129Kein Anspruch pensionierter ArbeitnehmerInnen auf Weitergewährung von Essenszuschüssen
Kein Anspruch pensionierter ArbeitnehmerInnen auf Weitergewährung von Essenszuschüssen
Die Bejahung einer in einem individualvertraglichen Anspruch mündenden betrieblichen Übung muss keinesfalls zwingend bedeuten, dass eine (Sach-)Leistung auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch als Entgelt iS einer synallagmatischen Gegenleistung aus dem Arbeitsverhältnis anzusehen ist. Gerade weil das Arbeitsverhältnis beendet ist, bedürfte es eines besonderen Grundes für die Annahme, dass sich ein/e AG als Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung zu einer dauerhaften, einseitig nicht widerrufbaren Leistung verpflichten wollte.
Der Kl war von 1971 bis zu seiner Pensionierung Ende Juli 2016 bei der Bekl (bzw deren Rechtsvorgängerin) beschäftigt. Bis Ende 2016 hatten sowohl die aktiven als auch die pensionierten MitarbeiterInnen – ursprünglich in einem im Eigentum der Bekl stehenden Gasthaus, später in einer am Werksgelände eröffneten Kantine und schließlich auch in mehreren umliegenden Gasthäusern – die Möglichkeit, mittels vorab gekaufter Essensbons vergünstigte Mahlzeiten einzunehmen. Zuletzt leistete die Bekl einen Zuschuss von € 3,- pro Mahlzeit. Für Verwaltung, Ausgabe und Verkauf der Essensbons war der BR zuständig. Der Kl nutzte die Essensbons nach seiner Pensionierung weiterhin sporadisch. Eine ausdrückliche Regelung existierte nicht. Infolge des Auftretens von Malversationen führte die Bekl ab 1.1.2017 ein elektronisches Wertkartensystem zur Abwicklung der Essenszuschüsse ein. In einer dazu abgeschossenen BV wurde die Geltung nur für aktive AN festgehalten. Die PensionistInnen wurden grundsätzlich im Oktober 2016, der Kl nachweislich im April 2017 über die Umstellung informiert. Er begehrte in weiterer Folge € 789,- als Nachzahlung für die ihm ab November 2016 verweigerten Essensbons sowie die Einbeziehung in das neue „Essenszuschusssystem“.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren vor allem mit der Begründung ab, dass es sich beim Essensmarkensystem um eine betriebliche Wohlfahrtseinrichtung iSd § 95 ArbVG handle und Leistungen im Rahmen einer solchen bei entgeltfernen Begünstigungen, die nicht im engen Zusammenhang mit der Arbeitsleistung stünden, nicht Teil individueller Leistungsansprüche werden könnten. Das Berufungsgericht bejahte dagegen eine betriebliche Übung, die Eingang in die Individualverträge gefunden habe. Es hob das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache zur Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Der OGH gab dem Rekurs der Bekl Folge und stellte das Ersturteil wieder her.
„6. Ob ein in einer betrieblichen Übung begründeter einzelvertraglicher Anspruch der aktiven AN auf die Essensbons begründet wurde, ist hier nicht entscheidungsrelevant. Auch wenn man das bejaht, ist […] Folgendes zu bedenken:
Anders als das Berufungsgericht meint, muss die Bejahung einer in einem individualvertraglichen Anspruch mündenden betrieblichen Übung keinesfalls zwingend bedeuten, dass eine (Sach-)Leistung auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch als Entgelt im Sinn einer synallagmatischen Gegenleistung aus dem Arbeitsverhältnis anzusehen ist. Gerade weil das Arbeitsverhältnis beendet ist, bedürfte es vielmehr eines besonderen Grundes für die Annahme, dass sich ein AG als Gegenleistung für die bereits erbrachte Arbeitsleistung eines AN zumindest konkludent zu einer dauerhaften, einseitig nicht widerrufbaren Leistung verpflichten wollte und nicht nur aus sozialen Erwägungen auch seinen Pensionisten eine vergünstigte Leistung gewährt. Ob ausreichende Gründe vorliegen, die auf einen solchen Verpflichtungswillen schließen lassen, kann grundsätzlich nur nach den Umständen des Falles bestimmt werden. Sie sind hier aber nicht im Sinn einer Bejahung ersichtlich. Zum einen unterlagen die Vergünstigungen als solche bestimmten Veränderungen […]. Die AN […] mussten daher davon ausgehen, dass die Möglichkeit zum Essensbezug betrieblich-organisatorischen Anpassungen unterliegen konnte.
