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Einzelner „Home-Office“-Arbeitsplatz ohne Anbindung an andere inländische organisatorische Einheit bildet keinen Betrieb iSd § 36 ArbVG

KLAUSBACHHOFER

Die Kl war von 5.1.2015 bis 30.4.2018 als „Vice President Global Human Resources“ für die Bekl tätig. Das Dienstverhältnis endete durch AGKündigung zum 30.4.2018.

Bei der Bekl handelt es sich um ein Softwareunternehmen mit Sitz im Vereinigten Königreich, das Teil eines international agierenden, aus 37 Unternehmen bestehenden Konzerns ist. Die Kl war Personalleiterin für den gesamten Konzern mit den Aufgabenbereichen Entgelt, Organisation und Training und für sämtliche AN verantwortlich. Das von ihr geleitete Human Resources-Team umfasste 65 bis 85 Mitarbeiter, davon berichteten 12 Mitarbeiter direkt an die Kl, die restlichen Mitarbeiter waren wiederum diesen Mitarbeitern zugeordnet. Die Kl ihrerseits berichtete an den Co-CEO des Konzerns. Keiner der der Kl unmittelbar zugeordneten Mitarbeiter arbeitete in Österreich. 142

Die Kl arbeitete von ihrer Privatwohnung in Wien aus und kommunizierte mit ihren Mitarbeitern via Skype und sonstigen elektronischen Medien. Die Geräte wurden von der Bekl zur Verfügung gestellt. Eine betriebliche Notwendigkeit für die Anwesenheit der Kl in Österreich bestand nicht.

Die Kl war befugt, innerhalb ihres Verantwortungsbereichs, also für ihre unmittelbaren Mitarbeiter, Entscheidungen auch hinsichtlich Aufnahme und Beendigung von Dienstverhältnissen selbständig zu treffen. Das galt auch für die Vergütung. Innerhalb einer genehmigten Strategie oder eines genehmigten Budgets konnte sie dieses selbst verwalten und selbständige Entscheidungen treffen, dies betraf auch die Zustimmung etwa zu Gehaltserhöhungen. Die Kl verdiente € 260.000,- brutto jährlich, zuzüglich eines Jahresbonus von zuletzt € 98.000,- brutto sowie Sachbezüge wie PV, Dienstwagen und Krankenversicherungen.

Außer der Kl befindet sich in Österreich lediglich ein „Sales Team“, das aus neun Personen besteht. Auch diese Mitarbeiter haben Homeoffice-Arbeitsverträge und befinden sich überwiegend unterwegs oder bei Kundenvorführungen. Etwa seit Mitte 2017 gibt es ein angemietetes Büro in Wien, das zwei PC-Arbeitsplätze aufweist. Diese Räumlichkeiten dienen vor allem dazu, dass Mitarbeiter, die gerade in Wien sind, einen ausgestatteten Arbeitsplatz zur Verfügung haben. Das Sales-Team macht lediglich Produktvorführungen, ist jedoch nicht berechtigt, Abschlüsse vorzunehmen. Vom Leiter dieses Teams wird an den Sales-Verantwortlichen für Österreich, Schweiz, Deutschland und Osteuropa berichtet, der in München stationiert ist. Dieser wiederum berichtete dem Verantwortlichen bei der Bekl für Europa und den mittleren Osten und letztlich an den Co- CEO. Soweit die Bekl in Österreich wirtschaftliche Aktivitäten entfaltet, hat die betreffende Organisation keine Rechtspersönlichkeit. Eine inhaltliche Zusammenarbeit zwischen dem Sales-Team und der Kl fand nicht statt. Betriebsmittel wurden nicht gemeinsam genutzt. Es gab keine organisatorische, den Ablauf betreffende und strukturelle Gemeinsamkeit zwischen ihren Tätigkeiten. Es gab keine gemeinsame arbeitstechnische Leitung, kein gemeinsames Budget und keine gemeinsame Rechnungslegung. Die Kl hatte keine Schlüssel zum Büro des Sales-Teams. Sie konnte dort jedoch an sie gesandte Poststücke abholen. Bestimmte Personalverwaltungstools werden auch vom österreichischen Sales-Team verwendet. Unmittelbarer Leiter in Personalangelegenheiten war jedoch nicht die Kl, sondern eine andere Mitarbeiterin, die wiederum an einen Mitarbeiter zu berichten hatte, der der Kl zugeordnet war.

