Zur Unmittelbarkeit der ärztlichen Leistungserbringung

JOHANNESWARTER (SALZBURG)
Neue technologische Möglichkeiten verändern unser Leben und unsere Gesellschaft. Diese Entwicklungen machen auch vor Gesundheitsleistungen nicht halt. Die Leistungserbringung über Internet, App oder mittels anderer technischer Hilfsmittel ist aus rechtlicher Sicht deshalb besonders interessant, da das Ärztegesetz (ÄrzteG) (wie im Übrigen auch andere berufsrechtliche Gesetze) eine unmittelbare Berufsausübung vorsieht. Der nachfolgende Beitrag beschäftigt sich mit der Frage der Unmittelbarkeit der Leistungserbringung im ÄrzteG und arbeitet die vorliegende Literatur und Judikatur auf, analysiert die Gesetzeslage de lege lata und bringt zudem einen neuen dogmatischen Begründungsvorschlag für die Argumentation der hA, wonach nur nicht ausschließliche Fernbehandlungen dem Unmittelbarkeitsgebot entsprechen.
  1. Einleitung

  2. Zur gesetzlichen Ausgangslage

    1. Gesetzliche Bestimmungen

    2. Spannungsverhältnis zwischen § 2 Abs 2 und § 49 Abs 2 ÄrzteG?

    3. Historische Entwicklung des § 49 Abs 2 ÄrzteG

  3. Wissenschaftliche Ausgangslage – Vorliegende Literatur und Judikatur zu § 49 Abs 2 ÄrzteG

    1. Literatur zu § 49 Abs 2 ÄrzteG

      1. Ursprüngliche hA – Erste Phase

      2. Aktuelle hA – Zweite Phase

    2. Judikatur

      1. Ausstellung ärztlicher Zeugnisse

      2. Judikatur zur Einwilligung und Aufklärung

      3. UVS Wien

  4. Analyse des § 49 Abs 2 ÄrzteG

    1. Wortinterpretation

    2. Historische Interpretation

    3. Systematische Interpretation

      1. Neue Bestimmungen zu Telemedizin iwS

      2. Unmittelbarkeitsgebot und lege-artis- Gebot

    4. Teleologische Interpretation

    5. Abwägung und Ergebnis

    6. Notfälle

    7. Ausschließlichkeit

    8. VO der Ärztekammer

  5. Conclusio

1.
Einleitung

Medikamentöse Abtreibungen über das Internet, Verschreibung von rezeptpflichtigen Medikamenten nach Ausfüllen eines Online-Fragebogens, psychotherapeutische Gespräche via Skype. Innovationen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien ermöglichen eine örtliche flexible Behandlung der Patienten, was nicht nur für die Leistungserbringer, sondern auch für Patienten Vorteile bringen kann. Patienten können oftmals nicht nur in ihrem gewohnten Umfeld bleiben, was 205 deren Lebensqualität steigert, sondern es können auch insgesamt Kosten durch Einsparpotenziale gesenkt werden. Auch Probleme, wie die immer schwieriger werdende Versorgung von abgelegenen Orten, ließen sich durch örtliche Flexibilität verbessern oder gar lösen.*

Trotz der angesprochenen Vorteile haben sich derartige ortsunabhängige oder örtlich flexible Gesundheitsleistungen, die auch unter dem Stichwort Telemedizin bekannt sind, bislang weder in Österreich noch in Deutschland flächendeckend durchgesetzt.* Gründe für das Hinterherhinken im Vergleich zu anderen Staaten* sind diverse Bedenken gegen die Einführung technologischer Innovationen, nicht kompatible Systeme und vor allem auch eine unklare Rechtslage, sowie die daraus resultierenden rechtlichen und finanziellen Unsicherheiten für Betreiber solcher Verfahren.*

Dem Problem der unklaren Rechtslage möchte dieser Beitrag nachgehen. Ob telemedizinischen Behandlungen und Tätigkeiten im ärztlichen Bereich aus rechtlicher Sicht zulässig sind, hängt ganz wesentlich davon ab, ob diese Tätigkeiten den berufsrechtlichen Normen des ÄrzteG entsprechen. Die oben erwähnte räumliche Entfernung ist aus rechtlicher Sicht deshalb besonders interessant, da das ÄrzteG eine unmittelbare Berufsausübung vorsieht. Die Bestimmungen und die verwendete Formulierung im ÄrzteG diente darüber hinaus aber auch als Vorlage für entsprechende Bestimmungen anderer Gesundheitsberufe,* weshalb die Auslegung nicht nur für den ärztlichen Bereich von Relevanz ist.

2.
Zur gesetzlichen Ausgangslage
2.1.
Gesetzliche Bestimmungen

Zu Beginn sollen die entsprechenden Paragraphen des ÄrzteG in Erinnerung gerufen werden:

„§ 2 (2) Die Ausübung des ärztlichen Berufes umfaßt jede auf medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen begründete Tätigkeit, die unmittelbar am Menschen oder mittelbar für den Menschen ausgeführt wird [...].“*„§ 49 (2) Die Ärztin/Der Arzt hat ihren/seinen Beruf persönlich und unmittelbar, erforderlichenfalls in Zusammenarbeit mit anderen Ärztinnen/Ärzten und Vertreterinnen/Vertretern einer anderen Wissenschaft oder eines anderen Berufes, auszuüben. Zur Mithilfe kann sie/er sich jedoch Hilfspersonen bedienen, wenn diese nach ihren/seinen genauen Anordnungen und unter ihrer/seiner ständigen Aufsicht handeln.“*
2.2.
Spannungsverhältnis zwischen § 2 Abs 2 und § 49 Abs 2 ÄrzteG?

Aus den beiden zitierten Gesetzesstellen könnte man zunächst den Eindruck gewinnen, dass diese im Widerspruch zueinanderstehen. Denn einerseits kann der ärztliche Beruf unmittelbar am Menschen oder mittelbar für den Menschen ausgeübt werden, andererseits schreibt § 49 Abs 2 ÄrzteG eine unmittelbare Berufsausübung vor.*

Dieses Spannungsverhältnis löst sich aber auf, wenn man versteht, dass der Begriff „unmittelbar“ in § 49 Abs 2 ÄrzteG einen anderen Bedeutungsinhalt hat, als jener in § 2 Abs 2 ÄrzteG. Zweitere Bestimmung regelt den Anwendungsbereich des Gesetzes und hat damit insb auch den Tätigkeitsvorbehalt der ärztlichen Leistung zum Gegenstand. Damit ist gemeint, dass bestimmte Tätigkeiten oder Maßnahmen (eben jene des § 2 Abs 2 ÄrzteG) nur von bestimmten ordnungsgemäß ausgebildeten Personen (Ärzten) ausgeführt werden dürfen.*

