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Arbeitszeitaufzeichnungen als unionsrechtliche Pflicht

DIANANIKSOVA (WIEN)
Art 3, 5, 6, 16 und 22 RL 2003/88; Art 31 Abs 2 GRC; § 26 AZG
EuGH 14.5.2019 C-55/18CCOO/Deutsche Bank
  1. Das Recht eines jeden AN auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit sowie auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten ist nicht nur eine Regel des Sozialrechts der Union, die besondere Bedeutung hat, sondern auch in Art 31 Abs 2 GRC ausdrücklich verbürgt. Die Bestimmungen der Arbeitszeit-RL 2003/88, insb ihre Art 3, 5 und 6, konkretisieren dieses Grundrecht und sind daher in dessen Licht auszulegen.

  2. Um die praktische Wirksamkeit der von der Arbeitszeit-RL vorgesehenen Rechte und des in Art 31 Abs 2 GRC verankerten Grundrechts zu gewährleisten, müssen die Mitgliedstaaten die AG verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die tägliche Arbeitszeit der AN gemessen werden kann.

[...]

19 [...] Die CCOO, eine AN-Vereinigung, die Teil einer bedeutenden Gewerkschaft auf nationaler Ebene in Spanien ist, erhob gegen die Deutsche Bank vor der Audiencia Nacional (Nationaler Gerichtshof, Spanien) eine Verbandsklage; mit dieser Klage begehrte sie die Feststellung, dass die Deutsche Bank [...] verpflichtet sei, ein System zur Erfassung der von ihren Mitarbeitern geleisteten täglichen Arbeitszeit einzurichten, mit dem die Einhaltung zum einen der vorgesehenen Arbeitszeit und zum anderen der Verpflichtung, die Gewerkschaftsvertreter über die monatlich geleisteten Überstunden zu unterrichten, überprüft werden könne.

20 Nach Auffassung der CCOO ergibt sich die Verpflichtung zur Einrichtung eines solchen Erfassungssystems aus den Art 34 und 35 des AN-Statuts in ihrer Auslegung im Licht von Art 31 Abs 2 GRC, der Art 3, 5, 6 und 22 der RL 2003/88 sowie der von der Internationalen Arbeitsorganisation am 28.11.1919 in Washington bzw am 28.6.1930 in Genf angenommenen Übereinkommen Nr 1 über die Arbeitszeit (Gewerbe) und Nr 30 über die Arbeitszeit (Handel und Büros).

21 Die Deutsche Bank macht dagegen geltend, den Urteilen Nr 246/2017 und Nr 338/2017 des Tribunal Supremo (Oberstes Gericht, Spanien) lasse sich entnehmen, dass das spanische Recht keine solche allgemeingültige Verpflichtung vorsehe.

[...]

28 Unter diesen Umständen hat die Audiencia Nacional beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

  1. Ist davon auszugehen, dass das Königreich Spanien durch die Art 34 und 35 des AN-Statuts nach ihrer Auslegung in der Rsp die erforderlichen Maßnahmen erlassen hat, um die Wirksamkeit der Grenzen für die Dauer der täglichen Arbeitszeit sowie der wöchentlichen und täglichen Ruhezeiten, die in den Art 3, 5 und 6 der RL 2003/88 vorgesehen sind, für Vollzeit-AN zu gewährleisten, die sich nicht ausdrücklich individuell oder kollektiv zur Ableistung von Überstunden verpflichtet haben und die keine mobilen AN, AN in der Handelsmarine oder AN im Eisenbahnsektor sind?

  2. Sind Art 31 Abs 2 GRC sowie die Art 3, 5, 6, 16 und 22 der RL 2003/88 iVm Art 4 Abs 1, Art 11 Abs 3 und Art 16 Abs 3 der RL 89/391 dahin auszulegen, dass sie innerstaatlichen Rechtsvorschriften wie den Art 34 und 35 des AN-Statuts entgegenstehen, aus denen nach gefestigter Rsp nicht abzuleiten ist, dass von den Unternehmen verlangt werden kann, ein System zur Erfassung der täglichen effektiven Arbeitszeit für Vollzeit-AN einzuführen, die sich nicht ausdrücklich individuell oder kollektiv zur Ableistung von Überstunden 236 verpflichtet haben und die keine mobilen AN, AN in der Handelsmarine oder AN im Eisenbahnsektor sind?

  3. Ist davon auszugehen, dass der den Mitgliedstaaten durch Art 31 Abs 2 GRC sowie die Art 3, 5, 6, 16 und 22 der RL 2003/88 iVm Art 4 Abs 1, Art 11 Abs 3 und Art 16 Abs 3 der RL 89/391 auferlegten Verpflichtung, die Dauer der Arbeitszeit aller AN allgemein zu begrenzen, für gewöhnliche AN durch die innerstaatlichen Rechtsvorschriften in den Art 34 und 35 des AN-Statuts Genüge getan wird, aus denen nach gefestigter Rsp nicht abzuleiten ist, dass von den Unternehmen verlangt werden kann, ein System zur Erfassung der täglichen effektiven Arbeitszeit für Vollzeit-AN einzuführen, die sich nicht ausdrücklich individuell oder kollektiv zur Ableistung von Überstunden verpflichtet haben, im Unterschied zu mobilen AN, AN in der Handelsmarine und AN im Eisenbahnsektor?

Zu den Vorlagefragen

29 Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art 3, 5, 6, 16 und 22 der RL 2003/88 iVm Art 4 Abs 1, Art 11 Abs 3 und Art 16 Abs 3 der RL 89/391 sowie Art 31 Abs 2 GRC dahin auszulegen sind, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die nach ihrer Auslegung durch die nationalen Gerichte die AG nicht verpflichtet, ein System einzurichten, mit dem die von einem jeden AN geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.

30 Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass das Recht eines jeden AN auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten nicht nur eine Regel des Sozialrechts der Union ist, die besondere Bedeutung hat, sondern auch in Art 31 Abs 2 GRC, der nach Art 6 Abs 1 EUV der gleiche rechtliche Rang wie den Verträgen zukommt, ausdrücklich verbürgt ist (vgl idS Urteile Pfeiffer ua, C-397/01 bis C-403/01, Rn 100; Max-Planck-Gesellschaft, C-684/16, Rn 20).

31 Die Bestimmungen der RL 2003/88, insb ihre Art 3, 5 und 6, konkretisieren dieses Grundrecht und sind daher in dessen Licht auszulegen (vgl idS Urteile A, C-112/13, Rn 51 mwN; Bauer, C-569/16 und C-570/16, Rn 85).

32 Um sicherzustellen, dass dieses Grundrecht beachtet wird, dürfen die Bestimmungen der RL 2003/88 insb nicht auf Kosten der Rechte, die dem AN nach dieser RL zustehen, restriktiv ausgelegt werden (vgl Bauer, C-569/16 und C-570/16, Rn 38 mwN).

33 Unter diesen Umständen ist zur Beantwortung der vorgelegten Fragen diese RL unter Beachtung der Bedeutung des Grundrechts eines jeden AN auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten auszulegen.

[...]

