Neuregelung der Möglichkeit zur Beendigung einer Lehre von AsylwerberInnen nach negativem Abschluss des Asylverfahren
Neuregelung der Möglichkeit zur Beendigung einer Lehre von AsylwerberInnen nach negativem Abschluss des Asylverfahren
Der Themenkomplex des Zugangs zum Arbeitsmarkt von AsylwerberInnen begleitet die politische sowie juristische Debatte seit langer Zeit. Die aktuell verabschiedeten Bestimmungen betreffen allerdings nicht den Zugang zum Arbeitsmarkt iSd Möglichkeit der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit (hier: Lehre), sondern die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Lehre beendet werden kann, wenn das Asylverfahren des Lehrlings während aufrechtem Lehrverhältnis rechtskräftig negativ abgeschlossen werden sollte.* Zum besseren Verständnis wird vor deren Darstellung und Kritik daran zunächst der Zugang zu Lehre für AsylwerberInnen in faktischer und rechtlicher Hinsicht und danach die Rechtslage bei negativem Ende eines Asylverfahrens kurz dargestellt.
Gem § 4 Abs 1 Z 1 AuslBG darf eine Beschäftigungsbewilligung für AsylwerberInnen grundsätzlich erteilt werden, wenn diese seit drei Monaten zum Asylverfahren zugelassen sind und idR über ein vorläufiges Aufenthaltsrecht gem § 13 AsylG verfügen. Die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung ist von einer Reihe von Voraussetzungen abhängig (insb wird gem § 4b AuslBG eine Arbeitsmarktprüfung durchgeführt; dabei wird geprüft, ob für die zu besetzende offene Stelle verfügbare Arbeitskräfte zur Verfügung stehen). Aufgrund eines Erlasses aus dem Jahr 2004 dürfen Beschäftigungsbewilligungen für AsylwerberInnen aber nur im Bereich von Kontingenten für Saisonbeschäftigung (§ 5 AuslBG) ausgestellt werden.* Dieser Erlass wurde zunächst mehrfach erweitert, sodass eine solche auch für AsylwerberInnen unter 25 Jahren zur Absolvierung einer Lehre in Berufen, in denen es einen Mangel an Lehrstellensuchenden gab, erteilt werden konnte. Im Herbst 2018 wurden diese Erweiterungen wieder aufgehoben, sodass in der Verwaltungspraxis Beschäftigungsbewilligungen zur Absolvierung einer Lehre nicht mehr erteilt werden. Allerdings wurde mittlerweile durch diverse Entscheidungen des BVwG klargestellt, dass jedenfalls in Fällen, in denen dies aufgrund Art 15 RL 2013/33 (ABl L 2013/180, AufnahmeRL) geboten ist, eine Beschäftigungsbewilligung erteilt werden muss* Gem § 7 Abs 4 AuslBG ist Lehrlingen die Beschäftigungsbewilligung für die gesamte Dauer der Lehrzeit und der gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Verpflichtung zur Weiterverwendung zu erteilen.
Gem § 14 Abs 2 lit f Berufsausbildungsgesetz (BAG) endet ein Lehrverhältnis ex lege, wenn das Asylverfahren rechtskräftig negativ beendet wurde, gem § 7 Abs 6 AuslBG erlischt die Beschäftigungsbewilligung mit Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses. Der rechtskräftige negative Abschluss eines Asylverfahrens löste vor Geltungsbeginn von § 55a FPG idF BGBl I 2019/110BGBl I 2019/110eine Kettenreaktion aus: Das Lehrverhältnis wurde ex lege beendet und damit erlosch automatisch die Beschäftigungsbewilligung, ohne dass sie gem § 9 AuslBG widerrufen werden musste. Ein am Telos des Gesetzes orientierter Erlass des Wirtschaftsministeriums, der im Wesentlichen vorgesehen hat, dass diese Rechtswirkungen nur eintreten sollen, wenn (ehemalige) AsylwerberInnen faktisch das Land verlassen haben, wurde im Herbst 2018 aufgehoben.