Dieses Spannungsverhältnis löst sich aber auf, wenn man versteht, dass der Begriff „unmittelbar“ in § 49 Abs 2 ÄrzteG einen anderen Bedeutungsinhalt hat, als jener in § 2 Abs 2 ÄrzteG. Zweitere Bestimmung regelt den Anwendungsbereich des Gesetzes und hat damit insb auch den Tätigkeitsvorbehalt der ärztlichen Leistung zum Gegenstand. Damit ist gemeint, dass bestimmte Tätigkeiten oder Maßnahmen (eben jene des § 2 Abs 2 ÄrzteG) nur von bestimmten ordnungsgemäß ausgebildeten Personen (Ärzten) ausgeführt werden dürfen.*

Dieser Tätigkeitsvorbehalt wird grundsätzlich weit ausgelegt, sodass darunter eben nicht nur ärztliche Tätigkeiten fallen, die in der unmittelbaren persönlichen Diagnosestellung und Behandlung unmittelbar am Patienten erfasst sind, sondern auch auf medizinische-wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende Tätigkeiten, die mittelbar für den Menschen ausgeführt werden, wie etwa Tätigkeiten der Hygieniker, Pathologen, Pharmakologen, Anatomen, Histologen, Physiologen oder Gerichtsmediziner. Auch diese sollten den speziell ausgebildeten Personen vorbehalten bleiben.* Umgekehrt reduziert § 49 Abs 2 ÄrzteG nicht den Anwendungsbereich des § 2 Abs 2 ÄrzteG.*

Auslegungsrelevant für die Beurteilung der Zulässigkeit von telemedizinischen Maßnahmen im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit dem Unmittelbarkeitsgrundsatz des ÄrzteG ist deshalb in erster Linie die Bestimmung des § 49 Abs 2 ÄrzteG.

2.3.
Historische Entwicklung des § 49 Abs 2 ÄrzteG

§ 49 Abs 2 ÄrzteG verpflichtet Ärzte, ihren Beruf persönlich und unmittelbar auszuüben. Während die Vorschrift der persönlichen Leistungserbringung eine Verpflichtung zum Tätigwerden in eigener Person sowie allfällig zulässige Delegationsmöglichkeiten zum Inhalt hat, behandelt der Begriff der Unmittelbarkeit die Frage, ob die Erbringung 206 der ärztlichen Leistung nur im Rahmen einer persönlichen („handgreiflichen“) Patientenbetreuung vor Ort möglich ist.

Die Formulierung, wonach der Arzt seinen Beruf persönlich und unmittelbar auszuüben hat, findet sich bereits seit der Urfassung des ÄrzteG aus dem Jahr 1949 unverändert im Gesetz.* Sie wurde sowohl in der Novelle von 1984* als auch 1998 vom Gesetzgeber nicht angetastet und jeweils unverändert übernommen. Seit Inkrafttreten der Bestimmung im Jahr 1949 sind somit beinahe 70 Jahre vergangen, weshalb sich die Frage stellt, wie der Begriff der „Unmittelbarkeit“ im Lichte der allgemeinen Interpretationsgrundsätze (zeitgemäß) zu interpretieren ist.

3.
Wissenschaftliche Ausgangslage – Vorliegende Literatur und Judikatur zu § 49 Abs 2 ÄrzteG
3.1.
Literatur zu § 49 Abs 2 ÄrzteG

Die vorhandene Literatur zum Unmittelbarkeitsgrundsatz lässt sich (grob) in zwei Zeitphasen trennen, in denen sich weniger (aber auch) der inhaltliche Kern als vielmehr die Argumentation und vor allem der Blickwinkel geändert haben. Während bis 1990 eher eine strenge Interpretation und vor allem eine negative Formulierung verfolgt wurde (beschrieben wird, was alles verboten ist), wurden die Ansichten nach 1990 zunehmend liberaler und auch positiver beschrieben (iSv welche Ausnahmen es vom Unmittelbarkeitsgebot geben müsse und auf welchen Argumenten diese beruhen). Als Wendepunkt in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung kann dabei der Artikel von Kopetz* im Jahr 1990 bezeichnet werden.

3.1.1.
Ursprüngliche hA – Erste Phase

Zu Beginn wurde der Begriff der Unmittelbarkeit restriktiv ausgelegt. So war Spaun* 1952 der Meinung, dass die Unmittelbarkeit der Behandlung nur dann gegeben sei, wenn der Arzt seine Anordnungen unter dem Eindruck der persönlichen Untersuchung erteilt. Die Leistungen des Arztes seien nicht nur persönlich, sondern auch unmittelbar zu erbringen, weshalb der Arzt sich bei der Behandlung eines Patienten „niemals auf Angaben einer dritten Person, auch wenn diese selbst Arzt ist, verlassen“ darf. Der Arzt sei vielmehr dazu verpflichtet, nur auf Grund persönlicher Untersuchungen des Patienten die notwendige Heilbehandlung durchzuführen. Behandlungen auf telefonischem Wege seien verboten und nur in Ausnahmefällen bei genauester Kenntnis des Zustandes entschuldigt,* wenn sich der Arzt auf eine ihm noch gegenwärtige Untersuchung berufen kann. Eine briefliche Behandlung sei „unter allen Umständen verboten“ und stelle ein schweres Standesvergehen dar.

Strobl* (1976) und später (fast) gleichlautend Kux et al* (1988) teilen diese Meinung weitestgehend und konstatierten, dass das Unmittelbarkeitsgebot den Sinn habe, (ausschließliche) Distanzbehandlungen zu verhindern. Der Patient müsse deshalb grundsätzlich eine unmittelbare Behandlung durch den persönlich anwesenden Arzt erhalten. Dennoch wurde der strengen Ansicht von Spaun insofern entgegengetreten als fernmündliche Anweisungen oder Beratungen bei Gefahr im Verzug zulässig seien.*Kux et al erweitern die ihrer Meinung nach zulässigen Sachverhalte um jene Fälle, bei denen bestimmte telefonische Ratschläge, Hinweise bzw Anleitungen gegenüber dem Arzt bekannten Patienten erteilt werden.*

3.1.2.
Aktuelle hA – Zweite Phase

Dieser negativen Formulierung und der seiner Ansicht nach zu strengen Auffassung (insb von Spaun und Strobl) trat Kopetz* mit dem Argument entgegen, dass diese Interpretation vor der Erfindung des Telefons und einer wesentlich weniger arbeitsteilig organisierten Medizin bestanden hatte. Darüber hinaus würden in der Praxis unbeanstandet „Distanzbehandlungen“ stattfinden.