41 Die Art 3 und 5 sowie Art 6 lit b der RL 2003/88 legen zwar nicht die konkreten Maßnahmen fest, mit denen die Mitgliedstaaten die Umsetzung der in ihnen vorgesehenen Rechte sicherstellen müssen. Wie sich bereits aus ihrem Wortlaut ergibt, überlassen diese Bestimmungen es den Mitgliedstaaten, diese Maßnahmen zu ergreifen, indem sie die insoweit „erforderlichen Maßnahmen“ treffen (vgl idS Urteil BECTU, C-173/99, Rn 55).

42 Auch wenn die Mitgliedstaaten daher zu diesem Zweck über einen gewissen Spielraum verfügen, müssen sie angesichts des von der RL 2003/88 verfolgten wesentlichen Ziels, einen wirksamen Schutz der Lebens- und Arbeitsbedingungen der AN sowie einen besseren Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der AN zu gewährleisten, sicherstellen, dass die praktische Wirksamkeit dieser Rechte in vollem Umfang gewährleistet wird, indem ihnen tatsächlich die täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten und die Obergrenze für die durchschnittliche wöchentliche Höchstarbeitszeit, die in dieser RL festgesetzt sind, zugutekommen (vgl idS Urteile Dellas ua, C-14/04, Rn 53; Kommission/Vereinigtes Königreich, C-484/04, Rn 39 und 40; Fuß, C-243/09, Rn 64).

43 Daraus folgt, dass die von den Mitgliedstaaten festgelegten Modalitäten zur Sicherstellung der Umsetzung der Bestimmungen der RL 2003/88 nicht zu einer Aushöhlung der in Art 31 Abs 2 GRC und den Art 3 und 5 sowie Art 6 lit b dieser RL verankerten Rechte führen dürfen (vgl idS Kommission/Vereinigtes Königreich, C-484/04, Rn 44).

44 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der AN als die schwächere Partei des Arbeitsvertrags anzusehen ist, so dass verhindert werden muss, dass der AG ihm eine Beschränkung seiner Rechte auferlegen kann (Urteile Pfeiffer ua, C-397/01 bis C-403/01, Rn 82; Fuß, C-429/09, Rn 80; Max-Planck-Gesellschaft, C-684/16, Rn 41).

45 Ebenso ist festzustellen, dass ein AN aufgrund dieser schwächeren Position davon abgeschreckt werden kann, seine Rechte gegenüber seinem AG ausdrücklich geltend zu machen, da insb die Einforderung dieser Rechte ihn Maßnahmen des AG aussetzen könnte, die sich zu seinem Nachteil auf das Arbeitsverhältnis auswirken können (vgl idS Urteile Fuß, C-429/09, Rn 81; Max-Planck-Gesellschaft, C-684/16, Rn 41).

[...]

48 Unter diesen Umständen erscheint es für die AN äußerst schwierig oder gar praktisch unmöglich, die ihnen durch Art 31 Abs 2 GRC und die RL 2003/88 verliehenen Rechte durchzusetzen, um tatsächlich in den Genuss der Begrenzung der wöchentlichen Arbeitszeit sowie der [...] täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten zu kommen.

[...]

50 Da die Mitgliedstaaten [...] zur Gewährleistung der vollen Wirksamkeit der RL 2003/88 alle erforderlichen Maßnahmen treffen müssen, um die Beachtung der Mindestruhezeiten zu gewährleisten und jede Überschreitung der wöchentlichen Arbeitszeit zu verhindern, ist eine nationale Regelung, die keine Verpflichtung vorsieht, von einem Instrument Gebrauch zu machen, mit dem die Zahl der täglichen und wöchentlichen Arbeitsstunden objektiv und verlässlich festgestellt werden kann, [...] nicht geeignet, die praktische Wirksamkeit der von Art 31 Abs 2 GRC und von dieser RL verliehenen Rechte sicherzustellen, da weder die AG noch die AN überprüfen können, ob diese Rechte 237 beachtet werden, wodurch sie das Ziel dieser RL [...], einen besseren Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der AN sicherzustellen, gefährden kann.

[...]

52 Diese Schwierigkeit wird nicht dadurch behoben, dass die AG in Spanien [...] ein System zur Erfassung der Überstunden einrichten müssen, die von AN geleistet werden, die sich dazu bereit erklärt haben. Die Einstufung als „Überstunden“ setzt nämlich voraus, dass die Dauer der von dem jeweiligen AN geleisteten Arbeitszeit bekannt ist und somit zuvor gemessen wurde. Die Verpflichtung, nur die geleisteten Überstunden zu erfassen, bietet den AN daher kein wirksames Mittel, mit dem zum einen gewährleistet werden kann, dass die von der RL 2003/88 festgelegte wöchentliche Höchstarbeitszeit, die die Überstunden einschließt, nicht überschritten wird, und zum anderen, dass die in dieser RL vorgesehenen täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten in jedem Fall eingehalten werden. In jedem Fall kann mit dieser Verpflichtung nicht das Fehlen eines Systems kompensiert werden, das für die AN, die der Leistung von Überstunden nicht zugestimmt haben, die tatsächliche Beachtung der Regeln ua über die wöchentliche Höchstarbeitszeit gewährleisten könnte.

53 [...] zwar kann ein AN, wenn es an einem System, mit dem die Arbeitszeit gemessen werden kann, fehlt, nach den spanischen Verfahrensvorschriften von anderen Beweismitteln, wie ua Zeugenaussagen, der Vorlage von E-Mails oder der Untersuchung von Mobiltelefonen oder Computern, Gebrauch machen, um Anhaltspunkte für eine Verletzung dieser Rechte beizubringen und so eine Beweislastumkehr zu bewirken.

54 Anders als durch ein System, mit dem die täglich geleistete Arbeitszeit gemessen wird, kann mit solchen Beweismitteln jedoch nicht objektiv und verlässlich die Zahl der von dem AN täglich oder wöchentlich geleisteten Arbeitszeit festgestellt werden.

55 Insb ist darauf hinzuweisen, dass aufgrund der schwächeren Position des AN in einem Arbeitsverhältnis der Zeugenbeweis allein nicht als wirksames Beweismittel angesehen werden kann, mit dem eine tatsächliche Beachtung der in Rede stehenden Rechte gewährleistet werden kann, da die AN möglicherweise zögern, gegen ihren AG auszusagen, weil sie befürchten, dass dieser Maßnahmen ergreift, durch die das Arbeitsverhältnis zu ihren Ungunsten beeinflusst werden könnte.

[...]

57 Es kann auch nicht angenommen werden, dass die Schwierigkeiten aufgrund des Umstands, dass ein System, mit dem die von einem jeden AN geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann, fehlt, durch die Ermittlungs- und Sanktionsbefugnisse, die den Kontrollorganen wie der Arbeitsinspektion nach innerstaatlichem Recht verliehen werden, abgemildert werden können. Ohne ein solches System haben diese Behörden nämlich kein wirksames Mittel, sich den Zugang zu objektiven und verlässlichen Daten über die von den AN in den einzelnen Unternehmen geleistete Arbeitszeit zu verschaffen, der sich für die Ausübung ihres Kontrollauftrags und gegebenenfalls zur Verhängung einer Strafe als erforderlich erweisen kann (vgl idS Urteil Worten, C-342/12, Rn 37 mwN).