Im Wesentlichen können seit Dezember 2019 Lehrlinge, deren Asylverfahren wie oben beschrieben negativ abgeschlossen wurde, bis zum Ende ihrer Lehre bzw bis zur Lehrabschlussprüfung in Österreich bleiben, wenn alle Verfahrensschritte und Meldepflichten eingehalten werden. Ein weiteres Aufenthaltsrecht über die Dauer der Lehre hinaus ist aber nicht vorgesehen (siehe dazu Pkt 3.).
Wenn alle Fristen, Termine etc korrekt eingehalten werden, treten zwei wesentliche Rechtsfolgen ein: Erstens, die (idR 14-tägige) Frist zur freiwilligen 121 Ausreise beginnt erst nach Ende der Lehre bzw Absolvierung der Lehrabschlussprüfung zu laufen; zweitens gilt in diesen Fällen das Lehrverhältnis nicht gem § 14 Abs 2 lit f BAG als beendet, daher erlischt auch die Beschäftigungsbewilligung nicht.
Es handelt sich also um eine extrem restriktive Lösung: Die Rückkehrentscheidung (= Anordnung, Österreich verlassen zu müssen, vgl § 10 AsylG iVm § 52 Fremdenpolizeigesetz [FPG]) besteht grundsätzlich weiterhin, nur deren Durchsetzbarkeit wird aufgeschoben.
Im Einzelnen ist diese Aufschiebung der Durchsetzbarkeit der Rückkehrentscheidung wie folgt geregelt: Wenn das Lehrverhältnis vor dem 28.12.2019 (= Inkrafttreten der Regelung, vgl § 55a Abs 1 iVm § 126 Abs 23 FPG) begonnen hat und seitdem ununterbrochen besteht, beginnt die Frist für die freiwillige Ausreise nicht wie sonst ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung zu laufen, sondern gem § 55a Abs 1 FPG an diesen Zeitpunkten (dies gilt nicht, wenn AsylwerberInnen straffällig geworden sind bzw im Asylverfahren über ihre Identität zu täuschen versucht haben):
ab dem Zeitpunkt der Endigung, der vorzeitigen oder der außerordentlichen Auflösung des Lehrverhältnisses;
im Falle der Beantragung der Zulassung zur Lehrabschlussprüfung mit Ablauf des von der zuständigen Lehrlingsstelle gem § 23 BAG festgesetzten Prüfungstermins (falls dieser nach der oben angeführten Endigung liegt);
spätestens nach Ablauf von vier Jahren nach Beginn des Lehrverhältnisses.
Das bedeutet konkret, dass meist 14 Tage (vgl § 55 Abs 2 FPG) nach dem jeweils anwendbaren Zeitpunkt die betreffenden Lehrlinge bzw AbsolventInnen einer Lehre Österreich (sowie alle Staaten, für die die RL 2008/115 [ABl L 2008/348, im Folgenden RückführungsRL] anwendbar ist) verlassen müssen. Ein möglicher Antrag auf Erteilung eines weiteren Aufenthaltsrechts (siehe dazu Pkt 3.) stoppt diesen Fristablauf nicht. Die Dauer einer gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Verpflichtung zur Weiterverwendung ist nicht von der Regelung umfasst. Da die Beschäftigungsbewilligung wie oben ausgeführt gem § 7 Abs 4 AuslBG für die rechtlich vorgesehene Weiterverwendungszeit erteilt wird auch nicht gem § 7 Abs 6 AuslBG erlischt, ist eine Beschäftigung während dieser Zeit aber zulässig (vorausgesetzt, die betreffenden Personen befinden sich noch in Österreich).
