30Dienstgeberhaftungsprivileg im Shop-in-Shop-System
Dienstgeberhaftungsprivileg im Shop-in-Shop-System
Wenn einander zwei Betriebsunternehmer als Vertragskontrahenten gegenüberstehen, ist die Haftung des einen Unternehmers bei Verletzung eines Betriebsangehörigen des anderen Unternehmers nicht durch § 333 ASVG ausgeschlossen, so lange jeder Unternehmer innerhalb der Sphäre seines eigenen Betriebes tätig bleibt. Zum Haftungsausschluss nach § 333 ASVG kann es aber kommen, wenn der dann Verletzte die Sphäre seines eigenen Lebensbereiches verlässt und sich dem Aufgabenbereich des anderen Unternehmers einordnet.
Wesentlich für die Haftungsbefreiung sowohl von Haupt- als auch Nebenunternehmer gegenüber einem DN eines der beteiligten Unternehmen ist nicht nur eine organisatorisch koordinierte Zusammenarbeit zur Erzielung eines gemeinsamen Erfolgs, sondern immer auch die Eingliederung des (fremden Weisungen unterliegenden) DN in den fremden Betrieb. Verlässt der Verletzte den Tätigkeitsbereich seines DG nicht, ist das Haftungsprivileg zu verneinen.
Ob von der Eingliederung in einen fremden Betrieb auszugehen ist, richtet sich stets nach den jeweiligen Umständen des konkreten Einzelfalls und begründet daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO.
Die Kl ist bei der S* GmbH (im Folgenden: S*) beschäftigt, die in verschiedenen Supermärkten im Rahmen eines sogenannten Shop-in-Shop-Systems die T*-Regale eigenständig betreut. Aufgabe der Kl ist es, das jeweilige Sortiment der T*-Regale in den Supermärkten laufend zu kontrollieren und auf dem aktuellen Stand zu halten. Nach ihrem Dienstvertrag ist sie verpflichtet, ausschließlich Weisungen durch ihren direkten Vorgesetzten bzw Ansprechpartner der S* entgegenzunehmen und zu erfüllen.
Die Bekl ist Filialleiterin des unfallgegenständlichen Supermarktes. Die Mitarbeiter dieses Supermarktes hatten von der Bekl die Weisung erhalten, die DN der S* bei der Verrichtung ihrer Arbeiten zu unterstützen, wenn sie um Hilfe gebeten werden. Das war sehr oft der Fall, wenn die Betreuerinnen der T*-Regale Kaffee und Kaffee-Produkte benötigten, die in einem Abstand von etwa 2 bis 2,30 m zum T*-Regal auf einer Palette oberhalb des Kühlregals gelagert waren. Auch die Kl hatte diese Mithilfe schon mehrmals in Anspruch genommen. Den Mitarbeitern der Bekl steht eine hausinterne sechssprossige Aluleiter zur Verfügung. Die Kl wurde nicht davon in Kenntnis gesetzt, dass die Leiter von externen AN nicht verwendet werden durfte, und verwendete sie auch, um zum Kaffee auf der Palette zu gelangen. Beanstandungen gab es nicht.
Auch am Unfalltag befand sich die Kl auf der Leiter, um Kaffeepackungen für das T*-Regal herunterzunehmen. Die Bekl näherte sich mit einem mechanischen Hubwagen mit einer Grillkohlenpalette. Sie sah die auf der dritten Stufe der Leiter befindliche Kl, die ihrerseits auch die Bekl mit dem Hubwagen wahrnahm. Als die Bekl mit dem Hubwagen etwa 1 m von der Leiter entfernt war, rief sie der Kl zu, dass es eng werde und sie sich festhalten solle. In diesem Moment kam es zu einer Berührung zwischen dem Hubwagen und der Leiter. Die Kl stürzte zu Boden und zog sich einen Bruch des 12. Brustwirbels zu.
Die Kl begehrte von der Bekl die Zahlung von 17.480,96 € sA und die Feststellung ihrer Haftung für alle künftigen unfallkausalen Schäden.
