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Leiharbeiter: Anspruch auf „großes“ Taggeld auch für den Tag nach einer auswärtigen Nächtigung

RENÉSCHINDLER (WIEN)
Abschnitt VIII KVAÜ
  1. Die Pkte 11 und 12 des Abschnittes VIII KollV für ArbeiterInnen im Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung (KVAÜ) stellen ausschließlich auf die Entfernung des Wohnorts des AN vom Beschäftigerbetrieb ab. Dies gilt auch für im Ausland wohnhafte AN. Die Entfernung zwischen dem Beschäftigerbetrieb und dem Überlassungsbetrieb ist bedeutungslos.

  2. Anspruch auf das in Abschnitt VIII Kapitel B Pkt 12 KVAÜ bei Überlassung in weit entfernte Betriebe vorgesehene Taggeld besteht auch für den Tag der Heimreise nach der letzten Nächtigung.

  3. Auch Abschnitt VIII Kapitel A Pkt 2 KVAÜ begründet bei notwendiger oder angeordneter Nächtigung außer Haus einen Anspruch auf ein Taggeld von „täglich“ € 26,40, somit für den Tag vor, wie auch den Tag nach der Nächtigung.

Der Kl war bei der Bekl, einem [...] Arbeitskräfteüberlasser, von 9.11.2016 bis 29.9.2017 beschäftigt und während des Arbeitsverhältnisses bei der R* GmbH in A* eingesetzt. Zwischen dem Überlasserbetrieb und dem Beschäftigerbetrieb liegt eine Wegstrecke von rund 55 km. Der in Ungarn wohnhafte Kl bezog unter der Woche in Oberösterreich Quartier. Am letzten Arbeitstag der Woche – für gewöhnlich einem Freitag – reiste er nach Arbeitsschluss jeweils nach Hause nach S*, welches sowohl vom Betrieb des Beschäftigers als auch jenem des Überlassers mehrere hundert Kilometer entfernt ist. Für den letzten Arbeitstag der Woche wurde dem Kl von der Bekl jeweils kein Taggeld bezahlt.

Auf das Arbeitsverhältnis sind die Bestimmungen des KVAÜ anzuwenden, die – soweit für die Entscheidung des Rechtsfalls von Relevanz – wie folgt lauten:

„VIII. Regelungen für auswärtige ArbeitenA) Bei Entsendung durch den Beschäftiger:[...]2. TagesgelderBei einer auswärtigen Arbeitszeit von mehr als 5 Stunden gebührt ein Tagesgeld pro Arbeitstag.[...]Wenn die Beschäftigung außerhalb des ständigen Betriebes eine Nächtigung außer Haus erfordert oder eine solche angeordnet wird, gebührt täglich ein Tagesgeld in der Höhe von € 26,40. Ein Taggeld in dieser Höhe gebührt auch, wenn die auswärtige Nächtigung für den Tag vor bzw. für den Feiertag angeordnet wird (Durchzahlen eines Feiertages).[...]B) Bei Entsendung durch den Überlasser in weit entfernte Beschäftigerbetriebe:11. Eine Dienstreise liegt ferner vor, wenn der Arbeitnehmer vom Arbeitskräfteüberlasser in einen Betrieb überlassen wird, der mehr als 60 km vom Wohnort des Arbeitnehmers entfernt ist (Wegstrecke bei Verwendung öffentlicher Verkehrsmittel). [...]12. Wird der Arbeitnehmer in einen Betrieb überlassen, der mehr als 120 km vom Wohnort des Arbeitnehmers entfernt ist (Wegstrecke bei Verwendung öffentlicher Verkehrsmittel) und eine Nächtigung angeordnet, besteht Anspruch auf Taggeld von € 26,40 und Nächtigungsgeld von € 15,– (Ersatz höherer Nächtigungskosten gegen Beleg) sowie Fahrtkostenersatz für An- und Abreise (Pkt 11.). Die Anordnung von Nächtigungen kann nicht für die Wochen(end)ruhe erfolgen (kein Durchzahlen über Wochenenden). Es ist die Heimreise am letzten Arbeitstag der Arbeitswoche zu ermöglichen. Ferner ist Punkt 5. und 6. sinngemäß anzuwenden. [...]X. Verdienstbegriff[...]In den Verdienst sind einzubeziehen:Sämtliche Zulagen und Zuschläge [...], nicht jedoch Aufwandsentschädigungen (Tages- und Nächtigungsgelder sowie Fahrtkostenersätze).[...]XIV. Abrechnung und Auszahlung[...]2. Der Arbeitnehmer hat Anspruch auf eine übersichtliche schriftliche Abrechnung. Diese hat insbesondere auszuweisen:[...]g) Aufwandsentschädigungen (Taggelder, Nächtigungsgelder, Fahrtkostenersätze)[...]Anhang III.Klarstellung der Kollektivvertragspartner zu: [...] Abschnitt VIII:Bei Arbeitnehmern, die ihren ordentlichen Wohnsitz (Lebensmittelpunkt) im Ausland haben, gilt dieser als Wohnsitz, nicht das inländische Quartier.“

