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Kein Anspruch auf Ausgleichszulage für die rumänische Stiefmutter eines Unionsbürgers

ALEXANDERDE BRITO
Art 7 lit b, 16 Abs 1 Unionsbürger- RL; § 52 Abs 1 Z 3 NAG

Die 1959 geborene Kl ist rumänische Staatsbürgerin. Im Jahr 2011 zog sie nach Wien, wo sie seither bei ihrem Stiefsohn und dessen Familie lebt. Vom rumänischen Versicherungsträger erhält sie eine Rente in Höhe von (zuletzt) € 159,30 monatlich. Sie hat kein Vermögen und bezieht neben ihrer Rente keine nennenswerten Einkünfte. Am 23.9.2011 stellte ihr die Magistratsabteilung 35 der Stadt Wien eine Anmeldebescheinigung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) aus. Über den Antrag der Kl auf Ausstellung einer Bescheinigung des Daueraufenthalts wurde bisher noch nicht entschieden.

Kurz nachdem die Kl nach Wien übersiedelt war, beantragte sie bei der Bekl erstmals die Zuerkennung der Ausgleichszulage. Dieser Antrag wurde mit Bescheid abgelehnt. Die damalige Klage wurde rechtskräftig abgewiesen. Nach den Verfahrensergebnissen war die Kl nur zum Zweck eines Sozialleistungsbezugs (aus der KV) aus Rumänien nach Österreich gezogen.

Am 5.10.2016 beantragte sie neuerlich die Zuerkennung der Ausgleichszulage. Diesen Antrag lehnte die Bekl mit Bescheid ab. In ihrer dagegen gerichteten Klage macht die Kl geltend, sie habe in Österreich mittlerweile das Recht auf Daueraufenthalt iSd RL 2004/38/EG (Unionsbürger-RL) erworben.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kl Folge und hob das Ersturteil auf. Wenngleich die Kl mangels eines fünfjährigen rechtmäßigen Aufenthalts in Österreich die Voraussetzungen nach Art 7 Abs 1 lit b der RL 2004/38/EG nicht erfülle, gebe es Hinweise darauf, dass die Voraussetzungen nach Art 7 Abs 1 lit d der RL 2004/38/EG vorliegen könnten, da sie als Stiefelternteil zum Kreis der Familienangehörigen eines Unionsbürgers zu zählen sei. Ob ihr das Recht auf Daueraufenthalt zukomme, hänge davon ab, ob ihr ihr Stiefsohn während ihres Aufenthalts in Österreich zumindest fünf Jahre lang Unterhalt gewährt hatte.

Der OGH stellte das klagsabweisende Urteil des Erstgerichts wieder her.

In diesem Verfahren waren somit zwei Rechtsfragen zu beantworten: Unter welchen Voraussetzungen eine Unionsbürgerin, die die Voraussetzungen der Unionsbürger-RL in der Vergangenheit nicht erfüllt hat, nach einem (tatsächlichen) Aufenthalt von mehr als fünf Jahren in Österreich ein Recht auf Daueraufenthalt erwerben kann, und ob eine Stiefmutter als Angehörige iSd Unionsbürger-RL bzw des NAG gilt.

Die Unionsbürger-RL erlaubt es dem Aufnahmemitgliedstaat, wirtschaftlich nicht aktiven Unionsbürgern Beschränkungen in Bezug auf die Gewährung von Sozialleistungen aufzuerlegen, damit diese die Sozialhilfeleistungen dieses Staats nicht unangemessen in Anspruch nehmen. Dies gilt auch für die österreichische Ausgleichszulage. Nach § 292 Abs 1 ASVG hat der Anspruchswerber Anspruch auf Ausgleichszulage, „solange er seinen rechtmäßigen, gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat“. Der Erwerb eines Rechts auf Daueraufenthalt setzt einen fünf Jahre langen ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt iSd in der Unionsbürger-RL festgelegten Bedingungen im Aufnahmemitgliedstaat voraus. Ein bloß faktischer Aufenthalt im Ausmaß von fünf Jahren reicht nicht aus. Ein Aufenthaltsrecht in einem anderen Mitgliedstaat für mehr als drei Monate besteht gem Art 7 Abs 1 lit b der Unionsbürger-RL dann, wenn ein umfassender Krankenversicherungsschutz sowie ausreichende Existenzmittel vorliegen, sodass während des Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch genommen werden müssen. Diese Vo-183raussetzungen hat die Kl in der Zeit bis zum Erreichen einer faktischen fünfjährigen Aufenthaltsdauer in Österreich nicht erfüllt.

Ein Aufenthaltsrecht besteht nach Art 7 Abs 1 lit d der RL aber auch für Familienangehörige, die einen aufenthaltsberechtigten Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen. Die Kl als Stiefmutter eines Unionsbürgers, dem sie nachgezogen ist, gehört jedoch weder zum Kreis der in der Unionsbürger- RL genannten Familienangehörigen noch zu den in § 52 Abs 1 Z 3 NAG genannten Verwandten. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet der Begriff „Stiefmutter“ die Frau, die mit dem leiblichen Vater des Kindes verheiratet ist; sie ist keine Blutsverwandte und auch keine Verwandte, deren Verwandtschaftsverhältnis durch Adoption begründet wurde. Auch nach § 52 Abs 1 Z 3 NAG sind Verwandte in aufsteigender Linie (lediglich) Eltern oder Großeltern der EWR-Bürger oder ihre Ehepartner oder eingetragenen Partner, nicht aber ein Stiefelternteil. Zählt die Kl aber nicht zum begünstigten Personenkreis der Familienangehörigen, kann sie sich nicht auf einen rechtmäßigen Aufenthalt iSd Unionsbürger-RL oder des NAG berufen.