Schlachter/Heuschmid/Ulber (Hrsg)Arbeitsvölkerrecht
Mohr Siebeck Verlag, Tübingen 2019 VIII, 624 Seiten, Leinen, € 134,–
Schlachter/Heuschmid/Ulber (Hrsg)Arbeitsvölkerrecht
Das Arbeitsrecht ist seit der Gründung der International Labour Organization vor genau einem Jahrhundert ein bemerkenswerter und durchaus auch brisanter Regierungsgegenstand auf völkerrechtlicher Stufe. In deren Rahmen wurde eine sehr große Anzahl an Übereinkünften ausgearbeitet, welche wiederum international gesehen in den Genuss einer breiten Umsetzung gekommen sind. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist der Schutz der AN-Rechte ein bedeutungsvoller Grundstoff des global agierenden und verflechtenden Menschenrechtsschutzsystems geworden. Man kann überdies legitim behaupten, dass die Entstehung des universellen und Menschenrechtsschutzsystems mit der Definition der AN-Rechte Hand in Hand gegangen ist. Dies muss dazu keinesfalls immer eindringlich vonstattengehen: Gar einige menschenrechtliche Garantien schützen die Rechte der AN zumindest andeutungsweise, auch wenn diese Beziehung expressis verbis keine spezielle Berücksichtigung findet.
Nach der Einführung von Johannes Heuschmid (stv. Leiter des Hugo-Sinzheimer-Instituts in Frankfurt am Main, Lehrbeauftragter an der Goethe-Universität Frankfurt am Main), Monika Schlachter (Inhaberin des Lehrstuhls für Internationales und Europäisches Arbeitsrecht und Bürgerliches Recht an der Universität Trier, Direktorin des IAAEU [Institut für Arbeitsrecht und Arbeitsbeziehungen in der Europäischen Union]) und Daniel Ulber (Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Unternehmensrecht und Arbeitsrecht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) skizziert Wolfgang Däubler sowohl die Entwicklung des Arbeitsvölkerrechts als auch die Erscheinungsformen arbeitsvölkerrechtlicher Normen.
Von Interesse ist zudem auch die Abhandlung der Herausgeberin Monika Schlachter, die sich beim Verfassen des Textes über das Arbeitsvölkerrecht im Bereich der Vereinten Nationen mit Robert Räuchle und Benedikt Schmidt zwei kompetente Co-Autoren mit ins Boot geholt hat.
Reingard Zimmer skizziert neben dem später angeschnittenen Aufsatz über die International Labour Organization auch International Framework Agreements. Weitere Aufsätze haben den Schutz von Arbeits- und Sozialstandards im Rahmen der OECD und G7/G20, die Rezeption des Arbeitsvölkerrechts im Rahmen des Rechts der EU bzw des nationalen Rechts oder auch aus rechtsvergleichender Perspektive die Geltung und die Wirkung von Arbeitsvölkerrecht in andersgearteten Rechtsordnungen zum Inhalt. Die gerichtliche Praxis darf selbstverständlich nicht fehlen. Ähnliches kann man von der sehr guten und akkurat ausgearbeiteten Übersicht in Bezug auf arbeitsvölkerrechtliche Rechtsquellen im Internet behaupten.
Und trotzdem oder gerade deswegen: In der wissenschaftlichen Welt der Lehre und Forschung ist das Arbeitsrecht eine Rechtsmaterie, die ihren Ursprung im nationalen Recht findet. Auf diese Weise gelangt man in der Lehre immer mehr zum Schluss, dass die europäische Tragweite und Dimension des Schutzes der AN – in concreto des Unionsbürgers – von enormer Wichtigkeit ist. Demzufolge hat sich ein Europäisches Arbeitsrecht herauskristallisiert. Leider wird die völkerrechtliche Komponente oder vielmehr die Perspektive in diesem Gefüge selten oder gar nicht ins Spiel gebracht. Konkret wird sie von den LehrerInnen des Arbeitsrechts nur am Rande angeschnitten oder umrissen.