[...]

60 Um die praktische Wirksamkeit der von der RL 2003/88 vorgesehenen Rechte und des in Art 31 Abs 2 GRC verankerten Grundrechts zu gewähr leisten, müssen die Mitgliedstaaten die AG daher verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von einem jeden AN geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.

61 Dieses Ergebnis wird durch die Bestimmungen der RL 89/391 bestätigt.

[...].

63 Doch obliegt es [...] den Mitgliedstaaten, im Rahmen des ihnen insoweit eröffneten Spielraums, die konkreten Modalitäten zur Umsetzung eines solchen Systems, insb dessen Form, festzulegen, und zwar gegebenenfalls unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereichs, sogar der Eigenheiten bestimmter Unternehmen, namentlich ihrer Größe [...].

64 Die vorangehenden Erwägungen können nicht dadurch entkräftet werden, dass bestimmte Sondervorschriften des Unionsrechts im Transportbereich [...] ausdrücklich die Verpflichtung zur Erfassung der Arbeitszeit der diesen Vorschriften unterliegenden AN vorsehen. [...]

65 Auch wenn das Bestehen eines Bedürfnisses nach besonderem Schutz den Unionsgesetzgeber veranlassen konnte, eine solche Verpflichtung bezüglich bestimmter AN-Gruppen vorzusehen, ist nämlich eine ähnliche Verpflichtung, die in der Einrichtung eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems besteht, mit dem die von einem jeden AN geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann, allgemeiner für alle AN erforderlich, um die praktische Wirksamkeit der RL 2003/88 zu gewährleisten und der Bedeutung des in Art 31 Abs 2 GRC verankerten Grundrechts [...] Rechnung zu tragen.

66 Was im Übrigen die [...] Kosten betrifft, die mit einem solchen System für die AG verbunden sein könnten, ist darauf hinzuweisen, dass, wie sich aus dem vierten ErwGr der RL 2003/88 ergibt, der wirksame Schutz der Sicherheit und der AN-Gesundheit nicht rein wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet werden darf (vgl idS Urteile BECTU, C-173/99, Rn 9; Jaeger, C-151/02, Rn 66 und 67).

[...]

71 Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass die Art 3, 5 und 6 der RL 2003/88 im Licht von Art 31 Abs 2 GRC sowie von Art 4 Abs 1, Art 11 Abs 3 und Art 16 Abs 3 der RL 89/391 dahin auszulegen sind, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die nach ihrer Auslegung durch die nationalen Gerichte die AG nicht verpflichtet, ein System einzurichten, mit dem die von einem jeden AN geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. 238

ANMERKUNG

1.
Einleitung

Gem Art 3, 5 und 6 der Arbeitszeit-RL 2003/88 sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die tägliche Ruhezeit von elf Stunden, die wöchentliche Ruhezeit von 35 (24+11) Stunden und die durchschnittliche wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden einzuhalten. Obgleich weder die Vorschriften noch die Erwägungsgründe der Arbeitszeit-RL dem Wortlaut nach eine ausdrückliche Pflicht zur Arbeitszeiterfassung vorsehen, leitet der EuGH in der vorliegenden E eine solche aus dem Unionsrecht ab. Die Mitgliedstaaten sind dem EuGH zufolge verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die AG ein objektives, verlässliches und zugängliches System einrichten, mit dem die tägliche Arbeitszeit der AN gemessen werden kann. Andernfalls könne die praktische Wirksamkeit der von der Arbeitszeit-RL verliehenen Rechte nicht sichergestellt werden. Die E hat insb in den Mitgliedstaaten, die – anders als Österreich – keine umfassende Pflicht zur Arbeitszeiterfassung vorsehen, wie etwa Deutschland oder Spanien, für großen medialen Aufruhr gesorgt. Kritisiert wurde vor allem, der EuGH hätte seine Kompetenzen überschritten, weil sich in der Arbeitszeit- RL keine Anhaltspunkte für eine solche Arbeitszeiterfassungspflicht finden lassen. Aus diesem Grund soll in diesem Beitrag zunächst untersucht werden, wie der EuGH die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung methodisch begründet hat (Pkt 2). Danach wird auf die unionsrechtlichen Anforderungen an ein solches Arbeitszeiterfassungssystem näher eingegangen (Pkt 3), um in Folge die Auswirkungen auf die österreichische Rechtslage zu beleuchten (Pkt 4). Zuletzt wird analysiert, wie mit unionsrechtswidrigen Bestimmungen, die der nationale Gesetzgeber (noch) nicht repariert hat, umzugehen ist: Wirkt die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung auch im horizontalen Verhältnis zwischen AG und AN (Pkt 5)?

2.
Methodik
2.1.
Grundrechtliche Verankerung in Art 31 Abs 2 GRC

Der EuGH sieht in der Begrenzung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit und den täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten eine besonders wichtige „Regel des Sozialrechts der Union“, die zudem in Art 31 Abs 2 GRC verankert sei. Die Arbeitszeit-RL konkretisiere das in Art 31 Abs 2 GRC verankerte Grundrecht auf Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten und sei daher in dessen Licht auszulegen. Um sicherzustellen, dass das Grundrecht beachtet werde, dürfen die Bestimmungen der Arbeitszeit-RL dem EuGH zufolge nicht auf Kosten der AN-Rechte restriktiv ausgelegt werden (Rn 30 ff). Indem der EuGH die Vorschriften der Arbeitszeit-RL mit Art 31 Abs 2 GRC verknüpft, schafft er sich daher eine Ausgangsbasis, um das in der Arbeitszeit-RL verbriefte Recht auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit sowie auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten weit auszulegen (Latzel, EuZA 2019, 469 [471]). Der Gerichtshof bleibt deshalb nicht beim Wortlaut der Arbeitszeit-RL stehen, sondern liest in Art 3, 5 und 6 Arbeitszeit-RL auch eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung hinein. Seine methodische Begründung dafür: effet utile. Denn ohne ein System zur Arbeitszeiterfassung wäre es für AN, die als die schwächere Partei des Arbeitsvertrags anzusehen seien, „äußert schwierig“ oder „gar praktisch unmöglich“, die ihnen in Art 31 Abs 2 GRC und der Arbeitszeit-RL verliehenen Rechte durchzusetzen (Rn 44, 48); ein solches System sei daher erforderlich, um die praktische Wirksamkeit der Arbeitszeit-RL zu gewährleisten und der Bedeutung des in Art 31 Abs 2 GRC verankerten Grundrechts Rechnung zu tragen (Rn 65). Ulber spricht idZ von „Effet utile durch expansive Auslegung“ (NZA 2019, 677 [678]); andere Autoren gehen sogar von „extensiv betriebener Rechtsfortbildung“ aus (zB Niederfriniger, JAS 2019, 389 [399]).

