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Kinderbetreuungsgeld für Krisenpflegeeltern?

RUDOLFMÜLLER (WIEN/SALZBURG)
  1. Krisenpflegeeltern gehörten bereits vor Inkrafttreten der Neuregelung mit BGBl I 2019/24BGBl I 2019/24 zu den nach § 2 Abs 1 KBGG grundsätzlich anspruchsberechtigten Personen.

  2. Krisenpflegeeltern, die sich bereit erklären, ein Kind für einen unbestimmten Zeitraum, solange es nötig ist, in ihrem Haushalt zu betreuen, begründen mit dem ersten Tag der Übernahme einen gemeinsamen Haushalt iSd § 2 Abs 6 KBGG. Eine Ex-post-Differenzierung danach, wie lange diese Betreuung tatsächlich dauerte, ist für die Entscheidung über den Antrag auf Zuerkennung von Kinderbetreuungsgeld nicht relevant.

  3. Eine Mindestpflegedauer von 91 Tagen ist im Gesetz bis zur Novelle BGBl I 2019/24BGBl I 2019/24nicht vorgesehen; ein Umkehrschluss aus § 2 Abs 6 dritter Satz KBGG ist nicht möglich.

Der Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie, übergab das am 13.10.2017 geborene Kind am 17.10.2017 der Kl und ihrem Ehegatten in Krisenpflege. Am 6.1.2018 kam das Kind zu Langzeitpflegeeltern. Vom 18.10.2017 bis 16.1.2018 waren die Kl und das Kind am selben Hauptwohnsitz gemeldet. [...] Von Oktober 2017 bis Jänner 2018 bezog der Ehegatte der Kl Familienbeihilfe für das Kind. [...]

Die Bekl wies den Antrag [der Kl] auf Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes vom 13.10.2017 bis 12.10.2018 mit Bescheid vom 4.5.2018 ab. Nach Meinung der Bekl VA für Eisenbahn und Bergbau fehlt eine dauerhafte Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft, weil diese mindestens 91 Tage durchgehend dauern müsse.

Das Erstgericht gab der Kl für den Zeitraum vom 17.10.2017 bis 6.1.2018 statt. Die in § 2 Abs 6 KBGG geforderte dauerhafte Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft liege bereits ab dem ersten Tag der Unterbringung des Krisenpflegekindes vor.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl nicht Folge und ließ die Revision zu. [...]

Rechtliche Beurteilung

Die beantwortete Revision der Bekl ist zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Nach § 2 Abs 1 Z 2 KBGG hat ein Elternteil (Adoptivelternteil, Pflegeelternteil) Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für sein Kind (Adoptivkind, Pflegekind), sofern er mit diesem Kind im gemeinsamen Haushalt lebt. Ein gemeinsamer Haushalt liegt nur dann vor, wenn der Elternteil und das Kind in einer dauerhaften Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft an derselben Wohnadresse leben und beide an dieser Adresse auch hauptwohnsitzlich gemeldet sind. Der gemeinsame Haushalt gilt bei mehr als 91-tägiger tatsächlicher oder voraussichtlicher Dauer einer Abwesenheit des Elternteils oder des Kindes jedenfalls als aufgelöst (§ 2 Abs 6 Satz 1 und 3 KBGG idF BGBl I 2016/53BGBl I 2016/53).

2. Die Novelle BGBl I 2019/24BGBl I 2019/24 brachte folgende Änderungen:

2.1 Nach § 2 Abs 1 Z 2 KBGG idF BGBl I 2019/24BGBl I 2019/24 hat auch eine Krisenpflegeperson Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für ein Krisenpflegekind. Die in § 2 Abs 1 Z 2 KBGG geforderte Voraussetzung für den Anspruch – der gemeinsame Haushalt von Elternteil und Kind – blieb unverändert.

2.2 Die Definition des gemeinsamen Haushalts in § 2 Abs 6 Satz 1 wurde dahin präzisiert, dass eine dauerhafte Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft mindestens 91 Tage durchgehend dauern muss. § 2 Abs 6 KBGG wurde zudem um folgenden fünften Satz ergänzt: „Eine Krisenpflegeperson hat unabhängig davon, dass nie eine dauerhafte Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft mit dem Krisenpflegekind vorliegt, Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für dieses Krisenpflegekind, sofern sie es mindestens 91 Tage durchgehend in einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft betreut.“

2.3 Nach § 2 wurde § 2a eingefügt, der lautet:

Bundesgesetzes sind Personen, die im Auftrag des zuständigen Kinder- und Jugendhilfeträgers ausgebildet und von diesem mit der vorübergehenden Pflege und Erziehung eines Kindes für die Dauer der Gefährdungsabklärung betraut wurden. Krisenpflegepersonen sind keine Pflegeeltern im Sinne dieses Gesetzes, die auf Pflegeeltern anzuwendenden Bestimmungen sind jedoch auf Krisenpflegepersonen sinngemäß anzuwenden, es sei denn, dieses Gesetz sieht abweichende Bestimmungen für Krisenpflegepersonen vor.(2) Krisenpflegekinder im Sinne dieses Bundesgesetzes sind Kinder, die aufgrund einer akut gefährdenden Lebenssituation kurzfristig von Krisenpflegepersonen betreut werden. Krisenpflegekinder sind keine Pflegekinder im Sinn dieses Gesetzes, die auf Pflegekinder anzuwendenden Bestimmungen sind jedoch auf Krisenpflegekinder sinngemäß anzuwenden, es sei denn, dieses Gesetz sieht abweichende Bestimmungen für Krisenpflegekinder vor.“

2.4 Diese Neuregelungen sind nach der Übergangsbestimmung in § 50 Abs 23 KBGG idF BGBl I 2019/24BGBl I 2019/24 rückwirkend mit 1.7.2018 in Kraft 371 getreten. Sie sind im vorliegenden Fall, in dem der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für die Dauer der Krisenpflegeunterbringung vom 17.10.2017 bis 6.1.2018 zu klären ist, noch nicht anzuwenden (RIS Justiz RS0008715). Die Zugehörigkeit zum Kreis der Anspruchsberechtigten sowie die Anspruchsvoraussetzungen einer dauerhaften Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft sind (unstrittig) noch nach dem KBGG idF BGBl I 2016/53BGBl I 2016/53zu beurteilen.

