4Kürzere Fristen für Teilzeitbeschäftigte bei Arbeitgeberkündigung sind unionsrechtswidrig
Kürzere Fristen für Teilzeitbeschäftigte bei Arbeitgeberkündigung sind unionsrechtswidrig
Da ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung geringfügig beschäftigter AN in Bezug auf die Kündigungsvorschriften nicht ersichtlich ist, steht die Bestimmung des § 20 Abs 1 AngG aF mit dem Unionsrecht, insb Art 21 und 23 GRC iVm Art 1 und 2 Abs 1 Buchstabe b der RL 2006/54/EG bzw § 4 Z 1 der Rahmenvereinbarung zu der RL 97/81/EG, nicht in Einklang.
Eine richtlinienkonforme Auslegung einer Bestimmung kann aber nur soweit erfolgen, als das nationale Recht dem Rechtsanwender einen Spielraum einräumt. (E)ine dem Wortlaut gegenläufige richtlinienkonforme Interpretation des § 20 Abs 1 AngG aF (kommt) nicht in Betracht.
Der Wortlaut des hier zur Anwendung gelangenden KollV ist iS eines Rechtsfolgenverweises einer richtlinienkonformen Interpretation zugänglich. Ausgehend von den europarechtlichen Vorgaben kann der KollV dahin interpretiert werden, dass für alle Normadressaten die Kündigungsfristen und -termine nach § 20 AngG gelten sollen.
Diese im Einklang mit dem Unionsrecht stehende Auslegung führt aber dazu, dass das Dienstverhältnis der Kl nur unter Einhaltung einer sechswöchigen Kündigungsfrist zum Ende des Kalendervierteljahres hätte gekündigt werden können.
Die Kl war bei der Bekl, die eine Ordination für Allgemeinmedizin betreibt, ab 5.4.2017 als Angestellte im Ausmaß von sechs Wochenstunden und zu einem Bruttomonatsgehalt von 249,29 €, dies 14x jährlich, beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis gelangte der KollV für Angestellte bei Ärztinnen, Ärzten und Gruppenpraxen in Wien zur Anwendung, wonach die Normalarbeitszeit 40 Wochenstunden beträgt. Mit Schreiben vom 12.6.2017 kündigte die Bekl das Dienstverhältnis unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von 14 Tagen zum 30.6.2017.
Die Kl begehrte die Zahlung von 1.018,20 € brutto samt 8,58 % Zinsen seit 1.7.2017 an Kündigungsentschädigung einschließlich anteiliger Sonderzahlungen und Urlaubsersatzleistung für den Zeitraum vom 1.7.2017 bis 30.9.2017. Nach § 20 Abs 2 AngG hätte ihr Arbeitsverhältnis ausgehend vom 12.6.2017 frühestens zum 30.9.2017 gekündigt werden können. Die bis zum Inkrafttreten der Novelle BGBl I 2017/153BGBl I 2017/153 am 1.1.2018 in Geltung stehende Einschränkung der Anwendbarkeit dieser Bestimmung in § 20 Abs 1 AngG auf Arbeitsverhältnisse, bei welchen die vereinbarte oder tatsächlich geleistete Arbeitszeit bezogen auf den Monat mindestens ein Fünftel des 4,3-fachen der durch Gesetz oder KollV vorgesehenen wöchentlichen Normalarbeitszeit betragen habe, sei unionsrechtswidrig und habe daher unangewendet zu bleiben. Da überwiegend Frauen in Teilzeitbeschäftigungsverhältnissen stünden, sei in dieser gesetzlichen Regelung eine unzulässige (mittelbare) Diskriminierung aufgrund des Geschlechts gem Art 157 AEUV zu sehen. Darüber hinaus widerspreche die Regelung der RL 97/81/EG und § 19d AZG.
