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Überwachungsrecht des Betriebsrates bezieht sich auch auf betriebliche Übungen

SUSANNE AUER-MAYER (SALZBURG)
  1. Der in der Generalklausel des § 89 Satz 1 ArbVG enthaltene Begriff „Rechtsvorschriften“ ist nicht auf Gesetz, Verordnung, KollV, Satzung, Mindestlohntarif oder Betriebsvereinbarungen zu beschränken, sondern erfasst auch „betriebliche Übungen“.

  2. Der BR kann die ihm durch § 89 ArbVG eingeräumten Überwachungsrechte nur wirkungsvoll wahrnehmen, wenn er in Kenntnis aller dafür erforderlichen Informationen ist. Er hat daher auch das Recht auf Einsicht in die entsprechenden Unterlagen.

Mit Urteil des OLG Wien vom 2.6.2015, 7 Ra 124/14b-28, wurde in einem Vorprozess [...] festgestellt, dass jene [...] Angestellten, die bereits vor dem 1.2.2010 in ein Dienstverhältnis zur Bekl eingetreten sind, auch künftig, und zwar auch nach dem 1.3.2012, das Recht haben, dass die Bekl mit diesen Angestellten die Lage der Normalarbeitszeit und die Änderung der Lage der Normalarbeitszeit vereinbart und die Wünsche dieser Angestellten bei der Erstellung der Dienstpläne berücksichtigt, und zwar der Vollzeitbeschäftigten sowie der Teilzeitbeschäftigten mit einem Beschäftigungsausmaß von 35 Stunden pro Woche im Ausmaß von 2 Tagen pro Woche, der Teilzeitbeschäftigten mit einem Beschäftigungsausmaß von 20 bis 30 Stunden pro Woche im Ausmaß von 3 Tagen pro Woche und der Teilzeitbeschäftigten mit einem Beschäftigungsausmaß von weniger als 20 Stunden pro Woche im Ausmaß von 4 Tagen pro Woche. Das Berufungsgericht führte im Vorprozess dazu ua aus, dass [...] eine schlüssige Vereinbarung oder „betriebliche Übung“ vorliege, wonach die Bediens teten der Bekl davon ausgehen dürfen, dass ihre gewünschten freien Tage nach Eintragung in den sogenannten „Freiwunschkalender“ grundsätzlich bei der Dienstplanerstellung berücksichtigt werden [...].

Die Bekl setzte diese urteilsmäßige Verpflichtung im Rahmen eines elektronischen Kalenders um [...]. Durch Anklicken der einzelnen Tage gibt der Angestellte seinen Freiwunsch bekannt [...]. Danach werden die Dienstpläne von der dafür zuständigen Angestellten der Bekl für jeweils drei Wochen im Voraus erstellt. Dabei werden Freiwünsche entweder berücksichtigt oder aufgrund dienstrechtlicher Gründe oder betrieblicher Notwendigkeit abgelehnt [...].

Nach Erstellung des Dienstplans erhält der BR eine aktuelle Ausfertigung vom Dienstplan. Die Bekl verweigert dem BR aber sowohl die Herausgabe der Freiwunschaufzeichnungen als auch die Gewährung eines Zugangs zum elektronischen System.

Der Kl begehrt [...], die Bekl schuldig zu erkennen, ihm sämtliche Listen mit Freiwünschen der Beschäftigten [...] ab 1.1.2016 bis dato auszufolgen, in eventu ihm den Zugang zu diesen Listen bereitzustellen [...].

Die Bekl bestritt, beantragte Klagsabweisung [...].

Das Erstgericht wies sowohl das Haupt- als auch das Eventualbegehren des Kl ab [...].

Das Berufungsgericht gab der dagegen vom Kl erhobenen Berufung Folge [...].

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der Bekl ist zulässig [...], aber nicht berechtigt.

[...]