Die Bekl bestritt und beantragte unter Berufung auf das rekursgegenständliche Haftungsprivileg iSd § 333 Abs 1 ASVG Klagsabweisung.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Es ging von einer Eingliederung der Kl in den Betrieb des Supermarktes aus. Die Bekl habe gegenüber der Kl jedenfalls das Weisungsrecht gehabt, die Steigleiter nicht zu verwenden. Ihr komme als Aufseherin im Betrieb die Haftungsbegünstigung des § 333 ASVG zugute.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kl Folge und hob das Ersturteil zur Verfahrensergänzung bezüglich der näheren Unfallfolgen auf. Eine Eingliederung der Kl in den Betrieb des Supermarktes sei zu verneinen. Der Rekurs sei mangels Rsp zur Frage der Eingliederung von DN bei einem Shop-in-Shop-System zulässig.
In ihrem dagegen gerichteten Rekurs beantragt die Bekl die Abänderung des Aufhebungsbeschlusses iS einer Wiederherstellung des klagsabweisenden Ersturteils.
Die Kl beantragt, den Rekurs zurückzuweisen, in eventu ihm keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Entgegen dem – den OGH nicht bindenden – Zulassungsausspruch ist der Rekurs der Bekl unzulässig. Die Zurückweisung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 528a iVm § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).
1. Gem § 333 Abs 1 ASVG ist der DG dem Versicherten zum Ersatz des Schadens, der diesem durch eine Verletzung am Körper infolge eines Arbeitsunfalls entstanden ist, nur verpflichtet, wenn er den Arbeitsunfall (die Berufskrankheit) vorsätzlich verursacht hat. Gem § 333 Abs 4 ASVG gilt diese Bestimmung (ua) auch für Ersatzansprüche Versicherter gegen Aufseher im Betrieb.
2. Für die Frage, wer bei Shop-in-Shop-Systemen als Aufseher im Betrieb anzusehen ist, ist voranzustellen, dass solche Vertriebssysteme in unterschiedlichen Ausprägungen existieren, unterschiedliche Zwecke verfolgen (Hervorhebung von Sortimentteilen, Markenpräsentation des Herstellers, Bewerbung neuer Produkte etc) und vom Geschäftsinhaber selbst oder in unterschiedlich ausgeprägten Kooperationen mit anderen Unternehmern (reine Flächen-/Regalmiete; Franchisesystem ua) betrieben werden können. In letzterem Fall bedarf es daher zwar in der Regel einer gewissen Kooperation, 347 Koordination und Aufgabenverteilung der Betriebsunternehmer bezüglich der gemeinsamen Inanspruchnahme von Flächen, Lagerräumlichkeiten, Mitarbeitern, Reinigungspersonal etc. Ob und inwieweit sie für die Tätigkeit eines DN von Bedeutung sind, kann aber immer nur anhand ihrer konkreten Ausgestaltung beurteilt werden. Aus dem Vorliegen eines Shop-in-Shop-Systems an sich ist für den vorliegenden Fall und dessen Lösung daher nichts Zwingendes zu gewinnen.
3. Auszugehen ist davon, dass zur Frage, welchen Personenkreis die Bestimmung des § 333 ASVG erfasst, ausreichend Rsp vorliegt. Nach ständiger Judikatur ist der von der Bestimmung des § 333 ASVG erfasste DG grundsätzlich derjenige, der mit dem Verletzten durch ein Beschäftigungsverhältnis verbunden ist oder in dessen Betrieb der Verletzte wie ein AN eingegliedert war (RS0119378; RS0084172). Ein Verhältnis persönlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit ist keine Voraussetzung für die Qualifizierung als betriebliche Tätigkeit (RS0084172). Entscheidend ist das Tätigwerden des Verletzten in der Sphäre (im Aufgabenbereich) des Unternehmers (vgl RS0085208). Nicht erforderlich ist hingegen, dass es sich um eine dauernde Tätigkeit handelt, auch eine kurzfristige und vorübergehende Eingliederung in den Bereich kann ausreichen (RS0084172 [T8, T9, T11]). Die Einordnung in den Betrieb ist nur insoweit erforderlich, als der Helfende im ausdrücklich oder stillschweigend zum Ausdruck kommenden oder nach der Sachlage zu vermutenden Einverständnis des Unternehmers handelt und zumindest bereit sein muss, nach den den Arbeitsvorgang bestimmenden Weisungen des Unternehmers, in dessen Interessen die Tätigkeit ausgeübt wird, oder dessen Vertreters zu handeln (RS0084209 [T4]).