Dieser spätere Beginn der Frist zur freiwilligen Ausreise greift nur, wenn diverse Meldepflichten und Formvorschriften eingehalten werden: Gem § 55a Abs 1 FPG müssen entweder der Lehrling oder die Lehrberechtigten dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) das Bestehen eines Lehrverhältnisses mitgeteilt haben. Diese Meldung ist gem Abs 3 nur dann rechtzeitig, wenn sie vor Zustellung der Rückkehrentscheidung zugeht. Damit ist wohl (anders als insb bei formellen Fristen üblich) das Einlangen bei der Behörde gemeint. Bei verspäteter Meldung besteht kein Aufenthaltsrecht zur Beendigung der Lehre. Auch eine Mitteilung nach Zustellung der Rückkehrentscheidung, aber vor deren Rechtskraft (etwa in der Rechtsmittelfrist oder nach Erheben einer Beschwerde), soll nicht ausreichend sein, lediglich, wenn am 28.12.2019 bereits eine Rückkehrentscheidung zugestellt wurde und „erhebt der Asylwerber dagegen Beschwerde“ (gemeint wohl auch: oder hat er fristgerecht Beschwerde erhoben) ist die Mitteilung rechtzeitig, wenn sie vor Zustellung der Entscheidung des BVwG dem BFA zugeht. Diese Mitteilung muss zwingend schriftlich erfolgen. In welcher Form (zB postalisch, Email, persönliche Abgabe, Telefax) regelt das Gesetz nicht, sodass alle Möglichkeiten offenstehen; eine persönliche Vorsprache unter Aufnahme einer Niederschrift ist nicht ausreichend.
Dieser Mitteilung muss gem § 55a Abs 4 FPG auch „bei sonstiger Unwirksamkeit“ eine Kopie des Lehrvertrags beigelegt werden; soll die Frist zur freiwilligen Ausreise erst nach dem Prüfungstermin zur Lehrabschlussprüfung zu laufen beginnen, ist auch die Beilage einer Kopie der Entscheidung der Lehrlingsstelle über die Festsetzung des Prüfungstermins nötig.
In den meisten Fällen wird diese Mitteilung ergehen, bevor ein Termin der Lehrabschlussprüfung festgelegt wird. Liegt dieser nach dem Ende des Lehrverhältnisses, muss offenbar eine weitere Mitteilung erfolgen, da sonst die 14-Tagesfrist zur freiwilligen Ausreise unmittelbar mit dem Ende des Lehrverhältnisses beginnt und uU die Lehrabschlussprüfung nicht mehr absolviert werden kann.
Fraglich kann sein, welche Obliegenheiten die Behörde treffen, wenn die Mitteilung fehlerhaft (zB mündlich oder mit unvollständigen Unterlagen) erstattet wurde. Eine unmittelbare Anwendung von § 13 Abs 3 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) (Verbesserungsauftrag bei Mängel schriftlicher Anbringen) kommt zwar nicht in Betracht, da eine Zurückweisung nicht vorgesehen ist (bei fehlerhaftem Anbringen tritt schlicht die Rechtsfolge – späterer Beginn der Frist zur freiwilligen Ausreise – nicht ein); da aber der Begriff des Anbringens weit auszulegen ist (vgl Hengstschläger/Leeb, AVG § 13 (Stand 1.1.2014, rdb.at, Rz 1), muss die Behörde mE in diesen Fällen gem § 13 Abs 3 AVG per analogiam einen Verbesserungsauftrag erteilen; bei rechtzeitiger Mängelbehebung muss die Meldung als korrekt erstattet gelten. 122 Sowohl BFA als auch das Arbeitsmarktservice (AMS) treffen gem § 55a Abs 7 und 8 FPG Informationspflichten über die hier besprochenen Regelungen; unklar ist aber, welche Konsequenzen an einen Verstoß (gem Abs 7 muss das BFA zT „nachweislich“ informieren) geknüpft sind; sollen diese Bestimmungen nicht ins Leere laufen, wird eine analoge Heranziehung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 71 AVG) anzunehmen sein.