3.1 § 184 Satz 1 ABGB idF KindRÄG 2013, BGBl I 2013/15BGBl I 2013/15(zuvor wortgleich § 186 idF BGBl I 2000/135), definiert Pflegeeltern als Personen, welche die Pflege und Erziehung des Kindes ganz oder teilweise besorgen und zu denen eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern nahekommende Beziehung besteht oder hergestellt werden soll. Nach § 184 Satz 2 ABGB haben sie das Recht, in den die Person des Kindes betreffenden Verfahren Anträge zu stellen (§ 184 Satz 2 ABGB).

3.2. Nach einhelliger Meinung ist die Pflegeelterneigenschaft kraft Gesetzes gegeben, wenn die beiden gesetzlichen Tatbestandsmerkmale faktisch vorliegen: Die – tatsächlich – ganz oder teilweise Besorgung der Pflege und Erziehung sowie das Bestehen einer dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern nahekommenden persönlichen Beziehung oder zumindest die Absicht, eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern vergleichbare emotionale Bindung aufzubauen (Hopf in KBB5 § 184 ABGB Rz 1 mwN; 10 ObS 68/14v SSV NF 28/59; 10 ObS 102/14v SSV NF 28/60; RS0127991).

3.3 Die Gesetzesmaterialien (584/A 26. GP 3) qualifizierten anlässlich der Neuregelung der Krisenpflege im KBGG Krisenpflegeeltern aufgrund der „ständigen Rechtsprechung des OGH (8 Ob 54/11s; 1 Ob 129/15z)“ nicht als Pflegeeltern iSd § 184 ABGB, weshalb Krisenpflegeeltern seit diesen, auch im Bereich des Kinderbetreuungsgeldes umzusetzenden Entscheidungen bisher generell – unabhängig von der Dauer der Betreuung – keinen Anspruch gehabt hätten.

3.4 Beide – als stRsp bezeichnete – Entscheidungen beurteilten jedoch ausschließlich die Rechtsmittellegitimation von (unstrittig) Dauerpflegeeltern in Obsorgeverfahren und bejahten sie nach § 184 Satz 2 ABGB. Den Aussagen „keine Pflegeeltern im Sinn des § 186 ABGB sind daher auch Krisenpflegeeltern, die Kinder in einer akut gefährdenden Lebenssituation nur für einen von vornherein begrenzten Zeitraum aufnehmen, ohne dass der Aufbau einer dauerhaften familienähnlichen Beziehung angestrebt wird“ (8 Ob 54/11s) und „schon deshalb geht der in der Revisionsrekursbeantwortung ... enthaltene Hinweis darauf ins Leere, dass Krisenpflegeeltern, die nur für einen von vornherein begrenzten Zeitraum ein Kind aufnehmen, nicht unter den Pflegeelternbegriff fallen“ (1 Ob 129/15z) kommt deshalb für die Auslegung des Begriffs „Pflegeelternteil“ in § 2 Abs 1 KBGG idF BGBl I 2016/53BGBl I 2016/53nicht die in den zitierten Gesetzesmaterialien zugebilligte Bedeutung zu. Die Abgrenzung Pflegeeltern von Krisenpflegeeltern war nicht entscheidungsrelevant.

3.5 Dass vor Inkrafttreten der Neuregelungen mit der Novelle BGBl I 2019/24BGBl I 2019/24 Krisenpflegeeltern nicht zum anspruchsberechtigten Personenkreis der Pflegeeltern nach § 2 Abs 1 KBGG gehören sollten, entsprach zudem nicht der bisherigen Praxis von Versicherungsträgern, welche die Anspruchsberechtigung nicht in Zweifel zogen (vgl 10 ObS 3/13hSSV NF 27/12; 10 ObS 14/13a, je mit Hinweis auf den Durchführungserlass zum KBGG – abgedruckt in Ehmer ua, KBGG2 [2009] Anh 1, 278 ff).

3.6 Krisenpflegeeltern gehörten bereits vor Inkrafttreten der Neuregelung mit BGBl I 2019/24BGBl I 2019/24 zu den nach § 2 Abs 1 KBGG grundsätzlich anspruchsberechtigten Personen.

4.1 Nach § 2 Abs 6 KBGG idF BGBl I 2016/53BGBl I 2016/53 liegt ein gemeinsamer Haushalt iSd KBGG nur dann vor, wenn der Elternteil und das Kind in einer dauerhaften Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft an derselben Wohnadresse leben und beide an dieser Adresse auch hauptwohnsitzlich gemeldet sind. Der gemeinsame Haushalt gilt bei mehr als 91-tägiger tatsächlicher voraussichtlicher Dauer einer Abwesenheit des Elternteils oder des Kindes jedenfalls als aufgelöst.

4.2 Der Begriff „dauerhaft“ in § 2 Abs 6 KBGG aF ist ein unbestimmter Gesetzesbegriff, dessen Inhalt im Wege der Auslegung ermittelt werden muss. Die Rsp versteht unter gemeinsamem Haushalt eine auf längere Zeit gerichtete Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft (10 ObS 17/19a; Sonntag in Sonntag/Schubert/Konecny, KBGG2 [2017] § 2 KBGG Rz 24).

4.3 Weißenböck (in Holzmann-Windhofer/Weißenböck, Kinderbetreuungsgeldgesetz [2017] § 2 KBGG Anm 2.2.1) nimmt über einen Umkehrschluss aus § 2 Abs 6 Satz 3 KBGG einen gemeinsamen Haushalt nur bei einer Dauer von mindestens 91 Tagen an.

