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Insolvenz-Entgelt für Zeitausgleich

PETER C.SCHÖFFMANN (WIEN)
  1. Die Sicherung nach dem IESG ist mit Grenzbeträgen beschränkt, weil sie nur soweit reichen soll als das Einkommen typischerweise der Bestreitung des Lebensunterhalts dient.

  2. Die pauschalen Sicherungshöchstgrenzen orientieren sich nicht am Rechtsgrund der einzelnen Entgeltbestandteile, sondern an ihrer rechnerischen Summe.

  3. Der Grenzbetrag nach § 1 Abs 4 Z 3 IESG stellt auf das Entgelt pro geleisteter Stunde Arbeitszeit inklusive allfälliger Zuschläge ab. Die Anzahl der dafür ursprünglich gebührenden Stunden an Zeitausgleich ist unerheblich.

Der Kl war bei der späteren Insolvenzschuldnerin seit 1.10.2002 als Angestellter beschäftigt. [...] Über das Vermögen der DG wurde am 26.1.2018 das Konkursverfahren eröffnet.

Das Bruttogehalt des Kl betrug im Kalenderjahr 2017 monatlich 5.295 €.

Der Kl meldete im Konkurs der DG ua Entgelt für im Jahr 2017 geleistete Überstunden (208,72 Überstunden mit 50 % Zuschlag, 1,95 mit 100 % Zuschlag) im Gesamtbetrag von 9.348 € netto an, die der Masseverwalter zur Gänze anerkannte.

Die Bekl gab dem Antrag des Kl auf Zuerkennung von Insolvenz-Ausfallgeld überwiegend statt. Ein Mehrbegehren an Überstundenentgelt in Höhe von 1.832 € netto lehnte sie wegen Überschreitung des Grenzbetrags nach § 1 Abs 4 Z 3 IESG ab.

In seiner dagegen erhobenen Klage bringt der Kl vor, die Bekl habe bei ihrer Berechnung den gesetzlichen Grenzbetrag auf den um den Zuschlag erhöhten Stundenlohn pro geleisteter Überstunde angewandt. [...]

Die Bekl wandte ein, der Grenzbetrag sei nach dem Wortlaut und nach dem Zweck der Norm auf das Entgelt pro tatsächlich geleisteter und abzugeltender Arbeitsstunde anzuwenden. [...]

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die gesetzliche Regelung beziehe den Grenzwert eindeutig auf den Begriff der Stunde als Zeiteinheit. Der Überstundenzuschlag vervielfache aber nicht die geleistete Arbeitszeit, sondern erhöhe den Stundenlohn. Dieser sei einschließlich allfälliger Zuschläge nur bis zum Grenzbetrag gesichert.

Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel des Kl keine Folge. [...]

Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil zur entscheidenden Frage der Auslegung der strittigen Wortfolge des § 1 Abs 4 Z 3 IESG noch keine höchstgerichtliche Rsp vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Bekl beantwortete Revision des Kl ist [...] zulässig.

Die Revision ist jedoch nicht berechtigt.

1. Insolvenz-Entgelt gebührt nicht für Entgeltansprüche, wenn der als Insolvenz-Entgelt begehrte Bruttobetrag im Zeitpunkt der bedungenen Zahlung den Grenzbetrag übersteigt (§ 1 Abs 3 Z 4 IESG).

Als Grenzbetrag gilt der zweifache Betrag der Höchstbeitragsgrundlage gem § 45 Abs 1 ASVG, der bei Entgeltansprüchen, die nach Zeiträumen bemessen werden, mit der Anzahl der Tage des jeweiligen Entlohnungszeitraums (§ 1 Abs 4 Z 1 IESG) bzw bei Entgeltansprüchen, die nicht nach Zeiträumen bemessen werden, mit der Anzahl der Tage des jeweiligen Kalendervierteljahres zu vervielfachen ist, in welchem der Anspruch abzurechnen gewesen wäre (§ 1 Abs 4 Z 2 IESG).