Der Kl begehrt mit seiner Klage jeweils für den letzten Arbeitstag der Woche das Taggeld von insgesamt 871,20 € samt Zinsen. [...]

Die Bekl stellte das Klagebegehren der Höhe nach außer Streit, bestritt es jedoch dem Grunde nach. Beim Kl handle es sich um einen „klassischen Wochenpendler“, der regelmäßig am letzten Arbeitstag der Woche nach Hause fahre, weshalb an diesem Tag auch keine Nächtigung mehr auswärts stattfinde. [...] Die Bestimmung Abschnitt VIII Kapitel B Pkt 12 des KollV sei gegenständlich nicht anwendbar, zumal es sich aus Sicht der Bekl als Überlasserbetrieb um keine Entsendung in einen weit entfernten Beschäftigerbetrieb handle, liege doch zwischen dem Überlasserbetrieb und dem Beschäftigerbetrieb nur eine Wegstrecke von rund 55 Kilometer vor (AS 42).

Das Erstgericht wies die Klage ab.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil im klagsstattgebenden Sinne ab. Mangels Rsp des OGH zur Frage, ob ein AN Anspruch auf Taggeld nach Abschnitt VIII Kapitel B Pkt 12 KVAÜ für den letzten Tag einer Arbeitswoche, an dem die Heimreise erfolgt, habe, ließ es die ordentliche Revision gem § 502 Abs 1 ZPO zu. [...] 51

Rechtliche Beurteilung

[...]

1. Die Grundsätze der Auslegung von Kollektivverträgen wurden bereits vom Berufungsgericht dargelegt, sodass darauf verwiesen werden kann.

Zum Einwand der Bekl, es scheitere an der erforderlichen Entfernung:

2.1. Abschnitt VIII des KVAÜ enthält in Kapitel A Regelungen für auswärtige Arbeiten „bei Entsendung durch den Beschäftiger“ und in Kapitel B solche „bei Entsendung durch den Überlasser in weit entfernte Beschäftigerbetriebe“. Abschnitt A kommt nur im – hier nicht gegebenen – Fall der Entsendung durch den Beschäftiger zum Tragen (vgl 9 ObA 30/07p; 9 ObA 135/07d). Weil hier eine Entsendung durch den Überlasser vorliegt, sind die Regelungen des Kapitels B des Abschnitts VIII des KVAÜ entscheidend.

2.2. Sowohl der das Vorliegen einer „Dienstreise“ regelnde Pkt 11 des Kapitels B als auch der die Ansprüche auf ein Tag- und ein Nächtigungsgeld regelnde Pkt 12 des Kapitels B stellen grundsätzlich auf die Entfernung des Wohnorts des AN vom Beschäftigerbetrieb (Wegstrecke bei Verwendung öffentlicher Verkehrsmittel) ab, wobei es für Pkt 11 auf ein Überschreiten von 60 km, für Pkt 12 auf ein Überschreiten von 120 km ankommt. Dies gilt aufgrund der von den Kollektivvertragsparteien in Anhang III zu Abschnitt VIII vorgenommenen Klarstellung auch für im Ausland wohnhafte AN (vgl 9 ObA 135/07d). Zumal der Wohnsitz (Wohnort) des Kl in Ungarn mehrere hundert Kilometer vom Beschäftigerbetrieb entfernt liegt, sind entgegen der Ansicht der Bekl die Entfernungsvoraussetzungen von Abschnitt VIII Kapitel B Pkt 12 des KollV unabhängig von der Entfernung zwischen dem Beschäftigerbetrieb und dem Überlassungsbetrieb erfüllt.