Die Bekl bestritt und berief sich darauf, dass die sich aus der Mindestarbeitszeitklausel des § 20 Abs 1 AngG aF ergebende Verkürzung der Kündigungsfristen für nur in einem sehr geringfügigen Umfang für einen AG tätige Teilzeitbeschäftigte objektiv gerechtfertigt sei. Aufgrund des geringen Einkommens bei Unterschreiten der in dieser Bestimmung genannten Mindestarbeitszeit führe die kürzere Kündigungsfrist im Regelfall zu keinem maßgeblichen Nachteil für den betroffenen AN. Ein solcher AN laufe nicht Gefahr, im Fall der Kündigung plötzlich vor dem Nichts zu stehen. Außerdem sei es nicht (mehr) richtig, dass – insb bezogen auf jüngere AN wie die Kl – überwiegend Frauen Teilzeitbeschäftigte seien, sodass eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts nicht vorliege. Eine Verzögerung der Zahlung würde überdies auf einer vertretbaren Rechtsansicht beruhen, könne sich die Bekl doch auf eine klare gesetzliche Bestimmung stützen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren im Hinblick auf die bis 31.12.2017 in Geltung stehende Fassung des § 20 Abs 1 AngG ab. Da die Normalarbeitszeit nach dem KollV 40 Wochenstunden betrage und die Kl weniger als 34,4 Stunden im Monat geleistet habe, bestimmten sich die Kündigungsregeln nicht nach § 20 AngG, sondern nach § 1159b ABGB. Demnach betrage die Kündigungsfrist 14 Tage.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kl nicht Folge. Es ging davon aus, dass Richtlinien nicht unmittelbar anwendbar seien, sondern von den Mitgliedstaaten in das innerstaatliche Recht umgesetzt werden müssten. Eine richtlinienkonforme Auslegung einer Bestimmung könne nur soweit erfolgen, als das nationale Recht dem Rechtsanwender einen Spielraum einräume. Sie dürfe aber einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen nationalen Regelung keinen durch die nationalen Auslegungsregeln nicht erzielbaren abweichenden oder gar entgegengesetzten Sinn geben. [...]
Dagegen richtet sich die Revision der Kl aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung [...].
Entgegen dem [...] Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision zulässig, weil sich die Rechtsansicht der Vorinstanzen im Ergebnis als korrekturbedürftig erweist. Dementsprechend ist sie auch überwiegend berechtigt.
1.1 Die Art 21 Abs 1 und 23 GRC verbieten jegliche Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und verankern das Recht auf Gleichbehandlung von Männern und Frauen in allen Bereichen, einschließlich Beschäftigung und Entgelt. Dieses Diskriminierungsverbot bzw Gleichbehandlungsgebot wird durch die RL 2006/54/EG konkretisiert, die im Inland durch das GlBG umgesetzt wurde. 46 Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang auch der RL 97/81/EG – innerstaatlich umgesetzt durch § 19d AZG – zu.
Nach wie vor werden Teilzeitbeschäftigungen überwiegend von Frauen ausgeübt. Nach den von der Statistik Austria zuletzt veröffentlichten Daten (www.statistik.atwww.statistik.at) war auch 2017 Teilzeitarbeit typisch für Frauen. So arbeiteten 47,7 % der Frauen im Jahresdurchschnitt Teilzeit. Demgegenüber lag der Anteil der erwerbstätigen Männer, die eine Teilzeitbeschäftigung ausüben, bei nur 11,9 %. Die RL 97/81/EG ist, obgleich sie auch Männern zugute kommt, in erster Linie auf die Beseitigung der mittelbaren Diskriminierung von Frauen gerichtet (Kucsko-Stadelmayer/Kuras in Mayer/Stöger, EUV/AEUV Art 157 AEUV Rz 134). Nach stRsp des EuGH können schlechtere entgeltrechtliche Modalitäten und Beschäftigungsbedingungen für Teilzeitbeschäftigte, zu welchen auch die Bedingungen für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zählen (EuGH 20.12.2017, C-158/16, Vega Gonzáles, Rn 34), eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts nach Art 157 AEUV darstellen (EuGH 22.11.2012, C-385/11, Elbal Moreno, Rn 29).