2.2.
Effet utile

Es ist nicht die erste E, in der dem EuGH vorgeworfen wird, durch die Argumentationsfigur des effet utile Rechtsfortbildung zu betreiben. Da der Wortlaut der Arbeitszeit-RL keine Anhaltspunkte für eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung biete, lasse sich eine solche, so ein Teil der Literatur, de lege lata aus dem Unionsrecht nicht ableiten. Vielmehr müsste dazu die Arbeitszeit-RL novelliert werden (Niederfriniger, JAS 2019, 389 [399]; kritisch auch Bayreuther, EuZW 2019, 446 [447]; aAKlein/Leist, ZESAR 2019, 365 [366]).

Der EuGH sieht das freilich anders. Wie er bereits in früheren Entscheidungen häufig betont hat, müssen die Mitgliedstaaten nicht nur formal die Vorgaben einer RL umsetzen, sondern auch die „praktische Wirksamkeit“ oder – gleichbedeutend – „volle Wirksamkeit“ der Rechte aus der RL gewährleisten (Potacs, EuR 2009, 465 [467]; Seyr, Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH [2008] 290 ff; siehe dazu auch Thüsing/Flink/Jänsch, ZFA 2019, 456 [459 f]). Auch in der vorliegenden E stützt sich der EuGH mE zu Recht auf das effet utile-Argument und verlangt, dass die praktische Wirksamkeit der in der Arbeitszeit-RL verbrieften Rechte in vollem Umfang gewährleistet wird (Rn 42); von unzulässiger Rechtsfortbildung ist hier nicht auszugehen (allgemein zur Grenze zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung im Unionsrecht siehe Rebhahn in Klang3, Nach §§ 6, 7 ABGB, Rz 22 ff).

Fraglich ist jedoch, ob die Mitgliedstaaten aufgrund des effet utile-Grundsatzes zur geeigneten Umsetzung einer RL verpflichtet sind oder ob sie das am besten geeignete Mittel wählen müssen (ausführlich dazu Höpfner/Daum, RdA 2019, 270 [272 ff]). Es ist wohl unumstritten, dass die Arbeitszeiterfassung am besten geeignet ist, die praktische Wirksamkeit der Rechte aus der Arbeitszeit- RL zu gewährleisten. Was aber, wenn neben der 239 Arbeitszeiterfassung andere Mittel existieren, die auch geeignet wären – wenngleich weniger geeignet als die Arbeitszeiterfassung –, die praktische Wirksamkeit der Rechte aus der Arbeitszeit-RL zu gewährleisten? Höpfner/Daum (RdA 2019, 270 [272 ff]) schlagen etwa eine abgestufte Darlegungs- und Beweislastumkehr vor, wie sie auch aus dem Gleichbehandlungsrecht bekannt sei.

Die Rsp des EuGH ist zu dieser Frage nicht einheitlich. Höpfner/Daum (RdA 2019, 270 [272 ff]) weisen treffend darauf hin, dass der Gerichtshof in einigen Entscheidungen betont, es genüge, wenn die Maßnahme zur Erreichung des Ziels geeignet sei (zB EuGH 17.12.2015, C-407/14, Camacho, Rn 30 mwN), während er in anderen Entscheidungen verlangt, dass die Mitgliedstaaten Formen und Mittel wählen, die für die Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit der Richtlinien am besten geeignet seien (zB EuGH 4.7.2006, C-212/04, Adelener, Rn 93 mwN). In der vorliegenden E musste der EuGH diese Frage nicht abschließend klären, weil er keine der Alternativen, die vorgeschlagen worden sind, für geeignet hält: Weder genüge ein System, in dem nur die geleisteten Überstunden erfasst würden (Rn 52), noch sei es ausreichend, dass ein AN von anderen Beweismitteln, wie etwa Zeugenaussagen, der Vorlage von E-Mails oder der Untersuchung von Mobiltelefonen oder Computern, Gebrauch machen und so eine Beweislastumkehr bewirken könne. Denn mit solchen Beweismitteln könne nicht objektiv und verlässlich die Zahl der vom AN geleisteten Arbeitszeit festgestellt werden. Zudem sei der Zeugenbeweis allein aufgrund der schwächeren Position des AN nicht als wirksames Beweismittel anzusehen, um die Rechte der Arbeitszeit-RL durchzusetzen. Denn AN könnten aufgrund ihrer schwächeren Position zögern, gegen ihren AG auszusagen (Rn 53 ff). Zu betonen ist, dass dieser Gedanke – AN hätten aufgrund ihrer schwächeren Position besondere Beweis- und Durchsetzungsschwierigkeiten – weit über diese E hinaus Bedeutung erlangen und vom EuGH in Zukunft auch bei der Auslegung von anderen arbeitsrechtlichen Unionsrechtsakten herangezogen werden könnte. Schließlich genügt es dem EuGH zufolge auch nicht, dass Kontrollorganen wie der Arbeitsinspektion Ermittlungs- und Sanktionsbefugnisse nach innerstaatlichem Recht zukommen. Denn auch die Behörden würden zur wirksamen Kontrollausübung Systeme zur Arbeitszeiterfassung benötigen (Rn 57). Damit lehnt der EuGH alle vorgeschlagenen Alternativen ab und verlangt ausdrücklich die Einrichtung eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems, mit dem die tägliche Arbeitszeit der AN gemessen werden kann.

Argumente, die gegen eine Pflicht zur Arbeitszeitaufzeichnung sprechen könnten, überzeugen den EuGH nicht. So stehen nach Ansicht des Gerichtshofs bestimmte Sondervorschriften, etwa im Transportbereich oder in der Binnenschifffahrt, die ausdrücklich Arbeitszeiterfassungspflichten vorsehen, einer allgemeinen Arbeitszeiterfassungspflicht nicht entgegen (Rn 64 f). An dieser Stelle hätte man sich eine genauere Begründung durch den EuGH erwartet, scheint doch nicht nur der Wortlaut, sondern auch die Systematik gegen eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung zu sprechen (siehe dazu auch Latzel, EuZA 2019, 469 [474]). Zudem handelt es sich um eine durchaus relevante Frage, deren Bedeutung weit über diese E hinausreicht: Inwieweit ist innerhalb des EU-Rechts überhaupt eine Systembildung möglich? Immerhin scheint der EuGH aber in einem Bereich mit hoher Regelungsdichte ein systematisches Argument zumindest dem Grunde nach als zulässig anzuerkennen (zur systematischen Auslegung im Unionsrecht siehe Rebhahn in Klang3, Nach §§ 6, 7 ABGB Rz 59 ff). Angemerkt sei, dass sich der EuGH mit historischen Argumenten überhaupt nicht auseinandergesetzt hat. Dies überrascht jedoch nicht, weil der EuGH bei Auslegung des Unionsrechts nur selten die historische Auslegung berücksichtigt, wenngleich er dieser im Sekundärrecht in der Regel eine größere Bedeutung beimisst als im Primärrecht (Rebhahn in Klang3, Nach §§ 6, 7 ABGB Rz 75 f). Schließlich überzeugen den EuGH auch nicht Kostenerwägungen auf AG-Seite. Zwar nimmt der EuGH keine Abwägung zwischen Art 31 Abs 2 GRC einerseits und der unternehmerischen Freiheit iSd Art 16 GRC andererseits vor. Der Gerichtshof betont jedoch, dass der wirksame Schutz der Sicherheit und der AN-Gesundheit nicht rein wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet werden dürfe (Rn 66; ErwGr 4 Arbeitszeit-RL). Im Rahmen des ihnen eröffneten Spielraums könnten aber die Mitgliedstaaten bei den konkreten Modalitäten zur Umsetzung eines solchen Systems, insb dessen Form, etwa durchaus die Größe eines Unternehmens oder die Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereichs berücksichtigen (Rn 63). Dh freilich nicht, dass Kleinunternehmen nicht verpflichtet wären, Arbeitszeitaufzeichnungen zu führen, doch kann bei der konkreten Ausgestaltung des Systems auf die Größe des Unternehmens Bezug genommen werden (Höpfner/Daum, RdA 2019, 270 [280]).