Die Kl begehrt die Aufhebung der Kündigung wegen Sozialwidrigkeit und Vorliegens eines unlauteren Motivs nach § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG. Sie sei an ihrem Wiener Arbeitsort im Rahmen eines selbständigen Betriebs iSd § 34 ArbVG tätig geworden. Sie sei nicht leitende Angestellte iSd § 36 ArbVG.

Die Vorinstanzen wiesen das Anfechtungsbegehren unter Hinweis darauf, dass kein Betrieb vorliege, ab. Die außerordentliche Revision der Kl wurde vom OGH zwar zugelassen, inhaltlich aber nicht als berechtigt erkannt.

Der Gerichtshof begründet dies damit, dass im vorliegenden Fall nicht vom Vorhandensein einer in Österreich tätigen organisatorischen Einheit mit einem gewissen Maß an Selbständigkeit gegenüber der Zentrale ausgegangen werden kann. Richtig hätten die Vorinstanzen darauf hingewiesen, dass, selbst wenn das Sales-Team als eine solche Einheit angesehen werden sollte, die Kl diesem Sales-Team als von der Zentrale unabhängige Organisationseinheit nicht angehört. Die Kl ist vielmehr Teil der Zentralorganisation, der vom Sales-Team mittelbar zugearbeitet wird und nur zufällig ebenso wie das konkrete Sales-Team in Österreich stationiert.

Da sich der Kündigungsschutz nach §§ 105 ff ArbVG nur auf solche Betriebe bezieht, in denen nach § 40 ArbVG ein BR zu errichten ist, und damit auch die Kl allein keinen Betrieb in Österreich bilden kann, liegt in Österreich insgesamt keine Struktur vor, die als Betrieb iSd § 34 ArbVG anzusehen ist.

Von der Kl wurde im Verfahren ua das Argument geltend gemacht, dass das Vorliegen eines Betriebs in Österreich keine Voraussetzung für die Anfechtung der Kündigung nach dem ArbVG sei. Die ältere Judikatur (vgl etwa OGH 29.3.1995, 9 ObA 12/95) ging bislang, so wie im vorliegenden Fall auch die Vorinstanzen, davon aus, dass für die Kündigungsschutzbestimmungen des ArbVG das Territorialitätsprinzip gilt, also ein Betrieb in Österreich vorausgesetzt ist. Allerdings wurde zuletzt, etwa in den OGH-Entscheidungen 9 ObA 65/11s vom 16.9.2011 und 9 ObA 101/17v vom 18.12.2017, ausdrücklich offengelassen, ob AN, die ihre Arbeitsleistung in Österreich erbringen und für deren Dienstverträge österreichisches Recht anwendbar ist, die aber einem ausländischen Betrieb angehören, sich auf die Kündigungsschutzbestimmungen des ArbVG berufen können. In der Literatur werden zu dieser Frage unterschiedliche Ansätze vertreten (vgl etwa Burger, DRdA 2015/43; Niksova, ZAS 2013/4; Niksova, ecolex 2014, 358 ff; Gahleitner in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht II5 § 33 ArbVG Rz 2; Windisch-Graetz in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 33 ArbVG Rz 4; Strasser in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 33 Rz 17). Der OGH musste dazu allerdings nicht abschließend Stellung nehmen. Ausgehend von den Feststellungen kam der Kl nach Ansicht des OGH nämlich die Funktion einer leitenden Angestellten zu, da sie in ihrem Verantwortungsbereich für ihre Mitarbeiter berechtigt war, Dienstverhältnisse einzugehen und zu beenden sowie im Rahmen des von ihr eigenständig ver-143walteten Budgets auch hinsichtlich finanzieller Fragen, insb auch betreffend der Gehälter, die Letztverantwortung hatte. Da für leitende Angestellte die Kündigungsschutzbestimmungen der §§ 105 ff ArbVG jedenfalls nicht gelten, sei die Klage von den Vorinstanzen zu Recht abgewiesen worden.