1.2 Eine mittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren einen wesentlich höheren Anteil der Angehörigen eines Geschlechts benachteiligen, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind zur Erreichung eines rechtmäßigen Ziels angemessen und notwendig (vgl Art 2 Abs 1 lit b der RL 2006/54/EG).
2. § 20 Abs 1 AngG, BGBl 1921/292 idF vor der Novelle BGBl I 2017/153BGBl I 2017/153, bestimmte:
„Ist das Dienstverhältnis ohne Zeitbestimmung eingegangen oder fortgesetzt worden und beträgt die vereinbarte oder tatsächlich geleistete Arbeitszeit bezogen auf den Monat mindestens ein Fünftel des 4,3-fachen der durch Gesetz oder KV vorgesehenen wöchentlichen Normalarbeitszeit, so kann es durch Kündigung nach folgenden Bestimmungen gelöst werden.“
Demgegenüber lautet die seit 1.1.2018 geltende Fassung, BGBl I 2017/153BGBl I 2017/153:
„Ist das Dienstverhältnis ohne Zeitbestimmung eingegangen oder fortgesetzt worden, so kann es durch Kündigung nach folgenden Bestimmungen gelöst werden.“
3.1 § 20 Abs 1 AngG aF nahm eine Gruppe von Teilzeitbeschäftigten, deren Arbeitszeit weniger als ein Fünftel der Normalarbeitszeit betrug, von der Anwendung der in § 20 AngG normierten Kündigungstermine und (gegenüber den Regelungen des ABGB längeren) Kündigungsfristen aus. Auch unter dieser Gruppe der geringfügig Beschäftigten befinden sich nach den von der Statistik Austria zuletzt veröffentlichten Daten weit überwiegend Frauen. Davon ging auch der Gesetzgeber aus (vgl RV 735 BlgNR 18. GP 40).
3.2 In der Lehre wurde die Unionsrechtskonformität der Bestimmung des § 20 Abs 1 AngG idF vor der Novelle BGBl I 2017/153BGBl I 2017/153 sowohl unter dem Gesichtspunkt der Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten als auch der (mittelbaren) Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verneint bzw zumindest angezweifelt (Reissner in Neumayr/ Reissner, ZellKomm3 § 20 AngG Rz 3; Reissner/Heinz-Ofner in Reissner, AngG2 § 20 Rz 3; Jabornegg/Resch/Födermayr, Arbeitsrecht6 Rz 498; Marhold/ Friedrich, Arbeitsrecht3 320; Resch, Rechtsfragen der Teilzeitbeschäftigung unter besonderer Berücksichtigung des ArbBG und des EWR,
Nur Rauch (PV-Info 2012/2, 20) vertrat die Ansicht, dass kürzere Kündigungsfristen bei einer bestimmten sehr geringen Arbeitszeit sachlich berechtigt seien, weil der entsprechend geringe Verdienst zwangsläufig einen Nebenverdienst darstelle, mit dem in der Regel wegen Geringfügigkeit auch keine Versicherungspflicht verbunden sei. Daraus ergebe sich eine entsprechend geringe Bindung im Arbeitsverhältnis, welche die leichtere Auflösbarkeit sachlich begründe.
Dabei ist aber zu beachten, dass die Umstände, die zu einer bloßen Teilzeitbeschäftigung führen, sehr vielfältig sind (Kinderbetreuung, andere Arbeitsverhältnisse, etc). Teilweise erschweren diese Umstände die Arbeitssuche, etwa wenn in bestimmten Bereichen vorrangig Vollzeitkräfte nachgefragt oder bestimmte, etwa mit der Kinderbetreuung oder einem anderen Arbeitsverhältnis kompatible Arbeitszeiten nur eingeschränkt angeboten werden. In qualifizierten Angestelltenberufen kann das Entgelt für Teilzeitbeschäftigungen oft auch die Geringfügigkeitsgrenze überschreiten. Im Ergebnis fehlt es an einem klaren Nachweis eines rechtmäßigen Ziels, zu dessen Erreichung die Ausnahme vom Schutz des § 20 AngG angemessen und erforderlich wäre und die Benachteiligung Teilzeitbeschäftigter – Frauen – rechtfertigen könnte.