4.4 Diese Lehrmeinung hat der OGH erst jüngst zu 10 ObS 17/19a und (dieser E folgend) zu 10 ObS 51/19a für den Fall des Bezugs von einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeld in der Variante 12 + 2 im Fall getrennt lebender Eltern abgelehnt (RS0132594). Die Auslegung, eine bloß zweimonatige Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft sei nur „vorübergehend“ und nicht dauerhaft iSd § 2 Abs 6 KBGG, widerspreche § 5 Abs 3 und 4 KBGG sowie § 24b KBGG idF BGBl I 2009/116BGBl I 2009/116. Das Ziel der KBGG-Novelle 2009, BGBl I 2009/116BGBl I 2009/116, durch eine kürzere zweimonatige Mindestbezugsdauer die Inanspruchnahme vor allem auch Vätern zu erleichtern und eine flexiblere Handhabung zu ermöglichen, würde unterlaufen, wenn bei getrennt lebenden Eltern ein gemeinsamer Haushalt während der auf zwei Monate reduzierten Mindestbezugsdauer zur Begründung einer „dauerhaften Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft“ nicht ausreichen sollte. Getrennt lebenden Eltern wäre es dann ganz allgemein verwehrt, die Mindestbezugsdauer in Anspruch zu nehmen.

4.5 § 2 Abs 6 KBGG in der hier noch nicht anzuwendenden Fassung BGBl I 2019/24BGBl I 2019/24definiert in seinem ersten Satz eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft des Elternteils mit dem Kind nur dann 372 als dauerhaft, wenn sie mindestens 91 Tage durchgehend anhält. Nach § 2 Abs 6 letzter Satz KBGG idF BGBl I 2019/24BGBl I 2019/24 hat eine Krisenpflegeperson Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für das Krisenpflegekind, sofern sie es mindestens 91 Tage durchgehend in einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft betreut.

4.6 Die Gesetzesmaterialien (584/A 26. GP 3) verweisen in diesem Zusammenhang darauf, dass zwar jene Krisenpflegepersonen, die Krisenpflegekinder länger als 91 Tage betreuen, ebenfalls keine Eltern iSd ABGB und damit auch keine Eltern iSd KBGG sind, aber dennoch nicht der Gruppe der typischen Kurzzeitpflegepersonen (Betreuung für einige Wochen) angehören

4.7 Krisenpflegeeltern werden somit nach der neuen Rechtslage anderen Elternteilen in Bezug auf die Dauer einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft, die notwendig ist, um die gesetzliche Voraussetzung des gemeinsamen Haushalts zu erfüllen, gleichgestellt.

4.8 Wie sich die Neuregelung einer Mindestdauer von 91 Tagen mit der nach wie vor aufrechten Mindestbezugsdauer von 61 Tagen (§ 3 Abs 5 KBGG) vereinen lässt, erklären die Gesetzesmaterialien nicht. Ungelöst bleibt auch das Problem, inwieweit ein nicht mit dem anderen im gemeinsamen Haushalt lebender Elternteil (einkommensabhängiges) Kinderbetreuungsgeld nur für die Mindestbezugsdauer von 61 Tagen in Anspruch nehmen soll.

4.9 Im Fall von Krisenpflegeeltern, die sich – so wie hier – bereit erklären, ein Kind für einen unbestimmten Zeitraum, solange es nötig ist, in ihrem Haushalt zu betreuen, begründen mit dem ersten Tag der Übernahme einen gemeinsamen Haushalt iSd § 2 Abs 6 KBGG. Eine Ex-post-Differenzierung danach, wie lange diese Betreuung tatsächlich dauerte, ist für die Entscheidung über den Antrag auf Zuerkennung von Kinderbetreuungsgeld nicht relevant. Sie würde zudem der vom Gesetzgeber mit der Neuregelung in BGBl I 2019/24angestrebten Gleichstellung von Krisenpflegeeltern als wichtige Bezugspersonen für Kinder in Notsituationen mit Pflegeeltern widersprechen (AB 584/A 26. GP 3).

5. Die Voraussetzungen für den Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld sind hier erfüllt: Die Kl hat als zum Kreis der anspruchsberechtigten Personen gehörende Krisenpflegeperson das Kind am 17.10.2017 auf unbestimmte Zeit in ihrem Haushalt aufgenommen. Im Betreuungszeitraum vom 17.10.2017 bis 6.1.2018 waren sie und das Kind an derselben Wohnadresse hauptwohnsitzlich gemeldet.

ANMERKUNG
1.
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1.1. Warum kommentiert man eine OGH-E, die auf einer Rechtslage beruht, die schon im Zeitpunkt der E dank einer vom Gesetzgeber rückwirkend in

Geltung gesetzten Gesetzesänderung im entscheidungswesentlichen Punkt seit 1.7.2018 nicht mehr gegolten hat? Auf den Umstand hinzuweisen, dass der Gesetzgeber des KBGG seinerzeit so getan hat, als gäbe des das Phänomen der „Krisenpflegeeltern“ nicht, was auf den ersten Blick als eine Fehlleistung betrachtet werden könnte, würde den Aufwand nicht rechtfertigen.

1.2. Was die Sache aber dennoch interessant macht, ist der Umstand, dass der Gesetzgeber der Novelle BGBl I 2019/24BGBl I 2019/24 den Anspruch für Krisenpflegeeltern im Vergleich zur vorliegenden OGH-E rückwirkend eingeschränkt hat. Ein solcher Vorgang führt natürlich sofort zur Verfassungsfrage nach einer Verletzung des Vertrauensschutzes durch einen rückwirkenden Eingriff des Gesetzgebers in möglicherweise erworbene Rechte. Dies deutet der OGH in einer späteren E vom 13.9.2019 auch an (OGH10 ObS 57/19h), bei der der strittige Zeitraum über den 1.7.2018 hinaus andauerte, musste sich mit dieser Frage im Ergebnis aber nicht beschäftigen, da diese strittige Krisenpflege ohnehin länger als 91 Tage angedauert hatte. Das alles ist an sich Anlass genug, um diese Frage zu beleuchten.