4. Wenn – wie hier – einander zwei Betriebsunternehmer als Vertragskontrahenten gegenüberstehen, ist die Haftung des einen Unternehmers bei Verletzung eines Betriebsangehörigen des anderen Unternehmers nicht durch § 333 ASVG ausgeschlossen, so lange jeder Unternehmer innerhalb der Sphäre seines eigenen Betriebs tätig bleibt. Zum Haftungsausschluss nach § 333 ASVG kann es aber kommen, wenn der dann Verletzte die Sphäre seines eigenen Lebensbereichs verlässt und sich dem Aufgabenbereich des anderen Unternehmers einordnet (RS0021534; s auch RS0085266 [T6]). So ist auch für die Eingliederung eines aus Gefälligkeit helfenden Betriebsangehörigen in das Unternehmen des anderen vor allem wesentlich, dass die Tätigkeit ihrer Art nach einer abhängigen Beschäftigung entspricht und dass sie nicht zum betrieblichen Aufgabenbereich des Verletzten gehört (RS0123965; s auch RS0085043). Wesentlich für die Haftungsbefreiung sowohl von Haupt- als auch Nebenunternehmer gegenüber einem DN eines der beteiligten Unternehmen ist nicht nur eine organisatorisch koordinierte Zusammenarbeit zur Erzielung eines gemeinsamen Erfolgs, sondern immer auch die Eingliederung des (fremden Weisungen unterliegenden) DN in den fremden Betrieb (RS0128707). Verlässt der Verletzte den Tätigkeitsbereich seines DG nicht, ist das Haftungsprivileg zu verneinen (s RS0021534 [T7, T11, T12]). Ob von der Eingliederung in einen fremden Betrieb auszugehen ist, richtet sich stets nach den jeweiligen Umständen des konkreten Einzelfalls und begründet daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RS0084209 [T9]), es sei denn, dem Berufungsgericht wäre eine auffallende Fehlbeurteilung unterlaufen. Das ist hier nicht der Fall.
5. Die Kl war als DN der S* dienstvertraglich verpflichtet, ausschließlich Weisungen von ihrer DG entgegenzunehmen und zu erfüllen. Nach den Feststellungen war sie dafür verantwortlich, im Supermarkt eines anderen Unternehmens ein T*- Verkaufsregal zu betreuen, wozu auch das Befüllen und Nachsortieren von T*-Produkten gehörte. Diese Aufgabe zählte zum betrieblichen Tätigkeitsbereich ihrer DG, nicht aber jenem des Supermarktes.
Hier wurden für die Lagerung der für das T*-Regal bestimmten Kaffeepackungen auch Lagermöglichkeiten des Supermarktes (Hochregal über dem Kühlregal) genutzt. Um von dort Kaffee zu holen, wurden von der Kl auch Hilfsmittel (Aluleiter) des Supermarktes in Anspruch genommen. Dass für diese Tätigkeit eine vertragliche Vereinbarung zwischen dem Supermarkt und der DG der Kl bestanden hätte, geht aus dem festgestellten Sachverhalt nicht hervor. Das Berufungsgericht interpretierte die Feststellungen des Erstgerichts dahin, dass auch das Herunterholen von Kaffee aus dem Hochlager zum Bestücken der T*-Verkaufsregale Teil des Aufgabenbereichs der Kl war (Berufungsurteil S 9). Dass die Benützung der Aluleiter des Supermarktes nur den Mitarbeitern des Supermarktes vorbehalten war, steht dem nicht entgegen, weil die Kl davon keine Kenntnis hatte, sie die Aluleiter zu diesem Zweck bereits mehrfach ohne Beanstandungen verwendet hatte und die Bekl selbst am Unfalltag die Verwendung der Aluleiter durch die Kl billigte. Das erlaubt den Schluss, dass die Kl zur Erfüllung ihrer Aufgaben die Aluleiter des Supermarktes geduldetermaßen in Anspruch nehmen konnte.