3.3 Der OGH hat bereits in seiner E 8 ObS 5/11k den in europarechtlicher Hinsicht geäußerten Bedenken der Lehre Bedeutung zugemessen. Da ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung geringfügig beschäftigter AN in Bezug auf die Kündigungsvorschriften nicht ersichtlich ist, steht die Bestimmung des § 20 Abs 1 AngG aF mit dem Unionsrecht, insb Art 21 und 23 GRC iVm Art 1 und 2 Abs 1 Buchstabe b der RL 2006/54/EG bzw § 4 Z 1 der Rahmenvereinbarung zu der RL 97/81/ EG, nicht in Einklang.
4.1 Inhaltlich von einer Richtlinie berührte Normen sind soweit wie möglich richtlinienkonform auszulegen (RIS-Justiz RS0111214). Eine richtlinienkonforme Auslegung einer Bestimmung kann aber nur soweit erfolgen, als das nationale Recht dem Rechtsanwender einen Spielraum einräumt. Sie darf einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen nationalen Regelung keinen durch die nationalen Auslegungsregeln nicht erzielbaren abweichenden oder gar entgegengesetzten Sinn geben (RIS-Justiz RS0114158).
4.2 Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass eine dem Wortlaut gegenläufige richtlinienkonforme Interpretation des § 20 Abs 1 AngG aF nicht in Betracht kommt. Es ist aber nicht 47 darauf eingegangen, dass der KollV für Angestellte bei Ärztinnen, Ärzten und Gruppenpraxen in Wien (Stichtag 1.7.2017), auf den sich die Kl schon in der Klage berufen hat, unter Pkt XIII. für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses folgende Regelung trifft:
„1) Ist das Dienstverhältnis ohne Zeitbestimmung eingegangen oder fortgesetzt worden, so unterliegt dessen Lösung den Bestimmungen des § 20 AngG. Bezüglich der Kündigungsfrist wird vereinbart, dass diese durch Vereinbarung gemäß § 20 Abs 3 AngG nur am Letzten eines Kalendermonats enden darf. [...]“
5.1 Es ist stRsp, dass der normative Teil eines KollV gem den §§ 6 und 7 ABGB nach seinem objektiven Inhalt auszulegen ist. Dabei ist maßgeblich, welchen Willen des Normgebers der Leser dem Text entnehmen kann (RIS-Justiz RS0010088). In erster Linie ist dabei der Wortsinn – auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen – zu erforschen und die sich aus dem Text des KollV ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0010089). Bei der Auslegung einer kollektivvertraglichen Norm darf den Kollektivvertragsparteien zumindest im Zweifel unterstellt werden, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen und daher eine Ungleichbehandlung der Normadressaten vermeiden wollten (RIS-Justiz RS0008897).
5.2 Der Wortlaut von Pkt XIII. des hier zur Anwendung gelangenden KollV ist iS eines Rechtsfolgenverweises einer richtlinienkonformen Interpretation zugänglich. Ausgehend von den europarechtlichen Vorgaben kann der KollV dahin interpretiert werden, dass für alle Normadressaten die Kündigungsfristen und -termine nach § 20 AngG gelten sollen. Der Verweis im KollV, wonach die Lösung eines ohne Zeitbestimmung eingegangenen oder fortgesetzten Dienstverhältnisses den Bestimmungen des § 20 AngG unterliegt, ist daher dahin zu verstehen, dass die dort normierten Kündigungsfristen und -termine ungeachtet der Arbeitszeit der Beschäftigten gelten sollen.