3.
Unionsrechtliche Anforderungen an ein Arbeitszeiterfassungssystem

Auch wenn die Mitgliedstaaten bei der konkreten Form des Arbeitszeiterfassungssystems einen Spielraum haben (Rn 63), müssen dem EuGH zufolge zur Gewährleistung der Ziele der Arbeitszeit-RL drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein. Das System, mit dem die tägliche Arbeitszeit der AN gemessen werden kann, muss 1) objektiv, 2) verlässlich und 3) zugänglich sein. Was unter diesen drei Begriffen zu verstehen ist, geht aus der E nicht eindeutig hervor; sie bietet aber zumindest einige Anhaltspunkte zur Konkretisierung der Termini.

3.1.
Objektivität

Mit Objektivität meint der EuGH wohl, dass das System ohne subjektive Einflüsse des AG oder des AN die tatsächliche Arbeitszeit erfassen soll (vgl Schrader, NZA 2019, 1035 [1038]; Niederfriniger, JAS 2019, 389 [401]; Thüsing/Flink/Jänsch, 240 ZFA 2019, 456 [465 f]). IdZ stellt sich insb die Frage, ob Systeme, bei denen die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung an den AN delegiert wird, das Kriterium der Objektivität erfüllen. In der Literatur wird das zum Teil verneint, weil vom AN vorgenommene Aufzeichnungen auf der subjektiven Einschätzung des AN basieren würden (Ulber, NZA 2019, 677 [678]). Diese Frage hat für das österreichische Recht besondere Bedeutung, weil im österreichischen Recht AG und AN gem § 26 Abs 2 AZG vereinbaren können, dass die Arbeitszeitaufzeichnungen vom AN zu führen sind; relevant ist das etwa bei der Gleitzeit. Der AG muss den AN in diesem Fall zur ordnungsgemäßen Führung der Aufzeichnungen anleiten; nach Ende der Gleitzeitperiode hat sich der AG die Aufzeichnungen aushändigen zu lassen und zu kontrollieren. Die Verantwortung für ein gesetzeskonformes Ergebnis bleibt also im österreichischen Recht auch bei der Delegation an den AN weiterhin beim AG (Pfeil in Auer-Mayer/Felten/Pfeil, AZG4 § 26 Rz 6; Schrank, AZG5 § 26 Rz 22; Heilegger in Gasteiger/Heilegger/Klein, AZG5 § 26 Rz 2 und Rz 7 ff). § 26 Abs 2 AZG ist mE auch nach der EuGH-E CCOO weiterhin unionsrechtskonform; das Kriterium der Objektivität steht § 26 Abs 2 AZG nicht entgegen. Denn wie Niederfriniger (JAS 2019, 389 [406]) richtig ausführt, lässt der EuGH bewusst offen, ob der AG oder der AN die Arbeitszeit aufzuzeichnen hat. In Rn 60 betont er zwar, die Mitgliedstaaten müssten die AG verpflichten, ein Arbeitszeitsystem einzuführen. Das bedeutet aber nicht, dass AG nicht ein System einrichten können, bei dem die AN die Aufzeichnungen führen. Der EuGH verlangt dabei nur, dass mit dem System die tägliche Arbeitszeit des AN gemessen werden kann, es also die Arbeitszeiterfassung ermöglicht („enabling“, „permettant“, „permita“). Auch vom AN aufgezeichnete Arbeitszeiten erfüllen daher mE das Kriterium der Objektivität, wenn AN die tatsächliche Arbeitszeit aufzeichnen und – so wie es im österreichischen Recht vorgesehen ist – die AG die AN zur Aufzeichnung der tatsächlichen Arbeitszeit anleiten, sich die Aufzeichnungen aushändigen lassen und diese kontrollieren müssen. Ohne Anleitung und Kontrolle durch den AG würden die Aufzeichnungen durch den AN den Anforderungen des EuGH jedoch nicht gerecht werden (Mazal, ecolex 2019, 656 [657]; Burger-Ehrhofer/Glowacka, ASoK 2019, 242 [246]; Wolf in Mazal/Risak [Hrsg], Das Arbeitsrecht – System und Praxiskommentar II, Kap XI Rz 149g). Zu beachten ist auch, dass in der Praxis bei bestimmten Tätigkeiten Arbeitszeitaufzeichnungen ohne Mitwirkung des AN gar nicht möglich wären (Ulber, NZA 2019, 677 [678]; Niederfriniger, JAS 2019, 389 [406]).

Das Kriterium der „Objektivität“ verlangt mE auch nicht, dass es sich zwingend um ein technisches System handeln muss und händisch vom AN ausgefüllte Listen unzulässig wären (siehe dazu auch Niederfrininger, JAS 2019, 389 [401]; Burger-Ehrnhofer/Glowacka, ASoK 2019, 242 [247]). Denn es kann wohl keinen Unterschied machen, ob der AN händisch eine Liste ausfüllt oder Daten selbst in ein EDV-System eingibt (Schrader, NZA 2019, 1035 [1038]). Ferner ist zu berücksichtigen, dass auch technische Systeme nicht gänzlich von subjektiven Einflüssen des AN frei sind, etwa die Frage, zu welchem Zeitpunkt der AN die Stechuhr aktiviert – vor oder nach dem Umziehen –, oder ob sich der AN ausstempelt und die Arbeit nach Hause mitnimmt (siehe dazu Höpfner/Daum, RdA 2019, 270 [278]). Händisch vom AN auszufüllende Listen sind daher mE nach wie vor unionsrechtskonform, wenn die AN die tatsächliche Arbeitszeit aufzeichnen, vom AG entsprechend dazu angeleitet werden und sich der AG die Aufzeichnungen aushändigen lassen und diese kontrollieren muss.