Auch der Umstand, dass die Kl Mitarbeiter des Supermarktes um Hilfe ersuchen konnte, reicht hier nicht für eine andere Beurteilung aus: Die Bekl hat nicht nachgewiesen, dass es der Kl untersagt gewesen wäre, zur Erfüllung ihrer Aufgaben (Betreuung und Nachbestückung der T*-Verkaufsregale) eigenständig Produkte von den Lagerflächen der Bekl zu holen. Wenn die Mitarbeiter des Supermarktes angewiesen waren, „die DN der S* GmbH bei der Verrichtung ihrer Arbeiten zu unterstützen, wenn sie um Hilfe gebeten werden“ (Ersturteil S 22), schließt dies nicht aus, dass DN der S* wie die Kl solche Tätigkeiten zur Erfüllung ihrer Aufgaben auch selbst wahrnehmen konnten. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Kl bei ihrer Tätigkeit am Hochregal die Sphäre ihres eigenen Aufgabenbereichs nicht verlassen hatte und demzufolge keine betriebliche Tätigkeit des Supermarktes wahrnahm, ist danach nicht weiter korrekturbedürftig.
6. Da zusammenfassend ausreichend Rsp zur Frage der Eingliederung in den Betrieb iSd § 333 ASVG vorliegt und die Beurteilung des Berufungsgerichts den Rahmen dieser Rsp auch für die vorliegende 348 Konstellation nicht verlässt, war der Rekurs der Bekl zurückzuweisen. Wie schon erwähnt, ist aus dem bloßen Vorliegen eines Shop-in-Shop-Systems zu dem der Rekurs vom Berufungsgericht zugelassen wurde, für die Frage des Haftungsprivilegs iSd § 333 Abs 1 ASVG nichts Zwingendes zu gewinnen. [...]
Gem § 333 Abs 1 ASVG ist der DG dem Versicherten zum Ersatz des Schadens, der diesem durch eine Verletzung am Körper infolge eines Arbeitsunfalles oder durch eine Berufskrankheit entstanden ist, nur verpflichtet, wenn er den Arbeitsunfall (die Berufskrankheit) vorsätzlich verursacht hat. Hierbei sind, wie auch in der Frage des Unfallversicherungsschutzes, die in § 176 ASVG angeführten Tätigkeiten den Arbeitsunfällen gleichzuhalten. Demnach greift das Haftungsprivileg gem § 176 Abs 1 Z 6 ASVG auch bei einer betrieblichen Tätigkeit, wie sie sonst ein nach § 4 ASVG Versicherter ausübt, auch wenn dies nur vorübergehend geschieht. Ein Verhältnis persönlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit, maW ein Arbeitsverhältnis, ist dabei keine Voraussetzung für die Qualifizierung als betriebliche Tätigkeit. Erforderlich ist allerdings, dass der Unfallbetroffene in dem fraglichen Betrieb wie ein AN eingegliedert war (RIS-Justiz RS0084172).
Dieses sogenannte DG-Haftungsprivileg wird durch § 333 Abs 4 ASVG auf gesetzliche oder bevollmächtigte Vertreter des Unternehmers und auf Aufseher im Betrieb erstreckt.
Im hier zu besprechenden Beschluss, der sich in ein großes Repertoire höchstgerichtlicher Judikatur zu ähnlichen Fallkonstellationen einreiht, ging es im Wesentlichen um zwei Fragen: Jene nach der Eingliederung der Kl in den Betrieb des Supermarktes und jene nach der Eigenschaft der Bekl als Aufseherin im Betrieb.
Die dem Ausgangsfall innewohnende „Besonderheit“ – wenn man so will – bestand darin, dass die beiden involvierten DG, der AG der Kl und der Supermarktinhaber, in einem Vertragsverhältnis standen. In Konstellationen wie diesen ist bei der betrieblichen Eingliederung im Betrieb darauf abzustellen, in wessen Sphäre der Geschädigte zum Unfallzeitpunkt tätig war, jener seines DG oder jener des fremden Unternehmers. Dabei kommt es vordergründig darauf an, wessen Interessen die im Unfallzeitpunkt verrichtete Tätigkeit diente, dh, welchem DG sie oblag.
Die Rsp traf in diesem Zusammenhang schon eine ganze Fülle an Entscheidungen: So nahm der OGH eine Haftungsbefreiung des Schädigers etwa dann an, wenn der geschädigte DN eines Bauherren dem LKW-Fahrer eines Zustellers beim Abladen gelieferter Ziegel half und dabei zu Schaden kam. Der Geschädigte sei hier – so der OGH – in der betrieblichen Sphäre des Zustellers tätig geworden, weil diesem im Rahmen der von ihm übernommenen Pflichten das Abladen der Ziegel oblegen sei (OGH8 Ob 76/80 Arb 9881). Aus denselben Erwägungen sei die Hilfe eines LKW-Fahrers eines Lieferanten beim Verschieben eines LKW-Anhängers des Lieferungsempfängers als Eingliederung in den fremden Betrieb anzusehen (OGH8 Ob 128/81 SVSlg 28.030).