Hinsichtlich des bezugsberechtigten Personenkreises ist für die Absicht des DG auch der Zweck von Essensbons beachtlich. Wie schon zu 9 ObA 121/10z dargelegt, liegt dieser im aufrechten Dienstverhältnis in der arbeitsökonomischen Essensversorgung der Mitarbeiter und der Verringerung250ihres typischerweise höheren finanziellen Aufwands für arbeitsbedingt außer Haus konsumierte Mahlzeiten. Dieser Zweck geht nach der genannten Entscheidung schon bei einer Arbeitsverhinderung im aufrechten Dienstverhältnis ins Leere. Umso mehr gilt das aber im Fall von pensionierten AN, weil hier weder arbeitsökonomische Erwägungen zur Einnahme von Mahlzeiten in der Nähe des Arbeitsplatzes noch eine arbeitsbedingte Mehrbelastung von einem außer Haus konsumierten Essen noch eine Rolle spielen. Die Ausnützung von Essensbons hängt bei dieser Personengruppe idR von persönlichen Lebensumständen und Gegebenheiten ab, die mit dem Arbeitsverhältnis in keinem Zusammenhang mehr stehen (zB zufällige Nähe des Wohnorts zu den Vertrags-Gaststätten, Wunsch nach sozialem Kontakt mit ehemaligen Kollegen, geringes Pensionseinkommen ua). Das führt zu einem Funktionswandel der Essensbons für Pensionisten, der sowohl bei der Belegschaft als auch bei den Pensionisten als bekannt angenommen werden kann. Im konkreten Fall zeigte er sich auch darin, dass nur noch ein kleiner Teil von ca 10 bis 20 Pensionisten die Essensbons in Anspruch nahm und auch der Kl sie seit seiner Pensionierung nur in geringem Ausmaß […] genutzt hat. Auch die ehemaligen Mitarbeiter hatten danach überwiegend keine von einem wirtschaftlichen Interesse geprägte Erwartungshaltung mehr, die darauf hindeuten würde, dass die Essensbons nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses weiter als Teil des vertraglichen Austauschverhältnisses von Leistung und Vergütung verstanden wurden.
All das spricht hier aber dafür, dass die Essensbons aus der Sicht eines redlichen Erklärungsempfängers mit der Pensionierung eines Mitarbeiters zwar noch als Sozialleistung […], nicht aber als vertraglich geschuldete Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung im Sinne eines aufgesparten, ‚thesaurierten‘ Entgelts aufgefasst werden konnten. Dementsprechend fehlt es aber an Umständen, die auf einen Willen der Bekl dahin schließen ließen, sich auch gegenüber ehemaligen Mitarbeitern aufgrund des früheren Arbeitsverhältnisses vertraglich zur lebenslangen Ausgabe der Essensbons verpflichtet zu haben […].“
Es ist grundsätzlich unbestritten, dass wiederholte und vorbehaltlose Leistungen des/der AG nach Maßgabe des § 863 ABGB konkludent zum Inhalt der Einzelverträge der AN werden können. In der älteren Judikatur ging der OGH noch davon aus, dass es bei Vorliegen einer betrieblichen Wohlfahrtseinrichtung iSd § 95 ArbVG idR an einem entsprechenden Verpflichtungswillen des/der AG gegenüber einzelnen AN fehlt (vgl zB OGH14 ObA 5/87 ZAS 1988/23, 172 [Stöhr-Kohlmaier] =
, 172 [Eypeltauer] = , 201 [Chr. Klein]). Diese Rsp wurde jedoch zugunsten einer Differenzierung zwischen der Wohlfahrtseinrichtung als solcher (auf deren Weiterführung die AN keinen Anspruch haben) und den konkret gewährten Leistungen aufgegeben. Die Annahme einer Wohlfahrtseinrichtung schließt somit, wie der OGH in der vorliegenden E erneut festhält, das Entstehen einzelvertraglicher Ansprüche der AN auf Weitergewährung betroffener Leistungen nicht aus. Voraussetzung eines solchen Anspruchs ist, dass aufgrund der Vorgangsweise des/der AG aus Sicht redlicher ErklärungsempfängerInnen auf dessen/deren Verpflichtungswillen geschlossen werden kann, den individuellen Vorteil jedem/jeder einzelnen AN auch in Zukunft zur Verfügung zu stellen (exemplarisch OGH8 ObA 4/07g ASoK 2007, 321 [Marhold-Weinmeier] = wbl 2007, 522 [Goricnik] = , 344 [Eypeltauer]).Das Entstehen eines einzelvertraglichen Anspruchs der AN wurde durch den OGH in einer E aus dem Jahr 1997 in Bezug auf Zuschüsse zum Mittagessen bejaht (OGH8 ObA 219/97g RdW 1998, 204 [Andexlinger] = ZAS 1998/16, 173 [Pircher] =
