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Streichung aus der Ärzteliste – Zuständigkeit im Anlassfall

EWALDWIEDERIN (WIEN)
Art 102, 120b, 131, 140 B-VG; §§ 59, 117c, 195 f ÄrzteG 1998
  1. Infolge der Anlassfallwirkung des Art 140 Abs 7 B-VG ist im Revisionsfall davon auszugehen, dass die Streichung aus der Ärzteliste nicht (mehr) zu den Aufgaben des übertragenen Wirkungsbereichs der Österreichischen Ärztekammer zählt.

  2. Der angefochtene Beschluss des Präsidenten der Österreichischen Ärztekammer ist folglich als Tätigwerden im eigenen Wirkungsbereich der Österreichischen Ärztekammer zu qualifizieren.

  3. Für die Entscheidung über die Beschwerde dagegen ist somit das Landesverwaltungsgericht zuständig.

1 I.1. Mit Bescheid vom 20.7.2016 verfügte der Präsident der Österreichischen Ärztekammer (die belangte Behörde) – unter einem aussprechend, dass der Revisionswerber nicht über die gem § 4 Abs 2 Z 2 des Ärztegesetzes 1998 (ÄrzteG 1998) zur Erfüllung der ärztlichen Berufspflichten erforderliche Vertrauenswürdigkeit verfüge und die Berechtigung zur Ausübung des ärztlichen Berufes gem § 59 Abs 1 Z 1 ÄrzteG 1998 erloschen sei – über die Streichung des Revisionswerbers aus der Ärzteliste. In der Rechtsmittelbelehrung wurde auf die Möglichkeit einer Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht hingewiesen.

2 Der Revisionswerber erhob Beschwerde, die bei der belangten Behörde eingebracht wurde.

3 I.2. Mit Beschluss vom 29.11.2016 sprach das BVwG aus, dass die Beschwerde wegen Unzuständigkeit des BVwG zurückgewiesen werde. Unter einem wurde gem § 25a VwGG ausgesprochen, dass die Revision an den VwGH zulässig sei, weil es an Judikatur des VwGH zur Zuständigkeit in Verfahren nach § 117c Abs 1 Z 6 ÄrzteG 1998 fehle und die Zuständigkeit des BVwG oder des örtlich zuständigen Landesverwaltungsgerichtes nicht offenkundig sei.

4 Das BVwG begründet seinen Beschluss, auf das Wesentliche zusammengefasst, damit, das ÄrzteG 1998 stütze sich im vorliegenden Zusammenhang auf den Kompetenztatbestand „Gesundheitswesen“ gem Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG, der einer Besorgung unmittelbar durch Bundesbehörden nicht zugänglich sei. Bei der Vollziehung des ÄrzteG 1998 durch den Präsidenten der Österreichischen Ärztekammer im übertragenen Wirkungsbereich des Bundes handle es sich um keine Besorgung einer Angelegenheit der (unmittelbaren) Bundesvollziehung iSd Art 131 Abs 2 B-VG, weshalb eine Zuständigkeit des BVwG nicht bestehe.

5 I.3.1. Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende, vom BVwG gemeinsam mit den Akten des Verfahrens und einer Revisionsbeantwortung der belangten Behörde vorgelegte Revision. Die Revision vertritt zusammengefasst den Standpunkt, der Präsident der Österreichischen Ärztekammer sei, wenn er im übertragenen Wirkungsbereich des Bundes zur Bescheiderlassung berufen werde, als Bundesbehörde anzusehen. Im Übrigen komme die Zurückweisung der Beschwerde einer unzulässigen Verweigerung einer Sachentscheidung gleich, zu der das Bundesverwaltungsgericht auch im Falle der zutreffenden Verneinung seiner Zuständigkeit nicht ermächtigt sei. Vielmehr hätte es diesfalls in sinngemäßer Anwendung des § 6 AVG die Beschwerde an das für zuständig gehaltene Landesverwaltungsgericht weiterzuleiten gehabt.

6 I.3.2. Die belangte Behörde trat in ihrer Revisionsbeantwortung hinsichtlich der Zuständigkeit der Auffassung der Revision bei. 43

7 I.4. Aus Anlass der Behandlung der Revision sind beim VwGH Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des die Zuständigkeit des Präsidenten der Österreichischen Ärztekammer regelnden § 59 ÄrzteG 1998 und damit im Zusammenhang stehender Teile des ÄrzteG 1998 entstanden.