Zum Einwand der Bekl, es scheitere an der fehlenden Nächtigung:

3. Zur Frage, ob bei der (typischen) Heimfahrt am Freitag nach Dienstschluss (als gewöhnlich letzten Arbeitstag der Woche) für diesen Freitag ein Tag(es)geld nach Abschnitt VIII Kapitel B Pkt 12 KVAÜ zusteht, finden sich in der Literatur nur ansatzweise Äußerungen:

3.1. Kurzböck (Der NEUE Arbeiter-Kollektivvertrag in der Arbeitskräfteüberlassung [LV-aktuell Sonderheft 2012] 52) vertritt zu Abschnitt VIII Kapitel B Pkt 12 die Ansicht, dass es sich beim Taggeld iS einer Aufwandsentschädigung um eine pauschale Verpflegungsabgeltung handle. Das Taggeld gebühre, ohne dass zeitliche Mindestanforderungen gestellt würden, im Ausmaß von [damals] 26,16 €. Es gebühre offenbar pro Arbeitstag, da hier die Bezeichnung „Tag“ bzw „Kalendertag“ nicht verwendet werde. Daher sei ein „24-Stunden- Rhythmus“ anzunehmen. Abgabenrechtlich könne man bei Kapitel B von einem kollektivvertraglichen Dienstreisebegriff ausgehen, sodass das Taggeld nach § 26 Z 4 EStG 1988 abgabenbefreit sei. Eine Ausnahme könne dann eintreten, „wenn ein Arbeitstag nicht die erforderliche Zahl von (steuerlichen) Abwesenheitsstunden aufweist (z.B. ein Freitagsfrühschluss, dann setzt die – beim DR-Begriff A beschriebene – Zwölftelregelung ein). Sollte der aliquotierte steuerliche Taggeldbetrag niedriger sein als die € 26,16, dann ist die Differenz abgabenpflichtig zu behandeln“.Kurzböck geht damit davon aus, dass dem AN das Taggeld auch für einen Freitag (letzten Tag der Arbeitswoche) gebührt, an dem der AN nach Hause fährt („Freitagsfrühschluss“).

3.2. Rothe (Arbeiter- und Angestellten-KV – Arbeitskräfteüberlassung3 [2017]) vertritt zu Abschnitt VIII Kapitel A Pkt 2 KVAÜ die Ansicht, dass dem Wochenpendler für den Freitag, an dem er nach Hause fährt und daher an diesem Tag nicht mehr „außer Haus“ nächtigt, kein „großes Tagesgeld“ (26,40 €) und auch kein Nächtigungsgeld zusteht (aaO 91). Hierauf wird vom Autor bei der Erläuterung von Abschnitt VIII Kapitel B Pkt 12 KVAÜ „zur Vermeidung von Wiederholungen“ verwiesen (aaO 105).

3.3. Schindler (Arbeitskräfteüberlassungs-KV4 [2018] 246) vertritt zu Abschnitt VIII Kapitel B Pkt 12 die Ansicht, dass der KVAÜ Tages- und Nächtigungsgelder nur dann vorsehe, wenn eine auswärtige Nächtigung entweder angeordnet wird oder aber notwendig ist und tatsächlich erfolgt. Zur Frage, ob bei der Heimfahrt am Freitag nach Dienstschluss für diesen Tag ein Tagesgeld zustehe, äußert er sich nicht explizit.

Der Senat hat erwogen:

3.4. Beim in Abschnitt VIII KVAÜ für auswärtige Arbeiten geregelten Taggeld handelt es sich – wie aus Abschnitt X und Abschnitt XIV Pkt 2 lit g ersichtlich – um eine Aufwandsentschädigung (8 ObA 44/15a [in Pkt 3.]; VwGH2013/08/0103 = ARD 6507/9/2016). Als solche dient es der pauschalen Abdeckung des finanziellen Aufwands des AN, den dieser dadurch hat, dass er den Tag auswärts verbringen muss, so insb auch, dass er gezwungen ist, sich auswärts – und damit typischerweise teurer als in seinem gewöhnlichen Umfeld – zu verpflegen (vgl Kurzböck, Der NEUE Arbeiter-Kollektivvertrag in der Arbeitskräfteüberlassung [LV-aktuell Sonderheft 2012] 52). Dem Telos des Taggelds würde daher allein eine Lesart der Bestimmung Abschnitt VIII Kapitel B Pkt 12 KVAÜ entsprechen, nach der dem AN auch für den letzten Tag der Arbeitswoche ein Taggeld gebührt.

