TomandlMachen wir unser Arbeitsrecht zukunftsfähig. Lösungen für die Arbeitswelt von morgen – Monografie

Verlag Österreich, Wien 2019 VI, 126 Seiten, broschiert, € 26,–

RUDOLFMOSLER (SALZBURG)

Viele Aufsätze und Bücher haben sich in den letzten Jahren mit der Modernisierung des Arbeitsrechts beschäftigt. Das ist nicht weiter verwunderlich. Die gravierenden technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Änderungen haben sich auch auf die Arbeitswelt massiv ausgewirkt. Die Zahl der unbefristeten und auf längere Dauer angelegten Vollzeitarbeitsverhältnisse geht seit Jahrzehnten (jedenfalls relativ) zurück, prekäre Arbeitsverhältnisse (Befristungen, Teilzeit, Geringfügigkeit, neue Selbständigkeit bzw Scheinselbständigkeit) nehmen zu. Nun zeigt sich ein interessantes Phänomen, das gerade in Krisenzeiten besonders sichtbar wird (siehe auch die Situation bei Covid-19). Entgegen allen neoliberalen Vo raussagen und Heilsversprechen sind die Staaten, die sich ein funktionierendes Arbeitsrecht und Sozialrecht sowie eine funktionierende staatliche Infrastruktur bewahrt haben, denen überlegen, die in ihrem Deregulierungs- und Privatisierungswahn und ihrem Nachgeben gegenüber unermesslicher Gier ihre Menschen nicht mehr schützen können. Kasino- und Raubtierkapitalismus sind für einige wenige gut, nehmen aber die Ausbeutung der Menschen und die Zerstörung der Welt ohne mit der Wimper zu zucken in Kauf. Ein staatlich regulierter Kapitalismus mit sozialen und (zunehmend wichtig) ökologischen Elementen ist – bei allen bestehenden Schwächen – nicht nur die humanere Alternative, sondern langfristig nach allen Wirtschaftsdaten auch deutlich erfolgreicher. Österreich und Deutschland sind gute Beispiele dafür.

Das Buch von Theodor Tomandl beinhaltet zunächst ein politisches Bekenntnis. Er bekennt sich zu einer sozialen Marktwirtschaft, zum österreichischen Arbeitsrecht, zur Sozialpartnerschaft und zu einer starken staatlichen Sozialpolitik. Das Buch enthält eine durchaus wohlwollende Betrachtung und Bewertung des österreichischen Arbeitsrechts, manche Dinge werden kritisch gesehen, Alternativvorschläge werden gemacht, aber das System an sich nicht in Frage gestellt. Es unterscheidet sich wohltuend von dem quälenden Gefasel über eine immer und überall notwendige Deregulierung und Liberalisierung des Arbeitsrechts und das Zurückfahren von Schutzbestimmungen ohne Rücksicht auf die Folgen. Tomandl geht es ehrlich um eine Anpassung des Arbeitsrechts an geänderte Verhältnisse und um eine Verbesserung seiner Qualität. Viele seiner Vorschläge teile ich, manche auch nicht. In jedem Fall sind es seriöse und überlegenswerte Beiträge zu einer wissenschaftlichen Diskussion, die in dieser Form – nämlich als System- im Unterschied zur Einzelproblembetrachtung – zu wenig geführt wird.280

Eine zentrale These hat Tomandl dem Grunde nach schon 1999 publiziert (Tomandl, Reicht der Zuschnitt unseres Arbeitsrechts zur Bewältigung der Zukunftsaufgaben? in Pichler [Hrsg], Die „Neue“ Arbeit. Die rechtspolitischen Herausforderungen [1999] 293 ff) und nun adaptiert. Es geht ihm einerseits um eine Erweiterung des Arbeitsrechts zu einem „Recht der höchstpersönlichen Arbeit“ und andererseits um eine stärkere Ausdifferenzierung nach Schutzbedürftigkeit. Völlig zu Recht verweist er auf die Schutzdefizite für die Selbständigen, die höchstpersönlich ihre Arbeitsleistung erbringen (müssen). Er schlägt vor, das Arbeitsrecht bzw die arbeitsrechtlichen Bestimmungen, die lediglich auf die höchstpersönliche Verpflichtung zugeschnitten sind, grundsätzlich auf diese Personengruppe auszudehnen und damit letztlich zur Konzeption der Urfassung des ABGB, dem Lohnvertrag (der aus der locatio conductio operarum des römischen Rechts hervorgegangen ist), zurückzukehren. Das würde bedeuten, dass etwa die Entgeltfortzahlung bei Krankheit, Urlaub, Pflege und Notsituationen auch für freie MitarbeiterInnen und Solo-UnternehmerInnen gelten würde. Haben diese ständig wechselnde Kunden bzw VertragspartnerInnen, könne man das Modell der Bauarbeiter-Urlaubskasse zur Anwendung bringen.