3.2.
Verlässlichkeit

Mit einem verlässlichen Arbeitszeiterfassungssystem ist ein manipulationssicheres System gemeint. Dabei ist allerdings zu beachten, dass in der Praxis ein absolut verlässliches System kaum möglich ist (Klein/Leist, ZESAR 2019, 365 [367 f]; Höpfner/Daum, RdA 2019, 270 [278]). Denn weder technische Systeme noch händisch ausgefüllte Listen sind zu 100 % verlässlich. Erfolgt die Erfassung der Arbeitszeit etwa über den Log-in am Computer, bedeutet das Einloggen am Computer noch nicht automatisch, dass der AN auch wirklich Arbeitsleistungen ausübt. Umgekehrt kann es sein, dass der AN den Computer abdreht, um ein Buch zu lesen, erforderliche Unterlagen zu durchsuchen oder einfach nachzudenken. Auch das ist eine Arbeitsleistung, die jedoch über den elektronischen Log-in nicht kontrolliert werden kann. Auch kann mit einem elektronischen System nicht verhindert werden, dass sich AN ausstempeln und zu Hause weiterarbeiten (Höpfner/Daum, RdA 2019, 270 [278]; siehe dazu auch Bayreuther, EuZW 2019, 446 [448 f]; Reinhard, NZA 2019, 1313 [1315]). Eine Gefahr für Manipulationen wird es daher wohl bei so gut wie jedem System zur Arbeitszeiterfassung geben. „Verlässlich“ bedeutet daher mE nicht, dass jede Manipulation ausgeschlossen sein muss. Es genügt, wenn der AG angemessene Vorkehrungen trifft, um Fälschungen und Manipulationen zu verhindern und zu vermeiden (vgl Schrader, NZA 2019, 1035 [1038 f]; Latzel, EuZA 2019, 469 [479]). Auch die Delegation an den AN erfüllt mE das Verlässlichkeitskriterium. Zwar mag die Delegation an den AN, der händisch Aufzeichnungen führt, fehleranfälliger und durch den AN leichter manipulierbar sein als ein technisches System; wenn der AG aber zur Anleitung der AN und zur Kontrolle der Aufzeichnungen verpflichtet ist, wie es im österreichischen Recht vorgesehen ist, genügt das mE den Anforderungen des EuGH.

3.3.
Zugänglichkeit

Zugänglich bedeutet, dass AG, AN, Aufsichtsbehörden sowie AN-Vertreter die Aufzeichnungen einsehen können müssen (Latzel, EuZA 2019, 469 [479]; Klein/Leist, ZESAR 2019, 365 [368]; Niederfriniger, JAS 2019, 389 [402]). AN benötigen den Zugang zu den Aufzeichnungen, um diese etwa als Beweismittel verwenden zu können. Der 241 EuGH unterstreicht idZ mehrmals die schwächere Position des AN und seine Beweisschwierigkeiten iZm Arbeitszeitaufzeichnungen (Niederfriniger, JAS 2019, 389 [402]; Klein/Leist, ZESAR 2019, 365 [368]; siehe im österreichischen Recht § 26 Abs 2 letzter Satz und Abs 8 AZG).

Ferner muss Aufsichtsbehörden, die die Einhaltung der Arbeitszeiten kontrollieren, Zugang zu den Aufzeichnungen gewährt werden. Ohne Arbeitszeitaufzeichnungen hätten die Behörden dem EuGH zufolge kein wirksames Mittel, sich den Zugang zu objektiven und verlässlichen Daten zu verschaffen (Rn 57; siehe dazu auch EuGH 30.5.2013, C-342/12, Worten, Rn 37; Klein/Leist, ZESAR 2019, 365 [368]; siehe im österreichischen Recht § 26 Abs 6 AZG).

Zuletzt müssen auch AN-Vertreter Zugang zu den Arbeitszeitaufzeichnungen haben. Denn der EuGH betont, dass AN-Vertreter ihr in Art 11 Abs 3 der Arbeitsschutzrahmen-RL 89/391 vorgesehenes Recht, den AG um geeignete Maßnahmen zu ersuchen und ihm diesbezüglich Vorschläge zu unterbreiten, ausüben können müssen (Rn 61 f; Klein/Leist, ZESAR 2019, 365 [368]; siehe im österreichischen Recht § 89 ArbVG).

4.
Auswirkungen auf das österreichische Recht
4.1.
Einleitung

Im Vergleich zu anderen europäischen Staaten, die keine umfassende Pflicht zur Arbeitszeiterfassung vorsehen, sind die Auswirkungen der E CCOO auf das österreichische Recht überschaubar. Gem § 26 Abs 1 AZG sind AG verpflichtet, in der Betriebsstätte Aufzeichnungen über die geleisteten Arbeitsstunden zu führen. In Literatur und Judikatur wird einhellig vertreten, dass Beginn und Ende der Arbeitszeit und damit auch die Lage der Arbeitszeit aufgezeichnet werden müssen (Pfeil in Auer-Mayer/Felten/Pfeil, AZG4 § 26 Rz 3; Pfeil in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 §§ 24-29 AZG Rz 3; Heilegger in Gasteiger/Heilegger/Klein, AZG5 § 26 Rz 1; Schrank, Arbeitszeit5 § 26 AZG Rz 7; Niederfriniger, JAS 2019, 389 [405]; Burger-Ehrnhofer/Glowacka, ASoK 2019, 242 [244 f]; VwGH 23.11.2017, Ra 2017/11/0243). § 26 Abs 1 AZG entspricht daher den Vorgaben des EuGH, der die Aufzeichnung der täglichen Arbeitszeit verlangt, um die wöchentliche Höchstarbeitszeit sowie tägliche und wöchentliche Ruhezeiten kontrollieren zu können (Rn 51, 56). Auch die Delegation an die AN gem § 26 Abs 2 AZG ist mE unionsrechtskonform (siehe oben Pkt 3). Näher zu untersuchen sind jedoch § 26 Abs 3, Abs 5 und Abs 5a AZG, die Erleichterungen bei Arbeitszeitaufzeichnungen vorsehen.

4.2.
Saldoaufzeichnungen (§ 26 Abs 3 AZG)

Gem § 26 Abs 3 AZG sind für AN, die die Lage ihrer Arbeitszeit und ihren Arbeitsort weitgehend selbst bestimmen können oder ihre Tätigkeit überwiegend in ihrer Wohnung ausüben, ausschließlich Aufzeichnungen über die Dauer der Tagesarbeitszeit zu führen. Ob diese Bestimmung die Vorgaben des EuGH erfüllt, ist in der Literatur umstritten (für die Unionsrechtskonformität: Burger-Ehrnhofer/Glowacka, ASoK 2019, 242 [245 f]; Peschek/Hermann-Riedler, ZAS 2020, 30 [31]; gegen die Unionsrechtskonformität: Mazal, ecolex 2019, 656 [657 f]; Niederfriniger, JAS 2019, 389 [406 f]; Reinhard, NZA 2019, 1313 [1318]). ME genügt § 26 Abs 3 AZG den Anforderungen des EuGH nicht, weil die Saldoaufzeichnung keine Kontrolle der täglichen Ruhezeit ermöglicht (treffend Niederfriniger, JAS 2019, 389 [406 f]). Das Argument, der AN könne die täglichen Ruhezeiten selbst erfassen und einfordern, ändert daran mE nichts (so aber Peschek/Herrmann-Riedler, ZAS 2020, 30 [31]). Denn der EuGH verlangt eine Pflicht zur Aufzeichnung der täglichen Arbeitszeit, damit ua auch die tägliche Ruhezeit kontrolliert werden kann. Dass AN freiwillig Ruhezeiten aufzeichnen können, gewährleis tet diese Pflicht nicht. Deshalb überzeugt auch das Argument von Burger-Ehrnhofer/Glowacka (ASoK 2019, 242 [245 f]) nicht, dass die betroffenen AN ihre Arbeitszeit gut kontrollieren, steuern und ihre Rechte daher durchsetzen könnten. Die Einhaltung der täglichen Ruhezeit kann durch die Saldoaufzeichnungen gerade nicht kontrolliert und durchgesetzt werden. Auch wenn die Pflicht zu Arbeitszeitaufzeichnungen an die AN delegiert wird (siehe § 26 Abs 4 AZG), genügt es mE nicht, wenn die AN lediglich die Dauer, nicht aber die Lage der Arbeitszeit aufzeichnen (so aber im deutschen Recht Thüsing/Flink/Jänsch, ZFA 2019, 456 [474 f], weil dann eine detaillierte Aufzeichnung zum Schutz des AN nicht notwendig sei). Die Pflicht zur Aufzeichnung ua der Lage der Arbeitszeit kann mE nur in den Fällen entfallen, in denen die Arbeitszeit-RL gem Art 17 Ausnahmen zulässt (treffend Niederfriniger, JAS 2019, 389 [406 f]; zu den Ausnahmen siehe auch Burger-Ehrnhofer/Glowacka, ASoK 2019, 242 [246]).