3.5. Eine solche Lesart lässt der Wortlaut von Abschnitt VIII Kapitel B Pkt 12 KVAÜ auch durchaus zu. Zwar macht dessen Satz 1 sowohl das Tag- als auch das Nächtigungsgeld davon abhängig, dass die Entfernungsvoraussetzung erfüllt und zudem „eine Nächtigung angeordnet“ wurde. Dabei verlangt Satz 1 aber nicht, dass sich die Anordnung der Nächtigung auf die kommende Nacht bezieht. Es reicht daher aus, dass die Nächtigung vom vorletzten auf den letzten Tag der Arbeitswoche angeordnet war (oder die Nächtigung vom vorletzten auf den letzten Tag der Arbeitswoche jedenfalls iSd Satzes 5 der Bestimmung tatsächlich erfolgte).

3.6. Aus der Bestimmung Abschnitt VIII Kapitel A Pkt 2 Satz 3 KVAÜ ergibt sich nichts Gegenteiliges. Diese ordnet an, dass den AN ein Tagesgeld von täglich 26,40 € gebührt, wenn die Beschäftigung außerhalb des ständigen Betriebs eine Nächtigung 52 außer Haus erfordert oder eine solche angeordnet wird. Auch der Wortlaut jener Bestimmung verlangt nicht, dass die Nächtigung dem Tag, für den das Tag(es)geld verlangt wird, nachfolgt, vielmehr deutet das Wort „täglich“ darauf hin, dass auch für den letzten Tag der Arbeitswoche das Tagesgeld gebührt. Aus der Verwendung der Worte „pro Arbeitstag“ bzw „täglich“ in Abschnitt VIII Kapitel A Pkt 2 KVAÜ im Unterschied zu Abschnitt VIII Kapitel B Pkt 12 KVAÜ kann, zumal beide Bestimmungen gänzlich anders formuliert sind, nicht geschlossen werden, dass einem vom Überlasser entsendeten AN für den letzten Arbeitstag der Woche kein Taggeld zustehe.

3.7. Dass bei einer Nächtigung von einem Arbeitstag auf einen anderen Arbeitstag, an dem sodann nach Dienstschluss die Heimreise angetreten wird, für die Nächtigung das Nächtigungsgeld und für beide Arbeitstage das Tag(es)geld gebührt, ist im Übrigen allgemeine Auffassung zum Tagesgeld nach § 26 Z 4 EStG 1988 von höchstens 26,40 €, an welcher Bestimmung sich die zu beurteilende Kollektivvertragsbestimmung der Höhe nach orientiert (vgl die Berechnungsbeispiele bei Spitzl/Gruber in Kuras, Handbuch Arbeitsrecht Kap 3 Rz 3.17.5 und in Pkt 5.4.4. der Lohnsteuerrichtlinien 2002; vgl ferner auch Löschnigg/Winter, Zwei Dienstreisen und deren Abrechnung,

: Anspruch auf Taggeld für den Abreisetag). Dass entgegen dem allgemein Üblichen bei einer angeordneten bzw jedenfalls notwendigen und auch tatsächlich erfolgten Nächtigung von einem Arbeitstag auf einen anderen Arbeitstag dem AN für den zweiten auswärts verbrachten Arbeitstag kein Taggeld zustehe, ist dem KVAÜ wie dargelegt nicht zu entnehmen. [...]

ANMERKUNGEN

1. Der E ist durchaus zuzustimmen. Die bis zum Einkommensteuergesetz (EStG) ausgreifende Begründung zeigt aber, wie schwer sich die Gerichte nach wie vor mit der Auslegung von Kollektivverträgen tun. Immerhin: Man registriert dankbar, dass diesmal auf die übliche, im Grunde weithin inhaltsleere Floskel von einer „vernünftigen, zweckentsprechenden ...“ Regelung verzichtet (oder diese dem Berufungsgericht überlassen) wurde. Und ich muss (selbst-)kritisch anmerken, dass die einschlägigen Formulierungen des KVAÜ (an denen ich mitgewirkt habe) mehr als mangelhaft sind: Die Kollektivvertragsparteien sollten auch Selbstverständliches klar formulieren! Ferner ist die, zu Recht vom OGH ignorierte, Verwendung inhaltlich identer, aber leicht unterschiedlicher Begriffe („Taggeld“, aber auch „Tagesgeld“) nicht sinnvoll; der korrekten Zitierung halber verwende auch ich im Folgenden beide.