Abweichend davon gilt für Ansprüche auf Auszahlung von fällig gewordenem Entgelt aus Überstunden- oder Mehrarbeit, für die Zeitausgleich vereinbart war, aus Zeitguthaben oder Zeitzuschlägen als Grenzbetrag für jede abzugeltende Stunde ein Viertel der täglichen Höchstbeitragsgrundlage gem § 45 Abs 1 ASVG zum Zeitpunkt der Fälligkeit. Diese Ansprüche gelten abweichend von § 44 Abs 7 ASVG für jenen Kalendermonat als erworben, in dem sie fällig geworden sind; als monatliche Höchstbeitragsgrundlage gilt für diese Ansprüche der 30-fache Betrag der täglichen Höchstbeitragsgrundlage zum Zeitpunkt der Fälligkeit (§ 1 Abs 4 Z 3 IESG).

In den Materialien zur Einführung des § 1 Abs 4 Z 3 IESG (2234 A Beil stenProt NR 25. GP, 3) wird die Zielsetzung der Bestimmung wie folgt erläutert:

„Statt der bisherigen Pauschalbegrenzung soll für Ansprüche aus zusätzlicher Arbeit, die durch Zeitausgleich oder anders verteilte Normalarbeitszeit hätten abgegolten werden sollen, sowie für Zeitausgleichsguthaben, die ohne Mehrarbeit erworben wurden, ein gesonderter Grenzbetrag gelten. In Übereinstimmung mit der grundsätzlichen Sicherung von Löhnen/Gehältern bis zur 383 doppelten Höchstbeitragsgrundlage soll auch die Sicherung jeder abzugeltenden Arbeitsstunde auf Grundlage des gebührenden Entgelts, maximal jedoch eines Entgelts in Höhe der doppelten Höchstbeitragsgrundlage, gesichert werden. Daher wird der Grenzbetrag (je abzugeltender Arbeitsstunde) mit [...] einem Viertel der täglichen Höchstbeitragsgrundlage [festgelegt]. Diese Grenze gilt sinngemäß für Überstunden- und Mehrarbeitszuschläge. Diese Regelung gilt nicht für Mehr- und Überstundenarbeit, die von Anfang an gegen Bezahlung geleistet, aber nicht (mehr) abgegolten wurde. Hier bleibt es bei der geltenden Regelung.Zielsetzung der Novelle zur Sicherung von Entgelt für Zeitausgleichsguthaben ist die Vermeidung der – in vielen Fällen nicht oder nur mit unangemessen hohem Aufwand möglichen – Zuordnung auf einzelne Leistungszeiträume [...]. Eine Aufrollung sämtlicher Zeitausgleichsguthaben durch die IEF-Service GmbH zum Zwecke der Abrechnung der Sozialversicherungsbeiträge gemäß § 44 Abs 7 ASVG würde dieser Zielsetzung entgegenstehen. Daher ist es notwendig, gesetzlich eine Sonderregelung für den Abzug der Sozialversicherungsbeiträge von den Ansprüchen auf Insolvenz-Entgelt vorzusehen. Da die Abrechnung für alle zum selben Zeitpunkt fälligen Entgelte für Zeitausgleichsgutstunden im selben Kalendermonat erfolgt (z.B. im Monat des Endes des Arbeitsverhältnisses), soll stets die im Fälligkeitsmonat geltende Höchstbeitragsgrundlage nach dem ASVG herangezogen werden. Diese Sonderregelung ermöglicht eine rasche Berechnung und Auszahlung des zustehenden Nettobetrages an Insolvenzentgelt für die ehemals Beschäftigten; sie entspricht, was den Beitragsabzug betrifft, im Ergebnis auch etwa der bisherigen Rechtslage, bei der – je nach der Höhe der zustehenden Entgelte im seinerzeitigen Zeitpunkt der Leistung der Überstunden – Beitragspflicht bestanden, oder aber wegen Überschreitung der Höchstbeitragsgrundlage nicht bestanden hat.“

2. [...] Die Revision führt ins Treffen, § 1 Abs 4 Z 3 IESG beziehe sich im Kontext auf Zeitausgleichsstunden, wobei diese unterschiedliche Entstehungsgründe haben könnten. Es handle sich nicht nur um zuschlagspflichtige Überstunden, sondern auch Mehrarbeitsstunden, Zeitguthaben und Zeitzuschläge. Das Gesetz spreche aus diesem Grund gerade nicht von „geleisteten Arbeitsstunden“. Folge man den Vorinstanzen, käme man zu einem verzerrten Ergebnis, weil der gesicherte Grenzbetrag für zuschlagsfreie Stunden ident mit jenem für zuschlagspflichtige Überstunden wäre.