Als Beispiele nennt Kopetz etwa, dass

  • ein Patient in der Ordination anruft und um ein Rezept für ein Medikament ersucht, das er schon seit Jahren nimmt;

  • eine Mutter anruft und Symptome des erkrankten Kindes schildert; der Arzt kennt das Kind von Vorerkrankungen und gibt der Mutter Behandlungshinweise;

  • ein Patient anruft und schildert, dass seine Beschwerden nachgelassen haben und fragt, ob er die Medikation absetzen kann;

  • ein Patient anruft und sich nach medizinischen Vorkehrungen für eine geplante Fernreise erkundigt;

  • ein Anrufer telefonisch über erste Behandlungsmaßnahmen bei einer schweren Erkrankung beraten wird, bis der Arzt eintrifft.

Seiner Ansicht nach sei ein Telefongespräch zwischen Arzt und Patient sehr wohl persönlich und unmittelbar iSd ÄrzteG. Allerdings weist er darauf hin, dass an die Sorgfaltspflicht des Arztes ein strenger Maßstab anzulegen sei, denn schon beim geringsten Zweifel über die Grundlage seiner medizinischen Entscheidung habe er den Patienten zu besuchen oder ihn in die Ordination zu bestellen.

Nentwich* schließt sich der Meinung von Kopetz an, und überträgt sie auch auf andere, „fortgeschrittenere“ 207 Methoden der Telemedizin. Er betont, dass es nicht primär auf die körperliche Anwesenheit des Arztes ankomme, sondern vielmehr auf dessen Möglichkeit, die mit seinem Tun verbundenen Gefahren zu beherrschen. In früheren Zeiten war es nämlich ausgeschlossen, dass ein Arzt Gefahren über eine örtliche Distanz hinweg beherrschen konnte. Diese Situation habe sich aber mit der Verbreitung des Telefons geändert. Legt man aber das Kriterium der Gefahrenbeherrschung als Maßstab an, so träten die Grenzen der Unmittelbarkeit und damit der Telemedizin deutlich zutage: Denn ob überhaupt Gefahren, die es zu beherrschen gilt, bestehen, sei eine Frage des konkreten Einzelfalles. So könne bei CT-Aufnahmen – die die Entscheidungsgrundlage bilden, ob der Patient in ein spezialisiertes Krankenhaus zu verlegen sei – der vor Ort anwesende Mediziner spezifische Gefahren nicht besser beherrschen als der Telemediziner. Es wäre aber mit den Sorgfaltspflichten des Arztes unvereinbar, wenn er auf Distanz Entscheidungen treffen würde, die lege artis nur nach eingehender direkter, also mit Körperkontakt verbundener Untersuchung gefällt werden dürften. Solange die Qualität der medizinischen Versorgung in zumindest gleicher Weise sichergestellt sei, ist es seiner Ansicht nach vertretbar, auch wirtschaftlichen Überlegungen Raum zu geben.

Dieser Argumentation schlossen sich viele weitere Stimmen in der Literatur an, so zB Kopetzki,*Schneider,*Thiele,*Emberger,*Wallner,*Ruschitzka/Gregoritsch/Ilic,*Leischner-Lenzhofer, * und zuletzt Raschhofer.*

Diesen Meinungen ist gemein, dass sie eine ärztliche Tätigkeit, bei der sich Behandler und Behandelter an unterschiedlichen Orten befinden, als zulässig erachten. Sie unterscheiden sich aber darin, dass die Mehrheit eine ausschließlich telefonische, schriftliche oder elektronische Tätigkeit ablehnt.* Andere bejahen hingegen eine ausschließlich telefonische, schriftliche oder elektronische ärztliche Berufsausübung, sofern diese lege artis durchgeführt wird.* Kritisch zur vorgebrachten Argumentation von Kopetz und Nentwich äußerte sich in der jüngeren Vergangenheit vor allem Grundner* (dazu sogleich).

3.2.
Judikatur

Höchstgerichtliche Judikatur, die sich direkt mit der Interpretation des ärztlichen Unmittelbarkeitsgebots auseinandersetzt, gibt es – soweit ersichtlich – bislang nicht. Höchstgerichtliche Entscheidungen mit (zumindest) Bezug zum Unmittelbarkeitsgebot gibt es (lediglich) zur Ausstellung ärztlicher Zeugnisse sowie zur Einwilligung und Aufklärung. Darüber hinaus gibt es eine unterinstanzliche Entscheidung des Unabhängigen Verwaltungssenates (UVS) Wien. Auf diese Entscheidungen soll nachfolgend kurz eingegangen werden.

3.2.1.
Ausstellung ärztlicher Zeugnisse

Der OGH hat in einer E aus dem Jahr 1959 hinsichtlich der Ausstellung von ärztlichen Zeugnissen, die nach § 11 ÄrzteG idF 1949 nur nach gewissenhafter ärztlicher Untersuchung und nach genauer Erhebung der im Zeugnis zu bestätigenden Tatsachen ausgestellt werden dürfen, festgehalten, dass sich der Arzt keineswegs in allen Fällen nur durch eine unmittelbare vorangehende persönliche Untersuchung Kenntnis der zu beurteilenden Fakten verschafft haben muss.*

Zwar bezog sich die E ausdrücklich auf § 11 ÄrzteG und nicht auf den in § 7 ÄrzteG idF 1949 normierten Unmittelbarkeitsgrundsatz, allerdings leitet Emberger aus dieser E ab, dass der OGH mit dieser E das ärztliche Unmittelbarkeitsgebot relativiere, in dem er Schreibtischgutachten – ohne ärztliche Untersuchung – nach Maßgabe des konkreten Falles für zulässig erklärte.*

3.2.2.
Judikatur zur Einwilligung und Aufklärung

Einen Eingriff in seine Integrität rechtfertigende Einwilligung des Patienten setzt voraus, dass der Arzt dem Patienten zuvor die Krankheit erklärt, über Art und Schwere der möglichen Gefahren und Folgen der betreffenden Behandlung aufklärt und über Erfolgsaussichten anderer Behandlungsmethoden in Kenntnis setzt. Die Rsp betont in diesen Fällen zwar die Notwendigkeit eines mündlichen Gesprächs mit dem Patienten, da der behandelnde Arzt oft nicht mit Sicherheit davon ausgehen könne, dass dem Patienten die im schriftlichen Text genannten Risiken in ihrer Bedeutung und Tragweite bewusst werden. Bei einzelnen Zustimmungen zu (weiteren) diagnostischen Maßnahmen zur Abklärung des Krankheitsbildes ist aber auch die Aufklärung per Telefon oder E-Mail zulässig. Ob und in welchem Umfang ein weitergehendes Aufklärungsgespräch notwendig ist, ist ebenso von den Umständen des Einzelfalls abhängig wie die Frage, ob ein solches persönlich geführt werden muss.*208 In diesen Fällen der Einwilligung und Aufklärung erwähnte der OGH allerdings zu keiner Zeit das Unmittelbarkeitsgebot des § 49 Abs 2 ÄrzteG.*

3.2.3.
UVS Wien

Der UVS Wien* hat sich 2014 als Rechtsmittelinstanz mit der Reichweite des Unmittelbarkeitsgebots der ärztlichen Behandlung im Rahmen eines Verwaltungsstrafverfahrens auseinandergesetzt. Im konkreten Fall ging es um eine Ärztin, die über eine Internetplattform Rezepte zur Vornahme eines medikamentösen Schwangerschaftsabbruchs ausstellte und versendete. Die betroffene Ärztin engagierte sich dabei für eine Vereinigung für Frauen aus Ländern, in denen Schwangerschaftsabbrüche gesetzlich verboten waren und bot diesen Frauen eine telemedizinische Behandlung an.