Gegenteilig entschieden wurde hingegen der Fall, dass ein LKW-Fahrer beim Beladen seines LKW auf die Ladefläche stieg, einen Kranführer einwies und dabei tödlich verunglückte. Begründet wurde dies ua damit, dass der LKW-Fahrer nicht bloß zum Zweck der Ausübung einer Einweiserfunktion, sondern vielmehr zum Zweck einer ordnungsgemäßen Beladung seines LKW gehandelt habe (OGH 17.1.1985, 8 Ob 22/84). Ähnlich verhielt es sich in der OGH-E 3 Ob 23/07i ecolex 2007/323: Hier half der LKW-Fahrer des bekl Transportunternehmers durch Bedienen des Heckkrans einem Bauunternehmen beim Einsetzen von Schachtringen in eine Baugrube, wodurch der kl AN des Bauunternehmens beim Einrichten der Schachtringe verletzt wurde. Auch in diesem Fall verneinte der OGH eine Eingliederung des Kl in den Betrieb des Bekl mit der Begründung, der Kl sei ausschließlich in der Sphäre des Bauunternehmens tätig geworden. Angesichts der an dieser Stelle auszugsweise abgebildeten Judikatur versuchte im zu besprechenden Prozess die Bekl offensichtlich ein Tätigwerden der Kl in der Sphäre des Supermarktbetriebes damit zu begründen, dass der Kl das Herunternehmen der Kaffeepackungen aus dem Hochlager untersagt, mithin diese Aufgabe dem Supermarktbetreiber bzw dessen DN vorbehalten war und die Kl zum Unfallzeitpunkt in Wahrheit (unzulässigerweise) im Betrieb des Supermarktes tätig wurde. Abgesehen davon, dass dieser Versuch bereits auf der Ebene der Tatsachenfeststellung scheiterte, wäre die Bekl mit ihrer Argumentation wohl auch deshalb nicht durchgedrungen, weil eine Eingliederung in den fremden Betrieb nur bei Handlungen im ausdrücklichen oder stillschweigend zum Ausdruck kommenden oder nach Lage der Sache zu vermutenden Einverständnis des Unternehmers möglich ist, nicht aber bei einem Tätigwerden gegen den ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers (OGH2 Ob 48/07h ARD 5901/5/2008).
Ein zusätzliches Kriterium für eine Eingliederung in den fremden Betrieb ist ferner die Weisungsbefugnis des fremden Unternehmers – bzw dessen DN – gegenüber dem (vermeintlich) eingegliederten DN (vgl RIS-Justiz RS0085043). Auch bei der Begründung der vorliegenden E wurde diesem Element entscheidende Bedeutung beigemessen. Zunächst führte der OGH aus, die Kl sei nach ihrem Dienstvertrag verpflichtet, ausschließlich Weisungen durch ihren direkten Vorgesetzten bzw Ansprechpartner 349 der S* entgegenzunehmen und zu erfüllen. Besonders im Fokus stand jedoch das Weisungsrecht in Zusammenhang mit der Benützung der Aluleiter. Ein solches Weisungsrecht der Bekl gegenüber der Kl wurde vom Erstgericht bejaht. Der OGH ergänzte allerdings, dass der Kl die Benützung der Leiter nicht verwehrt, mithin vom Weisungsrecht kein Gebrauch gemacht worden sei.
Schon in der Vergangenheit wurde der OGH nicht müde zu betonen, dass nicht jede Form von Weisungsbefugnis für die Annahme einer Eingliederung in den fremden Betrieb ausreicht. So hat beispielsweise die Ausübung eines lediglich aus § 1169 ABGB abgeleiteten Weisungsrechts des Werkbestellers (bzw dessen Aufsehers im Betrieb) eine den Haftungsausschluss nach § 333 ASVG rechtfertigende Eingliederung des DN des Unternehmers in den Betrieb des Bestellers nicht zur Folge (RIS-Justiz RS0085199). Unbeachtlich sind insb Sicherheitsanweisungen oder solche Weisungen, die allein dazu dienen, den Betriebsablauf im fremden Betrieb nicht zu stören. Relevant sind für eine Eingliederung somit nur solche Weisungen, die den Geschädigten veranlassen, im fremden Betrieb mitzuarbeiten oder einen gemeinsamen Erfolg zu erzielen (OGH 9.4.2015, 2 Ob 24/15s; OGH2 Ob 238/17i JBl 2019, 645). Die Intensität solcher Weisungen muss also über bloß technische und organisatorische Anweisungen hinausgehen (OGH3 Ob 23/07i ecolex 2007/323, 764).