3. Dem ist Folgendes entgegenzuhalten:

3.1. Es trifft zu, dass es nach dem Ergebnis der Vorinstanzen für die Deckelung mit den Grenzbeträgen nicht auf die rechtliche Qualität der abzugeltenden Arbeitsstunden oder darauf, woraus sich das pro Stunde zustehende Entgelt zusammensetzt, ankommt. Dieser Zugang entspricht aber durchaus dem System der Insolvenz-Entgeltsicherung.

Die Deckelung der Ansprüche mit Grenzbeträgen findet ihre Rechtfertigung darin, dass nach dem IESG die von den AN typischerweise nicht selbst abwendbare und absicherbare Gefahr des gänzlichen oder teilweisen Verlustes ihrer Entgeltansprüche, auf die sie typischerweise zur Bestreitung des eigenen Lebensunterhalts sowie des Lebensunterhalts ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen angewiesen sind, versichert ist (RIS-Justiz RS0076409). Ansprüche, die nicht mit einem typischen Arbeitsverhältnis im Zusammenhang stehen, oder deren Höhe nicht mehr zur Sicherung des laufenden Lebensunterhalts notwendig ist, sind entweder überhaupt nicht gesichert (RS0076409 [T13, T14]) oder unterliegen zeitlichen und betraglichen Beschränkungen.

3.2. Das Überstundenentgelt unterlag vor der Novelle BGBl I Nr 123/2017, mit dem § 1 Abs 4 Z 3 IESG neu eingeführt wurde, der Anspruchsbegrenzung gem § 1 Abs 4 Z 1 IESG für jene Perioden, in denen die Überstunden geleistet wurden. Der OGH hat dazu bereits klargestellt, dass dann, wenn durch Beendigung des Arbeitsverhältnisses der vereinbarte Zeitausgleich unmöglich wird, anstelle des Zeitausgleichs wieder die ursprüngliche Entgeltforderung für Überstunden tritt, wobei für die Zwecke des IESG nur die ursprüngliche Rechtsnatur als Entgelt maßgeblich ist (8 ObS 19/98x). Diese Rsp steht den Argumenten der Revision entgegen, die das Rechtsproblem nur aus dem Blickwinkel betrachtet, wie viele Normalstunden an Zeitausgleich der Kl hypothetisch zur Abgeltung seiner Überstunden konsumieren hätte können.

3.3. Die Anwendung des Grenzbetrags der doppelten Höchstbeitragsgrundlage hatte schon nach der Rechtslage vor der Novelle zur Folge, dass das Überstundenentgelt bei höheren Einkommen allenfalls nicht zur Gänze, oder – bei Überschreitung der doppelten Höchstbeitragsgrundlage durch andere Bezüge in derselben Periode – sogar überhaupt nicht gesichert sein konnte. Für geleistete Überstunden, für die nie Zeitausgleich vereinbart war und die deshalb nicht dem § 1 Abs 4 Z 3 IESG unterliegen, gilt dies weiterhin unverändert.

3.4. Die mit § 1 Abs 4 Z 3 IESG aus den in den Materialien genannten Gründen der Verwaltungsvereinfachung neu geschaffene Zuordnung sämtlicher rückgewandelten Zeitguthaben zu jener Abrechnungsperiode, in der das Entgelt dafür fällig wird, erforderte die Einführung eines zusätzlichen Sicherungsgrenzbetrags, um dem außerordentlichen Charakter dieses Abrechnungspostens Rechnung zu tragen und Sicherungsdefizite hintanzuhalten.

Dies bedeutet aber nicht, dass damit das Konzept der pauschalen Sicherungshöchstgrenzen aufgegeben werden sollte, die sich – soweit das Gesetz nicht selbst Ausnahmen vorsieht – nicht am Rechtsgrund der einzelnen Entgeltbestandteile, sondern an ihrer rechnerischen Summe orientiert.