Tomandl spricht sich ferner dafür aus, die Satzung und/oder das Kollektivvertragssystem für freie DN zu öffnen. Zu Recht weist er auf die europarechtlichen Probleme hin, die auch damit zusammenhängen, dass der EuGH in der unglücklich begründeten Entscheidung in der Rs Kunsten (EuGH 4.12.2014, C-413/13) viel Verwirrung gestiftet hat. Wie Tomandl bin ich der Meinung, dass die Erweiterung des Arbeitsrechts für alle höchstpersönlich Tätigen dem EuGH eine Brücke bauen könnte (eine ausdrückliche Erweiterung im EU-Recht selber wäre freilich die bessere Lösung). Dass sich erst kollektivvertragsfähige Organisationen für freie DN bilden müssten, glaube ich nicht, weil schon jetzt der ÖGB nach § 1 seiner Statuten auch freiberuflich Beschäftigte vertritt, soweit sie von ihrer Tätigkeit her mit den unselbständig Erwerbstätigen vergleichbar sind. HeimarbeiterInnen und freie DN nach § 4 Abs 4 ASVG sind gem § 10 Abs 1 Z 6 und 7 AKG auch arbeiterkammerzugehörig. Das zu lösende Problem liegt – neben der Adaptierung des ArbVG – eher in der Abgrenzung zur Wirtschaftskammerzugehörigkeit, insoweit freie DN aufgrund der Gewerbeberechtigung wirtschaftskammerzugehörig sind. Trotz der von Tomandl konstatierten Probleme der Definition der AN-Ähnlichkeit sollten auch Kollektivverträge für WerkvertragsnehmerInnen möglich sein, weil der Vertragstyp wenig mit der sozialen Schutzbedürftigkeit zu tun hat und es – wie Tomandl selbst ausführt – ja gerade auf die höchstpersönliche Tätigkeit ankommen sollte. Auch der deutsche § 12a Tarifvertragsgesetz (TVG) gilt für arbeitnehmerähnliche Personen. Insoweit ein Schutz über das Arbeitsrecht nicht mehr möglich ist, aber eine erhebliche wirtschaftliche Übermacht besteht, sollte mE über eine Ausdehnung der Inhaltskontrolle von Verträgen nach § 879 Abs 3 AGBG über vertragliche Nebenbestimmungen hinaus auf das Entgelt nachgedacht werden.

Der zweite Teil des Modells von Tomandl ist die Ausdifferenzierung des Arbeitsrechts, (offenbar) je nachdem, ob wirtschaftliche Abhängigkeit gegeben ist. Er differenziert also zwischen einem allgemeinen Teil für alle höchstpersönlich Tätigen und einem besonderen für die wirtschaftlich abhängigen (60 f). In der Folge werden allerdings noch weitere Differenzierungen, wie zeitoder erfolgsbezogene Arbeit und Ausmaß der Selbstbestimmung, eingeführt. Er plädiert für unterschiedliche Regelkreise, die mehr oder weniger umfassend gestaltet werden sollten. So würde der Schutz der Persönlichkeit für alle höchstpersönlich Tätigen gelten, die Entgeltfortzahlung für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit und Erholung ebenso (mit der Modifikation, dass es bei ständig wechselnden VertragspartnerInnen eines anderen Modells vergleichbar der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse bedürfe), die betriebliche Mitbestimmung offenbar nur für die organisatorisch in einen Betrieb eingebundenen Personen (dabei müsste man mE bedenken, dass es in Hinkunft auch virtuelle Betriebe geben kann). Im Unterschied zu den sonst oft sehr konkreten Vorschlägen bleibt Tomandl hier doch vage. Man wird sicher zustimmen können, dass der Persönlichkeits- und Diskriminierungsschutz nicht zwischen AN und persönlich tätigen Selbständigen unterscheiden sollte (was derzeit ohnehin wenigstens hinsichtlich der Diskriminierung geltendes Recht ist). Viel schwieriger ist die Abgrenzung etwa beim Arbeitszeitrecht. Man könnte schon überlegen, etwa ProvisionsvertreterInnen, die ein besonders hohes Entgelt haben und die unternehmerähnlich tätig sind (ihre Arbeit ist jedenfalls in einem hohen Maße erfolgsbezogen), aus dem Arbeitszeitrecht auszunehmen. Aber kann dann wirklich die Höhe des monatlichen Entgelts entscheidend sein (Tomandl schlägt die Höchstbeitragsgrundlage oder einen daran orientierten Betrag als Kriterium für wirtschaftliche Abhängigkeit vor)? Die permanenten Schwankungen des Entgelts könnten zu laufenden Änderungen hinsichtlich der Anwendbarkeit der Arbeitszeitvorschriften führen (man müsste dann wohl einen Durchschnittsbetrag ermitteln). Es ist aber auch fraglich, ob es nicht doch einen Unterschied macht, wenn der/die ProvisionsvertreterIn zwar gut verdient, aber genaue Vorgaben hinsichtlich Arbeitszeit und Arbeitsablauf bekommt. Wie man sieht, liegt der Teufel im Detail.