8 I.5. Mit Erk vom 13.3.2019, G 242/2018-16, hat der VfGH nunmehr – über Anträge des VwGH und des BVwG in mehreren Anlassverfahren – im ÄrzteG 1998, BGBl I Nr 169idF BGBl I Nr 56/2015folgende Teile als verfassungswidrig aufgehoben:

§ 27 Abs 10, die Wort- und Zeichenfolge „1 und“ in § 59 Abs 3 Z 1, § 59 Abs 3 Z 2, die Wort- und Zeichenfolgen „1 und“ und „2“, „§ 4 Abs 2 oder“ und „Eintragung in die oder“ in § 117c Abs 1 Z 6 und die Wort- und Zeichenfolge „10 und“ in § 125 Abs 4.

Die Aufhebung trete mit Ablauf des 31.8.2020 in Kraft. [...]

9 II. Der VwGH hat über die Revision erwogen: 10 II. 1. [...]

11 II.2. Die Revision ist mangels einschlägiger Rsp des VwGH zur Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte in Angelegenheiten der Führung der Ärzteliste zulässig.

12 II.3. Die Revision ist jedoch im Ergebnis unbegründet.

13 II.3.1. Gem Art 140 Abs 7 zweiter Satz B-VG ist ein wegen Verfassungswidrigkeit aufgehobenes Gesetz im Anlassfall auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände nicht mehr anzuwenden.

14 Der Revisionsfall ist Anlassfall (Antrag des VwGH vom 20.9.2018, A 2018/0006).

15 II.3.2. Vor dem Hintergrund der bereinigten Rechtslage ist davon auszugehen, dass § 195f Abs 1 ÄrzteG 1998 den Präsidenten der Österreichischen Ärztekammer (die belangte Behörde) in Angelegenheiten des übertragenen Wirkungsbereichs der Österreichischen Ärztekammer nicht dem Landeshauptmann, sondern nur dem zuständigen Bundesminister unterstellt (so auch der VfGH im aufhebenden Erk vom 13.3.2019). Diese Unterstellung bezieht sich freilich nur auf den übertragenen Wirkungsbereich.

16 Infolge der Anlassfallwirkung des Art 140 Abs 7 B-VG ist im Revisionsfall davon auszugehen, dass die Feststellung mit Bescheid, dass die Berechtigung zur Ausübung des ärztlichen Berufs nicht besteht, sowie die Streichung aus der Ärzteliste (§ 59 Abs 3 ÄrzteG 1998 in der bereinigten Fassung) infolge der Aufhebung der Wort- bzw Zeichenfolgen „1 und“ und „2“ in § 117c Abs 1 Z 6 ÄrzteG 1998 nicht (mehr) zu den Aufgaben des übertragenen Wirkungsbereichs der Österreichischen Ärztekammer zählen.

17 Der angefochtene Beschluss des Präsidenten der Österreichischen Ärztekammer (der belangten Behörde) ist folglich als Tätigwerden im eigenen Wirkungsbereich der Österreichischen Ärztekammer und nicht als Tätigwerden in einer Angelegenheit der Vollziehung des Bundes, die iSd Art 131 Abs 2 B-VG unmittelbar von einer Bundesbehörde besorgt wird, zu qualifizieren (vgl die Materialien zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 (RV 1618 BlgNR 24. GP 15). Für die Entscheidung über die Beschwerde dagegen ist somit das Landesverwaltungsgericht zuständig.

18 Die Zurückweisung der Beschwerde mit dem angefochtenen Beschluss erweist sich demnach im Ergebnis nicht als rechtswidrige Verweigerung einer Sachentscheidung über die Beschwerde. Zur Ermächtigung der Verwaltungsgerichte, ihre Unzuständigkeit durch förmlichen Beschluss zum Ausdruck zu bringen, genügt es, auf die ständige hg Judikatur zu verweisen (vgl VwGH 18.2.2015, Ko 2015/03/0001; 24.6.2015, Ra 2015/04/0035; 26.1.2017, Ra 2017/11/0173; 31.10.2017, Ko 2017/03/0004).

19 II.3.3. Die Revision war aus diesen Erwägungen gem § 42 Abs 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

ANMERKUNGEN

Vorstehende Entscheidung lehrt das Staunen. Nichts ist, wie es scheint, alles springt im Zuge der Betrachtung um wie eine Kippfigur, Fehleinschätzungen bleiben ohne Konsequenzen. Am Ende geht alles gut aus für alle, nur für den Revisionswerber erweist sich seine Mühe als vergeblich.

