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Keine Entgeltsicherung bei Erfüllung offener Entgeltforderungen durch Dritte

MARGITMADER

Sofern ein Dritter dem AG Mittel zur Zahlung von offenen Entgeltforderungen zur Verfügung stellt, ohne dass eine Rückzahlungspflicht der AN iS einer bloßen Kreditierung vereinbart wurde, erwirbt er nur eine Konkursforderung gegen die Gemeinschuldnerin.

Wesentlich ist, ob der AN durch die erhaltene Zahlung endgültig lohnbefriedigt wurde. Dies ist der Fall, wenn die getroffene Vereinbarung dahin auszulegen ist, dass das Risiko der Einbringlichkeit damit zur Gänze auf den Dritten übergegangen ist und der AN nicht mehr zur Rückzahlung des auf seine offene Entgeltforderung erhaltenen Betrags verpflichtet ist. In diesem Umfang besteht kein aufrechter Anspruch iSd § 1 Abs 2 IESG mehr.

SACHVERHALT

Der Kl war bei der späteren Insolvenzschuldnerin als Bauarbeiter beschäftigt. Im Sommer 2017 trat die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens ein. Das materiell bereits insolvente Bauunternehmen ersuchte daraufhin seine Auftraggeberin um Vorfinanzierung der Löhne der Mitarbeiter. Die Auftraggeberin, die ein Interesse an der Fortführung des Unternehmens sowie an der Fertigstellung der Bauvorhaben hatte, bezahlte daraufhin nach Fälligkeit die Löhne des Kl für Juli, August und September 2017. Sämtliche Zahlungen erfolgten aufgrund von schriftlichen Anboten der Auftraggeberin an den Kl. In diesen Anboten erklärte die Auftraggeberin, sie sei aufgrund der Abtretung der Lohnforderungen an sie berechtigt, diese Ansprüche gegen die AG geltend zu machen, im Insolvenzverfahren anzumelden sowie gegenüber dem Insolvenz-Entgeltsicherungs-Fonds in dem durch das IESG gedeckten Umfang geltend zu machen. Die schriftlichen Annahmeerklärungen des Kl vom 29.8.2017, 13.9.2017 und 12.10.2017 wurden vom Kl unterfertigt und von der AG mit Stempel und Unterschrift („zur Kenntnis genommen und vollinhaltlich einverstanden“) gezeichnet. Sie enthielten einen ausdrücklichen Verweis auf § 1422 ABGB. Eine Rückzahlungspflicht des Kl war nicht vorgesehen. Am 2.10.2017 wurde das Insolvenzverfahren über die AG eröffnet. Der Septemberlohn wurde von der Auftraggeberin erst nach Insolvenzeröffnung an den Kl bezahlt. Der Kl stellte für alle offenen Lohnforderungen – inklusive der durch die Auftraggeberin vorfinanzierten Ansprüche – einen Antrag auf Insolvenz- Entgelt bei der IEF-Service GmbH. Die IEF-Service GmbH lehnte den Antrag – soweit er die vorfinanzierten Lohnzahlungen betraf – mit der Begründung, die Lohnansprüche seien durch die Einlösung der Forderung durch die Auftraggeberin befriedigt worden, ab.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Die gegen den abweisenden Bescheid eingebrachte Klage wurde vom Erstgericht abgewiesen. Das Berufungsgericht bestätigte diese E. Der OGH wies die Revision des Kl zurück.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„Es entspricht der ständigen, vom Berufungsgericht zitierten Rechtsprechung, dass § 7 Abs 6a IESG die bestehenden Möglichkeiten der Vorfinanzierung von laufendem Entgelt zu Lasten des89 Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds nicht erweitert, sondern einschränkt.