Diese im Einklang mit dem Unionsrecht stehende Auslegung führt aber dazu, dass das Dienstverhältnis der Kl nur unter Einhaltung einer sechswöchigen Kündigungsfrist zum Ende des Kalendervierteljahres hätte gekündigt werden können.
6.1 Da sich die von der Kl geltend gemachten Ansprüche aus diesem Grund als berechtigt erweisen, war der Revision in der Hauptsache Folge zu geben.
6.2 Nach § 49a Satz 2 ASGG gebühren die erhöhten Zinsen gem § 49a Satz 1 ASGG allerdings dann nicht, wenn die Verzögerung der Zahlung auf einer vertretbaren Rechtsansicht des Schuldners beruht (vgl RIS-Justiz RS0116030 [T4]). Dies ist hier der Fall, weil sich die Bekl auf den – wenngleich unionsrechtswidrigen – Wortlaut des § 20 Abs 1 AngG stützen konnte. Der Kl waren daher nur die gesetzlichen Zinsen nach § 1000 Abs 1 ABGB zuzusprechen. [...]
In der vorliegenden E behandelt der OGH einen Sachverhalt, auf den § 20 Abs 1 AngG noch in der alten Fassung zur Anwendung kommt; danach haben teilzeitbeschäftigte Angestellte, die – zusammengefasst – weniger als 32 Stunden im Monat arbeiten, gegenüber den übrigen Angestellten deutlich kürzere Fristen bei AG-Kündigung. Für solche Angestellte waren nicht die Kündigungsbestimmungen des AngG – also insb eine mindestens sechswöchige Kündigungsfrist – anzuwenden, sondern subsidiär die Bestimmungen der §§ 1159 ff ABGB in der bis 31.12.2020 geltenden Fassung (vgl § 1503 ABGB); der hier einschlägige § 1159b leg cit sieht eine Kündigungsfrist von 14 Tagen vor. Im maßgeblichen KollV (für die Angestellten bei Ärztinnen, Ärzten und Gruppenpraxen in Wien) ist eine Normalarbeitszeit von 40 Stunden pro Woche festgelegt (Pkt III. Abs 1 KollV); bezüglich der Kündigung von Arbeitsverhältnissen ohne Zeitbestimmung wird auf die „Bestimmungen des § 20 AngG“ verwiesen (Pkt XV. Abs 1 KollV). Unter Zugrundelegung dieser Bestimmungen kündigte die AG das Arbeitsverhältnis ihrer Angestellten, die sechs Stunden pro Woche arbeitete, mit einer 14-tägigen Kündigungsfrist zum 30.6.2017.
§ 20 Abs 1 AngG aF stellte eines der Überbleibsel der an und für sich schon länger vollzogenen Gleichstellung von Teil- und Vollzeitzeitarbeit im österreichischen Arbeits- sowie Sozialrecht dar. Indem in § 1 Abs 1 AngG die seit der Stammfassung, BGBl 1921/292, geltende Voraussetzung einer „hauptsächlichen“ Inanspruchnahme auf ein Mindestbeschäftigungsausmaß von 32 Stunden im Monat geändert worden war, erfolgte durch BGBl 1975/418 eine Einbeziehung von weiteren Teilzeitbeschäftigten ins Angestelltenrecht. Dieses Mindestbeschäftigungsausmaß in § 1 entfiel schließlich durch BGBl 1992/833zur Gänze, sodass seitdem Teilzeitbeschäftigte von fast allen Regelungen des AngG erfasst sind. Maßgeblicher