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Das bestätigte Verwaltungsgericht

Aus dem Umstand, dass das Gesundheitswesen in Art 102 Abs 2 B-VG nicht genannt ist, hatte das BVwG messerscharf geschlossen, dass die Streichung aus der Ärzteliste nicht in die unmittelbare Bundesverwaltung und die Behandlung einer dagegen gerichteten Beschwerde folglich nicht in seine Zuständigkeit falle. VfGH und VwGH attestierten ihm unisono einen Irrtum, da das ÄrzteG – wenngleich in verfassungswidriger Weise – die Besorgung in unmittelbarer Bundesverwaltung vorsah. Infolge der Anlassfallwirkung der Aufhebung der einschlägigen Bestimmungen erwies sich die Fehleinschätzung des Gerichts ex post aber als richtig. Das zeigt, dass Gerichte, statt selber anzufechten, auch einen Wechsel auf die Zukunft ziehen können, der dann nicht platzt, wenn ein anderes Gericht die Schuld begleicht.

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Der bestätigte und sich korrigierende Verwaltungsgerichtshof

Im konkreten Fall sprang der VwGH in die Bresche, der über eine Revision des Beschwerdeführers mit dem Fall befasst war. Er focht Bestimmungen des ÄrzteG beim VfGH an, weil sie den Präsidenten der Österreichischen Ärztekammer im übertragenen Wirkungsbereich in Unterordnung unter den Bundesminister zur Streichung aus der Liste beriefen und damit im Widerspruch zu Art 102 B-VG eine Besorgung in unmittelbarer Bundesverwaltung vorsähen. Sein erster Antrag vom 22.6.2017 wurde vom VfGH mit der Begründung zurückgewiesen, er habe den Umfang der Anfechtung zu eng gewählt. Der VwGH stellte am 20.9.2018 einen neuerlichen Antrag und bezog auch den § 195f ÄrzteG 1998 in den Umfang der Anfechtung mit ein. Der VfGH 44 entschied darüber in der Sache, indem er die im ersten VwGH-Antrag angefochtenen Bestimmungen aufhob und das von ihm selber veranlasste Begehren auf Aufhebung des § 195f ÄrzteG abwies. Der VwGH kann sich somit auf ganzer Linie bestätigt sehen. Auf meritorischer Ebene bekam er Recht, und in prozessualer Hinsicht bekam er attestiert, dass seine Bedenken ihren Sitz nicht in § 195f ÄrzteG hatten. Damit bleibt ex post unerfindlich, weswegen er sie hätte bekämpfen sollen.

Eine andere Einschätzung des VwGH erwies sich hingegen als falsch. In beiden Anfechtungsschriften war er davon ausgegangen, die Aufhebung der von ihm in Prüfung gezogenen Bestimmungen werde eine verfassungskonforme Zuweisung der Besorgung der Streichung aus der Ärzteliste zur mittelbaren Bundesverwaltung zur Folge haben (Rz 64 des Beschlusses vom 22.6.2017, Rz 66 des Beschlusses vom 20.9.2018, jeweils Ro 2017/11/0003). Das war inkonsistent, da er an anderer Stelle angenommen hatte, dass auch die Besorgung im übertragenen Wirkungsbereich unter dem Landeshauptmann als sachlich in Betracht kommende Oberbehörde mangels Zustimmung nach Art 102 Abs 1 letzter Satz B-VG die Verfassung verletze (Rz 58 bzw 59 der Beschlüsse). Und es war obendrein auch unrichtig – zum Glück für den VwGH, da ansonsten sein Antrag vom VfGH zurückgewiesen hätte werden müssen. Im vorliegenden Erk korrigierte der VwGH seinen Fehler, indem er zutreffend festhielt, dass nach Aufhebung der ausdrücklichen Zuweisung der Besorgung der Streichung aus der Ärzteliste in den übertragenden Wirkungsbereich eine unbezeichnete Angelegenheit vorliegt, die nach Art 120b B-VG in den eigenen Wirkungsbereich fällt.

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Der korrigierte Verfassungsgerichtshof

Dieses Resultat erstaunt, hatte doch der VfGH in anderen Judikaten festgehalten, dass eine Zuständigkeit der Kammer zur Ein- und Austragung von Personen in die Ärzteliste im eigenen Wirkungsbereich die Grenzen zulässiger Selbstverwaltung überschreitet (VfGH 2014/VfSlg 19.885; VfGH 2014/VfSlg 19.887). Es will daher scheinen, als habe die Gesetzesaufhebung hier die Verfassungswidrigkeiten nicht beseitigt, sondern bloß verlagert und überdies noch vertieft. Dem VfGH blieb im konkreten Fall freilich gar keine andere Wahl. Nachdem es nicht immer möglich ist, den Umfang der Aufhebung so zuzuschneiden, dass eine in jeder Hinsicht verfassungskonforme bereinigte Rechtslage zurückbleibt, muss er sich damit begnügen, dass die im Rahmen der Prüfung erhärtete Verfassungswidrigkeit beseitigt wird. Dementsprechend hielt er im vorliegenden Fall denn auch fest, dass er zur Herstellung eines Rechtszustandes, gegen den die in den Anträgen dargelegten Bedenken nicht mehr bestehen, den § 27 Abs 10 sowie bestimmte Wort- und Zeichenfolgen in § 59 Abs 3, § 117c Abs 1 und § 125 Abs 4 ÄrzteG aufzuheben habe.

