BEIGEWUM (Hrsg)Umkämpfte Technologien – Arbeit im digitalen Wandel

VSA Verlag, Hamburg 2018, 224 Seiten, € 17,30

RENÉSCHINDLER (WIEN)

Die Debatten über „Industrie 4.0“, künstliche Intelligenz udgl werden häufig erstaunlich oberflächlich geführt. Insb was die Auswirkung auf Zahl und Qualität zukünftiger Arbeitsplätze betrifft, dominieren wenig durchdachte Argumente: Etwa der Hinweis, dass (auch) in der Vergangenheit durch Rationalisierungsschübe verursachte Arbeitsplatzverluste stets durch starke Ausweitung der Produktion egalisiert wurden. Denn es stimmt zwar, dass zB beim Übergang zur Fließbandproduktion von Automobilen, durch deren bald folgende Massenfertigung, der Verlust der seinerzeitigen handwerklichen Arbeitsplätze mehr als ausgeglichen wurde und zT ähnliches für die Büro-Automatisierung gesagt werden kann. Nur ist nicht annähernd sichtbar, welche Ausweitung zu Massenprodukten noch anstünde und vor allem: In der Welt von „Fridays for future“ sollte sich allmählich herumgesprochen haben, dass eine ressourcen- und energieintensive neue Massenfertigung, welche Inhalte auch immer sie hätte, nicht mehr infrage kommt, will diese Welt klimatisch überleben.

Umso verdienstvoller ist es, dass der vorliegende Band vielen konkreten Fragen unaufgeregt nachgeht und darauf konkrete Antworten versucht, auch wenn sie sich noch zu keinem Gesamtbild fügen können. Aber er stellt schon einmal die wesentlichen Fragen und lässt auch jene wesentlichste nicht aus, wie die gewonnenen Erkenntnisse politisch umgesetzt werden könnten. Denn es ist zB zweifellos richtig, dass die „digitale Dividende“ nicht einfach den Unternehmen überlassen werden darf, sondern die Gesellschaft zumindest Teile davon dringend braucht, um die durch den Technologiewandel nötig werdenden gesellschaftlichen, insb bildungspolitischen und sozialen Maßnahmen finanzieren zu können. Aber noch fehlt jedes Konzept, wie das Ausmaß einer solchen Dividende auch nur abgeschätzt, geschweige denn diese abgeschöpft werden kann. Zudem sind Lenkungsmaßnahmen in einer globalisierten Wirtschaft leider höchst komplex und in ihren Folgen oft schwer abschätzbar.

Aber der „Beirat für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische Alternativen“ (BEIGEWUM, der Herausgeber) hat heiße Eisen nie gescheut und beweist mit dieser Publikation erneut, wie dringend nötig gerade für die Interessenvertretungen der AN die unabhängige und kritische, aber solidarische Forschung ist.

Das Buch behandelt in drei Teilen 16 Themen, von der Geschichte technologischen Wandels über den Versuch einer Einschätzung dessen Auswirkungen bis zur besonders heiklen Frage dessen Gestaltbarkeit. In jedem der letzteren beiden Teile werden insb Aspekte der Verteilung, des Arbeitsmarktes, aber auch sozialer Folgen und Umweltauswirkungen untersucht. Dabei stehen die Auswirkungen auf AN generell, auf Frauen, aber auch auf prekäre Beschäftigte bzw besonders verwundbare Gruppen (etwa MigrantInnen) im Vordergrund. Es umfasst Beiträge von Flecker, Altzinger, Knittler, Haidinger, Risak, Mayrhuber, Madörin – um nur einige der vielen AutorInnen zu nennen. Es handelt sich um kurze, gut verständliche Beiträge von idR 10-15 Seiten Länge mit anschließenden Literaturhinweisen (aber gottlob ohne Fußnoten); „populärwissenschaftlich“ im besten Sinne!

Zu Recht widerspricht zB Flecker jedem Technik- Determinismus und plädiert für deren Gestaltung statt bloßer Anpassung an vermeintlich objektive Zwänge! Überzeugend zeigt er, wie etwa Unternehmen der „Plattformwirtschaft“ (Uber, Amazon, etc) ihre Geschäftsmodelle zunächst ohne Rücksicht auf sozialstaatliche und arbeitsrechtliche Regeln etablieren und deren Beschäftigte diese sodann, quasi auf die sozialpolitische „Stunde Null“ zurückgeworfen, neuerlich erkämpfen müssen!