1.3. Aber es gibt ein zweites, bisher in der Rsp und Literatur, aber auch in der politischen Debatte zumindest nicht ausdrücklich erwähntes Problem, das dem zuerst genannten – nämlich der Verfassungsfrage – vorgelagert ist: Krisenpflegeeltern sind nicht nur keine Pflegeeltern iSd § 184 iVm § 185 Abs 1 ABGB (wie der OGH zurecht betont), sie sind auch – entgegen einer landläufig anzutreffenden Meinung – etwas grundlegend anderes als Pflegeeltern iSd KBGG (wie der OGH verkennt). Krisenpflegepersonen (wie sie besser zu nennen wären, um verbreitete begriffsjuristische Neigungen nicht durch die Verwendung des „Eltern“-Begriffs zusätzlich zu befeuern) haben im hier maßgebenden Zusammenhang nicht nur eine grundlegend andere Funktion als Pflegeeltern, sie kommen auch kompetenzrechtlich und finanzverfassungsrechtlich aus einer anderen Welt, nämlich dem (Ausführungs-)Gesetzgebungs- und Vollzugsbereich der Länder, von denen sie nach § 2 Finanz-Verfassungsgesetz (F-VG) auch zu finanzieren wären. Die Zuerkennung von KBG an Krisenpflegepersonen ist nichts weniger als eine stille Maßnahme des Finanzausgleichs zugunsten der Länder, zu der freilich nicht die Gerichte (auch nicht die Verwaltungsbehörden, wie dies vor dem 1.7.2018 ja in eingeschränktem Umfang schon geschehen ist), sondern gem § 3 F-VG ausschließlich der Bundesgesetzgeber berufen war. Diese These bedarf freilich einer näheren Begründung.

2.
Krisenpflege – eine Einrichtung des Kinder- und Jugendhilferechts der Länder

2.1. Gefährden Eltern durch ihr Verhalten das Wohl des minderjährigen Kindes (etwa indem sie die Obsorgepflicht nicht erfüllen oder diese gröblich vernachlässigen), sind die zur Sicherung des Wohles des Kindes nötigen Verfügungen unverzüglich 373 zu treffen (§§ 181 Abs 1, 211 ABGB). Ziel einer Krisenunterbringung ist entweder die Reintegration in den familiären Bereich oder aber – sofern dies nicht möglich ist – eine dauerhafte Unterbringung bei Pflegeeltern. Die Unterbringung bei Krisenpflegeeltern ist somit dadurch charakterisiert, dass zum Zeitpunkt der Übernahme der Krisenpflege die Dauer des Verbleibs des Kindes in der Regel noch nicht absehbar, jedenfalls aber nicht auf Dauer geplant, ist. Ab dem Zeitpunkt der Übernahme des Kindes sind Krisenpflegeeltern aber zur Erbringung all jener Betreuungsleistungen verpflichtet, die bei einem intakten Familienverband von dem jeweiligen Elternteil zu erbringen gewesen wären (vgl OGH 13.9.2019, 10 ObS 87/19w).

2.2. Bis 1.1.2020 gehörten Angelegenheiten der Mutterschafts-, Säuglings- und Jugendfürsorge zu den sogenannten „Art 12-Kompetenzen“, dh die Zuständigkeit des Bundes beschränkte sich auf Grundsatzgesetzgebung, jene der Länder auf Ausführungsgesetzgebung und Vollziehung (durch die B-VG-Novelle 2019 wurden diese Angelegenheiten ab 1.1.2020 in die alleinige Kompetenz der Länder transferiert). Die aufgrund dieser Kompetenz erlassenen Jugendwohlfahrtsgesetze des Bundes und der Länder wurden 2013 durch moderne Kinder- und Jugendhilfegesetze ersetzt (Grundsatzgesetz: Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz 2013 [B-KJHG], BGBl I 2013/69BGBl I 2013/69). Das Grundsatzgesetz sieht in den §§ 22 ff im Falle von Mitteilungen über den Verdacht der Gefährdung des Kindeswohls möglichst rasche Abklärungen durch mindestens zwei Fachkräfte und gegebenenfalls die Gewährung voller Erziehung gem § 26 durch Betreuung außerhalb der Familie vor, und zwar entweder mit Einverständnis der Eltern (§ 27) oder mit Zustimmung des Gerichts (§ 28). Gem § 28 hatte bei Gefahr im Verzug der Kinder- und Jugendhilfeträger unverzüglich die erforderliche Erziehungshilfe zu gewähren und die notwendigen Anträge bei Gericht zu stellen (§ 211 ABGB). Pflegeverhältnisse im Rahmen der vollen Erziehung dürfen nur mit Pflegepersonen eingegangen werden, deren Eignung zuvor überprüft wurde (§ 19). Diesen Personen – sofern es sich nicht um nahe Angehörige des Kindes handelt – war gem § 20 (sc vom Land) Pflegekindergeld „zur Abgeltung des mit Pflege und Erziehung verbundenen Aufwands“ zu gewähren und es sollte ihnen – durch die Länder – die Möglichkeit zur sozialversicherungsrechtlichen Absicherung geboten werden (§ 20 Abs 3).

Ohne den Begriff „Krisenpflege“ zu verwenden, wird damit grundsatzgesetzlich umschrieben, was darunter zu verstehen ist, nämlich die rasche Intervention im Krisenfall: Das kann der Tod der Eltern bei Fehlen anderer Angehöriger sein, das können eine Gewaltsituation in der Familie oder ähnliche Ereignisse sein, welche auf der Stelle die kurzfristige anderweitige Unterbringung von Kindern erfordern (zur Krisenbewältigung und zur neuen Gefährdungsabklärung vgl auch ErläutRV 2191 BlgNR 24. GP 12, ferner Barth-Richtarz, Gefahr ist im Verzug: Effektiver Kinderschutz als „nationale Anstrengung“! Positionspapier der Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs, iFamZ 2008, 104). Diese Unterbringung kann eine vorübergehende sein, bis die Krise bewältigt ist, oder es kann ein Dauerzustand werden, der mit der Perspektive des Erfordernisses einer künftigen dauernden Unterbringung bei Pflegeeltern oder Adoptiveltern einhergeht. Einem Pflegeelternpaar (Pflegeelternteil) hat dann das Gericht auf seinen Antrag die Obsorge für das Kind ganz oder teilweise zu übertragen, wenn das Pflegeverhältnis nicht nur für kurze Zeit beabsichtigt ist und die Übertragung dem Wohl des Kindes entspricht (§ 185 Abs 1 ABGB).

