleiters und des Vorspringerchefs ein extremer personenbezogener Anpassungsdruck (Pünktlichkeit, Verlässlichkeit, persönliches Erscheinungsbild, Sorgfalt, Teamfähigkeit, Einfügungsbereitschaft in vorgegebene Strukturen des Arbeitsablaufs) für den darin eingebundenen, zum Erreichen des Arbeitszieles (durch Einfliegen, Informationsbeschaffung, Bereitschaft während des Wettkampfes) beitragenden Revisionswerber ausging.

[...]

67 In der gebotenen Gesamtabwägung (§ 4 Abs 2 ASVG) spricht die beschriebene Einbindung des Revisionswerbers in den Betrieb der erstmitbeteiligten Partei auch unter Berücksichtigung der für die Tätigkeit als Vorspringer erforderlichen Qualifikation 39 für das Vorliegen einer Beschäftigung in persönlicher Abhängigkeit. Daran können die weiteren Umstände der Ausübung der Beschäftigung – das zeitbezogene Pauschalentgelt als eher dafür (VwGH 25.6.2013, 2013/08/0093) und der punktuelle, einmalige Arbeitseinsatz in einer spezifischen Situation als eher dagegen sprechendes Nebenkriterium (VwGH 24.4.2014, 2012/08/0081) – nichts ändern. Der Umstand, dass die Vorspringer ihre Tätigkeit mit Begeisterung ausgeübt haben und sie als Auszeichnung bzw als seltene Gelegenheit empfanden, ihr sportliches Leistungsvermögen unter Beweis zu stellen, ist kein gegen das Vorliegen persönlicher Abhängigkeit sprechendes Kriterium. Zusammenfassend überwiegen iSd § 4 Abs 2 ASVG die Merkmale persönlicher Abhängigkeit gegenüber den Merkmalen selbständiger Ausübung der Erwerbstätigkeit.

68 Den Feststellungen zu Folge hat der Revisionswerber von der erstmitbeteiligten Partei kostenlos Unterkunft, Verpflegung, einen Shuttle-Dienst, einen vom Herkunftsland abhängigen anteiligen Reisekostenersatz sowie zur Abdeckung aller sonstigen Aufwendungen ein Taschengeld von € 100,– täglich (vom 12. bis 17.1.2016 sohin insgesamt € 600,–) erhalten. Die Vorspringer unterschrieben im Hinblick auf den Erhalt des Taschengeldes ein vom Vorspringerchef vorgefertigtes Formular zur Abführung von Abgaben. Es handelt sich beim Taschengeld sohin nicht etwa um eine pauschale Reiseaufwandentschädigung iSd § 49 Abs 3 Z 28 ASVG, sondern um Entgelt iSd § 49 Abs 1 ASVG.

ANMERKUNGEN
1
Vorbemerkungen
1.1
Anonymisierung

Auf eine Anonymisierung der Personennamen wird wegen einer Unzahl von Medienberichten und hunderten Internetfundstellen verzichtet.

1.2
Begrifflichkeiten
1.2.1
Pflichtversicherung – Versicherungspflicht

Das ASVG und das GSVG kennen den Begriff Pflichtversicherung, das B-KUVG spricht von Versicherungspflicht (siehe Erster Teil, Abschnitt 1). In der Praxis werden die Begriffe häufig synonym verwendet. Gemeint ist in jedem Fall der Umstand, dass das Versicherungsverhältnis mit Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen ex lege und unabhängig von einer Erklärung, Anmeldung oder dem Willen der Betroffenen eintritt.

1.2.2
Sportarten

Es sind Sportarten, Disziplinen, Unterarten und Wettbewerbe zu unterscheiden. Die Sportart Schisport/Schi Nordisch kennt die Disziplin Schispringen, eine Unterart von Schispringen ist Schifliegen. Olympische Spiele, Weltmeisterschaften, Kontinentalcups, Weltcups etc sind Wettbewerbe in der Sportart Schi Nordisch.

1.2.3
Schifliegen

Schifliegen wird in der Internationalen Skiwettkampfordnung – IWO – Band III Skispringen durch die Konstruktionsmerkmale der Schanze definiert. Ein Hillsize (kürzeste Strecke zwischen Kante des Schanzentisches und jenem Punkt im Aufsprunghang, an dem der Schanzenauslauf noch ein Gefälle von 32 Grad aufweist) von 185 m und einem Konstruktionspunkt (Punkt der Schisprungschanze, an dem das Gefälle des Aufsprunghangs flacher wird) von mindestens 135 m ergibt eine Flugschanze (IWO 410 ff).