Nicht gänzlich klar ist, ob der Aufenthalt der Lehrlinge zur Absolvierung der Lehre als rechtmäßig angesehen werden kann. Das Gesetz selbst gibt darauf keinen Hinweis. Folgende Gründe sprechen mE für die Annahme eines Aufenthaltsrechts (befristet bis zum Beginn der Frist der freiwilligen Ausreise): In zeitlicher Hinsicht kann der Aufenthalt gem § 55a FPG mehrere Jahre dauern; explizit ist die Ausübung einer Erwerbstätigkeit gestattet; es liegt dafür auch eine aufrechte arbeitsmarktrechtliche Bewilligung (Beschäftigungsbewilligung) vor. § 55a FPG vermittelt auch einen klaren Anspruch auf Aufenthalt in Österreich für die restliche Dauer der Lehre (arg: „so beginnt“; der Behörde ist also kein Ermessen eingeräumt). Entgegen der Überschrift zu § 55a FPG wird auch nicht bloß der Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise gehemmt, nach dem klaren Wortlaut des § 55a Abs 1 FPG beginnt diese Frist erst nach der Absolvierung der Lehre (siehe auch Begründung des Initiativantrags 87/A 27. GP 3). Daraus wird deutlich, dass § 55a FPG eine deutlich bessere Rechtsposition als eine bloße Duldung vorsieht (in diesem Sinn auch Hinterberger, Regularisierungen irregulär aufhältiger Migrantinnen und Migranten [2020] 400). Somit wird gem § 55a FPG ein Aufenthaltsrecht sui generis iSd § 31 Abs 1 Z 9 FPG begründet. Wäre der Aufenthalt unrechtmäßig, sind die Mitgliedstaaten nach der RückführungsRL verpflichtet, einen irregulären Aufenthalt entweder durch die Rückführung oder durch das Erteilen eines Aufenthaltsrechts zu beenden (Hinterberger, aaO 129). Bei Zuerkennung eines uU mehrjährigen Aufenthaltsrechts kann auch nicht mehr von einem bloßen Aufschub der Abschiebung iSd Art 9 RückführungsRL gesprochen werden, sodass eine Anwendbarkeit der RückführungsRL im Ergebnis nicht gegeben ist und auch aus unionsrechtlichen Erwägungen ein Aufenthaltsrecht angenommen werden muss.
In der politischen Debatte wurde auch eine Sanierung von „Altfällen“ eingebracht, dh von Fällen, in denen das Asylverfahren vor Dezember 2019 bereits negativ abgeschlossen wurde, die aber (soweit sie sich noch in Österreich befinden) natürlich hohes Interesse haben, ihre Lehre in Österreich abzuschließen. Weitgehend wurden diese Fälle in der aktuellen Regelung nicht berücksichtigt.
Nur dann, wenn VfGH oder VwGH im einem Beschwerde- bzw Revisionsverfahren eine aufschiebende Wirkung zuerkannt haben, gilt eine ähnliche Regelung wie oben beschrieben:
Wenn das Lehrverhältnis wie in Pkt 1.3 beschrieben durch rechtskräftig negative Entscheidung des Asylverfahrens gem § 14 Abs 2 lit f BAG geendet und bis zu diesem Zeitpunkt ununterbrochen bestanden hat, ist die Abschiebung aufzuschieben, wenn entweder VfGH oder VwGH in einem höchstgerichtlichen Verfahren der Beschwerde bzw der Revision aufschiebende Wirkung zuerkannt haben. Nun dürfen negative Rechtsfolgen nach Zuerkennung einer aufschiebenden Wirkung ohnehin nicht eintreten (VwGH 13.1.2015, Ra 2014/09/007), sodass mE auch § 14 Abs 2 lit f BAG und entsprechend das Erlöschen der Beschäftigungsbewilligung gem § 7 Abs 6 AuslBG ex tunc nicht eingetreten sind. Sinn der Bestimmung ist daher nur, dass in Fällen, im denen eine aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde, auch dann die Abschiebung aufzuschieben ist, wenn VfGH und/oder VwGH abschlägig entscheiden.
