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Feststellung eines Scheinunternehmens iSd Sozialbetrugsbekämpfungsgesetzes: Auswirkungen auf die Pflichtversicherung

PIA ANDREAZHANG

Die Feststellung der Pflichtversicherung wird von der erst nach dem gegenständlichen Zeitraum erfolgten Feststellung als Scheinunternehmen nicht berührt. Weder kann die gegenständliche Pflichtversicherung nach § 11 Abs 7 ASVG erlöschen, noch kann für den gegenständlichen Zeitraum ein Auftraggeber fiktiver DG iSd § 35a Abs 3 zweiter Satz ASVG sein.

SACHVERHALT

Der Kl hat zunächst im Oktober 2016 bei der RR-P GmbH gearbeitet. Von einem Mitarbeiter der RR-P GmbH wurde ihm mitgeteilt, dass er ab 17.10.2016 für die S GmbH arbeite. Zu diesem Zweck hat er einem unbekannten Mann Kopien seines Reisepasses, des Visums, der e-card, der Bankomatkarte und des Meldezettels übergeben. Laut eigenen Angaben stellte der Kl vom 17.10. bis 30.11.2016 für die S GmbH vollzeitig Styropor-Fassaden her. Dem Kl war nicht aufgefallen, dass die Kontonummer, von der ihm der Lohn von der S GmbH überwiesen wurde, dieselbe gewesen ist wie die, von der ihm der Lohn der RR-P GmbH überwiesen worden war. Von einem unbekannten Mann wurde dem Kl die Kündigung zum 30.11.2016 telefonisch ausgesprochen. Daraufhin befand er sich knapp vier Monate im Krankenstand. Am 12.12.2016 wurde mit Bescheid vom Finanzamt festgestellt, dass es sich bei der S GmbH um ein Scheinunternehmen iSd § 8 99 SBBG handelt. Dieser Bescheid ist am 27.12.2016 in Rechtskraft erwachsen. Sämtliche Dienstverhältnisse der S GmbH wurden von der zuständigen Gebietskrankenkasse (GKK) amtswegig storniert. Am 17.1.2017 hat der Kl bei der GKK vorgesprochen.

Von 4.12.2016 bis 10.3.2017 hatte der Kl Krankengeld bezogen. Mit Bescheid vom 7.11.2017 forderte die GKK vom Kl das gesamte Krankengeld in Höhe von € 4.382,71 zurück. Begründet wurde dies damit, dass aufgrund der Stornierung der Anmeldung kein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorgelegen hätte.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kl Klage vor dem Arbeits- und Sozialgericht und beantragte bei der GKK die Feststellung des Vorliegens einer Pflichtversicherung bei der S GmbH im gegenständlichen Zeitraum. Das Verfahren vor dem ASG wurde zur Klärung der Vorfrage des Vorliegens eines pflichtversicherten Arbeitsverhältnisses ruhend gestellt.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Der Kl beantragte bei der GKK die Feststellung des Vorliegens von Versicherungszeiten im Zeitraum vom 17.10. bis 30.11.2016. Dies wurde von der GKK mit Bescheid vom 25.7.2019 abgelehnt. Begründet wurde dies damit, dass er zwar als DN der S GmbH angemeldet worden sei, diese aber ein Scheinunternehmen sei, was auch bereits vom Finanzamt mit Bescheid vom 12.12.2016 festgestellt wurde. Es komme auch kein anderer DG in Frage, weshalb keine Pflichtversicherung im beantragten Zeitraum vorliege.

Der Kl erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde, woraufhin das BVwG den Bescheid behob und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die GKK zurückverwies. Gem § 35a Abs 1 ASVG seien die Krankenversicherungsträger an die rechtskräftige Feststellung des Vorliegens eines Scheinunternehmens durch die Abgabenbehörde des Bundes gebunden. In Verkennung der Rechtslage habe die GKK vermeint, mangels DG iSd § 35 ASVG sei die Pflichtversicherung zu verneinen. Dies widerspreche jedoch der geltenden Rechtslage, sofern der Kl tatsächlich Arbeitsleistungen erbracht und mitgewirkt habe. Aufgrund der groben Ermittlungslücken sei das BVwG berechtigt, von einer Entscheidung in der Sache abzusehen und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die zuständige GKK zurückzuverweisen.

Dagegen richtete sich die Revision der belangten Behörde. Die GKK bringt vor, der Vorwurf, sie habe nicht ermittelt, ob der Kl Arbeitsleistungen erbracht habe, sei nicht gerechtfertigt. Das BVwG hätte allfällige weitere Ermittlungen selbst vornehmen und in der Sache entscheiden müssen.