2.3. Krisenpflegepersonen werden in den Ländern zum Teil über landesnahe Vereine organisiert: So bewirbt zB in Oberösterreich der Verein „Plan B“ die Tätigkeit einer „Krisenpflegefamilie“ im Anstellungsverhältnis mit mindestens 17,1 Wochenstunden bei einem Kind mit Gehalt und Aufwandsentschädigung in Form eines Krisenpflegekindergeldes (http://www.planb-ooe.at/index.php?id=245 – 8.1.2020http://www.planb-ooe.at/index.php?id=245 – 8.1.2020; vgl auch § 30 des Oö. Kinder- und Jugendhilfegesetzes 2014, LGBl 2014/30). Wien leistet eine monatliche Aufwandsentschädigung als Pflegekindergeld und bietet beim Verein „Eltern für Kinder Österreich“ zwei Anstellungsmodelle je nach Aufgabenumfang an (https://www.wien. gv.at/menschen/kind-familie/pflegefamilie/krisenpflege.html 8.1.2020https://www.wien. gv.at/menschen/kind-familie/pflegefamilie/krisenpflege.html 8.1.2020; vgl zur Organisation in Wien auch Thomasberger, Kinderbetreuungsgeld für Krisenpflegeeltern, DRdA 2012, 530). Krisenpflegeeltern können durchaus auf zwei Dutzend Kinder in drei oder vier Jahren kommen (vgl https://www. addendum.org/jugendamt/pflegefamilien/8.1.2020https://www. addendum.org/jugendamt/pflegefamilien/8.1.2020 „Eltern auf Zeit“). Das Steiermärkische Kinder- und Jugendhilfegesetz, LGBl 2013/138, definiert als Kurzzeitpflegepersonen jene, die Kinder in Krisensituationen zur Abklärung bis zu sechs Monaten betreuen und sieht in § 34 zur Abgeltung des Aufwandes die amtswegige Gewährung von (Landes-)Kinderpflegegeld vor, dessen Valorisierung im Zusammenhang mit dem Entfall des KBG für Krisenpflegeeltern am 28.9.2018 angekündigt wurde (http://www.soziales.steiermark.at/cms/beitrag/12688071/52077529/ – 8.1.2020http://www.soziales.steiermark.at/cms/beitrag/12688071/52077529/ – 8.1.2020).

2.4. Dieser kurze Überblick (der mit ähnlichem Ergebnis mühelos auch für die anderen Bundesländer ergänzt werden könnte) sollte als Nachweis dafür ausreichen, dass ungeachtet des äußeren Anscheins Krisenpflege von ihrer Zielsetzung her doch etwas deutlich anderes ist als Pflegekindschaft, der die Absicht der Herstellung einer dauerhaften Eltern- Kind-Beziehung auf lange Zeit zugrunde liegt (vgl zu dieser Differenzierung zB OGH 27.8.2015, 1 Ob 129/15z): „Krisenpflegeeltern“, die Kinder in einer akut gefährdenden Lebenssituation nur für einen von vornherein begrenzten Zeitraum aufnehmen, ohne dass der Aufbau einer dauerhaften familienähnlichen Beziehung angestrebt wird, sind daher keine Pflegeeltern iSd § 186 ABGB (OGH 29.6.2011, 8 Ob 54/11s). Pflegeeltern iSd § 186 ABGB wollen wie Adoptiveltern ein Kind großziehen, Krisenpflegeeltern wollen im Auftrag der Behörden der Kinder- und Jugendhilfe diese dabei unterstützen, das Kind rasch, aber nur vorübergehend aus einer vorübergehenden Krisensituation herausnehmen

2.4. Dieser kurze Überblick (der mit ähnlichem Ergebnis mühelos auch für die anderen Bundesländer ergänzt werden könnte) sollte als Nachweis dafür ausreichen, dass ungeachtet des äußeren Anscheins Krisenpflege von ihrer Zielsetzung her doch etwas deutlich anderes ist als Pflegekindschaft, der die Absicht der Herstellung einer dauerhaften Eltern- Kind-Beziehung auf lange Zeit zugrunde liegt (vgl zu dieser Differenzierung zB OGH 27.8.2015, 1 Ob 129/15z): „Krisenpflegeeltern“, die Kinder in einer akut gefährdenden Lebenssituation nur für einen von vornherein begrenzten Zeitraum aufnehmen, ohne dass der Aufbau einer dauerhaften familienähnlichen Beziehung angestrebt wird, sind daher keine Pflegeeltern iSd § 186 ABGB (OGH 29.6.2011, 8 Ob 54/11s). Pflegeeltern iSd § 186 ABGB wollen wie Adoptiveltern ein Kind großziehen, Krisenpflegeeltern wollen im Auftrag der Behörden der Kinder- und Jugendhilfe diese dabei unterstützen, das Kind rasch, aber nur vorübergehend aus einer vorübergehenden Krisensituation herausnehmen 374 zu können, und erbringen dadurch einen Dienst an der Gemeinschaft. Krisenpflegepersonen scheiden zu diesem Zweck nicht etwa aus dem bisherigen Berufsleben aus, sondern gehen zum Teil zur sozialen Absicherung ein Anstellungsverhältnis als Krisenpfleger ein.

2.5. Das KBG ist – nicht anders als seine Vorläufer – eine Einkommensersatzleistung, die es Eltern oder Pflegeeltern finanziell ermöglichen oder erleichtern soll, einige Zeit ihre Berufstätigkeit ganz oder teilweise zugunsten der Kleinkindbetreuung während der ersten drei Lebensjahre aufzugeben (so im Übrigen auch VfGHG 128/08 ua VfSlg 18.705). Darin unterscheidet sich das KBG auch maßgeblich von der Familienbeihilfe nach dem Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG), welches die Eltern einkommensunabhängig beim Tragen der zusätzlichen Unterhaltslast unterstützen soll und deshalb gerade keine Einkommensersatzleistung ist. Der Anspruch auf Familienbeihilfe ist nach dem KBGG zwar Anspruchsvoraussetzung (§ 2 Abs 1 Z 1 KBGG), bewirkt aus den genannten Gründen aber für sich allein bei Pflegeeltern noch nicht den Anspruch auf KBG, worauf der Durchführungserlass zum KBGG (vgl Ehmer ua, Kinderbetreuungsgeldgesetz2 [2009] 278 ff [279]) idF aus 2007 (524450/ß0038-II/3/07 des BMSG) zurecht hinweist.