2
Vorgeschichte

In den Jahren 2015 (Kira Grünberg, Vanessa Sahinovic) und 2016 (Lukas Müller) erlitten Sportler während oder im Zusammenhang mit der Sportausübung schwere Verletzungen der Wirbelsäule und als deren Folge Querschnittlähmungen.

Der Fall Grünberg (Sportart: Leichtathletik, Disziplin: Stabhochsprung) bereitete sozialrechtlich keine Probleme. Als Bundesheer-Leistungssportlerin und Militärperson auf Zeit unterlag sie der Versicherungspflicht nach § 1 Abs 1 Z 1 B-KUVG. Das Geschehen (Trainingsunfall) wurde als Dienstunfall iSd § 90 Abs 1 B-KUVG anerkannt.

Der Fall Sahinovic (Sportart: Schwimmsport, Disziplin: Synchronschwimmen) brachte eine Reihe rechtlicher Komplikationen. Die damals 16-jährige Schülerin war vom Österreichischen Olympischen Komitee (ÖOC) zu den Europaspielen in Baku nominiert worden. Auf dem Weg zum Training wurde sie ohne eigenes Verschulden von einem Bus niedergefahren. Die Gebietskrankenkasse (GKK) lehnte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls iSd § 175 Abs 1, 2 ASVG ab. Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht mit Erk vom 10.3.2017 (BVwG GZ W145 2128879-1, ECLI:AT:BVWG:2017:W145.212 8879.1.00) statt. Es stellte fest, dass die Sportlerin aufgrund einer Beschäftigung beim ÖOC der Pflichtversicherung nach ASVG unterlegen war. Die Entgeltlichkeit der Tätigkeit wurde unter Hinweis auf Sachleistungen bejaht, die ordentliche Revision in Anwendung des § 25a Abs 1 VwGG nicht zugelassen. Die Entscheidung erwuchs – wohl auch unter dem Eindruck aller Beteiligten von der Tragik des Sachverhalts – in Rechtkraft.

Lukas Müller (Sportart: Schi-Nordisch; Disziplin: Schispringen/Schifliegen) war kein Wettkampfteilnehmer, sondern Vorspringer der Schiflug-Weltmeisterschaft vom 12.1.2016 bis 17.1.2016. Dabei kam er schwer zu Sturz. Die GKK stellte, augenscheinlich in Kenntnis der E Sahinovic, im Bescheid vom 12.10.2017 fest, dass der Sportler (im weiteren Text: Mitbeteiligter) aufgrund seiner Beschäftigung bei der die Veranstaltung faktisch ausrichtenden A* GmbH der Vollversicherungspflicht 40 in der KV, UV und PV gem § 4 Abs 1 Z 1 iVm § 4 Abs 2 ASVG unterlegen sei. Dagegen erhob die A* GmbH (100 %-Tochter des ÖSV) Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Dieses gab mit Erk vom 17.10.2018 dem Rechtsmittel statt und sprach aus, dass der Mitbeteiligte „nicht der Versicherungspflicht in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung [...] unterlag“.

Dagegen richtete sich die (zugelassene) Revision des Mitbeteiligten.

Mit der E vom 3.4.2019 (GZ Ro 2019/08/0003 ECLI:AT:VWGH:2019:RO2019080003.J00) gab der VwGH der Revision Folge und hob das Erk des Bundesverwaltungsgerichts auf.

3
Sportrechtliche Grundlagen
3.1
IWO

Auf der Ebene der Vereinsfreiheit (Art 12 StGG; Art 12 Abs 1 GRC; Art 11 Abs 1 EMRK) erlassen internationale Sport-Dachverbände im autonomen Bereich Regelungen, die darauf abzielen, Sportveranstaltungen unter weltweit identischen Bedingungen abzuführen (Lex sportiva; 1. Säule des Sportrechts; Einplatzprinzip). Der für den Schisport zuständige internationale Dachverband ist die FIS (Fédération Internationale de Ski; Verein nach schweizerischem Recht gem Art 60 ff ZGB).