Laut Sachverhalt mussten die Patientinnen dafür einen 25 Punkte umfassenden Fragenkatalog am Computer beantworten, wobei der medizinische Sachverständige im Verfahren bestätigte, dass die Fragen ausführlich aufbereitet waren, dem derzeitigen Stand der Wissenschaft entsprachen und alle für die Einwilligung in die medizinische Behandlung relevanten Aspekte beinhalteten.* Darüber hinaus sei es – so der Sachverständige – auch bei einem regulär ärztlich verordneten medikamentösen Schwangerschaftsabbruch üblich, dass die Einnahme der beiden Tabletten in der Regel nicht unter ärztlicher Aufsicht und Kontrolle erfolgt. Eine körperliche (Ultraschall-)Untersuchung sei „zwar wünschenswert“, jedoch aus medizinischer Sicht nicht zwingend erforderlich.

Unter Berücksichtigung der genannten Umstände gelangte der UVS zu dem Ergebnis, dass die Behandlung lege artis gewesen und auch mit dem Unmittelbarkeitsgebot des § 49 Abs 2 ÄrzteG „gerade noch“ in Einklang zu bringen sei. In der Begründung verwies er neben dem Umstand, dass zwischen einer telemedizinischen und einer regulären Behandlung kein großer Unterschied bestanden hätte, weshalb den Patientinnen durch die ausschließliche Distanzbehandlung auch keine medizinischen Nachteile erwachsen konnten, vor allem auch auf die Tatsache, dass die Patientinnen in ihren Heimatländern keine adäquate Behandlung erhalten hätten und dadurch auf eine telemedizinische Beratung und Behandlung angewiesen waren.

4.
Analyse des § 49 Abs 2 ÄrzteG

Nach Studium der vorhandenen Meinungen in Literatur und Judikatur sei zunächst angemerkt, dass zwar eine Vielzahl inhaltlicher und sachlicher Argumente des „Für und Wider“ der unmittelbaren Berufsausübung von Ärzten vorgebracht werden, dabei haben aber nur wenige ihre Argumente in die Methoden der juristischen Auslegungslehre gekleidet. Nachfolgend sollte deshalb versucht werden, den Begriff der unmittelbaren Berufsausübung de lege lata nach den Grundsätzen der juristischen Methodenlehre auszulegen und die Ergebnisse anschließend einer Abwägung zuzuführen.

4.1.
Wortinterpretation

Wirft man einen Blick in den Duden, so werden dort dem Begriff „unmittelbar“ drei Bedeutungen zugemessen:

  • nicht mittelbar, nicht durch etwas Drittes, durch einen Dritten vermittelt; direkt

  • durch keinen oder kaum einen räumlichen oder zeitlichen Abstand getrennt

  • direkt; geradewegs [durchgehend].*

Für die vorliegende Fragestellung sind vor allem das erste und zweite Verständnis relevant. Nach dem ersten Verständnis gilt etwas bereits dann als unmittelbar, wenn es nicht durch Dritte vermittelt, sondern etwas direkt zwischen den Parteien durchgeführt wurde oder stattgefunden hat. Unter diesem (weiten) Verständnis, kann wohl jeder direkte Kontakt, etwa auch ein brieflicher, telefonischer oder elektronischer Kontakt, der direkt zwischen Arzt und Patient erfolgt, als unmittelbar iwS bezeichnet werden. Transporteure von Nachrichten, wie die Post, Telefonanbieter oder Internetapplikationen wie Skype, sind für diese Einschätzung mE solange unerheblich, solange die Nachricht nicht verfälscht oder verändert wird. Der Kontakt zwischen den Personen erfolgt nicht mittelbar, sondern eben unmittelbar.

Das zweite (engere) Verständnis legt mehr Gewicht auf eine zeitliche und örtliche Komponente. Setzt man die zeitlichen und örtlichen Voraussetzungen kumulativ an, so kommt man wohl zur strengsten Interpretation, nämlich, dass sowohl zeitlich wie auch örtlich kein Abstand bestehen darf. Dieses Verständnis entspricht der Erbringung der ärztlichen Leistung im Rahmen einer persönlichen („handgreiflichen“) Patientenbetreuung vor Ort.

Da der Duden die Faktoren aber alternativ bezeichnet (arg „oder“), könnte etwas auch dann als unmittelbar bezeichnet werden, wenn es „nur“ zeitlich ohne Abstand erfolgt. Eine Leistung wäre demnach wohl auch dann unmittelbar, wenn wie bei Telefonaten oder Videotelefoniegesprächen keine (bzw technisch korrekt: kaum) Zeitabstände vorliegen.

Das Ergebnis der Wortinterpretation zeigt jedenfalls, dass sich die diskutierten Sachverhalte durchaus im Begriffshof der Unmittelbarkeit befinden und damit einer Auslegung grundsätzlich zugänglich sind.

4.2.
Historische Interpretation

Zunächst ist im historischen Kontext festzuhalten, dass Gesetzesmaterialien – soweit ersichtlich – weder zur Bestimmung des § 49 Abs 2 ÄrzteG noch 209 zu den Vorgängerbestimmungen aus den Jahren 1984 und 1949 auffindbar sind.