Sofern ein Dritter dem Arbeitgeber Mittel zur Zahlung von offenen Entgeltforderungen zur Verfügung stellt, ohne dass eine Rückzahlungspflicht der Arbeitnehmer im Sinne einer bloßen Kreditierung vereinbart wurde (vgl 8 ObS 19/06m = JBl 2008, 121), erwirbt er nur eine Konkursforderung gegen die Gemeinschuldnerin (8 ObS 314/99f; 8 ObS 269/00t; 8 ObS 3/09p).

Wesentlich ist, ob der Arbeitnehmer durch die erhaltene Zahlung endgültig lohnbefriedigt wurde (8 ObS 19/06m; 8 ObS 3/09p). Dies ist der Fall, wenn die getroffene Vereinbarung dahin auszulegen ist, dass das Risiko der Einbringlichkeit damit zur Gänze auf den Dritten übergegangen ist und der Arbeitnehmer nicht mehr zur Rückzahlung des auf seine offene Entgeltforderung erhaltenen Betrags verpflichtet ist (8 ObS 3/09p). In diesem Umfang besteht dann kein aufrechter Anspruch im Sinne des § 1 Abs 2 IESG mehr. Eine zusätzliche Leistungspflicht der Beklagten hätte in diesem Fall eine doppelte Befriedigung zum Ergebnis.

Schon aus diesem Grund besteht keine Sicherung solcher Ansprüche. Es kommt unter diesen Umständen nicht darauf an, ob die Drittfinanzierung allenfalls in sittenwidriger Weise als Überwälzung des Finanzierungsrisikos auf die Beklagte durch Hinausschieben der Insolvenzeröffnung anzusehen war, oder – wie die Revision hier darlegt – nicht. Diese Frage wäre nur dann zu prüfen, wenn die Entgeltansprüche des Arbeitnehmers lediglich kreditiert wurden und im Sinne des § 1 Abs 2 Z 1 IESG aufrecht sind, mögen sie auch gepfändet, verpfändet oder übertragen worden sein.

Im vorliegenden Verfahren hat der Kläger die Löhne für Juli, August und September 2017 von einem Dritten, der Interesse an der Fortführung des Unternehmens der Schuldnerin hatte, jeweils nach Fälligkeit bezahlt erhalten. Der Septemberlohn wurde erst nach der Insolvenzeröffnung am 2.10.2017 bezahlt. Alle Zahlungen erfolgten vor der Antragstellung auf Insolvenz-Entgelt und jeweils aufgrund von schriftlichen Anboten. In diesen erklärt die Dritte, sie sei aufgrund der Abtretung der Lohnforderungen an sie berechtigt, diese Ansprüche gegen die Dienstgeberin geltend zu machen, im Insolvenzverfahren anzumelden ‚sowie gegenüber dem Insolvenzentgeltsicherungsfond in dem durch das IESG gedeckten Umfang‘ geltend zu machen. Die schriftlichen Annahmeerklärungen vom 29.8.2017, 13.9.2017 und 12.10.2017 […] wurden vom Kläger und von der Arbeitgeberin unterfertigt. Sie enthalten einen ausdrücklichen Verweis auf § 1422 ABGB. Von irgendeiner Rückzahlungspflicht des Klägers ist nicht die Rede. Die Annahmeerklärungen wurden auch mit Stempel und Unterschrift der Arbeitgeberin (‚zur Kenntnis genommen und vollinhaltlich einverstanden‘) gezeichnet.

Nach § 1422 ABGB kann, wer die Schuld eines anderen, für die er nicht haftet, bezahlt, vor oder bei der Zahlung vom Gläubiger die Abtretung seiner Rechte verlangen; hat er dies getan, so wirkt die Zahlung als Einlösung der Forderung. Die Einlösung wird im Unterschied zur rechtsgeschäftlichen Zession grundsätzlich durch ein einseitiges Zahlungsverlangen bewirkt, sie kann jedoch auch einvernehmlich erfolgen, wobei dann die der Einlösung zugrundeliegende Vereinbarung auch einer (ergänzenden) Vertragsauslegung zugänglich ist (1 Ob 269/06z). Der Einlösende übernimmt die Forderung so, wie sie dem Altgläubiger zustand (Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1422 Rz 8).