Die FIS formulierte Bestimmungen für ua Olympische Winterspiele und FIS-Schi-Weltmeisterschaften. Das maßgebliche Regelungswerk ist die IWO (siehe oben 1.2. Schifliegen). Sie ist für den nationalen Veranstalter verbindlich und enthält ua folgende Vorgaben:

„401.2.4 Vorspringer[...][Die Vorspringer] müssen die Fähigkeit besitzen, von dem von der Jury festgelegten Startplatz [...] zu starten. [...] Die Vorspringer müssen durch ihren Nationalen Skiverband gemeldet werden. Sie müssen die Athleten Deklaration unterzeichnet haben. Sie unterstehen allen Regeln von IWO Art 215 und müssen alle IWO- und andere FIS-Regeln betreffend Wettkämpfer einhalten. [...]454.3 Probeflieger/Einfliegen der SchanzeDer Veranstalter muss dafür sorgen, dass mindestens zwölf qualifizierte Probeflieger [...] täglich zur Verfügung stehen. [...] Das Einfliegen der Schanze hat unter Aufsicht der Jury zu geschehen. Es gelten die gleichen Regeln wie für den Wettkampf inklusive Materialkontrolle.215.5 Mit der Anmeldung eines Wettkämpfers durch den Nationalen Skiverband entsteht auf der Grundlage der abgegebenen Lizenzerklärung samt Athletenerklärung ein Vertragsverhältnis nur zwischen Wettkämpfer und Organisation.“
3.2
Athletendeklaration

Mit der Unterzeichnung der Athletendeklaration (auch Teilnahme-, Athletenvertrag, Athletenerklärung oder Athletenvereinbarung) erklärt der Sportler, das Regelwerk des Verbandes einzelvertraglich anzuerkennen (für viele Grundei in Marhold/Schneider [Hrsg], Österreichisches Sportrecht [2016] 244; Scherrer/Muresan/Ludwig, Sportrecht3 [2014] 46 f mwN). Im konkreten Fall unterwarf sich der Vorspringer dadurch dem gesamten Regelwerk der FIS.

Als wesentlich sind daraus folgende Verpflichtungen hervorzuheben:

  • Befolgung der Regeln der FIS (IWO 205.1);

  • Befolgung der Weisungen der Jury (IWO 205.1);

  • Verbot von Doping (IWO 205.2);

  • Verpflichtung zur medizinischen Beurteilung des Gesundheitszustandes (IWO 221.1);

  • korrektes und sportliches Benehmen (IWO 205.5);

  • Akzeptanz des Genehmigungsvorbehalts betreffend neue Entwicklungen (IWO 222.3);

  • Verwendung einer den FIS-Vorschriften entsprechenden Wettkampfausrüstung (IWO 222).

Diese Verpflichtungen sind kontroll- (IWO 222.6) und sanktionsbewehrt (IWO 223). Die Strafen reichen vom Verweis über Geldstrafen von maximal CHF 100.000,– bis zu Zeitstrafen (IWO 223.3), Sperren für FIS-Veranstaltungen und Disqualifikationen (IWO 223.3.2).

4
Sportmedizinische Elemente des Schifliegens

Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in der Anlaufspur: etwa 2,5 bis 4 Sekunden, Absprunggeschwindigkeit: 110 bis 114 km/h. Flughöhe: rund 8 m, Flugdauer: 7 bis 8 Sekunden, Landegeschwindigkeit: 130 bis 145 km/h, Landedruck: 4 g. Letzteres kann zu einem Greyout (Vorstufe des Blackout) führen. Als physische und psychische Belastungen resultieren: ein bis zum 20-fachen erhöhter Adrenalinspiegel, Erreichen eines nicht mehr ausgleichbaren katabolen Zustands, Gewichtsverlust bis zu 2 kg pro Tag, Panikreaktion, Angst-Diurese etc (Studie der Universität Innsbruck, zitiert nach: Barthofer in Engelhardt [Hrsg], Sportverletzungen3 [2016] 513 ff; https://www.wienerzeitung.at/meinung/blogs/derkritische-punkt/794845-Die-Angst-des-Skifliegersbeim-Absprung.htmlhttps://www.wienerzeitung.at/meinung/blogs/derkritische-punkt/794845-Die-Angst-des-Skifliegersbeim-Absprung.html [15.9.2019]).

Medial wird von „Respekt vor dem Flugbakken“ gesprochen. Die Verfahrensinstanzen sind auf medizinische Elemente nicht eingegangen.

5
Kommentar
5.1
Unpräzise Sachverhaltsfeststellungen

Nach den vom VwGH zitierten Feststellungen sei den Vorspringern „telefonisch oder per E-Mail [...] bekannt gegeben (worden), dass sie offiziell als Vorspringer engagiert“ seien. Was konkreter Inhalt dieses „Engagements“ gewesen sei, wurde nicht festgestellt. Dies wäre aus folgenden Gründen wesentlich gewesen:

§ 4 Abs 2 ASVG (Definition des DN-Begriffs) verlangt zwar keinen gültigen oder mangelfreien Vertrag (Mosler in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 4 ASVG Rz 70), wohl aber erfordert 41 § 10 Abs 1 ASVG Anhaltspunkte dahingehend, zu welchem Zeitpunkt die Beschäftigung beginnt. Anders lässt sich die Verpflichtung nach § 33 Abs 1 ASVG (Anmeldung vor Arbeitsantritt) nicht erfüllen. Nebenher sei erwähnt, dass das Sozialversicherungsrecht den Schutz sogar auf Zeiträume ausdehnt, die vor der faktischen Beschäftigungsaufnahme liegen, nämlich während des erstmaligen Wegs zur Arbeitsstätte (§ 175 Abs 2 Z 1 ASVG; OGH 15.7.1987, 9 ObS 12/87).