Kopetz und Nentwich (und ihnen folgend zahlreiche Stimmen in der Literatur) stützen ihre Argumentation ganz wesentlich darauf, dass die strenge Auslegung des Unmittelbarkeitsbegriffs der älteren hM „den Gegebenheiten vor Erfindung des Telefons und einer wesentlich weniger arbeitsteilig organisierten Medizin [...]“*entsprechen würden bzw eine Gefahrenbeherrschung erst durch die Erfindung des Telefons möglich wurde.*

Dieser Argumentation muss aber die Geschichte entgegengehalten werden. Die erste telefonische Diagnoseabklärung wurde bereits im Jahr 1897 durchgeführt. 1910 wurden an der Universität Lund erstmals Elektrokardiodiagramme über ein Telekommunikationsnetzwerk in ein eineinhalb Kilometer entferntes Labor übertragen und aus dem Jahr 1922 gibt es erste Berichte über den Austausch medizinischer Informationen zwischen Schiffen und Küstenstationen.* 1910 wurde erstmals Arsphenamin synthetisiert, das als erstes Antibiotikum gezielt zur Behandlung von Syphilis eingesetzt wurde. Das Angebot einer Behandlung über den Versandweg wurde angesichts der erheblichen Nebenwirkungen im Jahr 1927 in Deutschland verboten. Im Gesetz zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten vom 8.2.1927 wurde vom (deutschen) Gesetzgeber ausdrücklich festgehalten, dass Syphilis und andere Geschlechtskrankheiten „nicht anders als auf dem Wege der eigenen Wahrnehmung behandelt werden“ durften.*

Auch in Österreich wurde 1945 durch die provisorische Staatsregierung das (nach wie vor in Geltung stehende) Gesetz zur Behandlung von Geschlechtskrankheiten beschlossen, nach dem die briefliche Behandlung von Geschlechtskrankheiten sowie die Behandlung Geschlechtskranker durch Ärzte ohne eigene Wahrnehmung (Fernbehandlung) verboten ist.*

Die Argumente von Kopetz und Nentwich überzeugen deshalb nicht. Dem historischen Gesetzgeber kann nicht vorgehalten werden, dass er keinerlei technische Hilfsmittel vor Augen hatte, als er die verpflichtende Unmittelbarkeit der Behandlung durch den Arzt gesetzlich verankerte. Bei Beschluss der Bestimmung im Jahr 1949 gab es nicht nur bereits Telefone, Telegrafen und briefliche Behandlungen, sondern auch moderne Behandlungsformen wie Elektrokardiodiagramme. Mit Sicherheit gab es bereits Behandlungsweisen, die mit gleicher Qualität auch von der Ferne aus durchgeführt werden konnten. Dennoch entschied sich der Gesetzgeber für die pauschale Verpflichtung zur unmittelbaren Berufsausübung. Eine sehr weite Interpretation lässt sich nicht mit dem Willen des historischen Gesetzgebers in Einklang bringen.*

Gegen diese Interpretation könnte allenfalls noch der anders lautende Wortlaut des § 9 Abs 1 lit b GeschlechtskrankheitenG eingewendet werden. Hätte der Gesetzgeber auch im ÄrzteG eine Behandlung unter eigener Wahrnehmung normieren wollen, hätte er dies (wie schon vier Jahre zuvor im GeschlechtskrankheitenG) auch im ÄrzteG 1949 ausdrücklich so formulieren können. Stattdessen hat er sich für den Begriff der Unmittelbarkeit entschieden, was zu der Argumentation führen könnte, dass „Unmittelbarkeit“ eben weiter zu interpretieren sei.

4.3.
Systematische Interpretation
4.3.1.
Neue Bestimmungen zu Telemedizin iwS

In der neueren Gesetzgebung finden sich einige Bestimmungen, die im Rahmen einer systematischen Auslegung von Bedeutung sein könnten. So enthält beispielsweise die Art 15a-Vereinbarung zur Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens (BGBl I 2017/98BGBl I 2017/98) einen eigenen Schwerpunkt unter dem Titel „e-health, der auch telefon- und webbasiertes Beratungsservice [...] und Telemedizin einschließt (Art 7 Abs 4)“.* Ferner enthält § 59g Abs 1 Gesundheits- und Krankenpflegegesetz (GuKG) die Sicherstellung der Finanzierung von „Telefon- und webbasierten Erstkontakt- und Beratungsservice“. § 4 Z 4 Primärversorgungsgesetz (PrimVG)* schreibt Primärversorgungseinheiten die „Einbindung von vorhandenen telemedizinischen, telefon- und internetbasierten Diensten in das Erreichbarkeitskonzept“ vor. Auch das GesundheitstelematikG wurde im Rahmen des GesundheitsreformumsetzungsG 2017 um den Abschnitt „e-health-Anwendungen“ ergänzt.*

Im Bereich der Rehabilitation wurde mit 1.1.2019 auch ausdrücklich die Form der Telerehabilitation als medizinische Maßnahme der Rehabilitation im ASVG eingeführt. Dort ist in § 302 Abs 1 Z 1a ASVG nunmehr auch die Telerehabilitation als universell einsetzbare Möglichkeit, längerfristige Rehabilitationserfolge durch digital unterstützte Systeme zu erzielen und die Ergebnisse zu dokumentieren, vorgesehen.*

Nun ist zunächst anzudenken, ob diese Bestimmungen dem Unmittelbarkeitsgebot des § 49 Abs 2 ÄrzteG als lex specialis vorgehen und telemedizinische Behandlungen schon deshalb zulässig seien. Dies ist jedenfalls für jene Normen zu verneinen, die rein die Finanzierung zum Gegenstand haben. In diesen Fällen mangelt es an einem für die Derogationsregel notwendigen überschneidenden Sachverhalt, denn einerseits geht es um Fragen der Finanzierung und andererseits um die Anforderungen an die (berufsrechtliche) ärztliche Leistungserbringung.*210

Gleiches gilt mE wohl auch für das Verhältnis zwischen § 302 Abs 1 Z 1 ASVG und § 49 Abs 2 ÄrzteG. Grundsätzlich besteht zwischen den berufsrechtlichen Vorgaben nach dem ÄrzteG und dem sozialversicherungsrechtlichen Behandlungsanspruch ein weitgehender Gleichklang. Sozialversicherungsträger sollen ärztliche Leistungen nur dann entlohnen, soweit sie dem ÄrzteG entsprechen. Der Gesetzgeber des ASVG ging bei der Honorierung ärztlicher Leistungen davon aus, dass ausschließlich in zulässiger Weise erbrachte Leistungen von der KV abzugelten sind. Andernfalls würde das ASVG die Zwecke des ÄrzteG konterkarieren, in dem man standeswidriges Verhalten entlohnen würde.* Dennoch haben auch das Berufsrecht und das ASVG unterschiedliche Sachverhalte zum Gegenstand, weshalb hier eine Derogation ebenfalls zu verneinen ist.

