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Vorzeitiger Austritt wegen Gesundheitsgefährdung: Anspruch auf Kündigungsentschädigung nur bei rechtswidriger und schuldhafter Herbeiführung des Austrittsgrundes durch den Arbeitgeber

ANDREASWELLENZOHN

Nach § 29 Abs 1 AngG setzt der Anspruch des Angestellten auf Kündigungsentschädigung – wie auch auf weitergehenden Schadenersatz – ein Verschulden am vorzeitigen Austritt des Angestellten voraus. Das ist der Fall, wenn der DG den Austrittsgrund in rechtswidriger und schuldhafter Weise herbeiführt. Die bloße Verursachung einer Gesundheitsbeeinträchtigung ohne konkret rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten kann nicht als Grundlage eines Schadenersatzanspruchs herangezogen werden.

SACHVERHALT

Die Kl war seit 8.1.1996 als zahnärztliche Assistentin in der Facharztpraxis des Rechtsvorgängers des Bekl beschäftigt. Am 1.9.2011 übernahm dieser die Praxis. Die unterbliebene Abfertigung bei der Praxisübernahme war der Ausgangspunkt des 82schlechten Arbeitsverhältnisses zwischen den Streitparteien. Im Dienstzettel vom 7.9.2011 waren zunächst die Vordienstzeiten nicht berücksichtigt und die Regelungen der Abfertigung „neu“ angeführt; der Dienstzettel wurde per 28.9.2011 schließlich dahingehend korrigiert, dass nun darin anrechenbare Vordienstzeiten von 26 Jahren und sechs Monaten aufschienen. Zwischen den Streitteilen verschlechterte sich das Verhältnis sukzessive. Beide fühlten sich voneinander nicht respektiert. Die Kl empfand etwa Fragen wie „Was haben wir jetzt gemacht?“ vor den Patienten als belehrend. Zumindest einmal machte der Bekl die Assistentinnen für ein technisches Problem zu Unrecht vor dem Patienten verantwortlich. Umgekehrt fühlte sich der Bekl durch Bemerkungen der Kl gestört, wie „Ha, was macht er schon wieder?“, „Das haben wir bei Dr. H nie gebraucht“ oder aufgrund bloßer Seufzer der Kl, weil dadurch auch die Patienten verunsichert wurden. Er ärgerte sich auch darüber, dass die Kl ihm Geräte nicht in die Hand gab, sondern auf den Behandlungstisch warf, Patienten gegenüber unhöflich war und manche beispielsweise nicht begrüßte. Der Bekl sprach den Umgang vor Patienten mit den Zahnarztassistentinnen offen an, bat darum, Kritik unter vier Augen zu äußern, und erhielt von der Kl die Antwort „Sie wissen es schon“. Im Juli 2012 sprach der Bekl gegenüber der Kl an, dass es weder ihm noch der Kl im derzeitigen Arbeitsverhältnis gut gehe und dass es in jedem Arbeitsverhältnis Dinge gebe, die man nicht tun möchte, aber eben tun müsse. Im Zuge dessen meinte er, man müsste sich eben „prostituieren“ und erklärte den Begriff Prostituierte mit „Hure“. Die Kl fasste dies jedoch in dem Sinne auf, dass der Bekl sie als „Hure“ bezeichnete. Der Bekl wollte damit jedoch ausdrücken, dass die Kl unter jenen medizinischen/technischen Konditionen arbeiten müsse, die der Bekl als Chef vorgab. Die Kl überreichte dem Bekl Anfang September 2012 ein von der Arbeiterkammer vorformuliertes Schreiben, in dem sie aufforderte, die unzumutbaren Arbeitsbedingungen zu ändern, da sie sich sonst den vorzeitigen Austritt sowie einen Schadenersatzanspruch vorbehalte.