4.3.
Keine Aufzeichnungen über die Ruhepausen (§ 26 Abs 5 AZG)

Gem § 26 Abs 5 AZG müssen die Ruhepausen nicht aufgezeichnet werden, wenn durch BV – oder in Betrieben ohne BR durch schriftliche Einzelvereinbarung –

  • Beginn und Ende der Ruhepausen festgelegt werden (lit a) oder

  • es den AN überlassen wird, innerhalb eines festgelegten Zeitraums die Ruhepausen zu nehmen (lit b),

und von dieser Vereinbarung nicht abgewichen wird. Während im Fall von lit a leg cit die Dauer und Lage der Ruhepause kontrolliert werden können, bleibt es im Fall von lit b leg cit den AN überlassen, innerhalb eines festgelegten Zeitraums die Ruhepausen zu nehmen. In der Literatur wird jedoch vertreten, dass die Erleichterungen des Abs 5 nur dann zur Anwendung kommen, wenn die Pausenregelung auch ein konkretes Ausmaß242 beinhaltet (Schrank, AZG5 § 26 Rz 14; Pfeil in Auer-Mayer/Felten/Pfeil, AZG4 § 26 Rz 11). Ist das der Fall, kann auch im Fall von lit b leg cit die Dauer der Ruhepause kontrolliert werden. Die Aufzeichnung der Lage der Ruhepause ist wohl nicht unbedingt erforderlich, sofern der festgelegte Zeitraum iSd lit b leg cit den Vorgaben des OGH entspricht und nicht am Beginn oder am Ende der täglichen Arbeitszeit liegt (siehe dazu OGH 17.3.2004, 9 ObA 102/03w; Pfeil in Auer-Mayer/Felten/Pfeil, AZG4 § 11 Rz 5; Pfeil in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 12 AZG Rz 7).

Allenfalls ist fraglich, ob das Unionsrecht verlangt, dass „im Nachhinein“ zumindest durch ein „Häkchen“ bestätigt wird, dass die Ruhepause – wie in der BV oder in der Einzelvereinbarung vereinbart – eingehalten worden ist. Gerade im Hinblick auf die EuGH-Argumentation, dass der AN in einer schwächeren Position sei und daher besondere Beweis- und Durchsetzungsschwierigkeiten habe, ist nicht gesichert, dass eine „im Vorhinein“ vereinbarte Pausenregelung ohne nachträgliche Bestätigung den Anforderungen des EuGH genügt. Zu beachten ist jedoch, dass Ruhepausen – anders als die tägliche und wöchentliche Ruhezeit sowie die wöchentliche Höchstarbeitszeit – nicht in Art 31 Abs 2 GRC verankert, sondern „nur“ in Art 4 der Arbeitszeit-RL vorgesehen sind, wobei Art 4 Arbeitszeit-RL die „Einzelheiten“, etwa die Regelung der Dauer der Ruhepause, den Mitgliedstaaten überlässt. Aus diesem Grund kann mE auch die Intensität bei der Kontrolle von Ruhepausen zumindest dahingehend herabgesetzt werden, dass eine Vereinbarung ex ante – wie in § 26 Abs 5 AZG vorgesehen – als ausreichend anzusehen ist.

4.4.
Aufzeichnungen bei fixer Arbeitszeiteinteilung (§ 26 Abs 5a AZG)

§ 26 Abs 5a AZG lässt bei AN mit einer schriftlich festgehaltenen fixen Arbeitszeiteinteilung eine Erleichterung dahingehend zu, dass die AG lediglich die Einhaltung der Arbeitszeit zu bestätigen haben, und zwar am Ende jeder Entgeltzahlungsperiode sowie auf Verlangen des Arbeitsinspektorates; aufzeichnungspflichtig sind nur Abweichungen von der fixen Arbeitszeiteinteilung. Unter Abweichungen sind nach den Materialien etwa Änderungen der Lage der Arbeitszeit oder Mehr- oder Überstunden zu verstehen (ErläutRV 319 BlgNR 25. GP 20). § 26 Abs 5a AZG ist mE auch nach der E CCOO weiterhin unionsrechtskonform, weil dadurch die Kontrolle der täglichen und wöchentlichen Ruhezeit sowie der wöchentlichen Höchstarbeitszeit nach wie vor möglich ist. Zwar genügt das spanische System, bei dem nur die Überstunden aufgezeichnet werden, nicht den Anforderungen des EuGH. Anders als nach spanischem Recht wird die Arbeitszeit aber im Vorhinein schriftlich festgelegt, wobei die Einhaltung der Arbeitszeit am Ende jeder Entgeltzahlungsperiode bestätigt werden muss und Abweichungen von der festgelegten Arbeitszeit aufgezeichnet werden müssen (treffend Niederfriniger, JAS 2019, 389 [408]).

4.5.
Vertrauensarbeitszeit

Besondere Kritik hat die EuGH-E in Deutschland erfahren, weil dadurch die Vertrauensarbeitszeit „tot“ wäre. Vertrauensarbeitszeit bedeutet, dass der AG darauf vertraut, dass der AN seine vertragliche Arbeitspflicht erfüllt; auf die Kontrolle der Arbeitszeiten durch den AG wird zur Gänze verzichtet (Risak, ecolex 2005, 888 [888 ff mwN]). Das war nach österreichischem Recht im Anwendungsbereich des AZG auch vor der E CCOO unzulässig (Risak, ecolex 2005, 888 [888 ff]; Gleißner, ZAS 2015, 99 [100]; Jöst/Gärtner, JAS 2018, 11 [11 ff]) und bleibt es auch weiterhin (Niederfriniger, JAS 2019, 389 [408 f]). Die Aufregung über den „Tod der Vertrauensarbeitszeit“ hält sich daher in Österreich in Grenzen.