Beginnt aber die Beschäftigung nicht erst mit der Absolvierung eines Schiflugs, sondern mit dem Erscheinen am Veranstaltungsort, etwa zur Besichtigung der Schanze, Entgegennahme von Weisungen der Jury etc (siehe dazu oben unter 2.2.), ist die Pflichtversicherung eingetreten. Deren Ende wird nach § 11 Abs 1 ASVG, ausgenommen sogenannte diktierte Rechtsverhältnisse, mit dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses erwirkt (vgl Julcher in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 11 ASVG Rz 6 f).

Zwischen diesen beiden, im Regelfall durch Willensübereinstimmungen definierten Zeitpunkten ist das Pflichtversicherungsverhältnis aufrecht. Durch die Weigerung des DN, eine Arbeitshandlung vorzunehmen, wird das Pflichtversicherungsverhältnis nicht beendet, sondern allenfalls durch eine daraus resultierende einseitige (Entlassung, Austritt) oder übereinstimmende Willenserklärung (einvernehmliche Auflösung).

Nach den Feststellungen seien Vorspringer nicht dazu verpflichtet gewesen, tatsächlich einen Sprung zu absolvieren. Dem Revisionswerber sei es – wie jedem anderen Vorspringer oder Wettkampfspringer auch – immer möglich gewesen, einen einzelnen Sprung oder mehrere Sprünge, aus welchen Gründen immer, sanktionslos abzulehnen.

Hier fehlt die Bezugnahme auf § 8 Abs 1 AVRAG. Nach dieser Bestimmung dürfen AN bei ernster und unmittelbarer Gefahr für Leben und Gesundheit den Gefahrenbereich verlassen und deswegen nicht benachteiligt werden. Eine Kündigung oder Entlassung kann angefochten werden.

Unter Berücksichtigung der Gegebenheiten des Schifliegens bildet jeder Flug eine unmittelbare Gefahr für Leben und Gesundheit und daher einen Anwendungsfall des § 8 Abs 1 AVRAG. Bei begonnener Beschäftigung kann eine (später) erklärte Ablehnung eines Fluges keine Auswirkung mehr auf das Pflichtversicherungsverhältnis haben. Eine andere Auffassung würde den Sinn der Bestimmung in ihr Gegenteil verkehren. Den Erwägungen der dem § 8 Abs 1 AVRAG zugrunde liegenden RL 89/391/EWG ist zu entnehmen, dass „die Verbesserung von Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer Zielsetzungen darstellen, die keinen rein wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet werden dürfen“.

Um abschließend beurteilen zu können, ob ein die Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses – von vornherein – ausschließendes Ablehnungsrecht vorlag oder lediglich ein Anwendungsfall des § 8 Abs 1 AVRAG (darauf wurde, soweit überblickbar, nicht eingegangen), sind die Feststellungen zu undifferenziert.

Viele Umstände sprechen freilich dafür, dass das Ablehnungsrecht lediglich einen Anwendungsfall des § 8 Abs 1 AVRAG darstellte und kein die Pflichtversicherung vernichtendes Sachverhaltselement.

Zu diesen Umständen zählen: die Tatsache, dass

  • die Veranstalterin zur sicheren Durchführung der WM nicht nur die Mindestzahl der Vorspringer „engagierte“, sondern einen Pool. Somit ist die Dienstpflicht, wenigstens zum Teil, durch bloße Arbeitsbereitschaft am Dienstort erfüllt worden (vgl Marhold/Friedrich, Österreichisches Arbeitsrecht3 [2016] 93 f mwN);

  • eine konkrete Ablehnung, deren etwaigen Hintergründe und eine konkrete Vertretungshandlung nicht bekannt geworden sind;

  • der Verunfallte bis zu seinem Sturz alle Flüge absolviert hat;

  • eine selbst hypothetische Vertretung nur insoweit möglich gewesen wäre, als die ins Auge gefasste Person den sportrechtlichen Vorgaben nach IWO genügen, über eine Meldung durch den Schiverband und eine Athletenvereinbarung verfügen hätte müssen.