2. Dem BR kommt das Einsichtsrecht in bestimmte Aufzeichnungen und Unterlagen zu, wenn diese Einsicht erforderlich ist, um die Einhaltung bestimmter Rechtsvorschriften durch den Betriebsinhaber überwachen zu können (9 ObA 115/17b Pkt 4.2). Entscheidend ist daher, welche Rechtsvorschriften den AN Ansprüche verschaffen, deren Einhaltung der BR mit dieser Einsicht (konkret) überwachen will. Das Gesetz regelt dazu in Form einer Generalklausel (§ 89 Satz 1 ArbVG), dass der BR die Einhaltung der die AN des Betriebs betreffenden Rechtsvorschriften zu überwachen hat. Ergänzend zählt er demonstrativ („Insbesondere“) konkrete Befugnisse auf (§ 89 Z 1 bis 4 ArbVG), wodurch die Generalklausel ausgeformt wird, sodass diese auch zur Auslegung der Generalklausel herangezogen werden können (vgl 6 Ob 97/15f Pkt5.3).

3. Im Anlassfall stellt sich die Frage, ob unter den Begriffen „Rechtsvorschriften“ in der Generalklausel des § 89 Satz 1 ArbVG bzw „sonstiger arbeitsrechtlicher Vereinbarungen“, deren Einhaltung der BR zu überwachen hat (§ 89 Z 2 Satz 1 ArbVG), auch betriebliche Übungen zu verstehen sind. Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraus setzungen dem BR auch ein Überwachungs- und Einsichtsrecht in Einzelarbeitsverträge der AN zusteht, um seine ihm nach § 89 ArbVG zustehenden Rechte wahrnehmen zu können, muss hier nicht geklärt werden [...].

4.1. [...] Allgemein ist bei der Gesetzesauslegung von der wörtlichen (sprachlichen, grammatikalischen) Auslegung, die nach dem Wortsinn der Norm und innerhalb des durch den äußerst möglichen Wortsinn abgesteckten Rahmens nach der Bedeutung eines Ausdrucks im allgemeinen Sprachgebrauch oder dem des Gesetzgebers und in seinem Zusammenhang innerhalb der Regelung fragt, auszugehen [...]. Die Gesetzesauslegung darf aber bei der Wortinterpretation nicht stehen bleiben (RIS-Justiz RS0008788 [T3] ua). Der Sinn einer Bestimmung ist unter Bedachtnahme auf deren Zweck zu erfassen (objektiv-teleologische Interpretation). Die gesetzgeberische Regelung und die darin zum Ausdruck kommenden Wertmaßstäbe sind selbständig weiter und zu Ende zu denken (RIS-Justiz RS0008836 [T4]).

4.2. Eine Auslegung durch Feststellung des Willens des historischen Gesetzgebers an Hand der Gesetzesmaterialien bedarf zwar besonderer Vorsicht, weil diese nicht Gesetz geworden sind und mit dem wahren Willen des Gesetzgebers nicht übereinstimmen müssen. Sie hat aber eine gewisse 134 Vermutung der Richtigkeit für sich (RIS-Justiz RS0008776 [T2]).

4.3. Der Rekurswerberin ist zuzugestehen, dass die einfache Wortinterpretation des Begriffs „Rechtsvorschriften“ auf den ersten Blick darauf hindeutet, dass damit generelle Normen (zB gesetzliche und kollektivvertragliche Bestimmungen) gemeint sind, wird dieser Begriff im Arbeitsverfassungsgesetz doch auch an anderer Stelle offenbar in diesem Sinn verwendet (vgl §§ 91 Abs 2, 260 Abs 1 ArbVG).

4.4. Die einschlägigen Gesetzesmaterialien zeigen jedoch ein umfassenderes Bild des Begriffs „Rechtsvorschriften“. Nach den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage betreffend die Einführung des ArbVG (RV 840 BlgNR 13. GP 81) wird das Überwachungsrecht des BR mittels einer Generalklausel umschrieben und durch die beispielsweise Aufzählung einzelner Überwachungsbefugnisse ausgeformt. Die umfassende Formulierung der Generalklausel soll ein umfassendes Überwachungsrecht des BR bezüglich der Einhaltung aller die AN berührenden Normen (zB arbeits-, steuer- oder sozialversicherungsrechtlichen Inhalts) sicherstellen. Es kommt daher nicht darauf an, ob sich solche Normen aus Gesetz, Verordnung, KollV, Satzung, Mindestlohntarif oder Betriebsvereinbarungen, Bescheid oder Einzelarbeitsvertrag oder etwa aus schuldrechtlichen Vereinbarungen zwischen BR und Betriebsinhaber ergeben.