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„[…]

38 Das Finanzamt 8/16/17 hat mit Bescheid vom 12. Dezember 2016 festgestellt, dass die S. GmbH als Scheinunternehmen gemäß § 8 SBBG gilt. Dieser Bescheid ist am 27. Dezember 2016 in Rechtskraft erwachsen. […]

39 Gemäß § 35a Abs 1 ASVG ist die GebKK an die rechtskräftige Feststellung, dass die S. GmbH als Scheinunternehmen gilt, gebunden. Die rechtlichen Folgen dieser Bindung ergeben sich insbesondere aus § 11 Abs 7 und § 35a Abs 3 ASVG.

40 Eine Folge besteht darin, dass die Pflichtversicherung einer im § 10 Abs 1 ASVG bezeichneten Person – sohin einer solchen, deren Beschäftigung als Dienstnehmer bei einem Dienstgeber begonnen hat – mit der rechtskräftigen Feststellung eines Scheinunternehmens erlischt, wenn die Person der Aufforderung zum persönlichen Erscheinen beim Versicherungsträger nach § 43 Abs 4 ASVG nicht oder nicht rechtzeitig nachkommt oder wenn sie nicht glaubhaft machen kann, dass sie tatsächlich Arbeitsleistungen verrichtet hat. Wurde ein Dienstnehmer von einem Scheinunternehmen angemeldet, so wird regelmäßig davon auszugehen sein, dass tatsächlich Arbeitsleistungen verrichtet wurden. Lässt sich indes nachweisen, dass dieser eine Beschäftigung als Dienstnehmer bei einem Dienstgeber gar nicht begonnen hat, so besteht keine Pflichtversicherung, die nach § 11 Abs 7 ASVG erlöschen könnte. In den Fällen, in denen ein solcher Nachweis nicht vorliegt, bewirkt die Feststellung eines Scheinunternehmens, dass die Bescheinigungslast dafür, dass tatsächlich Arbeitsleistungen erbracht wurden, für den Zeitraum ab Feststellung des Scheinunternehmens den Dienstnehmer trifft. Denn wirkt der Dienstnehmer nicht mit bzw. gelingt ihm die Glaubhaftmachung nicht, so erlischt die Pflichtversicherung gemäß § 11 Abs 7 ASVG nicht etwa rückwirkend ab ihrem Beginn bzw. ab der Anmeldung, sondern ab der rechtskräftigen Feststellung des Scheinunternehmens. […]

41 Gemäß § 35a Abs 3 erster Satz ASVG hat der Krankenversicherungsträger bei Personen, die der nach rechtskräftiger Feststellung des Scheinunternehmens ergehenden Aufforderung zum persönlichen Erscheinen beim Krankenversicherungsträger nach § 43 Abs 4 ASVG rechtzeitig nachgekommen sind und die glaubhaft gemacht haben, (für bestimmte Zeiträume) tatsächlich Arbeitsleistungen ‚im Bereich eines Scheinunternehmens‘ verrichtet zu haben, den Dienstgeber dieser Personen zu ermitteln (wozu der Krankenversicherungsträger im amtswegigen Verfahren zur Feststellung einer Pflichtversicherung nach allgemeinen Grundsätzen ohnehin verpflichtet ist).

42 Aus der oben wiedergegebenen gesetzlichen Definition eines ‚Scheinunternehmens‘ folgt für jene Scheinunternehmer, in deren Bereich Dienstnehmer 100 tatsächlich eine unselbstständige Erwerbstätigkeit ausüben, dass sie grundsätzlich iSd § 35 Abs 1 ASVG Dienstgeber sein können, die einen Dienstnehmer iSd § 4 Abs 2 ASVG beschäftigen, sodass dieser gemäß § 4 Abs 1 Z 1 ASVG pflichtversichert ist (vgl. auch die in § 9 SBBG vorausgesetzte Pflicht des Scheinunternehmens, als Dienstgeber Entgelt zu zahlen).

43 § 35a Abs 3 erster Satz ASVG stellt nun entweder auf Fallkonstellationen ab, in denen zusätzlich zu einem Scheinunternehmen eine weitere Person als Dienstgeber in Frage kommt (z.B. ein weiterer Gesellschafter einer GesbR), oder auf Fallkonstellationen, in denen nach den Grundsätzen der Sachverhaltsfeststellung gemäß § 539a ASVG die Dienstgebereigenschaft iSd § 35 Abs 1 ASVG nicht dem Scheinunternehmen, sondern einer anderen Person zukommt. Denkbar ist freilich auch der Fall, dass das Scheinunternehmen einziger Dienstgeber iSd § 35 ASVG ist.