4.6.
Schluss

Insgesamt sind die Auswirkungen der E CCOO auf das österreichische Recht überschaubar. Im Anwendungsbereich des AZG ist „nur“ § 26 Abs 3 AZG problematisch. Größere Änderungen werden aber vor allem bei den Berufsgruppen notwendig sein, die vom AZG ausgenommen sind, nicht jedoch von der Arbeitszeit-RL (Niederfriniger, JAS 2019, 389 [409]; zum wissenschaftlichen und künstlerischen Personal der Universitäten siehe ausführlich Burger-Ehrnhofer/Glowacka, ASoK 2019, 242 [249 f]).

5.
Grundrechtecharta und horizontale Wirkung von Richtlinien im Arbeitsrecht?

Zuletzt stellt sich die Frage, ob die Pflicht zu Arbeitszeitaufzeichnungen auch im horizontalen Verhältnis zwischen zwei Privaten gilt, wenn sich eine nationale Bestimmung nicht richtlinienkonform auslegen lässt und der nationale Gesetzgeber (noch) nicht tätig geworden ist. Es ist stRsp des EuGH, dass sich AN im horizontalen Rechtsverhältnis zu privaten AG nicht unmittelbar auf eine RL stützen können. Im Gleichbehandlungsrecht hat der EuGH aber Verstöße gegen die Gleichbehandlungsrahmen-RL 2000/78 bereits mehrfach als Verletzung eines Grundrechts (Art 21 Abs 1 GRC) erachtet und in Folge die unmittelbare Wirkung von Art 21 GRC in der horizontalen Beziehung zwischen Privatpersonen bejaht, obwohl die GRC gem Art 51 Abs 1 nur die Organe der EU und die Mitgliedstaaten bei der Durchführung von Unionsrecht bindet (EuGH 17.4.2018, C-414/16, Egenberger; EuGH 22.1.2019, C-193/17, Cresco). Diese grundrechtsfreundliche Rsp hat der EuGH nunmehr auch auf das Urlaubsrecht erstreckt. Anders als Art 7 der Arbeitszeit-RL sei das in Art 31 Abs 2 GRC verankerte Grundrecht auf bezahlten Jahresurlaub auch im Verhältnis zwischen Privatpersonen anwendbar; Art 51 Abs 1 GRC schließe die Horizontalwirkung nicht aus (EuGH 6.11.2018, C-569/16 und C-570/16, Bauer et al, Rn 87 ff; EuGH 6.11.2018, C-684/16, Max-Planck-Gesellschaft, Rn 76 ff). 243

Es zeigt sich daher, dass der EuGH in arbeitsrechtlichen Fragen zunehmend auf die GRC zurückgreift und damit im Ergebnis die fehlende unmittelbare Horizontalwirkung von Richtlinien „ausgleicht“ (siehe dazu zB Sagan, ZAS 2019, 211 [213]). In der Literatur wird diese Entwicklung bei sozialen Grundrechten unterschiedlich aufgenommen. Während sie ein Teil der Literatur begrüßt, weil dadurch die soziale Dimension der EU gestärkt werde (zB Heuschmid, NJW 2019, 1853 [1854]), kritisiert ein anderer Teil der Literatur die Horizontalwirkung von sozialen Grundrechten, weil diese häufig weit formuliert und daher weniger bestimmt seien als etwa das Grundrecht auf Nichtdiskriminierung (Art 21 Abs 1 GRC). Vermehrt wird auch darauf hingewiesen, dass beinahe jede Vorschrift einer arbeitsrechtlichen RL als Konkretisierung eines sozialen Grundrechts angesehen werden könne. Das führe dazu, dass im Arbeitsrecht durch den Rückgriff auf die GRC zahlreiche Richtlinien unmittelbare Wirkung zwischen Privaten hätten (siehe dazu zB Willemsen/Sagan, NZA 2011, 258 [261]; Höpfner/Daum, RdA 2019, 270 [275]). Bayreuther (EuZW 2019, 446 [447]) stellt deshalb in Frage, ob Art 288 Abs 3 AEUV überhaupt noch Bedeutung habe.

Mit Spannung wurde daher erwartet, ob der EuGH in der Rs CCOO auch die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung im horizontalen Verhältnis zwischen AG und AN bejahen würde. GA Pitruzzella (Rn 93 ff) und zahlreiche Stimmen in der Literatur haben aufgrund der Parallele zum Urlaubsrecht für die Horizontalwirkung des Grundrechts auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf Ruhezeiten plädiert, das inhaltlich auch die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung umfasse (Klein/Leist, ZESAR 2019, 367 [370]; Heuschmid, NJW 2019, 1853 [1854]; Ulber, NZA 2019, 677 [680]; Brors, NZA 2019, 1176 [1179]; aANiederfriniger, JAS 2019, 389 [403 ff]; Höpfner/Daum, RdA 2019, 270 [275]; Reinhard, NZA 2019, 1313 [1314]; für eine „Mittelstellung“ dahingehend, dass zwar das Grundrecht auf Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf Ruhezeiten zwischen Privaten unmittelbar anwendbar sei, die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung von der horizontalen Wirkung jedoch nicht erfasst sei: Gallner in EuArbR3, RL 2003/88 Art 1 Rz 1d und Rz 26a). Der EuGH hat aber überraschenderweise – anders als im Urlaubsrecht – zurückhaltend agiert und zu dieser Thematik geschwiegen. Ob das darauf zurückzuführen ist, dass er in dieser Rechtssache nicht ausdrücklich danach gefragt worden ist, oder dass er sich mit diesem Problem bewusst nicht auseinandersetzen wollte – etwa weil er anderer Ansicht ist als der GA –, lässt sich nicht mit Sicherheit beantworten (Niederfriniger, JAS 2019, 389 [404 f]; Höpfner/Daum, RdA 2019, 270 [275]). ME ist es zwar nicht ausgeschlossen, dass der EuGH die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung im horizontalen Verhältnis bejaht hätte, wenn er danach gefragt worden wäre. Ein Indiz dafür ist, dass er die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung in Beziehung zu Art 31 Abs 2 GRC setzt und die Arbeitszeit-RL nach Ansicht des EuGH Art 31 Abs 2 GRC lediglich konkretisiere. Dies war für den Gerichtshof auch in den Entscheidungen zum Diskriminierungsverbot tragendes Argument für die Horizontalwirkung. Gegen eine Horizontalwirkung könnte aber sprechen, dass eine solche nur in Betracht kommt, wenn sich die Norm, die zwischen Privaten wirken soll, aus dem Grundrecht selbst hinreichend bestimmt ableiten lässt und das Grundrecht nicht durch Bestimmungen des Unionsrechts oder des nationalen Rechts konkretisiert werden muss, um seine volle Wirksamkeit zu entfalten (EuGH 15.1.2014, C-176/12, AMS, Rn 45; siehe dazu Rebhahn in Klang3, Nach §§ 6, 7 ABGB, Rz 152). Ob das bei der Pflicht, Arbeitszeitaufzeichnungen zu führen, zutrifft, darf bezweifelt werden. Die weitere Entwicklung zur Horizontalwirkung von sozialen Grundrechten darf jedenfalls – nicht nur im Arbeitszeitrecht, sondern etwa auch bei Art 28 und Art 30 GRC – mit Spannung erwartet werden. 244