4.5. Der Regierungsvorlage lag zwar noch folgende Formulierung der Generalklausel des § 89 Satz 1 ArbVG zugrunde: „Der Betriebsrat hat das Recht, die Einhaltung der die Arbeitnehmer des Betriebes betreffenden Rechtsvorschriften und arbeitsrechtlichen Vereinbarungen zu überwachen.“ Die Wortfolge „arbeitsrechtlicher Vereinbarungen“ wurde im Zuge der Sozialpartnerverhandlungen aufgrund entsprechender Abänderungsanträge (AB 993 BlgNR 13. GP 1) von der Generalklausel in die Z 2 der Bestimmung verlagert. Während unter den Rechtsvorschriften die Individualabreden gerade noch verstanden werden konnten, mussten sie in der Z 2 im Kontrast zum KollV und zur BV ausdrücklich erwähnt werden (Löschnigg, Datenermittlung 196; aA Strasser in Floretta/Strasser, ArbVG-Handkommentar § 89 ArbVG Pkt 5.3).

5.1. Im Schrifttum wird die im vorliegenden Verfahren strittige Frage, ob auch betriebliche Übungen vom Überwachungsrecht des BR gem § 89 ArbVG umfasst sind, überwiegend bejaht (Löschnigg, Datenermittlung im Arbeitsverhältnis [2009] 196 ff; Drs in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 89 Rz 25 auch unter Bezugnahme auf betriebliche Übungen Rz 26). Auch jene Lehrmeinungen, wonach vom Überwachungsrecht des BR sogar die einzelnen Arbeitsverträge umfasst sind, teilen erkennbar diesen Standpunkt, weil eine betriebliche Übung durch die schlüssige Zustimmung der AN zum Inhalt der einzelnen Arbeitsverträge wird und damit letztlich auf rechtsgeschäftlichem Weg Bedeutung erlangt (Cerny in Cerny/Gahleitner/Preiss/Schneller, Arbeitsverfassungsrecht III4 § 89 ArbVG Erl 8; Hruška-Frank, Einsichtsrecht des BR in Aufzeichnungen über Bezüge der ArbeitnehmerInnen im Betrieb, infas 2008, 43 [45]; DRdA 2015/33 [Goricnik]; Mosler in Tomandl, ArbVG § 89 Rz 14; Kietaibl, Arbeitsrecht I10 153; Auer-Mayer in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht5 § 89 Rz 6 f; RIS-Justiz RS0014543; RS0014539 [T21]). Begründet wird die letztgenannte Rechtsauffassung im Wesentlichen mit dem Wortlaut der umfassenden Generalklausel des § 89 Satz 1 ArbVG und der beispielhaften Aufzählung von „sonstigen arbeitsrechtlichen Vereinbarungen“ in § 89 Z 2 Satz 1 ArbVG, den Gesetzesmaterialien und damit, dass nur so das Ziel des Gesetzgebers (Sicherstellung der korrekten Behandlung der AN, insb auch korrekte Berechnung und Ausbezahlung der den AN zustehenden Bezüge) umgesetzt werden kann.

5.2. Selbst jener Teil im Schrifttum, der zwar die Ansicht vertritt, dass Einzelarbeitsverträge vom Überwachungsrecht nicht erfasst sind, weil es sich beim Überwachungsrecht des BR gem § 89 ArbVG um ein kollektives Recht handelt, das der Belegschaft des Betriebs zusteht und eine einzelvertragliche Vereinbarung nicht gleichmäßig „für den Betrieb“ gilt, subsumiert betriebliche Übungen unter dem Begriff „sonstige arbeitsrechtlichen Vereinbarungen“ in § 89 Z 2 ArbVG (Marhold/Friedrich, Österreichisches Arbeitsrecht3 670; Lang, Kein uneingeschränktes Einsichtsrecht des BR in Arbeitsverträge – Eine genauere Betrachtung des § 89 ArbVG, ASoK 2016, 470 ff [472]; Risak in Mazal/Risak, Das Arbeitsrecht, System- und Praxiskommentar Kap XIX Rz 160; Strasser/Jabornegg, Arbeitsrecht II4 367 betreffend generelle Regelungen im Betrieb).