Die Abschiebung wird nur dann aufgeschoben, wenn das Lehrverhältnis mit dem früheren Lehrberechtigten in demselben Lehrberuf wieder aufgenommen worden ist und die AsylwerberInnen oder die Lehrberechtigten das dem BFA binnen drei Wochen nach Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung (§ 125 Abs 33 FPG) mitgeteilt haben.
Explizit angeordnet wird, dass die Endigung des früheren Lehrverhältnisses gem § 14 Abs 2 lit f BAG einer Eintragung des „wieder aufgenommenen“ Lehrverhältnisses gem § 20 BAG in diesen Fällen nicht entgegenstehen soll, auch die Beschäftigungsbewilligung gilt in diesen Fällen als nicht erloschen (§ 125 Abs 31 Z 4 und Abs 34 FPG).
Es war offensichtlich eines der wesentlichsten Ziele der hier besprochenen Normen, dass ehemalige AsylwerberInnen, die wie beschrieben bis zum Abschluss ihrer Lehre in Österreich bleiben dürfen, nach deren erfolgreichen Absolvierung kein weiteres Aufenthaltsrecht erhalten können. Daher soll an dieser Stelle kurz untersucht werden, ob (bzw unter welchen Voraussetzungen) nicht doch ein Aufenthaltstitel erteilt werden kann; beleuchtet werden nur die „naheliegenden“ Aufenthaltstitel (Rot- Weiß-Rot – Karte, Aufenthaltsbewilligung Schüler und Aufenthaltsrecht aus berücksichtigungswürdigenden Gründen). 123
Eine „Aufenthaltsbewilligung Schüler“ (etwa zum Besuch einer weiterführenden Schule, zB HTL) kann nach Absolvierung der Lehre nicht erteilt werden, da gem § 21 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) eine Inlandsantragstellung nicht möglich ist. Ein Antrag auf Erteilung einer „Rot-Weiß-Rot – Karte“ (diese wird zur qualifizierten Arbeitsmigration erteilt, in Frage käme insb die Säule „Fachkräfte in Mangelberufen“ gem § 41 Abs 2 Z 1 NAG iVm § 12a AuslBG) kann gem § 20d Abs 1 AuslBG auch von AG im Inland eingebracht werden, ein rechtmäßiger Aufenthalt der betreffenden AN wird dabei nicht verlangt. Allerdings scheitert eine Erteilung eines Aufenthaltstitels jedenfalls an § 11 Abs 1 Z 3 NAG, wonach kein Aufenthaltstitel erteilt werden darf, wenn gegen die Drittstaatsangehörigen eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung erlassen wurde und seit deren Ausreise nicht bereits achtzehn Monate vergangen sind (ein Auslandsantrag nach freiwilliger Ausreise ist unmittelbar möglich). In allen diesen Fällen kann aber gem § 11 Abs 3 NAG dennoch ein Aufenthaltstitel erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art 8 EMRK geboten ist. Ebenso aus Gründen des Art 8 EMRK kann gem § 21 Abs 3 NAG eine Inlandsantragstellung zugelassen werden, auch ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen („Bleiberecht“) gem § 55 AsylG ist möglich, wenn Art 8 EMRK einer Rückkehrentscheidung entgegensteht (die Entscheidung des BFA oder BVwG, mit der eine solche ja bereits verfügt wurde, kann ja in den hier interessierenden Fällen Jahre zurückliegen).
Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (idR Aufenthaltsberechtigung plus) kann aber auch „unter der Schwelle des Art 8 EMRK“ erteilt werden, wenn gem § 56 AsylG Drittstaatsangehörige zum Zeitpunkt der Antragstellung nachweislich seit fünf Jahren durchgängig im Bundesgebiet aufhältig sind und davon mindestens die Hälfte, jedenfalls aber drei Jahre, rechtmäßig aufhältig waren. Gem § 60 Abs 2 AsylG darf ein solcher Aufenthaltstitel nur erteilt werden, wenn ein Rechtsanspruch auf eine ortsübliche Unterkunft sowie ein Krankenversicherungsschutz vorhanden ist und Unterhaltsmittel im Wesentlichen in Höhe der Ausgleichszulage (vgl § 293 ASVG; zuzüglich regelmäßige Aufwendungen, insb Wohnkosten) vorliegen. Zur Erfüllung dieser Voraussetzungen wäre auch eine sogenannte Patenschaftserklärung (§ 2 Abs 1 Z 26 AsylG, dabei handelt es sich um umfangreiche Haftungen der „PatInnen“, insb für Unterhalt und Wohnkosten) denkbar; möglich wäre aber auch eine konkrete Einstellzusage (siehe zur Zulässigkeit im aufenthaltsrechtlichen Verfahren VwGH 23.11.2017, Ra 2016/22/0144). Da wie oben ausgeführt mE der Aufenthalt zur Absolvierung einer Lehre gem § 55a FPG als rechtmäßig angesehen werden muss, wird regelmäßig mehr als die Hälfte des Aufenthalts rechtmäßig sein, sodass dieser Aufenthaltstitel praktisch durchaus relevant werden kann.
Wie bereits eingangs erwähnt, wird die rechtliche und politische Diskussion über den Komplex AsylwerberInnen und Lehre bereits jahrelang geführt. Ein Aspekt dieser Debatten ist, dass AsylwerberInnen, für die eine Beschäftigungsbewilligung zur Absolvierung einer Lehre erteilt wurde, nach rechtskräftig negativer Entscheidung keinen Schutz vor Abschiebung hatten. Die Prüfung von Art 8 EMRK, die bezüglich der Prüfung einer Rückkehrentscheidung Bestandteil jedes Asylverfahrens ist,* führt nach der Judikatur des VwGH oft nicht zum Erfolg (vgl VwGH 28.2.2019, Ro 2019/01/0003).* Dieser Teilaspekt wurde nun gesetzlich geregelt, dies geschah allerdings auf die restriktivste mögliche Weise: Intendiert war wohl nicht einmal die Gewährung eines Aufenthaltsrechts (siehe aber oben Pkt 2.3.), die vielen Meldepflichten und Formvorschriften scheinen daraus ausgelegt zu sein, dass oft nicht rechtskundige Lehrberechtigte und Lehrlinge hier Formalfehler begehen. Für eine allfällige Wiederholung der Lehrabschlussprüfung ist kein Raum vorgesehen; angesichts der sonstigen detaillierten Regelungen ist kaum vorstellbar, dass dies übersehen wurde. „Altfälle“ (dh ehemalige Lehrlinge, deren Asylverfahren vor dem 28.12.2019 rechtskräftig negativ abgeschlossen wurde) profitieren nicht von § 55a FPG (mit Ausnahme der kleinen Gruppe, denen von einem Höchstgericht die aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde).
Am schwersten wiegt aber mE, dass keine Möglichkeit vorgesehen ist, nach Abschluss des Verfahrens in Österreich zu bleiben und den erlernten Beruf auszuüben, nicht einmal dann, wenn der entsprechende Beruf in der Mangelberufsliste gem § 13 AuslbG aufscheint und eine Rot-Weiß-Rot – Karte als Fachkraft materiell möglich wäre. Es ist paradox, dass in diesen Fällen tatsächlich der Fall eintreten kann, dass in Österreich ausgebildete Personen zwangsweise abgeschoben werden, gleichzeitig Personen im gleichen Beruf und mit vergleichbarer Ausbildung zugelassen werden, die bislang keinerlei Verbindung zu Österreich hatten. Gelungene Integrationspolitik*, aber auch eine sinnvolle Arbeitsmarktpolitik, sieht anders aus.124