Ab März 2012 setzten bei der Kl gesundheitliche Beschwerden wie Magenschmerzen, Colitis und Meteorismus ein, die psychosomatischer Natur waren. Die Kl litt anhaltend unter stressbedingten psychischen Problemen. Die Situation dauerte trotz (Fach-)Arztbesuche ohne Verbesserung bis Herbst 2012 an; Ursache der Beschwerden war das im Dienstverhältnis zum Bekl herrschende konflikthafte Arbeitsklima. Zum Zeitpunkt des vorzeitigen Austritts am 11.10.2012 litt die Kl an einer Depression mit Antriebslosigkeit, Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen sowie an einer anhaltenden vegetativen Dystonie mit einer Vielzahl wechselnder psychosomatischer Beschwerden wie Übelkeit, Magenschmerzen, Bauchschmerzen, Blähungen, Appetitlosigkeit, Kopfschmerzen, innerer Unruhe, Angst, emotionaler Labilität mit Weinanfällen und insgesamt dem Gefühl einer seelischen Krise. Die Beendigung des Dienstverhältnisses zum Bekl behob diese Symptomatik mit etwa Anfang März 2013 vollständig. Seither besteht keine Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit mehr.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Die Kl begehrte die Zahlung von € 33.250,72 brutto und € 5.344,55 netto sA an Arzt- und Therapiekosten, Kündigungsentschädigung inklusive Urlaubsersatzleistung, einer Abfertigung von zwölf Monatsentgelten und immateriellem Schadenersatz. Infolge des beleidigenden und herabwürdigenden Verhaltens des Bekl und ihrer dadurch entstandenen Gesundheitsgefährdung und -beeinträchtigung sei eine Fortsetzung des Dienstverhältnisses nicht mehr zumutbar gewesen.

Der Bekl bestritt dem Grunde nach, stellte das Klagebegehren der Höhe nach rechnerisch außer Streit und beantragte Klagsabweisung. Die Vorwürfe der Kl seien unzutreffend. Die Erkrankungen der Kl seien nicht von ihm verschuldet.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. In rechtlicher Hinsicht sah das Erstgericht weder den Austrittsgrund des § 26 Z 1 zweiter Fall (Gesundheitsschädigung) noch des § 26 Z 4 AngG (erhebliche Ehrverletzung) als verwirklicht an, sodass der Kl weder die Abfertigung noch die Kündigungsentschädigung samt Sonderzahlungen zustehe. Für den restlichen Schadenersatzanspruch fehle es an einem Schaden iS einer Krankheitswertigkeit der Beeinträchtigungen der Kl und in einer Gesamtschau der festgestellten Vorfälle auch an einem rechtswidrigen Verhalten des Bekl. Die schlechte Arbeitsatmosphäre sei auch auf die Äußerungen und das Verhalten der Kl zurückzuführen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kl teilweise Folge, verpflichtete den Bekl zur Zahlung von € 11.970,- brutto sA (Abfertigung von sechs Monatsentgelten) und wies das Mehrbegehren ab. Das Berufungsgericht sah zwar nicht den Austrittsgrund des § 26 Z 4 AngG, jedoch jenen des § 26 Z 1 zweiter Fall AngG als verwirklicht an. Die festgestellte Gesundheitsbeeinträchtigung habe der Kl die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar gemacht, sodass der vorzeitige Austritt berechtigt gewesen sei und ihr eine Abfertigung im Ausmaß von sechs Monatsgehältern gebühre; dies entspreche einer Dienstzeit von mehr als 15 Jahren (Dauer des Dienstverhältnisses 8.1.1996 bis 11.10.2012). Anhaltspunkte für eine Berechtigung der begehrten höheren Abfertigung im Ausmaß von zwölf Monatsentgelten fehlten. Ein Anspruch auf Kündigungsentschädigung und (immateriellen) Schadenersatz stünde der Kl nicht 83 zu, weil dafür das Vorliegen eines wichtigen Grundes nicht ausreiche. Ein rechtswidriges Mobbing (Bossing) sei im Verhalten des Bekl noch nicht zu erblicken. Daran könne der Umstand, dass einzelne Handlungsweisen des Bekl rechtswidrig gewesen sein mögen, nichts ändern, weil einzelne möglicherweise rechtswidrige Aktionen der hier in Betracht kommenden Art kein Austrittsrecht der Kl zur Folge gehabt hätten. Für ein rechtswidriges und schuldhaftes Herbeiführen des Austrittsgrundes würden Anhaltspunkte fehlen, weil kein Mobbing vorliege.

In ihrer dagegen gerichteten außerordentlichen Revision beantragte die Kl die Abänderung des Berufungsurteils iS einer vollständigen Klagsstattgebung.

Der Bekl beteiligte sich nicht am Revisionsverfahren.

Der OGH erachtete die außerordentliche Revision als zulässig und für teilweise berechtigt.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

1. Die Klägerin wendet sich zunächst gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass ihr nur eine Abfertigung in Höhe von sechs Monatsgehältern zustehe. Sie habe bereits in der Klage auf anzurechnende Vordienstzeiten hingewiesen. Der Beklagte habe darüber hinaus das Klagebegehren ‚der Höhe nach rechnerisch außer Streit‘ gestellt und einen Dienstzettel vorgelegt, aus dem sich ergebe, dass ihr für die Abfertigung Vordienstzeiten von 26 Jahren und sechs Monaten angerechnet worden seien.