Grund für diesen Schritt war der damals angestrebte EG-Beitritt; dabei weisen die Materialien mehrfach auf die Judikatur zur mittelbaren Diskriminierung hin, die solche Benachteiligungen von Teilzeitbeschäftigten nicht mehr erlaubte, weil sie überwiegend Frauen sind (ErläutRV 735 BlgNR 18. GP 40, 43). Die Voraussetzung des Mindestbeschäftigungsausmaßes von 32 Stunden pro Monat wurde allerdings in § 20 Abs 1 AngG übernommen. Offenbar ausgehend vom „rechtfertigenden“ Verständnis, dass AN mit geringerem Arbeitszeitausmaß ohnehin weniger auf das Entgelt angewiesen seien und dass § 77 GewO 1859 für die ArbeiterInnen eine ebenso kurze Kündigungsfrist vorsah, prolongierte der österreichische Gesetzgeber (nur) für die Gruppe 48 der Angestellten, die weniger als 32 Stunden pro Monat arbeiteten, die Anwendung der ungünstigeren Kündigungsfristen (kritisch bereits kurz später Resch, Rechtsfragen der Teilzeitbeschäftigung unter besonderer Berücksichtigung des ArbBG und des EWR,
§ 20 Abs 1 AngG aF mit dem eben angesprochenen, nach dem Beschäftigungsausmaß differenzierenden Inhalt ist seit 1.1.2018 nicht mehr in Kraft und kommt allenfalls noch für Kündigungen zum Tragen, die – wie die vorliegende – bis einschließlich 31.12.2017 ausgesprochen worden sind (Art X Abs 2 Z 16 AngG). Im Zuge der weiteren Angleichungen zwischen ArbeiterInnen und Angestellten in den Bereichen Entgeltfortzahlung und Kündigung durch BGBl I 2017/153BGBl I 2017/153wurde § 20 Abs 1 aF durch eine Regelung ersetzt, die unter Wegfall der Bezugnahme auf ein Mindestarbeitszeitausmaß nunmehr für alle unbefristeten Angestelltenverhältnisse die Kündigungsregelungen des § 20 AngG zur Anwendung kommen lässt. Der Gesetzgeber hat mit dieser Neuregelung ohne Unterscheidung nach dem Beschäftigungsausmaß endlich auf Zweifel bzw Kritik der Lehre wegen mangelnder Unionsrechtskonformität reagiert. Auch der OGH hält – unter Berufung auf diese Stimmen – in der vorliegenden E fest, dass die Ausnahme von den Kündigungsregelungen des § 20 AngG – also insb die Verkürzung der Kündigungsfrist – für Beschäftigte, die unter acht Stunden pro Woche arbeiten, sowohl eine Diskriminierung wegen Teilzeitbeschäftigung als auch eine (mittelbare) Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt, weil eine sachliche Rechtfertigung für die unterschiedliche Behandlung nicht vorliegt. Dem Höchstgericht zufolge steht § 20 Abs 1 AngG aF daher „mit dem Unionsrecht, insb Art 21 und 23 GRC iVm Art 1 und 2 Abs 1 lit b RL 2006/54/EG bzw § 4 Z 1 RL 97/81/EG, nicht in Einklang“
. Auf Art 157 AEUV nimmt der OGH dabei nicht mehr direkt Bezug, sondern gibt in seinen Referenzen den jüngeren und spezifischeren Rechtsgrundlagen den Vorzug.