2.6. Es ist richtig, dass die Dauer der Krisenpflege zu Beginn nicht absehbar sein wird und es mag sein, dass Krisenpflege fallweise auch eine längere Zeit hindurch andauern kann und sich dadurch auch die emotionale Leistung von Krisenpflegepersonen jener der Pflegeeltern weitgehend annähert (zur Bedeutung der Dauer in diesem Zusammenhang siehe auch OGH 29.6.2011, 8 Ob 54/11s – mehr als einjährige Krisenpflege), sodass es sozialpolitisch schwer fallen mag, die beiden Pflegeformen bei der Gewährung von KBG unterscheiden zu müssen.

Das darf aber den Blick auf die ganz unterschiedlichen Zielsetzungen, vor allem aber auch auf die finanzausgleichsrechtlichen Implikationen, nicht verstellen. Wie sehr Kinder- und Jugendpflege finanzausgleichsrechtlich von Bedeutung ist, zeigen die ausführlichen diesbezüglichen Erläuterungen in der RV zum BKJHG 2013 (ErläutRV 2191 BlgNR 24. GP 6 ff), vor allem aber die finanzausgleichsrechtliche Regelung des § 46 leg cit, in dem ein jährlicher Zweckzuschuss des Bundes für 2013 und 2014 von je 3,9 Mio €, verteilt auf die Bundesländer, vorgesehen ist. Krisenpflegeeltern wären – bezieht man sie ohne Wenn und Aber in das KBGG ein – aufgrund häufig wechselnder Pflegekinder KandidatInnen für einen geradezu immerwährenden Bezug von KBG als Dauerleistung; das KBG des Bundes würde damit für eine Finanzierungsaufgabe der Länder aufgewendet und in diesem Umfang ein kalter Finanzausgleich bewirkt.

3.
Die Verwaltungspraxis

Die gerade erstellte Diagnose spiegelt sich auch in der wechselhaften Verwaltungspraxis wider (das Folgende ist dem Sachverhalt in der Missstandsfeststellung der Volksanwaltschaft vom 12.7.2012, unter https://volksanwaltschaft.gv.at/downloads/9l6mq/ Kollegiale%20Missstandsfeststellung%20Juli%20 2012.pdfhttps://volksanwaltschaft.gv.at/downloads/9l6mq/ Kollegiale%20Missstandsfeststellung%20Juli%20 2012.pdf – 10.1.2020, entnommen; ebenso Thomasberger, DRdA 2012, 530 ff):

3.1. Nach Erlassung des Stammgesetzes zeigte sich die oberste Verwaltungsbehörde in der Vollziehung großzügig: Das (damals FPÖ-geführte) BM für soziale Sicherheit und Generationen hatte am 19.2.2002 auf eine Anfrage ohne Weiteres festgestellt, dass Krisenpflegeeltern Anspruch auf KBG (für Geburten ab 1.1.2002) hätten und „von der Einhaltung eines mind. dreimonatigen KBG-Bezuges [Anm: nach der damaligen Fassung des § 5 Abs 4 KBGG] unter Berücksichtigung der besonderen Umstände im Falle der Krisenpflegeelternschaft abgesehen werden“ könne.

3.2. Nach einem Wechsel der Koalition von schwarz-blau auf rot-schwarz und einem Wechsel der Materie ins (ÖVP-geführte) BM für Wirtschaft, Familie und Jugend (BMWFJ) änderte sich seit 2010 diese Praxis aufgrund einer ministeriellen Weisung, wonach von Krisenpflegeeltern eine Mindestbezugsdauer des KBG von zwei Monaten (aufgrund der Blockzeitenregelung des § 5 Abs 4 KBGG, nunmehr idF BGBl I 2009/116BGBl I 2009/116) verlangt wurde. Ferner wurde bereits bezogenes KBG ab Anfang 2010 zurückgefordert. Diese Änderung der Verwaltungspraxis zeigt, dass damit wohl auf die praktischen Auswirkungen der oben herausgearbeiteten Unterschiede zwischen Krisenpflege und Pflegekindschaft reagiert wurde.

3.3. Die Volksanwaltschaft hielt sich mit dogmatischen Fragen nicht lange auf: Sie rügte die geänderte Verwaltungspraxis als Missstand, weil diese Änderung ohne Änderung der gesetzlichen Grundlagen erfolgte. Interessant ist, dass die Wiener Gebietskrankenkasse in diesem Verfahren darauf hingewiesen hat, dass im Vorfeld der Weisung des nunmehr zuständigen BMWFJ die Krisenpflegemütter oftmals mehrere Anträge für jeweils unterschiedliche Kinder für kurze Zeiträume meist rückwirkend gestellt hätten; dies bestätigt den Befund, dass es sich auch sachlich um eine völlig andere Welt handelt als jene der Pflegeeltern.

3.4. Der Gesetzgeber verstärkte den Gesichtspunkt der Dauer der Wohngemeinschaft ab 1.1.2017 mit der Novelle zum KBGG BGBl I 2016/53BGBl I 2016/53: Während nach der Formulierung des Stammgesetzes BGBl 2001/103 erforderlich war, dass der anspruchswerbende Elternteil mit dem Kind im gemeinsamen Haushalt lebt (§ 2 Abs 1 Z 2 KBGG), definiert der mit der Novelle eingeführte § 2 Abs 6 KBGG den gemeinsamen Haushalt „im Sinne dieses Bundesgesetzes“ damit, dass „Elternteil und das Kind in einer dauerhaften Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft an derselben Wohnadresse leben und beide an dieser Adresse auch hauptwohnsitzlich gemeldet sind“. Diese Anspruchsvoraussetzung der dauerhaften Wohngemeinschaft galt nach dieser Bestimmung bei einer mehr als 91-tägigen tatsächlichen oder voraussichtlichen Dauer einer Abwesenheit des Elternteiles oder des Kindes jedenfalls als aufgelöst. 375

3.5. Die Verwaltungspraxis änderte sich daraufhin erneut, und zwar in der Weise, dass nunmehr aus dem Erfordernis, dass eine Unterbrechung der Wohngemeinschaft höchstens 91 Tage andauern durfte, der Gegenschluss gezogen wurde, dass für den Anspruch eine Mindestdauer der Wohngemeinschaft von 91 Tagen abgeleitet wurde, was den Kreis anspruchsberechtigter Krisenpflegeeltern erneut einschränkte und eine Welle von Klagen auslöste.