Das ist zutreffend. Die Klägerin machte von Beginn an eine Abfertigung in Höhe von 12 Monatsentgelten geltend und verwies dafür bereits in der Klage auf den Dienstzettel vom 28.9.2011, in dem hinsichtlich Kündigungsfrist, Einstufung, Urlaub und Abfertigung eine Anrechnung von 26 Jahren und sechs Monaten per 1.9.2011 ausgewiesen ist (ON 1 AS 6). Dies wurde vom Beklagten nicht substantiiert bestritten. Er bestritt das Klagebegehren nur dem Grunde nach im Wesentlichen mit dem Vorbringen, dass der vorzeitige Austritt der Klägerin unberechtigt gewesen sei, stellte aber die Höhe des Klagebegehrens rechnerisch außer Streit (ON 3 AS 16) und legte selbst den Dienstzettel Beil ./1 vor, aus dem die von der Klägerin behaupteten Vordienstzeiten hervorgehen. Anderes wurde vom Beklagten nicht behauptet. Aus dem Gesamtzusammenhang ergibt sich daher, dass die Außerstreitstellung nicht nur die bloße Berechnung der Abfertigung, sondern auch den Umfang der von der Klägerin behaupteten Vordienstzeiten betraf. Die Annahme des Berufungsgerichts, dass für solche Vordienstzeiten keine Anhaltspunkte vorlägen, entspricht daher nicht dem Vorbringen der Klägerin und der Außerstreitstellung des Beklagten. Zugestandene Tatsachen können der Entscheidung ohne Weiteres zugrunde gelegt werden (RS0040110). Der Klägerin ist danach die Abfertigung im begehrten Ausmaß von zwölf Monatsentgelten à 1.995 EUR brutto sA zuzusprechen.

2. Im Hinblick auf ihre Schadenersatzansprüche einschließlich der Kündigungsentschädigung iSd § 29 Abs 1 AngG richtet sich die Klägerin gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, das im Verhalten des Beklagten kein Mobbing sah. Das Fehlen einer Prozesshaftigkeit rechtswidriger Handlungen durch den Arbeitgeber bedeute außerdem nicht, dass sein Handeln nicht schuldhaft die Gesundheitsgefährdung herbeigeführt habe.

Nach § 29 Abs 1 AngG setzt der Anspruch des Angestellten auf Kündigungsentschädigung – wie auch auf weitergehenden Schadenersatz – ein Verschulden am vorzeitigen Austritt des Angestellten voraus (s auch RS0028605). Das ist der Fall, wenn der Dienstgeber den Austrittsgrund in rechtswidriger und schuldhafter Weise herbeiführt. Die Klägerin beruft sich dafür zunächst auf ein Mobbingverhalten des Beklagten.

Wie vom Berufungsgericht dargelegt, verlangt Mobbing in der Regel eine andauernde Handlung, ein prozesshaftes Geschehen (RS0124076). Wesentlich ist, ob die vom Vorgesetzten gesetzten Maßnahmen objektiv geeignet waren, bei der Untergebenen einen Effekt des Verdrängens aus dem Arbeitsverhältnis zu bewirken, gleich, ob auch seine Absicht darauf abzielte (RS0124076 [T7]).

Der erkennende Senat teilt die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass sich im festgestellten Sachverhalt keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür finden, sodass auf dessen Beurteilung verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 ZPO). Selbst das von der Klägerin in der außerordentlichen Revision hervorgehobene Verhalten des Beklagten erreicht bei objektiver Betrachtungsweise keine solche Eignung, weil daraus zwar der schwelende Abfertigungskonflikt zwischen den Streitteilen und die mangelnde Bereitschaft des Beklagten, der Klägerin die Abfertigung zu zahlen, hervorgeht, entgegen ihrem Vorbringen aber nicht, dass es der Beklagte darauf angelegt hätte, sie aus dem Betrieb zu drängen. Mit der Behauptung einer vorsätzlichen Schädigung und Provozierung einer abfertigungsschädlichen Beendigung geht die Klägerin nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Zum Teil legt sie objektiv neutrale Anordnungen des Beklagten (zB Einhaltung einer Mittagspause) zu seinen Lasten aus. Nicht zuletzt blendet sie auch die von ihr gesetzten Verhaltensweisen aus. In Summe mussten die Vorinstanzen hier noch von keinem Mobbing gegenüber der Klägerin ausgehen.