[Wachter]). Konkret hatte der AG auf die Möglichkeit des verbilligten Essensbezugs gegen einen Eigenbeitrag der AN (von damals 20 Schilling) bei Vertragsabschluss ausdrücklich hingewiesen und die den „Selbstbehalt“ übersteigenden Kosten sowohl in der Personalkantine als auch im allgemein zugänglichen Restaurant getragen. Der OGH wies dazu insb darauf hin, dass der Zuschuss zum Mittagessen (im Gegensatz zu etwa einem solchen zu Theater- und Konzertabonnements) keine nur lose mit der Arbeitsleistung zusammenhängende „entgeltferne“ Leistung darstelle, sondern vom AG im Zusammenhang mit der geschuldeten Arbeitsleistung der AN erbracht worden sei.Vor diesem Hintergrund war die Bejahung eines einzelvertraglichen Anspruchs der aktiven AN auf Fortgewährung der Essenszuschüsse auch im streitgegenständlichen Fall zumindest nicht abwegig. Der OGH hatte über diese Frage jedoch nicht zu entscheiden und lässt sie daher auch ausdrücklich offen. Zu klären war vielmehr nur, ob der Kl ungeachtet seiner Pensionierung einen solchen Anspruch geltend machen kann. Dies verneint der OGH, neben dem Hinweis auf wiederholte organisatorische Änderungen, vor allem angesichts des besonderen Zwecks der Essensbons. Letztere dienen dem OGH zufolge zum einen dazu, die AN möglichst „arbeitsökonomisch“ – somit zeitsparend und daher in der Nähe des Arbeitsplatzes – mit Essen zu versorgen. Zum anderen sollen sie den finanziellen Mehraufwand der AN für arbeitsbedingt außer Haus konsumierte Mahlzeiten verringern. Beide Zielsetzungen könnten jedoch bei pensionierten AN nicht mehr erreicht werden. In diesem Zusammenhang bezieht sich der OGH auch auf eine Vorentscheidung (OGH9 ObA 121/10z ecolex 2011, 844 [Eypeltauer] = ZAS 2012/33, 181 [Drs] = DRdA 2012/35, 417 [Mosler]), in der Vergleichbares zu Zeiten des Krankenstands aktiver AN sowie hinsichtlich251der (Nicht-)Einbeziehung von Essenszuschüssen in die Bemessung der Abfertigung Alt (§ 23 AngG) festgehalten wurde. Diese Entscheidung, in der die Gewährung der Essensbons mit der Kl anstelle einer Reallohnerhöhung vereinbart worden war, ist in der Literatur freilich durchaus auf Kritik gestoßen (vgl dazu nur die Glossen von Eypeltauer, Drs und Mosler). Zur Entgeltfortzahlung sei ferner darauf hingewiesen, dass § 2 des General-KollV jene Leistungen vom Entgeltbegriff des § 3 EFZG ausnimmt, die wegen ihres unmittelbaren Zusammenhangs mit der Erbringung der Arbeitsleistung vom AN während einer Arbeitsverhinderung nicht in Anspruch genommen werden können. Demonstrativ genannt werden hier ua freie oder verbilligte Mahlzeiten.
Unabhängig davon kommt es nach Ansicht des OGH durch die Pensionierung zu einem Funktionswandel der Essenszuschüsse. Demnach sind letztere nur (noch) als Sozialleistung für ehemalige AN und nicht (wie etwa eine Betriebspension) als aufgespartes Entgelt iS einer (nachträglichen) Gegenleistung für die frühere Arbeitsleistung des/der AN anzusehen. Die AN konnten dem OGH zufolge auch nicht damit rechnen, dass ihnen die Essensbons allein aufgrund des früheren Arbeitsverhältnisses lebenslang zur Verfügung gestellt werden. Pensionierte AN haben somit – selbst bei Annahme eines einzelvertraglichen Anspruchs aktiver AN – grundsätzlich keinen Anspruch auf Gewährung entsprechender Essenszuschüsse mehr. Abweichendes gilt, wenn die konkreten Umstände ausnahmsweise doch dafür sprechen, dass sich der/die AG auch gegenüber pensionierten AN zur Weitergewährung der Zuschüsse verpflichten wollte. Solche Umstände waren für den OGH in der gegebenen Fallkonstellation aber nicht erkennbar.