2. Ganz richtig weist der OGH darauf hin, dass für das Vorliegen einer Entsendung in weit entfernte Betriebe nach dem eindeutigen Wortlaut des KVAÜ lediglich die Distanz zwischen dem Hauptwohnsitz des/der AN und dem Einsatzbetrieb maßgeblich ist, wohingegen die Distanz zwischen dem Einsatzbetrieb und dem Sitz des Überlassers keine Bedeutung hat. Die Wegstrecke vom Überlasser zum Einsatzbetrieb legt die überlassene Arbeitskraft idR nie zurück. Auf sie abzustellen wäre unsachlich.

Mit ihrer Klarstellung in Anhang III KVAÜ haben die Kollektivvertragsparteien ferner unzweideutig angeordnet, dass es auch im Fall im Ausland wohnender überlassener Arbeitskräfte, auch wenn sie für einen inländischen Überlasser tätig sind, auf den im Ausland liegenden Hauptwohnsitz ankommt. Alles andere wäre eine mittelbare Diskriminierung ausländischer AN gewesen.

3. Die Begründung der E zur „Nächtigungsfrage“ beginnt richtig mit der Feststellung, dass die fragliche Leistung eine Aufwandsentschädigung darstellt. Als Begründung dafür wäre Abschnitt VIII Pkt 1 letzter Satz KVAÜ fast noch geeigneter gewesen als die vom OGH herangezogenen Stellen, obwohl diese Regelung im Kap A des Abschnitts VIII KVAÜ steht, der im Anlassfall nicht einschlägig ist (eine Entsendung durch den Beschäftiger lag nicht vor). Zum Verhältnis dieser beiden Kapitel zueinander siehe unten Pkt 4.

Wesentlich ist aber, wie das Höchstgericht daraus richtig folgert: Dass im Zweifel davon auszugehen ist, dass der KVAÜ vorsieht, dass jedenfalls tatsächlich erwachsene Aufwände auch abgegolten werden müssen! Dies ergibt sich auch aus einer systematischen Gesamtsicht dessen Regelungen sehr klar. Gerade das einschlägige Kap B des Abschnitts VIII KVAÜ ist ein beredtes Zeugnis dafür, sieht er doch Leistungen vor, die nur im Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung vorgesehen sind – weil einschlägige Aufwände idR auch nur dort entstehen: AN jeglicher anderen Branche können den erforderlichen Weg von zu Hause zum Arbeitsplatz einigermaßen abschätzen! Nur Leih-AN müssen bei jedem neuen Einsatz damit rechnen, in unvorhersehbarer Weise (monatelang) irgendwo in Österreich oder sogar im Ausland tätig werden zu müssen! Dass dabei zugleich auf leicht administrierbare, verwaltungsökonomische Lösungen Wert gelegt wurde, ist kein Widerspruch. Auch ein typisierter und pauschalierter Anspruch führt zur Abgeltung des entstandenen Aufwandes.

Der Vollständigkeit halber ist zu erwähnen, dass der KVAÜ mitunter, insb um Umgehungen seiner Regelungen zu verhindern, den pauschalen Anspruch auf „Ersätze“ auch dann vorsieht, wenn gar keine Aufwände angefallen sind; aber das ist nicht Gegenstand dieser E.

4. Es ist wichtig, dass der OGH – offenbar im Gegensatz zum geklagten Unternehmen – zwischen den zwei grundverschiedenen Dienstreisefällen der Kap A und B des Abschnitts VIII KVAÜ klar unterscheidet. Kap A regelt den durchaus üblichen Fall, dass AN vom (Beschäftiger-)Betrieb, in dem sie tätig sind, zu einer Dienstreise oder Montagearbeit entsendet werden. Kap B hingegen löst ein spezielles Problem des Gewerbes der Arbeitskräfteüberlassung – vgl oben Pkt 3.

Aber andererseits darf auch nicht übersehen werden, dass die Regelungstechnik des KVAÜ diese beiden Kapitel durch vielfache Verweise aufeinander verzahnt. So kann wohl kein Zweifel bestehen, 53 dass die ausdrückliche Klarstellung in Abschnitt VIII Kap A Pkt 1 KVAÜ, wonach die nachstehenden Ansprüche Aufwandsentschädigungen darstellen und daher den Entgeltanspruch in keiner Weise schmälern, ebenso für die Ansprüche in Kap B (und C, D) gelten. Unübersehbar ist auch, dass die spezielleren Regelungen in Kap B auf die allgemeineren (und üblichen) Regelungen des Kap A aufbauen; soweit in Kap B keine abweichenden Regelungen vorgesehen sind, kann daher stets auf die grundsätzlichen Regelungen in Kap A zurückgegriffen werden.