Für das Feld der Radiologie hat das BM für Gesundheit und Frauen 2017 hingegen ausdrücklich spezielle Bestimmungen für die Anwendung von Teleradiologiemaßnahmen vorgesehen. In der medizinischen Strahlenschutzverordnung (MedStrSchV53)) ist normiert, dass Teleradiologiemaßnahmen im Rahmen der Trauma-Grund- und -Schwerpunktversorgung sowie in dislozierten ambulanten Erstversorgungseinrichtungen von Akutkrankenanstalten zulässig sind. In allen übrigen Fällen dürfe Teleradiologie allerdings nur Aufrechterhaltung eines Nacht-, Wochenend- und Feiertagsbetriebes für dringliche Fälle erfolgen.*

Aus dieser VO kann mE aber nicht abgeleitet werden, dass das Unmittelbarkeitsgebot zwingend keinen physischen Kontakt zwischen Arzt und Patienten verlangt.* Dies scheitert schon an hierarchischen Gesichtspunkten. Eine Verwaltungsbehörde ist nicht befugt, nähere Bestimmungen zur (berufsrechtlichen) Unmittelbarkeit der Leistungserbringung zu definieren. Änderungen sind hier ausschließlich dem (einfachen) Gesetzgeber vorbehalten. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die VO gesetzeskonform auszulegen wäre. Unklar ist darüber hinaus die Rechtmäßigkeit dieses Teils der VO an sich, zumal Rechtsgrundlage § 36 Abs 1 StrahlenschutzG ist, der die Behörde ermächtigt, Vorschriften zu erlassen, welchen Anforderungen bewilligungspflichtige Anlagen sowie Strahlenquellen zu entsprechen haben. Inwieweit hier Platz für (berufsrechtliche) Zulässigkeitsfragen von Teleradiologiemaßnahmen bleibt, ist fraglich.

Dennoch müssen im Rahmen der Auslegung des Unmittelbarkeitsgebots die angeführten gesetzlichen Bestimmungen (ausreichend) berücksichtigt werden. Denn wenn der Gesetzgeber diese Regelungen (zB zur Finanzierung) erlässt, ohne § 49 Abs 2 ÄrzteG anzutasten, lässt sich daraus zumindest ableiten, dass er das Unmittelbarkeitsgebot nicht als grundsätzliches Hindernis für die anvisierten Technologien ansieht.*

4.3.2.
Unmittelbarkeitsgebot und lege-artis-Gebot

Kern der Argumentation aller liberaleren Meinungen (insb basierend auf Kopetz und Nentwich) liegt im Wesentlichen darin, dass durch eine fehlende persönliche Untersuchung die Behandlungsqualität nicht eingebüßt und damit die Patientensicherheit nicht gefährdet werden soll. Wesentlicher Maßstab des Unmittelbarkeitsgebots sei deshalb nicht die körperliche Anwesenheit, sondern dass die Behandlunglege artis durchgeführt wird und die Gefahren beherrscht werden können (siehe dazu sogleich die teleologische Interpretation). Beim geringsten Zweifel ist der Patient aufzusuchen oder in die Ordination zu bestellen.*

Dieser Argumentation können aber nicht nur historische (siehe dazu schon oben), sondern insb auch systematische Argumente entgegengehalten werden. Aus systematischer Sicht ist nämlich darauf hinzuweisen, dass das Unmittelbarkeitsgebot und das lege-artis-Gebot zwei getrennt zu beurteilende eigenständige berufsrechtliche Anforderungen darstellen. Dies kommt insb dadurch zum Ausdruck, dass sie unabhängig voneinander geregelt sind.*

Während der Arzt nach § 49 Abs 2 ÄrzteG verpflichtet ist, nicht nur persönlich, sondern auch unmittelbar tätig zu werden, schreibt § 49 Abs 1 ÄrzteG vor, dass der Arzt „nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung sowie unter Einhaltung der bestehenden Vorschriften und der fachspezifischen Qualitätsstandards [...] das Wohl der Kranken und den Schutz der Gesunden zu wahren“ hat. Gefordert ist also der fachliche „State of the Art“, die lege-artis-Behandlung.*

Hätte der Gesetzgeber alleine eine Behandlung lege artis vorsehen wollen, hätte er die Unmittelbarkeit der Leistungserbringung nicht ausdrücklich in einem nachfolgenden Absatz erwähnen müssen. Eine derartige Interpretation würde dazu führen, dass der Unmittelbarkeitsbegriff des zweiten Absatzes inhaltlich deckungsgleich mit dem lege artis-Behandlungsgebot des ersten Absatzes wäre. Damit würde man dem Begriff aber auch jede Berechtigung entziehen. IS einer geltungserhaltenden Interpretation ist mE ein reines Abstellen auf die Behandlung lege artis bzw auf eine Gefahrenbeherrschung schon aus systematischen Erwägungen abzulehnen.

Die Anmerkung, dass eine ausschließliche Beratung und Behandlung von unbekannten Patienten (ohne Möglichkeit zur Rückfrage) vermutlich nie mit den Regeln der medizinischen Wissenschaft in Einklang zu bringen sei,* kann mit bloßem Hinweis auf den Fall des medikamentösen Schwangerschaftsabbruchs des UVS Wien begegnet werden, 211 wo der Sachverständige die ausschließliche Fernbehandlung für lege artis erklärte.

4.4.
Teleologische Interpretation

In der vorhandenen Literatur werden vielfach Argumente vorgebracht, warum auch eine nicht vor Ort stattfindende Tätigkeit als unmittelbar iSd ÄrzteG auszulegen wäre.* Methodische Grundlage ist dabei wohl eine teleologische Interpretation des § 49 Abs 2 ÄrzteG, die sich an den in der Rechtsordnung erkennbaren Zwecken und Grundgedanken der Regelung orientiert.*

Dieser Grundgedanke sei nun (allein) darin zu erblicken, dass durch eine fehlende persönliche Untersuchung die Behandlungsqualität nicht eingebüßt und damit die Patientensicherheit nicht gefährdet werden soll.* Auf Basis dieser Grundlage gibt es unbestritten Tätigkeiten und Behandlungsformen, die durchaus auch ohne persönlichen Kontakt zu medizinischen und wirtschaftlich sinnvollen Ergebnissen führen können. Dies belegen neben dem Beispiel des UVS Wien auch Ergebnisse aus anderen Ländern, in denen keine dramatisch negativen Auswirkungen zu verzeichnen sind.*

Fraglich ist, ob der Zweck der Regelung über Qualitäts- und Sicherheitsaspekte hinausgeht. Denkbar wäre etwa, dass das Wesensmerkmal der ärztlichen Tätigkeit die unmittelbare therapeutische Beziehung zu den Patienten ist. Diese Beziehung kommt insb im aus antiken Wurzeln stammenden Grundsatz einer „Fünf-Sinne-Diagnostik“ zum Ausdruck. Der Arzt darf sich dabei nicht ausschließlich da rauf verlassen, was ihm der Patient sagt („Ich habe keine Herz- und Kreislaufprobleme“), sondern er hat auch zu berücksichtigen, was er im direkten Patientenkontakt sieht („Ich sehe, dass Sie einen hochroten Kopf haben“); gegebenenfalls auch das, was er riecht (Schnapsgeruch bei einem regelmäßigen Alkoholkonsum verneinenden Suchtpatienten). Gerade durch den unmittelbaren persönlichen Kontakt lassen sich für Ärzte sehr viele Informationen über den Patienten in Erfahrung bringen, ohne dass sie ausdrücklich angesprochen werden. Außerdem ist es für Ärzte wesentlich einzuschätzen, ob die Antwort auf eine Frage aufrichtig und ehrlich ist.*

Bei einer bloß schriftlichen Kommunikation oder gar bei einer reinen Beantwortung eines Fragenkatalogs (wie im Falle der Onlineplattform zum medikamentösen Schwangerschaftsabbruch des UVS Wien) gehen freilich viele Informationen verloren, die für eine Behandlung möglicherweise wichtig und entscheidend sein können.