44 Scheitert in der in § 35a Abs 3 erster Satz ASVG genannten Situation die Ermittlung eines wahren Dienstgebers – der vom Scheinunternehmen verschieden ist –, so gilt gemäß § 35a Abs 3 zweiter Satz ASVG ab der rechtskräftigen Feststellung des Scheinunternehmens als Dienstgeber das Auftrag gebende Unternehmen, wenn es wusste oder wissen musste, dass es sich beim Auftrag nehmenden Unternehmen um ein Scheinunternehmen nach § 8 SBBG handelt […] und nicht beweist, von den betreffenden Personen keine Arbeitsleistungen erhalten zu haben oder zu erhalten.

45 Gelingt dem Auftrag gebenden Unternehmen der Gegenbeweis, dass es keine Arbeitsleistungen erhalten hat oder erhält, aus dem Grund, dass die Person gar keine Arbeitsleistungen im Bereich des Scheinunternehmens erbracht hat oder erbringt, so widerlegt dies die ursprüngliche Glaubhaftmachung durch diese Person, dass sie tatsächlich Arbeitsleistungen erbracht hätte (§ 11 Abs 7 Z 2 ASVG), sodass eine allfällige in Bezug auf eine Beschäftigung im Bereich eines Scheinunternehmens bestehende Pflichtversicherung ab der rechtskräftigen Feststellung des Scheinunternehmens erlischt. […]

47 Ist das Auftrag gebende Unternehmen […] nicht als fiktiver Dienstgeber zu betrachten, so erlischt eine […] bestehende Pflichtversicherung nicht ab der rechtskräftigen Feststellung des Scheinunternehmens, war es doch Anwendungsvoraussetzung des § 35a Abs 3 ASVG, dass der Dienstnehmer den in § 11 Abs 7 ASVG genannten Pflichten nachgekommen ist.

48 Ist das Auftrag gebende Unternehmen hingegen aus den in § 35a Abs 3 ASVG genannten Gründen als fiktiver Dienstgeber zu betrachten, so tritt es […] auf Grund einer gesetzlichen Fiktion ab der rechtskräftigen Feststellung des Scheinunternehmens als fiktiver Dienstgeber neben den Scheinunternehmer oder es besteht ab der rechtskräftigen Feststellung des Scheinunternehmens eine Pflichtversicherung allein auf Grund der Beschäftigung bei dem fiktiven Dienstgeber.

49 Sache des vorliegenden Verfahrens ist die Feststellung der Pflichtversicherung des Erstmitbeteiligten nach dem ASVG und dem AlVG auf Grund einer behaupteten Beschäftigung bei der Dienstgeberin S. GmbH vom 17. Oktober bis 30. November 2016. Der Bescheid des Finanzamts 8/16/17 vom 12. Dezember 2016, wonach die S. GmbH als Scheinunternehmen gemäß § 8 SBBG gilt, ist am 27. Dezember 2016 in Rechtskraft erwachsen. Die Feststellung der Pflichtversicherung wird von der erst nach dem gegenständlichen Zeitraum erfolgten Feststellung der S. GmbH als Scheinunternehmen nicht berührt. Weder kann die gegenständliche Pflichtversicherung nach § 11 Abs 7 ASVG erlöschen, noch kann für den gegenständlichen Zeitraum ein Auftraggeber fiktiver Dienstgeber iSd § 35a Abs 3 zweiter Satz ASVG sein.

50 Die GebKK hat die Dienstgebereigenschaft der S. GmbH, verneint, weil sie keinen Betrieb auf ihre Rechnung und Gefahr geführt habe, und weil der Erstmitbeteiligte nicht von dem Geschäftsführer der S. GmbH in Dienst genommen worden sei. Inwieweit diese Auffassung mit § 35 Abs 1 ASVG […] im Einklang steht […], wird das Bundesverwaltungsgericht im fortgesetzten Verfahren zu beurteilen haben. Sollte es zu dem Ergebnis kommen, dass die S. GmbH als Dienstgeberin in Frage kommt, wird es die weiteren Voraussetzungen der behaupteten Pflichtversicherung, insbesondere die tatsächliche Ausübung einer Tätigkeit durch den Erstmitbeteiligten zu prüfen haben. […] Das Bundesverwaltungsgericht hätte auf der Basis der ausreichenden Ermittlungsergebnisse nach allfälligen eigenen ergänzenden Ermittlungen in der Sache entscheiden müssen. […]

51 Der angefochtene Beschluss war gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben. […]“

ERLÄUTERUNG

Der VwGH hält in dieser E einerseits fest, dass die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung durch das BVwG trotz der festgestellten Ermittlungslücken – insb der nicht erfolgten Einvernahme genannter Zeugen – nicht vorliegen, andererseits beschäftigt er sich inhaltlich umfassend mit der Thematik der Scheinunternehmen aus Perspektive des DN bzw die Auswirkungen eines solchen Verfahrens auf die KV.