4.
Die Rechtsprechung

4.1. Der zuerst erwähnten, von der VA gerügten Änderung der Verwaltungspraxis aus dem Jahr 2010 (also vor der Novelle BGBl I 2016/53BGBl I 2016/53) wurde auch durch die Rsp der Boden entzogen: Der OGH hat am 26.2.2013 (OGH10 ObS 3/13h SSV-NF 27/12) zur Fassung nach der Novelle BGBl I 2009/116BGBl I 2009/116(also nach Herabsetzung des Mindestbezugsblocks auf zwei Monate; es ging um den Zeitraum 25.7. bis 17.9.2011) – wie schon die Vorinstanzen – entschieden, dass dieser Mindestbezugsblock „ausschließlich“ für den Wechsel zwischen Elternteilen (Adoptivelternteilen, Pflegeelternteilen) gelte, nicht aber auch als Mindestbezugsdauer nach einem Wechsel von der Kindesmutter zu Kriseneltern anzusehen sei. Das Vermischen dieser unterschiedlichen Ebenen der Elternschaft, um daraus ua auch einen Wechselfall mit Verlängerung des Anspruchs auf KBG zu konstruieren, läge nicht iSd Gesetzes. Der Anspruch der Krisenpflegeeltern auf KBG „an sich“ wurde nicht näher begründet und gemäß der damaligen Verwaltungspraxis, die ja nur eine Mindestpflegedauer forderte, vor Gericht vermutlich auch nicht problematisiert.

4.2. Nach der Novelle BGBl I 2016/53BGBl I 2016/53 war das ab 1.1.2017 neu eingeführte Element der Dauerhaftigkeit bei der Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft in der Definition des § 2 Abs 6 KBGG mit Blick auf diese frühere OGH-E im Interpretationsweg schon deshalb zu relativieren, da andernfalls ein Wechsel der Pflege ab 1.1.2017 bei getrennt lebenden Elternteilen unmöglich geworden wäre (vgl dazu näher OGH 26.3.2019, 10 ObS 17/19a).

4.3. Das OLG Graz entschied am 8.3.2018 zu dieser Fassung des § 2 Abs 6 KBGG, dass auch aus der Unterbrechungsregelung von 91 Tagen kein Gegenschluss auf eine Mindestbezugsdauer für Krisenpflegeeltern abgeleitet werden könne. Dass eine Unterbringung bei Krisenpflegeeltern von vornherein nicht auf Dauer angelegt sei, liege „in der Besonderheit dieser aus der Gefährdungslage resultierenden Situation“, vermöge jedoch „dem Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für Kriseneltern nicht die Grundlage zu entziehen“. Primäre Anspruchsvoraussetzung sei nach dem Zweck des Gesetzes die Erbringung von Betreuungsleistungen. Werde im Rahmen einer Gefährdungssituation das Kind bei einer Krisenpflegeperson untergebracht, so verpflichte dies die Pflegeperson zur Erbringung all jener Betreuungsleistungen, die bei einem funktionierenden Familienverband bzw einer intakten Eltern-Kind-Beziehung von dem jeweiligen Elternteil zu erbringen gewesen wären.

4.4. Es wurde im Gegensatz dazu auf der politischen Ebene in erster Linie behauptet, dass es ein gegenteiliges rechtskräftiges Urteil des OLG Wien gegeben habe (so die Begründung des IA 584/26. GP NR, 3 zur Novelle 2019), in dem das Gericht unter Berufung auf das seit dem 1.1.2017 verschärfte Erfordernis der dauerhaften gemeinsamen Wohnsitzbegründung abgeleitet habe, dass Krisenpflegeeltern diese Voraussetzung prinzipiell nicht erfüllen könnten und daher ab 1.1.2017 überhaupt keinen Anspruch auf KBG hätten. (Anm: Eine derartige Entscheidung, die in den Materialien nicht näher bezeichnet wird, ist nirgends veröffentlicht und findet sich auch in keinem Aufsatz zitiert. Sie war für den Rezensenten unauffindbar.) Demgemäß haben sich in der Debatte zur Novelle 2019 (siehe den genauen Inhalt der Novelle oben in den Entscheidungsgründen des OGH, Pkt 2) die Opposition und die Regierungsparteien auf je unterschiedliche Rechtslagen bezogen: Während die Opposition in der Novelle eine Beschränkung der Ansprüche gegenüber der E des OLG Graz erblickte, pochte die Regierung darauf, das KBG für Krisenpflegeeltern vor der negativen Rsp des OGH (allerdings aus einem anderen Zusammenhang) gerettet zu haben (vgl StenProt 26. GP 63. Sitzung 222 [Abg Sandler – SPÖ] und 226 [Abg Sieber – ÖVP]).

4.5. Die Novelle BGBl I 2019/24BGBl I 2019/24. brachte also einerseits erstmals die ausdrückliche Verankerung des Anspruchs von Krisenpflegeeltern im KBGG (§ 2a KBGG), hat diesen Anspruch jedoch jetzt erstmals im Gesetzestext an eine Mindestpflegedauer von mehr als 91 Tagen gebunden (§ 2 Abs 6 letzter Satz). In Kenntnis dieser Novelle hat sich der OGH in seiner vorliegenden E für den Zeitraum vor ihrem rückwirkenden Inkrafttreten mit 1.7.2018 dennoch jener Meinung angeschlossen, nach der Krisenpflegeeltern schon immer einen Anspruch auf KBG vom ersten Tag der Übergabe in Krisenpflege an hatten, und die sich darin weder von „Mindest-Blockzeiten“ der Betreuung noch von der 91-Tagefrist in § 2 Abs 6 KBGG abhalten ließ. Der OGH hat damit im Ergebnis die Befürchtungen der Opposition, die Novelle 2019 sei eine Einschränkung und nicht die Rettung des Anspruchs, bestätigt. Aber hat der OGH auch recht?