4. Der Revision war daher nicht Folge zu geben. [...]

ANMERKUNG

Das IESG schafft zugunsten der AN einen öffentlich- rechtlichen Anspruch auf Insolvenz-Entgelt zur Sicherung der (privatrechtlichen) Ansprüche auf Entgelt aus dem Arbeitsverhältnis. Der Anspruch auf Insolvenz-Entgelt ist zweifach begrenzt: Das 384Entgelt der AN wird nur bis zu bestimmten Beträgen (sogenannte Grenzbeträge) und innerhalb eines bestimmten Zeitraums gesichert. Ungesicherte Beträge können in weiterer Folge von den AN selbst im Rahmen des Insolvenzverfahrens geltend gemacht werden. Gesicherte Beträge gehen dagegen durch eine Legalzession (§ 11 IESG) auf den Insolvenz- Entgelt-Fonds (IEF) über, der diese als Gläubiger im Insolvenzverfahren geltend machen kann.

Die vorliegende E befasst sich erstmals mit dem durch BGBl I 2017/123BGBl I 2017/123neugeschaffenen Grenzbetrag für Zeitausgleich, Zeitguthaben und Zeitzuschläge nach Z 3 des § 1 Abs 4 IESG (näher dazu sogleich 1.). Die E wird aber auch zum Anlass genommen, die zeitlichen Sicherungsgrenzen und die Forderungsqualifikation näher zu untersuchen (unten 2.)

1.
Grenzbetrag nach § 1 Abs 4 Z 3 IESG
1.1.
Allgemeines zum Grenzbetrag

Nach § 1 Abs 3 Z 4 IESG ist das Insolvenz-Entgelt der Höhe nach begrenzt. Es ist ungesichert, soweit es die Grenzbeträge des § 1 Abs 4 IESG überschreitet. Ursprünglich waren hier zwei verschiedene Grenzbeträge vorgesehen: jener für „nach Zeiträumen“ bemessenen (Abs 4 Z 1) und jener für „nicht nach Zeiträumen“ bemessenen Ansprüche (Abs 4 Z 2).

Zur Z 1 zählt der Zeitlohn, der nach Zeitabschnitten und unabhängig vom erzielten Arbeitserfolg bemessen wird; also neben dem regelmäßigen Gehalt oder Lohn etwa auch Überstundenentgelt, Abfertigung oder Sonderzahlungen (so VfGHG 102/85 ua

). Grenzbetrag ist die mit der Zahl der Tage des jeweiligen Entlohnungszeitraums vervielfachte zweifache tägliche Höchstbeitragsgrundlage (§ 45 Abs 1 ASVG). Jeder Monatslohn ist also jeweils bis zur doppelten monatlichen Höchstbeitragsgrundlage gesichert (für 2020: € 5.370,– × 2 = € 10.740,–). Provisionen oder Erfolgsbeteiligungen etwa unterliegen hingegen der Z (Mayr, Arbeitsrecht § 1 IESG E 274, 277 [Stand 1.2.2020, rdb.at]). Hier ist die zweifache tägliche Höchstbeitragsgrundlage mit der Zahl der Tage des jeweiligen Kalenderviertels zu vervielfachen, wobei zur Erleichterung der Abrechnung pauschal 90 Tage unterstellt werden (vgl Reissner in Reissner, Insolvenz5 [2018] § 1 Rz 371). Überstundenentgelt wurde zunächst der Z 1 zugeordnet, und zwar unabhängig davon, ob es sich um eine Geld- oder Naturalleistung (Zeitausgleich) handelte (OGH8 ObS 19/98x
infas 1998 A 92
). Das ist zwar konsequent, führt aber zu Problemen: Nach dem OGH ist Zeitausgleich nämlich nach dem Zeitpunkt der Arbeitsleistung zu beurteilen (OGH8 ObS 19/98x
infas 1998 A 92
). Ein Zeitguthaben ist also in die einzelnen Freizeitansprüche zu zerlegen und jeder dieser Ansprüche ist dem Grenzbetrag für jenen Zeitabschnitt (häufig Monat) zuzuordnen, in dem die Arbeitsleistung erbracht wurde (Papierdeutsch: Aufrollung). Der Anspruch ist nur dann gesichert, wenn im jeweiligen Zeitraum der Grenzbetrag noch nicht ausgereizt ist.