5. Das hat im Anlassfall konkrete Bedeutung, weil in der Tat die Regelung des Abschnittes VIII Pkt 12 KVAÜ gänzlich offen lässt, für welche Zeiteinheit eigentlich die vorgesehenen € 26,40 zustehen. Richtig hat der OGH erkannt, dass auch der Zeitraum, für den das dort normierte Taggeld zusteht, nicht ausdrücklich festgelegt wurde.

Die erste Frage löst sich relativ leicht, spricht doch schon der Begriff „Tag“geld dafür, dass der Betrag, mangels anderer Festlegung, für einen Tag, also Kalendertag, gebührt (Adametz, ASoK 2002, 66, 72; Rothe, Arbeiter- und Angestellten-KollV – Arbeitskräfteüberlassung3 Abschnitt VIII Rz 54). Wer noch zweifelt, kann – da das fragliche Kap B diesbezüglich keine weiteren Hilfen bietet – auf Kap A KVAÜ zurückgreifen. Dieses enthält (Abschnitt VIII Pkt 2 KVAÜ) hinsichtlich des Zeitraumes, für den „Tagesgeld“ zusteht, allerdings zwei Modelle: Einerseits „pro Arbeitstag“, der Höhe nach abhängig von der Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden; andererseits bei angeordneter oder nötiger Nächtigung „täglich“ den Betrag von € 26,40. Es ist wohl nicht schwierig zu entscheiden, dass letztere Regelung dem Anspruch in Kap B als Vorbild diente bzw ihm von Voraussetzungen und Ziel näher liegt. Wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, gebühren die € 26,40 also für einen Kalendertag. Die vom OGH zitierten Überlegungen Kurzböcks zu „24-Std-Rhythmen“ scheitern (insoweit) am Begriff „täglich“.

6. Dieses Ergebnis beantwortet noch nicht die für die E ausschlaggebende Frage, für welchen Zeitraum das Taggeld gegebenenfalls täglich zusteht. Der Text des KVAÜ ist diesbezüglich sehr verkürzt, aber eigentlich nicht unklar: Es wird lediglich eine Bedingung für den Anspruch formuliert, nämlich die Entsendung in einen weit entfernten Betrieb mit Nächtigung (so implizit auch Adametz, ASoK 2002, 66, 74 und Rothe, Arbeiter- und Angestellten-KollV – Arbeitskräfteüberlassung3 Abschnitt VIII Rz 99). Anspruch besteht also für den gesamten Zeitraum, währenddessen diese Bedingung erfüllt ist. Allerdings mit einer Einschränkung: Eine „Durchzahlung“ über das Wochenende ist verboten. Demnach besteht der Anspruch grundsätzlich für die gesamte Dauer einer einschlägigen Entsendung, es darf aber die Zahlung nicht für die Wochenenden durchgehend erfolgen. Letztere Einschränkung wird durch die Pflicht des Überlassers ergänzt, jeweils die Heimreise am letzten Arbeitstag zu ermöglichen. Der letzte Arbeitstag kann natürlich auch ein Samstag sein, das hängt von der konkreten Arbeitszeitverteilung ab. Bei Arbeit in vollkontinuierlichen Betrieben wird es gegebenenfalls auf das „verschobene Wochenende“ (die Wochenruhe iSd ARG) ankommen. Die Regelung bezweckt offenkundig, im Gleichklang mit den Zielen der gesetzlichen Wochen(end)ruhe, auch für in weit entfernte Einsatzbetriebe entsendete Leih-AN die regelmäßige, wöchentliche Rückkehr an den Hauptwohnsitz zu gewährleisten.