Die Ursache für die Unionsrechtswidrigkeit des § 20 Abs 1 AngG aF liegt im Wesentlichen in der mangelhaften Umsetzung sowohl der Teilzeit-RL als auch der Gleichbehandlungs-RL; der österreichische Gesetzgeber hat es verabsäumt, seinen einschlägigen Verpflichtungen nachzukommen. Da im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für eine direkte Anwendung der RL nicht gegeben sind (dazu instruktiv ua EuGH 22.11.2005, C-144/04, Mangold, EU:C:2005:709; EuGH 11.7.2006, C-13/05, Chacón Navas, EU:C:2006:456; EuGH 26.2.1986, 152/84, Marshall, EU:C:1986:84; sowie zu jenen der Nicht-Anwendung von unionsrechtswidrigen nationalen Regelungen EuGH 19.1.2010, C-555/07, Kücükdevici, EU:C:2010:21), obliegt es den sonstigen TrägerInnen öffentlicher Gewalt, zumindest auf der Ebene der Rechtsanwendung die Erreichung der Ziele der RL im nationalen Recht sicherzustellen (EuGH4.7.2006, C-212/04, Adeneler, EU:C:2006:443; siehe auch Art 4 Abs 3 EUV; Art 288 Abs 3 AEUV). Dem OGH war es jedoch verwehrt, die unionsrechtswidrige Regelung in § 20 Abs 1 AngG aF einfach unangewendet zu lassen, sodass der Rest des § 20 AngG zum Tragen kommt; ein solches Vorgehen würde der nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Bestimmung einen abweichenden Sinn geben. Seiner Verpflichtung kommt das Höchstgericht in der vorliegenden E im Wege „richtlinienkonformer Interpretation“ nach (allg Borchardt, Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union [2015] Rn 147 ff; Streinz, Europarecht10 [2016] Rn 504), allerdings nicht jener des (formellen) Gesetzes. Das würde wiederum einen Beurteilungsspielraum verlangen, der – unter Berücksichtigung der lex-lata-Grenze – nicht besteht (EuGH 10.4.1984, 14/83, von Colsonund Kamann, EU:C:1984:153; EuGH15.4.2008, C-268/06, Impact, EU:C:2008:223). Der Wortlaut des § 20 Abs 1 AngG aF ist klar und eindeutig: Für Angestellte unter dem gesetzlich vorgesehenen Mindestbeschäftigungsausmaß gelten die Kündigungsregelungen des AngG nicht.
Der OGH wendet sich in der Folge der nachgeordneten Normenkategorie im Stufenbau der Arbeitsrechtsordnung zu, dem einschlägigen KollV, der – sofern er günstiger als das Gesetz ist – zur Anwendung kommt, und stellt dessen Regelungen pflichtgemäß in den Dienst des Europarechts: Wird „das Dienstverhältnis ohne Zeitbestimmung“ gelöst, so unterliegt dessen Lösung dem KollV zufolge „den Bestimmungen des § 20 AngG“. In diesen pauschalierenden Formulierungen findet der OGH den – iVm dem den Sozialpartnervereinbarungen generell unterstellten Ziel der Vermeidung von Ungleichbehandlung der NormadressatInnen – fruchtbar zu machenden Spielraum. Die nicht ausdrücklich nach dem Beschäftigungsausmaß differenzierende Regelung wird auf eine bloße Rechtsfolgenverweisung reduziert, sodass der gesamte § 20 AngG – bis auf Abs 1 aF – für Voll- und alle Teilzeitbeschäftigten gleichermaßen zur Anwendung kommt, also insb die längeren Kündigungsfristen des AngG. Dass die Absicht der Kollektivvertragsparteien wohl zumeist eine Normwiederholung des § 20 AngG einschließlich seines differenzierenden Abs 1 aF war, kann für das zur richtlinienkonformen Auslegung verpflichtete 49 Gericht keine Rolle spielen. Unter Zugrundelegung der für den normativen Teil des KollV relevanten Interpretationsmaximen der §§ 6 f ABGB verlässt der OGH die Wortlautgrenzen der Norm mit dem von ihr zugedachten Inhalt nicht.
Der OGH spricht iVm der Verweisung im KollV immer von „§ 20 AngG“; zusätzlich führt er aus, dass die „dort normierten Kündigungsfristen und -termine“ gelten sollen. Diese Verweisung auf § 20 AngG als Ganzes führt zunächst dazu, dass alle dort angeordneten (nicht diskriminierenden) Rechtsfolgen zum Tragen kommen müssen. Neben den hier strittigen Kündigungsfristen bei AG-Kündigung inkludiert dies grundsätzlich auch die Kündigungsfristen bei AN-Kündigung, die Verlängerung der Fristen bei höherem Dienstalter sowie die Kündigungstermine. Für die AG ist damit nicht nur die Grundfrist von sechs Wochen für die Teilzeitbeschäftigten mit weniger als 32 Stunden im Monat beachtlich, sondern ebenso die erhöhten Fristen nach längerer Betriebszugehörigkeit; ein davon abweichendes Verständnis der senioritätsabhängigen Staffelung in Bezug auf diese Teilzeitbeschäftigten wäre wiederum unionsrechtswidrig (gewesen).