Diese „nicht oder nur mit unangemessen hohem Aufwand“ mögliche Zuordnung sollte durch die neugeschaffene Z 3 vermieden werden (IA 2234/A 25. GP 3). § 1 Abs 4 Z 3 schafft für fällig gewordenes Entgelt aus Überstunden- und Mehrarbeit, für die ursprünglich Zeitausgleich vereinbart wurde, sowie aus sonstigen Zeitguthaben oder Zeitzuschlägen einen eigenen Grenzbetrag in Höhe eines Viertels der täglichen Höchstbeitragsgrundlage (für 2020: € 179,– : 4 = € 44,75). Eine Zuordnung zum Zeitpunkt der Arbeitsleistung ist damit nicht mehr notwendig. Die Bestimmung ist aber insofern inkonsequent, als Entgelt für Überstunden- oder Mehrarbeit, die von vornherein in Entgelt abgegolten werden sollten, weiterhin dem Grenzbetrag der Z 1 unterliegt. Sie werden also häufig schlechter behandelt, weil sie mit allen anderen Forderungen des laufenden Entgelts aus demselben Topf bedient werden.

Keineswegs eindeutig ist überdies, dass der Grenzbetrag „für jede abzugeltende Stunde“ gilt. Was das genau bedeutet, ist Gegenstand dieser E.

1.2.
Ermittlung des Grenzbetrages: Gesonderte Sicherung des Zuschlags?

Nach dem Kl beziehe sich der Grenzbetrag nicht auf den um den Zuschlag erhöhten Stundenlohn pro tatsächlich geleisteter Überstunden, sondern auf die Stunden an nicht konsumiertem Zeitausgleich. Nach dem bekl IEF beziehe sich der Grenzbetrag hingegen auf die „Stunde als Zeiteinheit“, also die erbrachte Arbeitsleistung, die mit dem Zeitausgleich abgegolten werden sollte. Allfällige Zuschläge erhöhen somit nach dessen Ansicht (nur) das gebührende Entgelt und hatten keine Auswirkungen auf die Zahl der abzugeltenden Stunden.

Beispiel: Werden 20 Überstunden geleistet, so sind diese mit einem Zuschlag von 50 % abzugelten. Die AN erhält also 30 Stunden Zeitausgleich. Sind die „abzugeltenden Stunden“ nun die 20 ursprünglich geleisteten (Ansicht der Bekl) oder die 30 erworbenen Stunden (Ansicht des Kl)? Kommt auf das zusichernde Entgelt der Grenzbetrag also 20- oder 30-fach zur Anwendung? Unterliegen Normallohn und Zuschlag demselben Grenzbetrag oder nicht?

Der OGH entscheidet hier – mE zutreffend – iSd bekl IEF. Überzeugend ist dabei der Vergleich zum Überstundenentgelt, das immer schon in Entgelt geleistet werden sollte und somit der pauschalen Sicherungsgrenze der Z 1 unterliegt. Auch hier unterliegt das Entgelt samt allen Zulagen und Zuschlägen einem pauschalen Grenzbetrag. Was auch zur Folge haben kann, dass bei höheren Einkommen Überstundenentgelt nicht (zur Gänze) gesichert ist. Der OGH rechtfertigt dies mit dem Zweck des IESG, das vorrangig den Lebensunterhalt der AN und ihrer Angehörigen sichern soll (vgl RIS-Justiz RS0076409). Das IESG kennt eben nur pauschale Sicherungshöchstgrenzen. Sie richten sich nach der rechnerischen Summe des zusichernden Betrages und nicht nach dem Rechtsgrund. Die Ansicht des Kl würde darauf hinauslaufen, dass Zuschläge gesondert gesichert wären, was 385diesem System widerspricht. Zweck der Novelle ist es gerade nicht, die Entgeltsicherung zu erweitern, sondern bloß zu vereinfachen.