Sieht man sich aktuelle praktische Beispiele von ausschließlichen Fernbehandlungen, bspw über Internetplattformen an (siehe nur die mittlerweile in Österreich eingestellte Plattformen Dr.Ed.*), so geht es dort in vielen Fällen um den einfachen und schnellen Zugang zu rezeptpflichtigen Medikamenten. Dies zeigt sich insb am auf bestimmte Bereiche beschränkten Leistungsangebot. Angeboten werden hauptsächlich Problembereiche, die typischerweise mit rezeptpflichtigen Medikamenten behandelt werden. Andere Bereiche werden erst gar nicht ins Leistungsangebot aufgenommen.* Unbestritten besteht die ärztliche Behandlung aber aus mehr als aus der simplen Verschreibung von rezeptpflichtigen Medikamenten. Der persönliche und unmittelbare Kontakt dient nicht nur der Qualitätssicherung, sondern hat auch eine gewisse Schutz- und Kontrollfunktion, da oftmals Patienten auch vor sich selbst geschützt werden sollen.

4.5.
Abwägung und Ergebnis

Zusammenfassend lassen sich also sowohl für als auch gegen eine liberale Ansicht Argumente finden. Zunächst zeigt das Ergebnis der Wortinterpretation, dass sich auch ausschließliche Fernbehandlungen durchaus in den Begriffshof des Wortes „unmittelbar“ befinden, sofern diese direkt zwischen dem Arzt und dem Patienten stattfinden.

Gerade historische Argumente sprechen aber stark gegen eine derartige Interpretation. Das Ziel des historischen Gesetzgebers lag wohl gerade darin, (ausschließliche) Fernbehandlungen zu verbieten. Argumente, wonach der Gesetzgeber eben nicht mit modernen Informations- und Kommunikationstechnologien gerechnet hat, können mit einem schlichten Verweis auf die bereits damals vorhandenen technischen Mittel entkräftet werden.

Besonders gewichtige Argumente lassen sich auch aus systematischen Gesichtspunkten ableiten. Diese zeigen zwar einerseits, dass der Gesetzgeber das Unmittelbarkeitsgebot offenbar nicht als grundsätzliches Hindernis für die anvisierten Technologien sieht. Dass eine Tätigkeit jedoch immer dann als rechtmäßig zu qualifizieren ist, wenn sie lege artis durchgeführt bzw die Gefahren beherrscht wurden, widerlegen systematische Erwägungen deutlich.

Aber auch eine teleologische Interpretation führt mE nicht zwangsläufig zur Zulässigkeit von telemedizinischen Maßnahmen, selbst wenn diese lege artis durchgeführt und die Gefahren beherrscht werden, da der Normzweck nicht nur in einer Sicherung der ärztlichen Behandlungsqualität liegt, sondern ihm auch eine gewisse Schutz- und Kontrollfunktion zugeschrieben werden kann.

In Summe überwiegen die Argumente, die gegen eine Zulässigkeit einer ausschließlichen Fernbehandlung sprechen, deutlich. Die Entscheidung des UVS Wien ist deshalb (klar) abzulehnen. Eine 212 entsprechende Würdigung des Umstandes, dass den betroffenen Frauen in ihren Herkunftsländern keine Behandlung zuteilwerden konnte, hätte man wohl besser auf Verschuldensebene berücksichtigt.

4.6.
Notfälle

In weiterer Folge stellt sich die Frage, ob es nicht auch Ausnahmen zu den grundsätzlich unmittelbar zu erbringenden Leistungen gibt.

Unabhängig von einer strengeren oder liberaleren Ansicht wird in den Literaturmeinungen einhellig (und wohl unbestritten) vertreten, dass das Unmittelbarkeitsgebot im Rahmen von Notfällen oder Erste-Hilfe-Behandlungen keine Bedeutung erlangen kann.* Als Notfälle und Erste-Hilfe-Behandlungen sind solche Konstellationen zu verstehen, in denen bei Unterbleiben der ärztlichen Behandlung eine schwerwiegende Gefährdung der Gesundheit oder gar Lebensgefahr bestünde. Bei derartigen medizinischen Notstandssituationen kommt man im Rahmen einer Rechtsgüterabwägung zu dem Ergebnis, dass die Gesundheit der Patienten über die Qualitätssicherungs-, Schutz- und Kontrollfunktionen des Unmittelbarkeitsgebots zu stellen sind und eine Gleichbehandlung mit regulären Fallgruppen sachlich nicht zu rechtfertigen wäre.* Da aber auch solche Notfallbehandlungen grundsätzlich dem Wortlaut des § 49 Abs 2 ÄrzteG unterliegen, ist bei derartigen Sachverhalten eine teleologische Reduktion geboten.

Medizinische Notfälle sind aber nicht mit der mangelnden Verfügbarkeit bestimmter Leistungen gleichzusetzen. Nur für erstere lässt sich eine Ausnahme vom Unmittelbarkeitsgebot rechtfertigen.*

4.7.
Ausschließlichkeit

Aus oben genannten Gründen lässt sich an einem örtlichen Mindestmaß iS einer Behandlung unter dem Eindruck der persönlichen Untersuchung als Voraussetzung für die Erfüllung des Unmittelbarkeitsbegriffs nicht rütteln. Nicht ganz so klar ist hingegen, unter welchen dogmatischen Überlegungen der hA zu folgen ist, die eine nicht ausschließliche Fernbehandlung für zulässig erklärt. Damit ist wohl gemeint, dass es nicht dem Unmittelbarkeitsgrundsatz widerspricht, wenn einzelne Behandlungsschritte von der Anamnese und Diagnose über die Medikation bis hin zur Therapieabwicklung und Kontrolle nicht unter der örtlichen Anwesenheit des Arztes durchgeführt werden, solange die Behandlung nicht ausschließlich aus der Distanz erfolgt.

Eine derartige Einschätzung ist mE dogmatisch wohl nur dann möglich, wenn die geforderte Unmittelbarkeit mit einer bestimmten zeitlichen Komponente in Bezug gebracht wird. Als Betrachtungszeitraum kommen dabei entweder eine konkrete Erkrankung oder ein anderes Ereignis des Patienten oder gar die allgemeine Arzt-/Patientenbeziehung in Betracht. Es stellt sich maW die Frage: Muss sich der Arzt innerhalb eines bestimmten Ereignisses (Krankheit, Gebrechen) einen persönlichen Eindruck durch eine unmittelbare Untersuchung am Patienten verschafft haben oder genügt es, wenn im Rahmen der Arzt-/Patientenbeziehung ein unmittelbarer Kontakt stattgefunden hat und der Arzt den Patienten bereits (mehr oder weniger) kennt?