Das örtlich zuständige Finanzamt kann bei Erhärtung eines Verdachtes gem § 8 SBBG feststellen, dass ein Scheinunternehmen vorliegt. Dies ist beispielsweise dann gegeben, wenn ein Unternehmen vorrangig darauf ausgerichtet ist, Personen zur SV anzumelden, um Leistungen zu beziehen, obwohl diese keine unselbstständige Erwerbstätigkeit aufnehmen. Sobald dieser Bescheid rechtskräftig wird, hat dies auch direkte Auswirkungen auf eine aus dem Dienstverhältnis mit dem Scheinunternehmen beruhende Pflichtversicherung. 101

So sind die Krankenversicherungsträger gem § 35a ASVG an die rechtskräftige Feststellung durch das Finanzamt gebunden. Der Versicherte hat nach § 43 Abs 4 ASVG dazu beim Krankenversicherungsträger vorzusprechen. Gem § 11 Abs 7 ASVG erlischt die Pflichtversicherung mit der rechtskräftigen Feststellung eines Scheinunternehmens, wenn sie der Aufforderung zum persönlichen Erscheinen beim Versicherungsträger nicht oder nicht rechtzeitig nachkommen oder wenn sie nicht glaubhaft machen können, dass sie tatsächlich Arbeitsleistungen verrichtet haben.

Der VwGH hält dazu fest, dass die Krankenversicherungsträger bei Glaubhaftmachung einer Arbeitsleistung im Rahmen der Vorsprache nach § 43 Abs 4 ASVG nach rechtskräftiger Feststellung eines Scheinunternehmens zur Ermittlung eines DG verpflichtet sind. Scheinunternehmen, in deren Bereich DN eine unselbstständige Tätigkeit ausüben, können auch DG sein. Der VwGH setzt sich auch umfassend mit dem Verfahren zur Findung eines alternativen DG nach § 35a Abs 3 iZm § 539a ASVG auseinander.

Er weist darauf hin, dass § 35a Abs 3 ASVG auf zwei Fallkonstellationen abstellt: Entweder es kommt zusätzlich zum Scheinunternehmen eine weitere Person als DG in Frage oder die DG-Eigenschaft kommt nicht dem Scheinunternehmen, sondern einer anderen Person zu. Scheitert die Ermittlung eines anderen wahren DG, gilt gem § 35a Abs 3 zweiter Satz ASVG ab der rechtskräftigen Feststellung des Scheinunternehmers das Auftrag gebende Unternehmen, wenn es wusste oder wissen musste, dass es sich um ein Scheinunternehmen handelt und nicht beweist, dass die betroffene Person keine Arbeitsleistungen für dieses erbracht hat. Gelingt dieser Gegenbeweis, erlischt die Pflichtversicherung ab der rechtskräftigen Feststellung des Scheinunternehmens. Ist das Auftrag gebende Unternehmen hingegen als fiktiver DG zu betrachten, besteht ab der rechtskräftigen Feststellung des Scheinunternehmens eine Pflichtversicherung beim fiktiven DG.

Diese Bestimmungen kommen im vorliegenden Fall aber nicht zur Anwendung, da der relevante Zeitraum der Beschäftigung bereits vor der rechtskräftigen Feststellung des Scheinunternehmens liegt. Daher muss nach allgemeinen Regeln zuerst die DG-Eigenschaft der S GmbH geklärt werden und bei Bejahung die Frage, ob tatsächlich Arbeitsleistungen erbracht wurden.

Es ist wohl davon auszugehen, dass der VwGH so zu verstehen ist, dass im Falle des Nichtvorliegens der DG-Eigenschaft der S GmbH in weiterer Folge ein weiterer DG ermittelt hätte werden müssen. Zweck der Regelungen zu Scheinunternehmen ist ja insb auch der Schutz von DN, die glaubhaft machen können, im relevanten Zeitraum tatsächlich Arbeitsleistungen erbracht zu haben.