Im Gegensatz zu Abschnitt VIII Pkt 2 KVAÜ, wo die Anordnung bzw Notwendigkeit einer Nächtigung täglich anders gegeben sein kann, bezieht Abschnitt VIII Pkt 12 KVAÜ dieses Erfordernis auf „die Entsendung“ schlechthin. Es ist also gar nicht für einzelne Tage zu prüfen, sondern ganz grundsätzlich: Ist für diesen Einsatz eine Nächtigung angeordnet oder doch – im Regelfall – notwendig oder nicht? Denn abhängig von der Lage der täglichen Arbeitszeit, kann es – insb bei Schichtarbeit oder Freitag- Frühschluss – durchaus zu unterschiedlichen Ergebnissen an einzelnen Arbeitstagen kommen. Im Reisefall des Abschnitts B KVAÜ kommt es aber eben auf die gesamte Dauer der Überlassung an, nicht auf Sonderverhältnisse an einzelnen Tagen. Gerade am letzten Arbeitstag in der Woche wird es häufig zu einer verkürzten Arbeitszeit kommen müssen, um bei weit entferntem Wohnsitz des AN die vom KollV zwingend angeordnete Möglichkeit der Heimreise zu gewährleisten. Inklusive der für die Heimreise nötigen Zeit und der dabei noch einmal eingeschränkten Möglichkeiten einer kostengünstigen Verpflegung ist aber gerade dann der Aufwand am höchsten! Daher ist die Überlegung des Höchstgerichtes vollkommen richtig, dass es weder vorgesehen ist, noch dem Zweck der Regelung entspräche, dass eine Nächtigung nach dem fraglichen Tag erfolgen müsste.

7. Im Anlassfall galt offenkundig eine 5-Tage-Woche. Demnach war am Freitag die Heimreise zu ermöglichen, was auch geschehen ist. Die gerade erwähnte Grundregel – Anspruch für die Dauer eines einschlägigen Einsatzes – hätte zwar den Anspruch für jeden einzelnen Kalendertag der Woche zur Folge; das Durchzahlverbot beseitigt diesen Anspruch jedoch im Allgemeinen hinsichtlich des Samstags und Sonntags (siehe unten Pkt 9. zu Ausnahmen). Anstelle einer Abgeltung der Kosten eines durchgehenden Aufenthalts in der Nähe des Arbeitsplatzes sollen die, idR höheren, Kosten der Heimreise und erneuten Anreise ersetzt werden. Das gilt allerdings nur für das Taggeld, weil zufolge der Heimreise diesbezüglich kein Aufwand mehr entsteht. Hingegen kann die Beibehaltung des Quartiers, das in der nächsten Woche ja wieder gebraucht wird, oft zur Anmietung auch über das Wochenende hinweg zwingen. Solche nachgewiesenen Kosten sind zu ersetzen (Ersatz höherer Nächtigungskosten als der pauschalen € 15,– gegen Beleg, unter – analog Abschnitt VIII Pkt 3 KVAÜ – Vermeidung unnötiger Mehrausgaben).

Dieses Ergebnis wird noch bestätigt, wenn man die Zusammenschau, aber auch die Unterschiede zum Dienstreisefall A berücksichtigt. Dort ist die Nächtigung nicht Anspruchsvoraussetzung für das Taggeld, sondern lediglich ein Kriterium für dessen Höhe. Anspruchsvoraussetzung ist dort eine Dienstreiseanordnung 54 des Beschäftigers bzw die Verrichtung von Arbeiten außerhalb eines ortsfesten Beschäftigerbetriebes. Grundsätzlich ist die Höhe des Tagesgeldes abhängig von der am konkreten Arbeitstag geleisteten Anzahl von Arbeitsstunden: Das ist ein für die Lohnverrechnung von ÜberlasserInnen besonders geeignetes Kriterium, weil diese Anzahl schon wegen der Verrechnung mit dem Beschäftiger stets bekannt sein muss. Sie stimmt mit der Reisedauer nicht ganz überein, ist aber als Abschätzung vertretbar. Im Fall einer Nächtigung wird der Zusammenhang zwischen der Zahl der Arbeitsstunden und der Reisedauer aber durchbrochen, weil dann die gesamte Dauer des restlichen Tages (und der Nacht) das übliche Verhältnis dieser beiden Größen zueinander wesentlich verändert.