Die ExpertInnen des internationalen Wirtschaftsrechts sprechen indessen gegebenenfalls bloß die Sozialklauseln oder den Schutz der Rechte als allgemein zulässige Beschränkung des freien Handelsverkehrs an. Dem gegenüber steht die Lehre der EU-Entwicklungspolitik; dort werden übereinstimmende Förder- und Beschränkungsmöglichkeiten betont. Das zu besprechende Buch ist keineswegs nur ein Studienhandbuch, sondern auch die Schließung einer akademischen Marktlücke. Es ist gleichzusetzen mit einem Überblickswerk des Arbeitsvölkerrechts und außerdem in exzellenter und exemplarischer Art und Weise ein Werk, das in völker- und europarechtliche Dimensionen eintaucht und folglich einen Paradigmenwechsel wissenschaftlicher Natur einläuten könnte.
So kommen beispielsweise gezielt ausgewählte, nationale Umsetzungsmaßnahmen vor und auch die Untersuchung zur EMRK aus der Feder von Daniel Ulber kann sich sehen lassen. Es handelt sich hierbei keinesfalls nur um einen vollkommenen Einstieg in das Recht der EMRK, sondern auch um ein Anwendungsfeld abseits des Arbeitsrechts. Als Beispiel kann im Großen und Ganzen auch die Lehre der Menschenrechte ins Spiel gebracht werden. Ein beachtliches Entwicklungsreservoir ortet der Verfasser der gegenständlichen Buchbesprechung zudem auch im Forschungsgegenstand der arbeits- und sozialrechtlichen Bezugnahmen in Investitions- und Handelsschutzabkommen. Diese Themenstellung ist häufig schwer greifbar, wird aber in der Jetztzeit immer mehr auf überstaatlicher Ebene durchdringend und offensiv debattiert.
Von Bedeutsamkeit ist die Corporate Social Responsibility. Aber auch das Kapitel Business & Human Rights kann in einer zweiten Auflage unproblematisch näher beleuchtet werden. Man muss wissen, dass der Schutz der Rechte der AN in diesem Zusammenhang zu Recht den Platz an der Sonne innehat. Somit ist es nicht fehl am Platz, wenn man das längst erlernte oder disponible, gewohnheitsmäßige Instrument des Schutzes beiseiteschiebt und anpassungsfähigere und flexibel anmutende Schutzmechanismen entwirft. Diese können bei multinationalen Unternehmen tatsächlich einschneidende Abhilfe bei Verletzungen und In-Frage-Stellungen der Menschenrechte mit sich bringen. Die viel zitierten Ruggie-Principles aus dem Jahr 2011 können in concreto als Grundsätze angesehen werden, die in mancherlei Beziehung Wertbestimmungen unerlässlicher Färbung repräsentieren und andererseits Ziele als Wegbereiter 278 vortäuschen, welche kurz- bis mittelfristig den Schutz der AN auf globaler Ebene mit stark vernetzten Unternehmen essentiell beeinflussen werden.
Doch kommen wir noch einmal zur im Jahr 1919 gegründeten International Labour Organization. Reingard Zimmer hat die Organisation im zu besprechenden Werk vorgestellt. Dessen ungeachtet ist die Einflussnahme der ILO bei den Schutzbemühungen zum Vorteil der einheimischen Völker ein eigener Abschnitt wert. Hier kommen einmal mehr die arbeitsschutzrechtlichen Aspekte zum Tragen. Dass dabei der Menschenrechtsschutz keineswegs vergessen oder über Bord geworfen werden darf und dass dieser bedeutender denn je ist, liegt auf der Hand. Alles in allem kann man dem sehr gut gegliederten und fundierten Werk Erfolg wünschen. Vielleicht lesen die HerausgeberInnen diese Buchbesprechung, die keinesfalls als schlechtmachende Rüge angesehen werden soll. Ein möglicherweise hehres Begehr des Buchrezensenten ist es, dass die Studierenden das Völkerrecht in den Rechtswissenschaftlichen Fakultäten der Universitäten auch mit dem Arbeitsrecht verknüpfen und interdisziplinär, immer das gleiche Hauptfach vor Augen habend, denken. Sollten die akademischen LehrerInnen das vormachen, ist die juristische Elite von morgen breiter aufgestellt und darüber hinaus auch in der Lage, über die eigenen Interessen hinaus über den Tellerrand rechtswissenschaftlicher Fragestellungen zu blicken. Auf diese Weise muss man wissen, dass das Arbeitsvölkerrecht in den letzten Jahren immer mehr in den Fokus von Wissenschaft und Praxis rückt.