6. Zusammengefasst teilt der Senat die Überlegungen jenes Teils des Schrifttums, der den in der Generalklausel des § 89 Satz 1 ArbVG enthaltenen Begriff „Rechtsvorschriften“ nicht auf Gesetz, Verordnung, KollV, Satzung, Mindestlohntarif oder Betriebsvereinbarungen beschränkt, sondern umfassender auch iS von betrieblichen Übungen, die zumindest einen Teil der Belegschaft betreffen, versteht. Dafür sprechen auch die historischen Gesetzesmaterialien, wird doch darin sogar der Einzelarbeitsvertrag als Norm, deren Einhaltung der BR zu überwachen hat, genannt.

7. Der klagende BR stützt sein Haupt- und Eventualbegehren auf die Überwachung der Einhaltung einer konkreten betrieblichen Übung durch die Bekl. Er will damit nicht einzelne Arbeitsverträge oder „Wünsche“ der Angestellten [...] überwachen. Der BR fordert in diesem Zusammenhang auch nicht die Einsicht in die Einzelarbeitsverträge [...], sondern strebt (nur) die Einsicht in die entsprechenden „Freiwunschlisten“ bzw eventualiter die Gewährung eines Zugangs zum elektronischen System der Bekl an [...]. Nur dadurch und durch den Vergleich mit den erstellten Dienstplänen ist dem BR die Überwachung der Einhaltung der betrieblichen Übung [...] möglich. Die dem BR durch § 89 ArbVG eingeräumten Überwachungsrechte kann dieser wirkungsvoll nur dann wahrnehmen, wenn er in Kenntnis aller dafür erforderlichen Informationen ist bzw sich diese durch Einsicht in die entsprechenden Unterlagen beschaffen 135 kann. Nur wenn er in die „Freiwunschlisten“ der Mitarbeiter – in welcher Form auch immer – Einsicht nehmen kann, kann er auch seiner Pflicht (9 ObA 115/17b Pkt 4.2), die Einhaltung der die AN des Betriebs betreffende Rechtsvorschriften, wozu auch betriebliche Übungen zählen, zu überwachen, nachkommen.

[...]

ANMERKUNGEN
1.
Allgemeines

Die Frage der Reichweite der Befugnisse der Belegschaftsvertretung nach den §§ 89 ff ArbVG bietet immer wieder Anlass zu Rechtsstreitigkeiten. Mit Inkrafttreten der DSGVO hat sie auch eine noch stärkere datenschutzrechtliche Dimension erhalten. Die Datenverarbeitung in Ausübung dieser Befugnisse erweist sich grundsätzlich bereits nach Art 6 Abs 1 lit c (Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung) bzw lit f (berechtigte Interessen) sowie Art 9 Abs 2 lit b DSGVO (Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsrecht) als gerechtfertigt. Das ArbVG wurde ferner, soweit es die Verarbeitung personenbezogener Beschäftigtendaten im Beschäftigungskontext betrifft, nach Art 88 Abs 3 als „spezifischere“ Vorschrift iSd Öfnungsklausel des Art 88 Abs 1 DSGVO notifiziert (vgl https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/at_notification_art_88.3_complement_publish.pdfhttps://ec.europa.eu/info/sites/info/files/at_notification_art_88.3_complement_publish.pdf [abgefragt am 15.10.2019]; vgl zur Rechtfertigung auch Löschnigg/Tischitz, Betriebliche Videoüberwachung zwischen Betriebsverfassung und Datenschutz, jusIT 2018, 153; Löschnigg/Schnittler, DRdA 2018, 500; zur Zulässigkeit im Kontext des § 89 ArbVG etwa auch Holuschka, ZAS 2018, 333). Der/Die AG kann (und muss) jedoch die Weitergabe personenbezogener Daten der AN (ohne deren Einwilligung) an den BR idR unter Verweis auf den gebotenen Datenschutz verweigern, soweit letzterer den Zugang zu diesen nicht (mehr) im Rahmen seiner betriebsverfassungsrechtlichen Befugnisse begehrt.