Systematisch betrachtet geht das Gesetz von den Quartalsenden als primären Kündigungsterminen aus (§ 20 Abs 2 Satz 1 AngG); es erlaubt in § 20 Abs 3 AngG den Vertragsparteien allerdings – zu Ungunsten der AN – eine Abdingung auf den Letzten oder 15. eines Monats als Kündigungstermin. Diese Gestaltungsmöglichkeit hat der einschlägige KollV wahrgenommen, allerdings nicht iS einer Verschlechterung für die AN durch Bereitstellung von mehr Kündigungsterminen: Der KollV selbst legt keinen (weiteren) Termin fest, sondern beschränkt die nachrangigen Vereinbarungen, wie insb den Arbeitsvertrag. Diese können lediglich einen Monatsletzten als möglichen Kündigungstermin vorsehen; die Vereinbarung des 15. wäre hingegen unzulässig.
Ob eine Klausel im Arbeitsvertrag der Kl zum Kündigungstermin festgelegt wurde, ist der E nicht klar zu entnehmen; ebenso wenig wird auf die diesbezügliche Vereinbarungspraxis bei der AG im Allgemeinen eingegangen. Die AG kündigte am 12.6.2017 (einem Dienstag) zum 30.6.2017 unter Einhaltung der gesetzlich vorgesehenen 14-tägigen Frist; an und für sich hätte der Monatsletzte in dieser Konstellation nicht abgewartet werden müssen. Überlegungen zur Nutzung allfälliger Gestaltungsmöglichkeiten der AG zu Ungunsten der AN – wie insb der Vereinbarung des Monatsletzten als Kündigungstermin – stellte der OGH allerdings nicht an; das Höchstgericht ging bei seiner diskriminierungsfreien Anwendung des § 20 AngG sowohl von den längeren Kündigungsfristen des AngG als auch vom Quartalsende als Kündigungstermin aus. Der AG, die im Vertrauen auf § 20 Abs 1 AngG aF und dessen bloß 14-tägiger Frist ohne Termin den Arbeitsvertrag geschlossen hatte, war damit im Ergebnis auch die Berufung auf für sie günstigere Vereinbarungsmöglichkeiten versagt worden.
Der vorliegenden E ist im Ergebnis im Wesentlichen zuzustimmen; ihr wäre allerdings vor 2018, also vor der Sanierung des diskriminierenden § 20 Abs 1 AngG aF durch den Gesetzgeber selbst, bei weitem größere Bedeutung zugekommen. Zumindest für jene AN mit sehr geringem Beschäftigungsausmaß, die auch einem KollV unterliegen, hätte sie – bezüglich der Kündigungsfristen bei Auflösung durch den/die AG – regelmäßig eine Verbesserung gebracht, weil die meisten Kollektivverträge, die die Kündigung näher regeln, rechtstechnisch mit Verweisungen auf „die Bestimmungen des § 20 AngG“ arbeiten.
Mit der Fruchtbarmachung des KollV zeigt der OGH aber immerhin einen weiteren Weg zur Herstellung einer unionsrechtskonformen Rechtslage auf, wenn – nach mangelhafter Umsetzung – die lex-lata-Grenze einer richtlinienkonformen Auslegung des Gesetzes entgegensteht, aber der KollV einen entsprechenden Spielraum gewährt. Erhöhte Aufmerksamkeit dürfte die E auch bei den AG-VertreterInnen erregen: Diese werden in Zukunft den AG hinsichtlich potentiell unionsrechtswidriger Bestimmungen in der Beratungspraxis vermehrt die Wahrnehmung der für die AG günstigeren Gestaltungsmöglichkeiten empfehlen, damit diese Vorteile im Falle der Nichtanwendbarkeit von diskriminierenden Bestimmungen nicht zur Gänze verloren gehen. 50