Ob dem VfGH dies gelang, ist indes zu bezweifeln. Nach § 117c Abs 1 Z 6 ÄrzteG idF BGBl I 2015/56BGBl I 2015/56 zählten die „Durchführung von Verfahren zur Prüfung des Vorliegens oder Nichtvorliegens der Erfordernisse gemäß § 4 Abs 2 oder § 59 Abs 1 Z 1 und 2 für die damit verbundene Eintragung in die oder Austragung aus der Ärzteliste“ zum übertragenen Wirkungsbereich.

Im Bestreben, den Eingriff minimal invasiv zu halten, hatte sich der mit einem Wegfall der Berufsvoraussetzungen nach § 59 Abs 1 Z 1 ÄrzteG konfrontierte VwGH darauf beschränkt, in § 117c Abs 1 Z 6 ÄrzteG die Zeichenfolge „1 und“ zur Prüfung zu stellen. Das mit dem Hervorkommen ihres ursprünglichen Nichtbestehens gem § 59 Abs 1 Z 2 ÄrzteG befasste BVwG tat es ihm später gleich, indem es seinen Antrag auf die Folge „und 2“ des § 117c Abs 1 Z 6 ÄrzteG beschränkte. Der VfGH gab beiden Anträgen Folge, vermied es dabei aber umsichtig, das doppelt angefochtene Wörtchen „und“ doppelt aufzuheben, indem er sich bei Stattgabe des Antrags zu G 294/2018 darauf beschränkte, der Wortfolge „1 und“ die unmittelbar darauffolgende Ziffer „2“ nachzustoßen. Ein dritter und ein vierter Antrag des BVwG, denen ebenfalls Folge gegeben wurde, rissen in § 117c Abs 1 Z 6 ÄrzteG weitere Löcher. In jener Fassung, die nach der mit BGBl I 2019/28BGBl I 2019/28 kundgemachten Aufhebung zurückbleibt, lautet die Bestimmung: „Durchführung von Verfahren zur Prüfung des Vorliegens oder Nichtvorliegens der Erfordernisse gemäß § 59 Abs. 1 Z für die damit verbundene Austragung aus der Ärzteliste.“

Sinnvoll ist dieser Torso nur so deutbar, dass die Streichung aus der Ärzteliste weiterhin in den übertragenen Wirkungsbereich ressortiert, soweit sie an ein Verfahren nach § 59 Abs 1 ÄrzteG gekoppelt ist. Nachdem im Text eine Beschränkung auf einzelne Ziffern fehlt, sind eben sämtliche Ziffern des § 59 Abs 1 ÄrzteG erfasst, wenngleich man im Lesen kurz zuckt, weil der nackte Buchstabe „Z“ eine Beschränkung andeutet. Es folgt aber nichts, was als Limitierung gelesen werden könnte. Diese Deutung wird dadurch bestätigt, dass die Z 6 in § 117c ÄrzteG völlig inhaltsleer würde, sollte keine Ziffer des § 59 Abs 1 von ihr erfasst sein.

Wieder stehen wir also vor einer Überraschung. Das Ganze ist hier nicht etwa mehr, es ist etwas anderes als die Summe seiner Teile. Für sich genommen hätte jeder Antrag eine Einschränkung des übertragenen Wirkungsbereichs bewirkt; zusammengenommen dehnen sie ihn auf sämtliche Verfahren gem § 59 Abs 1 ÄrzteG aus, soweit sie in eine Austragung aus der Ärzteliste münden. Der VfGH hätte die Verfahren wohl nicht verbinden dürfen, oder er hätte kreativ einen Weg suchen müssen, der den Umschlag eines Rückbaus des übertragenen Wirkungsbereichs in dessen Ausbau vermeidet.

Doch nicht selten springen Gerichte einander zur Seite. Dass der VwGH die nach BGBl I 2019/28BGBl I 2019/28verbleibende bereinigte Rechtslage nicht penibel erhoben habe, dürfen wir ausschließen. Dann allerdings spricht alles für die Annahme, er habe die vom VfGH verfügte Gesetzesaufhebung stillschweigend teleologisch dahingehend reduziert, dass er die von seinem Antrag nicht erfassten Passagen des § 117c Abs 1 Z 6 ÄrzteG im Anlassfall weiterhin anzuwenden habe. 45