Gewiss ist der Einfluss eines kleinen Landes auf neue Technologien begrenzt: Internationale Konkurrenz wirkt, auch wenn ihre Bedeutung meist schamlos übertrieben wird; die Entwicklung eigenständiger, österreichischer IT-Designs, etwa für Produktionsabläufe oder Verwaltungs/Entscheidungs-Algorithmen, ist eher 282 unwahrscheinlich. Aber schon in die stets notwendige Kundenanpassung internationaler Standard-Software kann durch nationale (gesetzliche, kollektivvertragliche, etc) Regeln jedenfalls eingegriffen werden; umso mehr sind begleitende Maßnahmen möglich, sei es im Bereich der Ausbildung, der sozialen Absicherung usw. Eine als gleichrangiges Ziel verfolgte Humanisierung der Arbeitswelt und Sicherung der Beschäftigung und Qualifikation der AN bringt einen erheblichen Vorteil im „Standort“-Wettbewerb, wie die österreichische Industriegeschichte vielfach zeigt. Die seinerzeitigen Regelungen anlässlich des Technologiewechsels im Bereich des Satzes und Drucks können da immer noch Quelle der Inspiration sein. Zumindest auf dieser Ebene kann und sollte das „Silicon Valley“, jene „geopolitische Wissensund Machtbasis des kognitiven Kapitalismus“ (Scholz-Wäckerle S 72) herausgefordert werden.

Altzinger/Zilian sowie Haidinger stellen den Stand der Forschung zu den Verteilungseffekten des „digitalen Wandels“ in all seinen Widersprüchen detailliert dar. Zu ihnen gehört eine technologietypische Verstärkung der Marktkonzentration und Abnahme des Wettbewerbs (S 82 f), die auch Marktfundamentalisten zu denken geben sollte. Eine deutliche Tendenz zu mehr Kontrolle und Steuerung (Haidinger S 103 ff) wird durch die neuen Technologien gefördert, ist aber keinesfalls notwendig mit ihnen verbunden. Die angeführten Beispiele können Angst machen, auch wenn ihr Ziel oft nicht die Kontrolle der einzelnen AN, sondern die Optimierung des „Faktors Mensch“ (S 108) ist.

Sehr zu Recht widmet sich das dritte Kapitel des Bandes daher der Gestaltbarkeit dieses technologischen Wandels. Das tut es aber nicht in Form abstrakter Diskurse über internationale politische Tendenzen oder Machtverhältnisse: So notwendig auch diese sind, so oft enden sie leider in Pessimismus und/oder Alarmismus. Nein, hier werden erfrischend praktische Lösungsmöglichkeiten diskutiert, die auf nationaler Ebene verfolgt und durchgesetzt werden können: Von einer Verkürzung der Arbeitszeit (Soder) über Änderungen im Arbeitsrecht (Risak) zu Fragen der Besteuerung (Rehm/Schnetzer; inklusive verdienstvoller Hinweise auf jene Effizienzgewinne, die durch die neuen Technologien für die Durchsetzung der Besteuerung schon entstanden sind; S 168 ff) und der sozialen Absicherung (Mayrhuber). Und last but not least untersucht Vandaele Fragen des Arbeitskampfes in einer technologisch veränderten Arbeitswelt am Beispiel solcher Auseinandersetzungen in Unternehmen der Plattformökonomie.

Der Herausgeber des Bandes, der Verein „Beirat für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische Alternativen“ erhielt in den 1980ern seinen sperrigen Namen als ironische Anspielung auf den Sozialpartner- „Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen“. Um jenes, mit ExpertInnen der Sozialpartner sowie WissenschaftlerInnen besetzte, zentrale wissenschaftliche Unterstützungsgremium der Sozialpartnerschaft ist es in den letzten Jahren ruhig geworden; dies ist wohl vor allem der politischen Entwicklung geschuldet, aber auch einer internen Blockade der Sozialpartner und der unterlassenen Öffnung zur Zivilgesellschaft hin. Der Band zeigt, dass die Analysefähigkeit des BEIGEWUM jene des originalen Beirats wohl inzwischen übertrifft.