In der vorliegenden E hatte sich der OGH erneut (vgl insb schon OGH9 ObA 115/17b ZAS 2018/57, 329 [Holuschka] = DRdA 2018/50, 496 [Löschnigg/Schnittler]) mit dem Umfang des Überwachungsrechts nach § 89 ArbVG zu beschäftigen. Nach der Generalklausel des ersten Satzes dieser Bestimmung hat der BR das Recht, „die Einhaltung der die Arbeitnehmer des Betriebs betreffenden Rechtsvorschriften zu überwachen“. Die Z 1 bis 4 des § 89 konkretisieren dies durch demonstrative Aufzählung (arg: „Insbesondere“) gewisser Rechte bzw Pflichten (vgl auch ErläutRV 840 BlgNR 13. GP 81; zum Vorliegen einer Pflichtbefugnis des BR in den Fällen des § 89 ArbVG siehe nur OGH6 ObA 1/14m jusIT 2014, 232 [Thiele] = DRdA 2015/33, 255 [Goricnik] mwN). Dabei ist im gegebenen Zusammenhang insb die in Z 2 angesprochene Überwachung der Einhaltung der für den Betrieb geltenden KollV, BV und „sonstiger arbeitsrechtlicher Vereinbarungen“ von Interesse. Erstmals musste der OGH nämlich zur Frage Stellung nehmen, inwieweit das Überwachungsrecht des BR auch „betriebliche Übungen“ umfasst, die im Wege des § 863 ABGB einzelvertragliche Verpflichtungen des/der AG begründen. Konkret bestand nach Maßgabe der rechtskräftigen Feststellungen in einem Vorprozess eine „betriebliche Übung“, wonach die „Freiwünsche“ der AN (soweit sie bis zu einem bestimmten Zeitpunkt in den Betrieb eingetreten waren) im Zuge der Dienstplanerstellung in gewissem Ausmaß zu berücksichtigen waren.

2.
Überwachungsrecht auch in Bezug auf „betriebliche Übungen“

Der OGH bejaht eine Einbeziehung (auch nur einen Teil der Belegschaft betreffender) „betrieblicher Übungen“ in das Überwachungsrecht völlig überzeugend unter Verweis auf die insoweit weitgehend einhellige Literatur. Dabei geht er zu Recht vom Erfordernis einer weiten Auslegung des in § 89 Satz 1 ArbVG verwendeten Begriffs „Rechtsvorschriften“ aus. A priori deutet dieser, etwa auch in § 91 Abs 2 ArbVG verwendete, Terminus darauf hin, dass der BR vor allem die Einhaltung genereller Normen, somit insb gesetzlicher und kollektivvertraglicher Regelungen, aber etwa auch unionsrechtlicher Vorgaben oder solcher in Betriebsvereinbarungen zu überwachen hat. Dass ein solch enges Verständnis im Kontext des Überwachungsrechtes nicht statthaft ist, folgt jedoch nicht nur aus den in der E zitierten Materialien (ErläutRV 840 BlgNR 13. GP 81), sondern insb auch daraus, dass § 89 Z 2 als Überwachungsgegenstand beispielhaft explizit auch „sonstige arbeitsrechtliche Vereinbarungen“ nennt. Auch das in der Literatur teilweise gegen ein Überwachungsrecht in Bezug auf einzelne Arbeitsverträge vorgebrachte Argument fehlender „Kollektivität“ (dazu noch näher unten 3.) schlägt in Bezug auf „betriebliche Übungen“ jedenfalls nicht durch. Hieran ändert auch das damit einhergehende Entstehen (nur) einzelvertraglicher Verpflichtungen nichts, resultiert doch die „betriebliche Übung“ gerade aus der regelmäßigen „kollektiven“ Gewährung.

Folgerichtig beurteilte der OGH das Begehren des klagenden BR dem Grunde nach als berechtigt, Einsicht in die entsprechenden „Freiwunschlisten“ der AN bzw – in eventu – Zugang zum elektronischen „Freiwunschsystem“ zu erhalten. Nur auf diese Weise konnte der BR nämlich feststellen, inwieweit die Freiwünsche der betroffenen AN auch tatsächlich bei Erstellung der Dienstpläne berücksichtigt und somit die aus der „betrieblichen Übung“ resultierenden Vorgaben durch den/die AG eingehalten wurden.