Diese Sichtweise erscheint mir vor allem insofern schlüssig, als gerade eine Weisung, den eigenen Betriebsablauf nicht unnötig zu stören, die Ausgrenzung aus der eigenen Betriebssphäre bezweckt und es folglich geradezu paradox wäre, eine derartige Weisungserteilung als Indiz für eine Eingliederung in den fremden Betrieb zu werten. Auch Weisungsbefugnisse, welche lediglich dem Schutz des eigenen Betriebs(vermögens) dienen, erscheinen mir vor diesem Hintergrund nicht geeignet, eine Eingliederung in den fremden Betrieb zu bewirken. Überträgt man diese Überlegungen nun auf den vorliegenden Sachverhalt, so darf man einer allenfalls bestehenden Weisungsbefugnis bezüglich der Benützung der Aluleiter in Hinblick auf die Eingliederung keine Bedeutung beimessen. Selbst wenn die Bekl ein solches Weisungsrecht gehabt hätte, wäre dieses für die Haftungsbefreiung ohne Belang. Da der Bekl in dienstlicher Hinsicht keinerlei Weisungsbefugnis zukam, war eine Eingliederung der Kl in den Betrieb des Supermarktes richtigerweise zu verneinen.
Hand in Hand mit der Frage nach der Eingliederung in den fremden Betrieb geht regelmäßig auch jene nach der Aufsehereigenschaft des Schädigers. So wäre die Bekl nur dann in den Genuss des Haftungsprivilegs gekommen, wenn sie die Funktion eines Aufsehers im Betrieb innegehabt hätte. Aufseher im Betrieb ist, wer für das Zusammenwirken mehrerer Betriebsangehöriger oder von Betriebseinrichtungen zu sorgen hat und für ein derartiges Zusammenspiel persönlicher und technischer Kräfte verantwortlich ist; ferner, wer andere Betriebsangehörige oder einen Teil des Betriebes überwacht und den ganzen Arbeitsvorgang einer Arbeitspartie leitet und damit eine mit einem gewissen Pflichtenkreis und mit Selbständigkeit verbundene Stellung zur Unfallszeit tatsächlich inne hat (stRsp, ua OGH 14.9.1988, 9 ObA 192/88; vgl auch Atria in Sonntag [Hrsg], ASVG10 [2019] § 333 Rz 32). Eine Filialleiterin eines Supermarktes erfüllt in aller Regel diese Voraussetzungen – zumindest gegenüber den ihr unterstellten DN. Ob der Aufseher im Betrieb ein ihm zukommendes Weisungsrecht tatsächlich ausübt, ist für das Vorliegen der Aufsehereigenschaft ohne Bedeutung. Entscheidend ist nur, dass ihm ein Weisungsrecht zusteht (OGH 14.1.1986, 4 Ob 167/85).
Gegenüber betriebsfremden eingegliederten DN gilt im Grunde nichts anderes. Von einer Aufsehereigenschaft kann hierbei nur dann gesprochen werden, wenn der Geschädigte in einem Betrieb wie ein DN eingegliedert ist, wenn also eine entsprechende Unterordnung unter den Aufseher im Betrieb wie unter einen Dienstvorgesetzten, dem Weisungsrechte zustehen, vorliegt (RIS-Justiz RS0085661). Die Aufsehereigenschaft der Bekl und damit das DG-Haftungsprivileg scheiterten folglich bereits an der fehlenden Eingliederung der Kl in den Betrieb des Supermarktes.
Im Grunde ist der vorliegenden E nichts mehr hinzuzufügen. Die rechtliche Beurteilung fügt sich friktionslos in die bisherige Judikatur zum DGHaftungsprivileg ein. Eine Eingliederung der Kl in den Betrieb des Supermarktes wurde mit überzeugenden Gründen verneint.350