5.
Kritik an der vorliegenden Entscheidung

5.1. Der 10. Senat hat in OGH vom 21.10.2014, 10 ObS 68/14v, ausgesprochen, es ergebe sich aus den Gesetzesmaterialien zu § 2 KBGG „deutlich“, dass mit dem Begriff der Pflegeeltern die Personen iSd § 186 ABGB (BGBl I 2000/135) – nunmehr iSd § 184 ABGB – gemeint seien. Das gelte daher auch für diesen Begriff in § 5 KBGG. In diesem Verfahren ging es um ein weibliches homosexuelles Paar, das mit dem Kind einer der beiden Lebensgefährtinnen in einem gemeinsamen Haushalt lebte und dessen Pflege und Erziehung gemeinsam besorgt wurde. Beantragt war die Verlängerung des Bezugszeitraums des KBG über das 30. Lebensmonat des Kindes hinaus; die Partnerin der leiblichen Mutter des Kindes – so der OGH – sei als Pflegeelternteil 376 iSd § 186 ABGB zu qualifizieren, weil sie die Pflege und Erziehung des Kindes ganz oder teilweise besorge und zwischen ihr und dem Kind eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und deren Kindern nahekommende Beziehung bestehe.

5.2. Die hier vorliegende E des 10. Senates beruht demgegenüber auf einer davon deutlich abweichenden Ansicht, nämlich, dass der Begriff der Pflegeeltern in § 2 Abs 1 KBGG nicht jenem des § 184 Abs 2 ABGB gleicht, sondern ein weiterer sei. Dabei scheint mir die Begründung weniger dogmatisch als vielmehr pragmatisch fundiert: Nach der Praxis der Versicherungsträger seien Krisenpflegeeltern als zum anspruchsberechtigten Personenkreis des § 2 Abs 1 KBGG zugehörig angesehen worden (was zutrifft) – daher gehörten sie auch dazu. Dabei weist der OGH auf zwei oben schon erwähnte Entscheidungen hin, in denen er einen Anspruch der Krisenpflegeeltern auf KBG (freilich offenbar nur mangels eines grundsätzlichen Widerstandes seitens der jeweils Bekl) dem Grunde nach ohne nähere Auseinandersetzung mit diesem Begriff angenommen hat (OGH 26.2.2013, 10 ObS 3/13h und 10 ObS 14/13a, jeweils – wie auch im vorliegenden Fall – unter Hinweis auf den oben erwähnten Durchführungserlass idF 2007).

5.3. Wenn man meine unter Pkt 2. dargelegte Auffassung von der grundsätzlichen Verschiedenheit der Funktionen von Krisenpflegeeltern und Pflegekindschaftsverhältnissen teilt, dann kann man schon deshalb angesichts des Schweigens des Gesetzgebers des KBGG nicht über den Gleichheitssatz zu einer analogen Anwendung dieses Gesetzes auf Krisenpflegeeltern gelangen. Bedenkt man die staatsorganisatorische Einordnung der Krisenpflegeeltern in die Länderkompetenz und die sich daraus ergebende finanzverfassungsrechtliche Kostentragungspflicht der Länder, dann steht das Fehlen einer finanzausgleichsrechtlichen Bestimmung iSd § 3 F-VG einer analogen Anwendung des KBGG auf Krisenpflegeeltern bis 30.6.2018 umso mehr entgegen. Diesen Aspekt hat der OGH nicht beachtet, sonst hätte er nicht zu diesem Ergebnis kommen können.

5.4. An dieser Schranke hätte auch die Begründung scheitern müssen, die lediglich an der tatsächlichen Verwaltungspraxis anknüpft: Abgesehen davon, dass der Verwaltungspraxis in einem Rechtsstaat kein das Gesetz überspielender normativer Wert zukommen kann, erzeugt sie – soweit sie wie hier einer gesetzlichen Grundlage entbehrt – aus rechtsstaatlichen Gründen auch keinen Vertrauensschutz (vgl dazu das grundlegende Erk des VfGHG 95/04 ua VfSlg 17.394 – Aufhebung des § 117 BAO).

5.5. In Wahrheit gibt es daher für den Zeitraum vom Inkrafttreten des Stammgesetzes bis zum 1.7.2018 keine Rechtsgrundlage dafür, auch Krisenpflegeeltern KBG zuzusprechen.

6.
Keine Verfassungswidrigkeit der Novelle BGBl I 2019/24BGBl I 2019/24

Daraus ergibt sich aber auch, dass die Novelle BGBl I 2019/24BGBl I 2019/24nicht rückwirkend in Ansprüche eingreift, sondern – als eine Vorschrift finanzausgleichsrechtlichen Inhalts – rückwirkend den Ansprüchen von Krisenpflegeeltern auf KBG erstmals eine sichere Rechtsgrundlage verschaffte. Die jetzt ausdrücklich geschaffene Anspruchsvoraussetzung einer mehr als 91-tägigen Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft bedeutet, dass die Gleichstellung mit Pflegeeltern nur für jene Krisenpflegefälle gilt, deren Dauer die Durchschnittsdauer von typischen Krisenpflegefällen überschreitet und infolgedessen eine gewisse Annäherung an Pflegekindschaftsverhältnisse aufweist. In diesem Umfang werden Länder von der Verpflichtung zur Kostentragung für die Krisenpflegschaft vom Bund zumindest teilweise entlastet. Die Regelung für die Krisenpflege lässt sich als lex specialis gegenüber der allgemeinen „Blockzeitenregelung“ des § 3 Abs 5 KBGG (mindestens 61 Tage Bezugsdauer) verstehen: § 3 Abs 5 KBGG gilt daher bei Krisenpflegeeltern nur für den Wechsel der Pflegeperson, nicht aber als Mindestbezugsdauer. Die Neuregelung des KBG für Krisenpflegeeltern durch die Novelle BGBl I 2019/24BGBl I 2019/24 erweist sich daher nicht nur als für den Anspruch erforderlich, sondern trotz ihrer Rückwirkung auch als verfassungsrechtlich unbedenklich. 377