Auf den ersten Blick etwas merkwürdig mutet freilich bereits die Grundannahme an, dass die AN im Wege einer „betrieblichen Übung“ einen einzelvertraglichen Anspruch auf Berücksichtigung ihrer Freiwünsche erlangt hatten. Denn eine von dem/der AG durch regelmäßige, vorbehaltlose Gewährung bestimmter Begünstigungen an die AN begründete „betriebliche Übung“ kann zwar nach hA durch die gleichfalls schlüssige Zustimmung der AN (§ 863 ABGB) zu einzelvertraglichen Ansprüchen der AN 136 führen; dies setzt jedoch voraus, dass die Vorgangsweise des/der AG aus Sicht der AN als redliche ErklärungsempfängerInnen dessen/deren Willen unzweideutig zum Ausdruck bringt, sich diesbezüglich auch für die Zukunft zu verpflichten (vgl zuletzt in Bezug auf Zuschüsse zum Mittagessen OGH9 ObA 137/18iDRdA-infas 2019/129, 250 ff [Auer-Mayer] mwN). Ein derartiger Verpflichtungswille scheint bei (schlichter) Berücksichtigung der Wünsche der AN im Zuge der Dienstplanerstellung doch zweifelhaft. Der OGH musste sich mit letztgenannter Frage allerdings angesichts der bereits im Vorprozess rechtskräftig bejahten „betrieblichen Übung“ nicht mehr auseinandersetzen. Hingewiesen sei ferner darauf, dass die AN offenbar über viele Jahre hinweg in Abhängigkeit vom Arbeitszeitausmaß eine unterschiedliche Zahl konkreter Freiwunschtage im Rahmen eines „Freiwunschkalenders“ namhaft machen konnten. Das „Berücksichtigungssystem“ war somit relativ stark formalisiert, was durchaus geeignet ist, das Vertrauen der AN auf dessen Fortbestand zu erhöhen. Ob daraus tatsächlich ein entsprechender Verpflichtungswillen der AG abzuleiten war, kann hier jedoch mangels näherer Informationen zum Vorverfahren nicht abschließend beantwortet werden.

3.
Überwachungsrecht und Arbeitsverträge

Mit Einbeziehung – einzelvertraglich verbindlich gewordener – „betrieblicher Übungen“ hat der OGH implizit das Bestehen eines Überwachungsrechts in Bezug auf bestimmte arbeitsvertragliche Verpflichtungen bejaht. Die in der Literatur seit jeher umstrittene grundsätzliche Frage, inwieweit dem BR auch ein Überwachungs- und Einsichtsrecht in Einzelarbeitsverträge zukommt, hat das Höchstgericht demgegenüber erneut ausdrücklich offengelassen.

Dabei ist eine Differenzierung indiziert:

Zunächst stellt sich die Frage, ob der BR zur Ausübung des Überwachungsrechts in Bezug auf die ihm (schon) nach den Z 1 bis 4 des § 89 ArbVG unstrittig zustehenden Überwachungsgegenstände, also etwa zur Überprüfung der Berechnung der Bezüge oder zur Überwachung der Einhaltung gesetzlicher oder kollektivvertraglicher Vorgaben, erforderlichenfalls auch in die Einzelarbeitsverträge Einsicht nehmen darf. Dies ist mE eindeutig zu bejahen. Denn der BR kann, wie der OGH auch in der vorliegenden E zu Recht festhält, das durch § 89 ArbVG eingeräumte Überwachungsrecht nur dann wirkungsvoll wahrnehmen, wenn er in Kenntnis aller dafür erforderlichen Informationen ist. Es ist daher grundsätzlich unbestritten, dass diesem auch das Recht auf Einsicht in die dafür notwendigen Unterlagen zukommt (vgl auch schon OGH9 ObA 115/17b ZAS 2018/57, 329 [Holuschka] = DRdA 2018/50, 496 [Löschnigg/Schnittler]). Die Kontrolle der Einhaltung gesetzlicher oder etwa auch kollektivvertraglicher Vorgaben kann (und wird) jedoch in gewissen Fällen gerade auch die Kenntnis der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen voraussetzen. Erst durch Einsicht in die Arbeitsverträge wird der BR folglich in einer solchen Konstellation in die Lage versetzt, zu überprüfen, ob diesen (höherrangigen) Normierungen entsprochen wird (idS auch schon Auer-Mayer in Gahleitner/Mosler [Hrsg], Arbeitsverfassungsrecht5 [2015] § 89 Rz 7, 12 mwN).