2.
Gesicherter Zeitraum und Forderungsqualifikation
2.1.
Allgemeines

Wie oben erwähnt, unterliegt das Insolvenz-Entgelt neben den Grenzbeträgen auch einer zeitlichen Sicherungsgrenze. Es werden also nur Ansprüche innerhalb eines bestimmten Zeitraums gesichert. Grundsätzlich gilt ein sechsmonatiger Sicherungsraum vor dem Stichtag. Als Stichtag gilt die Insolvenzeröffnung oder gleichgestellte Tatbestände (etwa die Anordnung der Geschäftsaufsicht; § 1 Abs 1 IESG). Entgelt fällt in diesen Sicherungszeitraum, wenn es während dieser sechs Monate fällig wird. Zeitguthaben waren dagegen bisher nur dann gesichert, wenn die abzugeltende Arbeitsstunde innerhalb des sechsmonatigen Sicherungszeitraumes geleistet und in eine fällige Geldforderung umgewandelt wurde (§ 3a Abs 1 letzter Satz IESG aF; OGH8 ObS 7/07yDRdA 2009, 368 [Wolligger]; OGH8 ObS 4/14tDRdA 2015, 174 [Höbart]).

Mit BGBl I 2017/123BGBl I 2017/123kam es auch insoweit zu einer Änderung: Seitdem kommt es auch beim Zeitguthaben nur mehr auf die Fälligkeit an und nicht mehr darauf, wann die Arbeitsleistung erbracht wurde. Auch diese Änderung soll eine umständliche Zuordnung von Guthaben zur Arbeitsleistung vermeiden. Es stellt sich allerdings weiterhin die Frage, wann Zeitguthaben überhaupt fällig werden.

2.2.
Umwandlung von Zeitguthaben in eine Geldforderung

Um die Teilnahmerechte von Gläubigern im Insolvenzverfahren zu wahren, sind Forderungen, die nicht auf eine Geldleistung gerichtet sind (etwa ein Naturalanspruch), in eine Geldforderung umzurechnen (§ 14 Abs 1 IO). Noch nicht fällige („betagte“) Forderungen gelten im Insolvenzverfahren gegenüber der Schuldnerin als fällig (§ 14 Abs 2 IO). Das entspricht dem Grundsatz der Gleichbehandlung der InsolvenzgläubigerInnen. Ansprüche sind daher auf den „gleichen Nenner“ zu bringen (Apathy in Bartsch/Pollak/Buchegger, Insolvenzrecht4 [2000] § 14 IO Rz 1). Das IESG kennt dazu korrespondierende Bestimmungen (§ 3 Abs 1 S 2 und 3 IESG).

Nach den Materialien zur Novelle BGBl I 2017/123BGBl I 2017/123handle es sich bei Zeitguthaben aber um keine „betagte Forderung“, die etwa mit Insolvenzeröffnung fällig werde. Wird ein Anspruch also erst nach dem Stichtag fällig, so sei die Sicherung nach § 3a Abs 2-5 zu beurteilen (IA 2234/A 25. GP 4). Nach diesen Bestimmungen ist Entgelt auch nach dem Stichtag für einen bestimmten Zeitraum noch gesichert; etwa von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens idR bis zur Berichtstagsatzung (§ 3 Abs 2 Z 1 IESG). Dass Zeitguthaben nicht betagt ist, entspricht auch der stRsp (etwa OGH8 ObA 86/05pDRdA 2006, 495; OGH8 ObA 60/18h ZIK 2019, 167 [Weber-Wilfert]). Der OGH hat aber nie näher begründet, warum aus der Zeit vor der Insolvenzeröffnung stammende Zeitguthaben nicht mit dem Stichtag als Geldforderung fällig werden.

Sundl begründet das hingegen genauer. Für ihn sei das aus § 25 IO „ableitbar“. Nach dieser Bestimmung bleibe das „Arbeitsverhältnis samt Nebenabreden bzw Zusatzvereinbarungen im Bestand unberührt“. Dadurch blieben etwa Vereinbarungen über den Zeitausgleich zur Gänze aufrecht und würden keinesfalls wegfallen (Sundl in Reissner, Insolvenz5 § 3a IESG Rz 19). Eine Umwandlung des Naturalanspruchs in eine Geldforderung und ihre (vorgezogene) Fälligkeit als betagte Forderung hätte dagegen den Wegfall der Geschäftsgrundlage für den Bestand des Arbeitsverhältnisses zur Folge (Sundl, Forderungsqualifikation von Zeitguthaben im Insolvenzverfahren des Arbeitgebers, DRdA 2020, 139 [142]).