3. Die Klägerin behauptet für den Fall, dass ‚man die Verhaltensweisen des Beklagten nicht als rechtswidrig und den Austritt verschuldendes 84 Verhalten erkennen wollte‘, ein Verschulden an der eingetretenen Gesundheitsgefährdung. In der festgestellten Verschlechterung des Arbeitsklimas ist jedoch noch kein rechtswidriges und von ihm verschuldetes Verhalten für eine Gesundheitsgefährdung der Klägerin zu sehen. Das gilt insbesondere auch für den Umstand, dass der Beklagte neue Arbeitszeiten bekanntgegeben hat und die Klägerin nach ihrer Rückkehr aus dem Krankenstand im Kalender einen für sie angedachten Urlaub vorfand, dessen Antritt sie verweigerte. Die bloße Verursachung einer Gesundheitsbeeinträchtigung ohne konkret rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten kann demgegenüber nicht als Grundlage eines Schadenersatzanspruchs herangezogen werden. Die Vermutung der Klägerin, dass der Beklagte offenbar die Hoffnung gehabt habe, durch sein Verhalten eine abfertigungsschädliche Beendigung ihrerseits herbeizuführen, geht auch in diesem Zusammenhang nicht vom festgestellten Sachverhalt aus.“

ERLÄUTERUNG

Die Höhe des Anspruches auf Abfertigung alt bemisst sich nach der Dauer des Dienstverhältnisses. Im Falle eines Betriebsüberganges sind die beim Veräußerer verbrachten Zeiten auch hinsichtlich des Abfertigungsanspruches zu berücksichtigen. Der DG kann auch mehr Dienstjahre für dienstzeitabhängige Ansprüche anrechnen. Im gegenständlichen Fall stützte sich die DN auf die im Dienstzettel festgehaltene Anrechnung von Vordienstzeiten und machte eine Abfertigung in der Höhe von zwölf Monatsentgelten geltend. Der DG bestritt diese Forderung (nicht substantiiert!) nur dem Grunde nach und stellte sie der Höhe nach rechnerisch außer Streit. Daher erkannte der OGH, dass damit die von der Kl behaupteten und für die Höhe der Abfertigung relevanten Vordienstzeiten außer Streit gestellt wurden, da zugestandene Tatsachen der Entscheidung ohne Weiteres zugrunde gelegt werden können.

Im Falle eines berechtigten vorzeitigen Austritts steht Kündigungsentschädigung nur dann zu, wenn den DG ein Verschulden am Austritt trifft, dh wenn der DG den Austrittsgrund schuldhaft und rechtswidrig herbeiführt. Stützt sich die DN auf Mobbing (Bossing) durch den DG, könnte sie nur durchdringen, wenn ein seitens der Judikatur hinsichtlich Mobbing regelmäßig verlangtes prozesshaftes Geschehen festgestellt würde. Dabei ist wesentlich, ob die vom vermeintlichen Täter gesetzten Maßnahmen objektiv geeignet waren, einen Effekt des Verdrängens aus dem Arbeitsverhältnis zu bewirken, wobei es auf dessen Absicht nicht ankommt. Objektiv neutrale Anordnungen des DG (zB Einhaltung der Mittagspause) können in diesem Zusammenhang nicht zu seinen Lasten ausgelegt werden. Nach dem festgestellten Sachverhalt fanden sich im vorliegenden Fall keine ausreichenden Anhaltspunkte für ein solches prozesshaftes Geschehen. Ebensowenig ist aber nach Ansicht des OGH auch in der gegenständlich festgestellten Verschlechterung des Arbeitsklimas allein ein rechtswidriges und vom DG verschuldetes, die Gesundheitsgefährdung herbeiführendes Verhalten zu sehen.

Gem § 32 AngG hat der Richter über den Schadenersatz nach freiem Ermessen zu entscheiden, wenn beide Vertragsparteien ein Verschulden an der vorzeitigen Beendigung trifft. Auch wenn ein Mitverschulden im Prozess nicht ausdrücklich eingewendet werden muss, scheitert die Anwendung der zitierten Norm an der Beurteilung des OLG Wien und des OGH, wonach den DG gegenständlich (überhaupt) kein Verschulden trifft.