Möchte der BR somit bspw die Einhaltung des Verbots der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts hinsichtlich des Entgelts (vgl § 3 Z 2 GlBG, Art 157 AEUV) überwachen, muss ihm, soweit er etwa die Vergleichbarkeit der potentiell betroffenen AN durch Einsicht in die vorgelegten Bezugsunterlagen oÄ nicht beurteilen kann, insoweit auch ein Recht auf Einsicht in die Arbeitsverträge zustehen. Dasselbe hat zu gelten, wenn zB die Einhaltung der kollektivvertraglichen Einstufungskriterien ohne Einsicht in die Arbeitsverträge nicht abschließend beurteilbar ist (idS in Bezug auf die Überprüfung der Bezüge etwa auch Holuschka, ZAS 2018, 332; Drs in Jabornegg/Resch [Hrsg], ArbVG § 89 Rz 36 [Stand: 1.9.2015, rdb.at]; Mosler in Tomandl [Hrsg], ArbVG [4. Lfg] § 89 Rz 5). Abweichendes folgt insb auch aus der E 9 ObA 115/17b nicht, in der ein Einsichtsrecht des BR in die Arbeitsverträge zur Überprüfung der diskriminierungsfreien Anrechnung von Vordienstzeiten verneint wurde. Dies wurde nämlich (nur) damit begründet, dass die beabsichtigte Überprüfung angesichts der bereits zur Verfügung gestellten Unterlagen auch ohne Einsicht in die Arbeitsverträge möglich war. Die Arbeitsverträge stellten somit keine zur Überwachung der Berechnung der Bezüge „erforderlichen Unterlagen“ (vgl § 89 Z 1 ArbVG) dar. Die Frage, ob dem BR in einer anderen Konstellation das Recht auf Einsicht in die Arbeitsverträge zugekommen wäre, ließ der OGH in dieser E ausdrücklich offen. Angesichts der Betonung des Rechts auf Einsicht in die erforderlichen Unterlagen und damit sämtliche abrechnungsrelevanten Dokumente und Aufzeichnungen, liegt allerdings nahe, dass ein Einsichtsrecht bei gegebener Erforderlichkeit sehr wohl bejaht worden wäre.

Eine andere, schwieriger zu beantwortende Frage ist dagegen, ob sich das Überwachungsrecht als solches auch auf die einzelnen Arbeitsverträge bezieht, der BR also generell auch zur Überwachung der Einhaltung der vertraglichen Vereinbarung angehalten ist. Das wird, worauf auch der OGH hinweist, in der Literatur teilweise abgelehnt. Begründet wird dies zum einen damit, dass angesichts der Verwendung des Begriffs „Rechtsvorschriften“ sowie der gemeinsamen Nennung „sonstiger arbeitsrechtlicher Vereinbarungen“ mit KollV und BV davon auszugehen sei, dass nur „Gesamtvereinbarungen“ gemeint seien (vgl nur Strasser in Floretta/Strasser, ArbVG-Handkommentar [1975] § 89 ArbVG Pkt 5.3, 475 f). Zum anderen wird darauf hingewiesen, dass es sich beim Überwachungsrecht um ein kollektives Recht der Belegschaft handle, einzelvertragliche Vereinbarungen aber nicht „für den Betrieb“ gälten (vgl Marhold/Friedrich, Österreichisches Arbeitsrecht3 [2016] 670; Holuschka, ZAS 2018, 332; gegen eine Einbeziehung von Arbeitsverträgen etwa auch Lang, Kein uneingeschränktes Einsichtsrecht des Betriebsrats in Arbeitsverträge, ASoK 2016, 472; 137 tendenziell ablehnend auch OGH6 ObA 1/14m jusIT 2014, 232 [Thiele] = DRdA 2015/33, 255 [Goricnik], wonach „auch“ § 99 Abs 4 ArbVG nach überwiegender Auffassung keine Rechtsgrundlage für eine Befugnis zur Überwachung von Individualarbeitsverträgen bilde).