Von den vielen Vorschlägen, die Tomandl in weiterer Folge zu Einzelfragen macht, seien nur einige wenige herausgegriffen. Die weitgehend positive Gesamteinschätzung des Kollektivvertragsrechts teile ich. Die Kritik, dass der Gesetzgeber das Arbeitszeitrecht selbst weniger „starr“ hätte regeln können und mit der Möglichkeit der Präzisierung des Arbeitszeitrechts im KollV den Gewerkschaften ein Faustpfand eingeräumt werden sollte, halte ich für falsch. Es geht dabei vor allem um die Länge der Durchrechnungszeiträume, was letztlich für die Frage des Anfalls von zuschlagspflichtigen Überstunden entscheidend ist. Selbstverständlich gibt es branchenbezogene Unterschiede (das zeigt schon ein Blick auf die konkreten Kollektivverträge), was eine Regelungsbefugnis der Kollektivvertragsparteien rechtfertigt. In Wahrheit geht es doch um eine Machtfrage. Würde man die Durchrechnung auf der betrieblichen oder gar auf der arbeitsvertraglichen Ebene zulassen, würde das zweifellos zu weniger Überstunden und damit zu weniger Lohnkosten für die AG und entsprechend weniger Entgelt sowie geringerer Zeitsouveränität für die AN führen. Nicht teilen kann ich ferner die Notwendigkeit einer Zwangsschlichtung im Arbeitskampfrecht. Die jahrzehntelange Praxis zeigt, dass die Sozialpartnerschaft gut funktioniert, solange sie von der Regierung nicht behindert wird. Leider hat man seit Schwarz-Blau I immer wieder versucht, vor allem 281 Arbeiterkammer und Gewerkschaften zu schwächen. In Krisenzeiten besinnt man sich dann wieder, dass die Sozialpartnerschaft viele Vorteile hat. Es gibt kaum eine Gewerkschaft auf der Welt, die so zurückhaltend mit dem Instrument des Arbeitskampfs umgeht wie der ÖGB. Das bringt ihr immer wieder auch Kritik von der politischen Linken ein. Es gibt mE keinen vernünftigen Grund, eine so verantwortungsbewusst (manche sagen zu zaghaft) agierende Gewerkschaft (und die trifft es ja in erster Linie) mit einem Arbeitskampfrecht einzuschränken – und sei es auch nur mit der verpflichtenden Einschaltung eines/einer SchlichterIn.

Tomandl kritisiert die Einbindung des allgemeinen Kündigungsschutzes in das Betriebsverfassungsrecht. Das sei nur historisch zu rechtfertigen. In einem modernen Arbeitsrecht sollte der allgemeine Kündigungsschutz als Individualrecht der AN ausgestaltet und auf leitende Angestellte sowie freie Dienstverhältnisse ausgedehnt werden. Tomandl ist zuzugestehen, dass das Vetorecht des BR bei sozialwidrigen Kündigungen nicht unproblematisch ist und Missbräuche erlauben könnte (zB die Kündigung von AN selbst zu betreiben). Auf der anderen Seite ist doch zu bedenken, dass es im Interesse der Belegschaft sein kann, wenn etwa der BR mit dem Betriebsinhaber (BI) vereinbart, dass er einer bestimmten Anzahl von Kündigungen seine Zustimmung erteilt, wenn gleichzeitig der Großteil der Arbeitsplätze erhalten bleibt. Die Beseitigung des Vetorechts des BR bei sozialwidrigen Kündigungen ist immerhin erwägenswert. Deshalb muss aber noch lange nicht der BR aus dem Kündigungsschutz verbannt werden. Seine Einbindung ist nicht nur interessenpolitisch wichtig, auch der BI wird in vielen Fällen sinnvollerweise das Einvernehmen mit dem BR suchen. Im Übrigen spräche nichts dagegen, bei den Gruppen, die nicht in das Betriebsverfassungsrecht einbezogen sind (zB freie DN, leitende Angestellte), ein Individualanfechtungsrecht vorzusehen. Das gibt es schon derzeit zB im GlBG.

Diese paar kritischen Anmerkungen ändern nichts daran, dass Tomandls Gedanken über ein „zukunftsfähiges“ Arbeitsrecht äußerst lesenswert sind. Das Buch ist eine Art Einführung in das Arbeitsrecht mit Verbesserungsvorschlägen, wobei der Autor immer das Gesamtsystem im Auge behält. In seiner einfachen, aber trotzdem präzisen Sprache, die Dinge auf den Punkt bringend, ist es durchaus ein Lesevergnügen – was man ja nicht von allen Fachbüchern sagen kann.