Es wäre nur logisch, wenn der KVAÜ daher einen Anspruch pro Arbeitstag (unabhängig von der Zahl der Arbeitsstunden) vorsähe. Aber er geht einen Schritt weiter: Der Anspruch besteht nicht „pro Arbeitstag“ oder „arbeitstäglich“, sondern ausdrücklich „täglich“. Dieser Begriffswechsel muss eine Bedeutung haben und sie ist offenkundig: Es ist im Fall einer Nächtigung nicht einmal notwendig, dass für den fraglichen Tag überhaupt eine Arbeitsleistung geplant ist! Da auch hier explizit die Pflicht zur Ermöglichung der Heimreise am letzten Arbeitstag verankert wurde, gibt es – neben der ausdrücklich als zusätzlichen Fall erwähnten Durchzahlung von Feiertagen – nur eine denkmögliche Konstellation für diesen Anspruch: Dass die Anreise zum (!) Arbeitsplatz bereits am Sonntag erfolgen musste, um am Montag pünktlich die Arbeit antreten zu können (Rothe, Arbeiter- und Angestellten-KV – Arbeitskräfteüberlassung3 Abschnitt VIII Rz 55, erwähnt noch den möglichen Falle einer Erkrankung, übersieht dabei aber, dass das Eintreten einer Arbeitsunfähigkeit nichts daran ändert, dass ein „Arbeits“tag vorliegt). Wenn aber auch für diesen Fall (idR also für Sonntag) ein Anspruch auf Tagesgeld von € 26,40 besteht, wäre es ein unerklärlicher Wertungswiderspruch anzunehmen, dass für den Tag der Heimreise nach einer Nächtigung kein solcher Anspruch bestünde, obwohl an diesem Tag noch (eventuell verkürzt) gearbeitet wird. Wenn dies aber für den üblichen, weit weniger beschwerlichen Dienstreisefall A gilt, muss es umso mehr für den viel belastenderen Dienstreisefall B gelten.

Der Text des Abschnitts VIII/12 KVAÜ sieht also einen Anspruch auf Tagesgeld für den strittigen Freitag durchaus deutlich vor, wenn man die Grundregel und die Einschränkung gemeinsam liest sowie den Zusammenhang der beiden Dienstreisefälle berücksichtigt. Der Zweck der Regelung (Ersatz anfallender Aufwände) bestätigt dieses Ergebnis.

8. Dankenswerterweise hat der OGH im Rahmen der Begründung die „Nächtigungsfrage“ gleich auch für Abschnitt VIII Pkt 2, 3 KVAÜ geklärt. Auch bei Montagearbeit oder Dienstreisen im Auftrag des Beschäftigers besteht also Anspruch auf das große Taggeld von € 26,40 nicht nur für den Tag vor der Nächtigung, sondern auch für den Tag nach der Nächtigung. Denn an diesem Tag muss eine (Heim-)Reise erfolgen, die den typischen Zusammenhang zwischen der Dauer der Arbeitsleistung und der Gesamtdauer der Reisebewegung (vgl Pkt 7.) grob stört (dies übersieht Rothe, Arbeiter- und Angestellten-KV – Arbeitskräfteüberlassung3 Abschnitt VIII Rz 55; auch dessen Überlegungen zu Durchzahl“vereinbarungen“ und deren Günstigkeit halte ich für verfehlt). Die am Vorabend erfolgte Nächtigung hat ja zwingend zur Voraussetzung, dass eine längere, täglich nicht zumutbare Reisebewegung erforderlich ist. Wie lange diese tatsächlich dauert, ist nach dem klaren, sichtlich auf eine einfache Administrierbarkeit abstellenden Ziel der Kollektivvertragsregelung bedeutungslos.

9. Hinzuweisen ist noch darauf, dass es bei AN wie dem Kl, die „mehrere hundert“ Kilometer vom Einsatzort entfernt wohnen, oft notwendig ist, bereits am Sonntagnachmittag anzureisen, um am Montag pünktlich die Arbeit antreten zu können. Wie in Pkt 7 ausgeführt, besteht in diesem Fall schon bei Dienstreisen des Typs A Anspruch auf Tagesgeld für den Sonntag und es muss dasselbe im Dienstreisefall B gelten. Dies ergibt sich aber ohnedies auch aus Abschnitt VIII/12 KVAÜ, weil dieser Tag grundsätzlich von der Dauer einer anspruchsbegründenden Entsendung umfasst ist. Die – eng auszulegende – Einschränkung hinsichtlich des Durchzahlverbotes steht dem schon vom Zweck dieser Regelung her nicht entgegen: Sie soll nicht tatsächlich erwachsene Aufwände des/der AN vom Ersatzanspruch ausschließen, sondern dieser bzw diesem den Ersatz aller durch die Heimkehr zum Hauptwohnsitz am Wochenende erwachsenen Kosten gewährleisten. Zu diesen Kosten gehört natürlich auch der Mehraufwand für die Verpflegung während der Anreise zum Arbeitsort. Dies stimmt auch mit dem grundsätzlichen Ziel jeder Regelung über Aufwandersätze überein. 55