ReclamStichtagsklauseln bei arbeitsrechtlichen Sonderzahlungen

Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2018, 297 Seiten, broschiert, € 84,90

GÜNTHERLÖSCHNIGG

Der Publikation liegt eine an der Justus-Liebig-Universität Gießen approbierte Dissertation zugrunde. Wie bereits der Titel verrät, geht es um zwei Ansätze der Entgeltfindung und insb um die Frage, inwieweit flexible Vertragsgestaltungen durch Stichtagsklauseln – im Lichte der BAG-Judikatur – zulässig sind. Eine wesentliche Einschränkung der Thematik erfolgt dadurch, dass der Autor den Schwerpunkt auf Stichtagsklauseln nach dem „Alles-oder-Nichts- Prinzip“ legt und Regelungen mit „Pro-rata-temporis-Leistungen“ grundsätzlich als nicht zu beanstandende Konstruktionen qualifiziert (S 27/28). Insofern behandelt die Arbeit einen kleinen, aber bedeutsamen Ausschnitt von vertragsrechtlichen Überlegungen, den AN an das Unternehmen zu binden (allg vgl etwa Löschnigg, Phänomene der Betriebsbindung, in Resch [Hrsg], Kritische Klauseln im Arbeitsvertrag [2004] 13).

ISd deutschen Terminologie wird der Begriff der Sonderzahlungen weit verstanden. Es geht nicht um das für Österreich typische Phänomen der (überwiegend kollektivvertraglich geregelten) Weihnachts- und Urlaubsremunerationen, sondern generell um arbeitsleistungsbezogene Sonderzahlungen (Sonderzahlungen mit reinem Entgeltcharakter wie erfolgsbezogene Boni 84 ff), Sonderzahlungen mit sonstigen Zwecksetzungen (zB zur Beteiligung des AG an den zu Weihnachten typischerweise erhöhten Aufwendungen des AN 102 ff) und Sonderzahlungen mit Mischcharakter (zB bei der Kombination der Zwecke Arbeitsleistung und Betriebstreue 112 ff).

Ausgangspunkt für die Aufarbeitung der Thematik war die nicht geringe Zahl an Entscheidungen des BAG (etwa zur Weihnachtsgratifikation BAG 10 AZR 667/10 NZA 2012, 620), denen der Autor durchaus kritisch gegenübersteht. So wird der Auffassung des BAG, dass Stichtagsklauseln, die die Auszahlung der verdienten Vergütung erschweren, eine unangemessene Verletzung der Berufsfreiheit an sich darstellen, abgelehnt und geprüft, ob ein „wesentlicher Teil“ der Vergütung vorenthalten wird (S 164). Nach Reclam sollten Vereinbarungen von Stichtagsklauseln auch bei Mischcharakterleistungen grundsätzlich zulässig sein (aA BAG 10 AZR 612/10 NZA 2012, 561; BAG 10 AZR 848/12 NZA 2014, 368). Sachgerechte Lösungen und insb ein angemessener Bindungszeitraum sollten durch ein bewegliches „Staffelmodell“ (S 206) erreicht werden.

Für den österreichischen Leser sind die Sichtweisen der deutschen Literatur und Judikatur zur Stichtagsproblematik zweifellos interessant. Die Arbeit von Reclam bietet eine ausgezeichnete Gelegenheit zu prüfen, inwieweit die diskutierten Ansätze und Differenzierungen auf die österreichische Arbeitsrechtsdogmatik übertragen werden können. Die österreichische Situation wurde nicht berücksichtigt. Vielleicht sollte man die deutschen KollegInnen, die Dissertationen betreuen, entsprechend sensibilisieren. 130