Neben den ausdrücklich auch Arbeitsverträge erwähnenden Materialien (ErläutRV 840 BlgNR 13. GP 81) spricht freilich insb die explizite Nennung „sonstiger arbeitsrechtlicher Vereinbarungen“ in § 89 Z 2 ArbVG doch deutlich für die Erfassung von Arbeitsverträgen (idS schon Auer-Mayer in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht5 § 89 Rz 6 f, 19; für eine Einbeziehung etwa auch Drs in Jabornegg/Resch, ArbVG § 89 Rz 25; dies, Einsichtsrechte des Betriebsrats, DRdA 2014, 264; Mosler in Tomandl, ArbVG § 89 Rz 14). So ist hier nicht etwa von „kollektiven“ oder die „Belegschaft“ betreffenden Vereinbarungen die Rede. Auch bezieht sich die Beschränkung auf „für den Betrieb“ geltende Regelungen in § 89 Z 2 ArbVG gerade nicht auch auf die arbeitsrechtlichen Vereinbarungen (arg: „der für den Betrieb geltenden Kollektivverträge ... und sonstiger arbeitsrechtlicher Vereinbarungen“ – und nicht: „... und sonstigen arbeitsrechtlichen Vereinbarungen“). Damit ist kein Grund ersichtlich, warum mit „sonstigen arbeitsrechtlichen Vereinbarungen“ nicht gerade auch Arbeitsverträge gemeint sein sollten. Der Umstand, dass diese ursprünglich im ersten Satz des § 89 ArbVG enthaltene Wortfolge aufgrund entsprechender Abänderungsanträge (vgl B 993 BlgNR 13. GP 1) schlussendlich in die Z 2 der Bestimmung verlagert wurde, bestärkt überdies die Annahme, dass der Begriff „Rechtsvorschriften“ als solcher weit auszulegen ist. Denn wie erwähnt, sind die Z 1 bis 4 des § 89 ArbVG nur als beispielhafte Konkretisierungen der umfassenden Generalklausel des ersten Satzes anzusehen. Wenn hier nun – sinnvollerweise – als (nur) ein möglicher Überwachungsgegenstand neben KollV und BV ausdrücklich auch „sonstige arbeitsrechtliche Vereinbarungen“ genannt werden, folgt daraus nicht nur, dass die Generalklausel – und damit der Begriff Rechtsvorschriften – diese ebenfalls beinhaltet, sondern indiziert dies generell ein weites Verständnis der „Rechtsvorschriften“.

Nicht zuletzt ist auch daraus, dass es sich beim Überwachungsrecht um ein Recht der Belegschaft handelt, keineswegs zu schließen, dass die Einhaltung der Arbeitsverträge – und damit das rechtmäßige Vorgehen des/der AG insgesamt – vom Überwachungsrecht ausgenommen sein soll. Auch bei der in § 89 Z 1 ArbVG ausdrücklich angesprochenen Überprüfung der Aufzeichnungen über die Bezüge der (einzelnen) AN, der zur Berechnung dieser Bezüge erforderlichen Unterlagen sowie der Kontrolle der Auszahlung geht es ja nicht (zwingend) um die Überwachung „gleichmäßig“ im Betrieb geltender Vorgaben.

Praktische Auswirkungen hat die Bejahung eines solchen generellen Überwachungsrechts auch bezüglich der Einhaltung der Arbeitsverträge nicht nur angesichts des damit auch ohne Einwilligung der AN bestehenden Einsichtsrechts in eben diese Arbeitsverträge (welche die betroffenen AN dem BR wohl ohnedies im eigenen Interesse vorlegen werden; idS auch Holuschka, ZAS 2018, 332). Vielmehr kann der BR damit gegenüber dem/der AG auch Einsicht in weitere zur Überprüfung der Einhaltung der Arbeitsverträge erforderliche Unterlagen (wie im konkreten Fall in den bestehenden Freiwunschkalender) begehren.

4.
Fazit

Der E des OGH ist in Begründung wie Ergebnis zuzustimmen. Die strittige Frage der generellen Einbeziehung der Arbeitsverträge in das Überwachungsrecht nach § 89 ArbVG wurde freilich erneut nicht abschließend geklärt. Dabei hätte angesichts der einzelvertraglichen Verbindlichkeit „betrieblicher Übungen“ durchaus die Möglichkeit einer diesbezüglichen Klarstellung bestanden. Offenkundig wollte sich das Höchstgericht hier aber (doch) noch nicht endgültig festlegen. Die „Marschrichtung“ scheint allerdings mit dem vorliegenden Judikat, auch in Zusammenschau mit der Vorentscheidung 9 ObA 115/17b, deutlich in Richtung Einbeziehung der Arbeitsverträge vorgezeichnet. Es bleibt zu hoffen, dass der OGH diesen Pfad nicht verlässt. 138