Die streitgegenständlichen Lohnforderungen des Klägers sind durch die Einlösung auf den finanzierenden Dritten übergegangen. Die Sachlage stellt sich im Großen und Ganzen nicht anders dar als in dem Verfahren, das den bereits zitierten Entscheidungen 8 ObS 269/00t, 8 ObS 3/09pzugrunde lag. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass der Kläger durch die zwar nicht unmittelbar durch den Arbeitgeber, aber mit seiner schriftlichen Zustimmung vorbehaltslos erfolgte Zahlung und Einlösung lohnbefriedigt wurde und bei der Antragstellung keinen eigenen aufrechten Anspruch mehr hatte, steht mit dieser Rechtsprechung im Einklang.

Es kommt nach der dargestellten Rechtslage nicht darauf an, dass die Löhne der letzten drei Monate vor Insolvenzeröffnung unter anderen Umständen, nämlich wenn sie offen geblieben oder nur bevorschusst worden wären, gesicherte Forderungen dargestellt hätten, oder dass die letzte Zahlung mit Einverständnis des Insolvenzverwalters bereits nach Eröffnung des Sanierungsverfahrens erfolgt ist.“

ERLÄUTERUNG

Gem § 1 Abs 2 IESG sind Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis dann gesichert, wenn sie aufrecht, nicht verjährt und nicht ausgeschlossenen sind, auch wenn sie gepfändet, verpfändet oder übertragen worden sind. Die Ansprüche sind nicht mehr aufrecht, wenn sie durch Zahlung oder durch Aufrechnung mit Gegenforderungen des AG getilgt worden sind oder in der Zwischenzeit verjährt oder verfallen sind.

Im Anlassfall war strittig, ob die Lohnansprüche des Kl durch die Auftraggeberin lediglich in Form eines Darlehens bis zur Auszahlung des Insolvenz- Entgelts durch die IEF-Service GmbH vorfinanziert90 oder durch die Zahlung der Auftraggeberin zur Gänze befriedigt wurden.

Die gegenständlichen Zahlungen erfolgten jeweils aufgrund von schriftlichen Anboten der Auftraggeberin. Die korrespondierenden schriftlichen Annahmeerklärungen des Kl wurden vom Kl und von der AG unterfertigt. Sie enthielten einen ausdrücklichen Verweis auf § 1422 ABGB. Eine Rückzahlungspflicht des Kl war nicht vorgesehen.

Nach § 1422 ABGB kann, wer die Schuld eines anderen, für die er nicht haftet, bezahlt, vor oder bei der Zahlung vom Gläubiger die Abtretung seiner Rechte verlangen; hat er dies getan, so wirkt die Zahlung als Einlösung der Forderung.

Im vorliegenden Fall erfolgten zwar sämtliche Zahlungen offensichtlich zu dem Zweck, die bereits fälligen Lohnansprüche nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit im Hinblick auf die unmittelbar bevorstehende Insolvenzeröffnung bis zur Auszahlung durch die IEF-Service GmbH vorzufinanzieren, sie erfolgten jedoch nicht in Form eines Darlehens, da sich der Kl nicht zur Rückzahlung der Beträge nach Erhalt des Insolvenz-Entgelts verpflichten musste. Vielmehr wurde der Kl durch die vorbehaltlos erfolgte Zahlung der Auftraggeberin lohnbefriedigt.

Da die Lohnforderungen bereits mangels Rückzahlungspflicht des Kl durch Einlösung auf die finanzierende Auftraggeberin übergegangen waren, verfügte der Kl bei der nachfolgenden Antragstellung bei der IEF-Service GmbH nicht mehr über einen aufrecht bestehenden Lohnanspruch. Die Auftraggeberin hat somit durch die Einlösung der Forderungen lediglich – nach dem IESG ungesicherte – Insolvenzforderungen erworben.