Dem Vorschlag, dass nicht jeder Behandlungsschritt unmittelbar unter der örtlichen Anwesenheit des Arztes durchgeführt werden muss, kann gerade im Hinblick auf den teleologischen Gesichtspunkt der Fünf-Sinne-Diagnostik Einiges abgewonnen werden. Demnach ist zumindest ein Mindestmaß an persönlichem Kontakt zwischen Arzt und Patient pro Anlassfall notwendig, um die Patientensicherheit weiterhin umfassend zu wahren und die Schutz- und Kontrollfunktion zu erhalten. Fand also bereits eine unmittelbare Untersuchung durch den Arzt statt und wurden weitere Telefongespräche oder gar Videotelefongespräche zur weiteren Abklärung oder Veränderung vereinbart, so wäre dies mE durchaus rechtmäßig und zulässig.

Gerade die bereits vorgebrachten systematischen Argumente, dass der Gesetzgeber Telerehabilitation und andere telefonische und elektronische telemedizinische Kontakte und Behandlungsinstrumente ausdrücklich für zulässig erklärt, spricht dafür, dass dieser das Unmittelbarkeitsgebot nicht derart streng vor Augen hatte, dass jeder Tätigkeitsschritt unmittelbar vor Ort erbracht werden müsste. Vielmehr ging es ihm gerade im Rahmen der Telerehabilitation darum, unterstützende und begleitende Maßnahmen auch ortsungebunden durchführen zu können.*

Freilich ist darauf hinzuweisen, dass diese Interpretation keinesfalls dazu führen darf, dass pro forma Untersuchungen im Glauben durchgeführt werden, dass dann alle weiteren Behandlungsschritte ohne weitere Einschränkung auch aus der Ferne zulässig wären. Im Rahmen eines konkreten Ereignisses können sich immer wieder Phasen ergeben, in denen weitere untermittelbare Kontakte notwendig sind.

Auch die in der Literatur verwendeten Beispiele zulässiger ärztlicher Tätigkeiten bei dem Arzt bekannten Patienten lassen auf eine weite Interpretation schließen.* Demnach wird nicht auf eine einzelne Krankheit oder ein einzelnes Gebrechen (Ereignisse) abgestellt, sondern auf die Arzt-/ Patientenbeziehung selbst. Diese Arzt-/Patientenbeziehung muss ein Mindestmaß an Unmittelbarkeit erfüllen.*213 Für mich sprechen die besseren Argumente hingegen dafür, auf das jeweilige Ereignis als Bezugszeitraum abzustellen, innerhalb dessen der Arzt sich auch einen persönlichen Eindruck durch eine unmittelbare Untersuchung am Patienten verschafft haben muss. Besonders teleologische Argumente, insb die Fünf-Sinne-Diagnostik, sollte bei jedem Ereignis neu vorgenommen werden, da ältere Eindrücke für die Behandlung aktueller Krankheiten oft nicht von Bedeutung sein können.

Der Unmittelbarkeitsgrundsatz ist demnach auch dann erfüllt, wenn zumindest einzelne Behandlungsschritte (wohl insb im Stadium der Diagnose) unter dem Eindruck der persönlichen Untersuchung durchgeführt werden.

Der Wortlaut des § 49 Abs 2 ÄrzteG selbst spricht dabei ganz allgemein vom unbestimmten Begriff der Berufsausübung. Der obigen Argumentation müsste freilich entgegengehalten werden, dass bei der berufsrechtlichen Anforderung der persönlichen Leistungserbringung sehr wohl auf jeden einzelnen Tätigkeitsschritt abgestellt wird.* Aufgrund der aufgezeigten Argumente scheint mir aber eine differenzierte Auslegung angebracht.

4.8.
VO der Ärztekammer

Schließlich soll an dieser Stelle noch die VO „Arzt und Öffentlichkeit“* der Österreichischen Ärztekammer angesprochen werden. Darin wird in § 5 Abs 3 leg cit festgehalten, dass in Medien abgegebene individuelle Diagnosestellungen und Therapieanweisungen unzulässig sind.*

Bislang wurde diese Bestimmung teilweise so interpretiert, dass virtuelle Ordinationsräume oder andere Kommunikationskanäle (wie Whatsapp oder Skype) Medien iSd § 5 Abs 3 leg cit seien und deshalb dort keine Diagnosen gestellt bzw Therapieanweisungen gegeben werden dürfen.*

Dies ist unzutreffend. Grundlage der VO ist die gesetzliche Ermächtigung in § 53 Abs 4 ÄrzteG. § 53 ÄrzteG hat grundsätzlich Werbebeschränkungen und ein Provisionsverbot zum Inhalt. Zutreffend hat Raschhofer hier bereits kompetenzrechtliche Einwände vorgebracht. Stellt ein Arzt in einem Massenmedium eine Diagnose, so ist diese nicht nur für den Patienten, sondern auch für das gesamte Publikum wahrnehmbar. Insofern hat die Äußerung auch werbenden Charakter und fällt in den sachlichen Anwendungsbereich des § 53 ÄrzteG.* Nur derartige Tätigkeiten und Äußerungen kann die Ärztekammer im Verordnungsweg verbieten. Sie ist allerdings nicht berechtigt, nähere Bestimmungen zur Unmittelbarkeit der Leistungserbringung zu definieren. Diese sind ausschließlich dem einfachen Gesetzgeber vorbehalten. Im Übrigen ist auf den Stufenbau der Rechtsordnung hinzuweisen, weshalb die VO jedenfalls gesetzeskonform auszulegen wäre.*

5.
Conclusio

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich die Diskussion in der Literatur mittlerweile auf die Frage beschränkt, ob eine ausschließliche Fernbehandlung zulässig ist oder nicht.

Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass der Unmittelbarkeitsgrundsatz de lege lata eine örtliche Komponente iS eines Tätigwerdens unter dem Eindruck der persönlichen Untersuchung zur Grundlage hat. Dafür genügt es aber, wenn im Rahmen eines konkreten Ereignisses (etwa einer Krankheit oder eines Gebrechens etc) eine persönliche Untersuchung durch den anwesenden Arzt stattgefunden hat.

Aufgrund der neuen technischen Möglichkeiten durch die fortschreitende Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie kann de lege ferenda an eine Aufweichung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes gedacht werden. Dies ist allerdings Aufgabe des Gesetzgebers. Dass Telemedizin mehr kann als sie darf, ist deshalb nicht neu. Das ist schon seit langer Zeit so.*214