5.2
Unrichtige Sachverhaltsfeststellung

Der Revisionswerber sei bezüglich seines arbeitsbezogenen Verhaltens, insb der Sprungtätigkeit, keinerlei Weisungen oder Kontrollen unterworfen gewesen. Diese Feststellung widerspricht der – ebenfalls festgestellten – Athletenvereinbarung, durch die sich der Athlet dem gesamten Regelwerk der FIS unterworfen hatte. Die sich daraus ergebenden Weisungen und Kontrollen wurden oben unter 3.2. aufgezählt.

6
Lösung des VwGH

Der VwGH wählte einen pragmatischen Weg und nahm – im Kern der E – als gegeben an, „dass der Revisionswerber nicht die Ausübung seiner Tätigkeit als Vorspringer insgesamt [...], sondern nur die Durchführung des gefahrenträchtigen Sprungs selbst ablehnen konnte“. Damit scheidet aber das Ablehnungsrecht als ein die persönliche Arbeitspflicht iSd § 4 Abs 2 ASVG vernichtendes Element aus und wandelt sich (wenn auch unausgesprochen) in ein solches iSd § 8 Abs 1 AVRAG. Die Lösung mag Kritik finden, sie ist letztlich aber nicht zu bemängeln, zumal sie sich aus dem Athletenvertrag in Verbindung mit den übernommenen Verpflichtungen und der Unterwerfung gegenüber Weisungen, Kontrollen und Sanktionen in gleicher Weise ergibt.

7
Fazit

Das Ergebnis der E hätte unter Beachtung sportrechtlicher Kriterien und des § 8 Abs 1 AVRAG auf beträchtlich einfachere Art erzielt werden können. Der Richtigkeit tut dies keinen Abbruch.

Gegenüber schon bekannten Entscheidungen bringt es keine neuen Erkenntnisse (vgl Tomandl, Die Rechtsprechung des VwGH zum Dienstnehmerbegriff 42, ZAS 05/2016, 263 ff). Auf sozialrechtlicher Ebene fügt es sich jedoch in eine Reihe von Entscheidungen, die Bestrebungen von Vereinen und Verbänden entgegentreten, Berufssportlern, häufig unter Hinweis auf die Besonderheiten des Sports (vgl Art 165 Abs 1 AEUV), den arbeits- und sozialrechtlichen Schutz zu versagen (BVwG 10.3.2017, W 145 2128879-1 [Pflichtversicherung], OGH 1.2.2007, 9 ObA 121/06v; OLG Wien 19.9.2007, 7 Ra 87/16i; LG St. Pölten 27.7.2016, 22 Cga 43/16a [Beschäftigungsanspruch]; OGH 29.1.2014, 9 ObA 118/13p [Try-Out Vereinbarung]). Dem ist aus zweierlei Gründen zuzustimmen:

Erstens verfügt jede Branche, seien es Banken, Bordpersonal, Fruchtsaftindustrie oder Fußballbundesliga, über ihre „Besonderheiten“. Die Gewährung von Sonderbehandlungen gegenüber der einen oder anderen Gruppe birgt die Gefahr eines Dammbruchs in sich, als dessen Konsequenz die von der Rechtsordnung (immer noch) geforderte Schutzfunktion des Arbeits- und Sozialrechts verloren ginge (Marhold/Ludvik in Marhold/Schneider [Hrsg], Österreichisches Sportrecht 88; Wüterich/Breucker in Adolphsen/Nolte/Lehner/Gerlinger [Hrsg], Sportrecht in der Praxis [2012] 145 mwN uva).

Zweitens wird das öffentliche Bild im Sport von gut bis exorbitant verdienenden Professionals bestimmt, die angeblich keines arbeits- oder sozialrechtlichen Schutzes bedürfen. Das ist eine grobe Verzerrung tatsächlicher Verhältnisse. Die hier tätigen Vorspringer riskierten dreimal täglich Kopf und Kragen für € 100,– Taschengeld. Profifußballer der Österreichischen Fußballbundesliga unterliegen einem Kollektivvertragsregime, das einen Monatsbezug von € 1.500,– inklusive Leistungsprämien und Sachbezügen zulässt. Das betrifft die große Masse abseits der Medienstars.

Eine Einschränkung des arbeits- und sozialrechtlichen Schutzes von BerufssportlerInnen ist in Übereinstimmung mit der Judikatur abzulehnen. Diese Wertung sollte auch für die legistische Ebene im Falle der Etablierung eines (zweifellos erforderlichen) Berufssportgesetzes gelten. Das vorliegende Erk demonstriert dies nachdrücklich.