Unstrittig wird der Bestand (!) des Arbeitsverhältnisses von der Insolvenz der AG (zunächst) nicht berührt (dazu Kietaibl in Koller/Lovrek/Spitzer, Insolvenzordnung [2019] § 25 IO Rz 1 ff). Nach § 25 IO bestehen im Fall der Insolvenz der AG besondere Lösungsrechte (Austritt der AN, Kündigung der AG). Für eine derart ausdehnende Auslegung, wonach das Arbeitsverhältnis gänzlich unberührt bleibt, besteht aber kein Raum.

§ 25 IO bezieht sich ausdrücklich nur auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Er sagt weder etwas zu Ausmaß und Lage der Arbeitszeit noch zur Abgeltung einzelner Guthaben an Zeitausgleich. Die Abgeltung von Guthaben lässt die Arbeitszeitvereinbarung unberührt. Werden Guthaben fällig, so endet deshalb nicht die Arbeitszeitvereinbarung. Dementsprechend hat auch eine vorgezogene Fälligkeit wegen der Insolvenz darauf keine Auswirkung. Selbst wenn man das aber annehmen würde, wäre lediglich die Lage (neuerlich) zu vereinbaren (§ 19c Abs 1 AZG). Auch eine fehlende Vereinbarung hat aber noch nicht zwangsläufig die Nichtigkeit des Arbeitsverhältnisses zur Folge (vgl Pfeil in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 [2018] § 19c Rz 15 f; Felten in Auer-Mayer/Felten/Pfeil, AZG4 [2019] § 19c Rz 8).

Für einen Wegfall der Geschäftsgrundlage besteht hier also kein Platz. Es ist für den (Weiter-)Bestand des Arbeitsverhältnisses nicht erforderlich, dass Umwandlung und Fälligkeit der Forderung nach § 14 IO (und § 3 Abs 1 S 2 und 3 IESG) rigoros abgelehnt werden. Schon gar nicht kann das aber aus § 25 IO abgeleitet werden. Das wäre letztlich auch inkonsequent: Überstundenentgelt, das bereits ursprünglich in Geld gebührt (§ 10 Abs 1 Z 1 AZG), ist sehr wohl als betagte Forderung mit dem Stichtag fällig.

2.3.
Unterscheidung nach Ursprung des Zeitguthabens: Überstundenarbeit oder Normalarbeitszeitdurchrechnung

Auch nach Weber-Wilfert gelten für die Umwandlung von Naturalansprüchen in Geldforderungen bei Arbeitsverhältnissen grundsätzlich keine Einschränkungen. 386 Aus § 25 IO lasse sich nichts Gegenteiliges ableiten (Insolvenzrechtliche Qualifikation des Zeitausgleichs, ZIK 2019, 167 [169]). Sie unterscheidet aber danach, ob das Guthaben aus Überstundenarbeit (nach § 10 Abs 1 Z 2 AZG) oder einer Durchrechnung der Normalarbeitszeit stammt. So komme es etwa durch eine Gleitzeitvereinbarung lediglich zu einer anderen Verteilung der Arbeitszeit, ohne dass für die Arbeitsleistung ein zusätzliches Entgelt gebühre. Gleitzeit sei daher vorrangig ein Arbeitszeitmodell und habe grundsätzlich keinen Entgeltcharakter. Es gebe damit gar keine Geldleistung, die nach § 14 Abs 1 IO (oder § 3 Abs 1 Satz 2 IESG) umgewandelt werden könne (ZIK 2019, 167 [168]).

Das ist schlüssig. Bei der Arbeitszeitdurchrechnung kann die vereinbarte Arbeitszeit sowohl über- (entspricht Zeitguthaben) als auch unterschritten (entspricht Zeitschulden) werden. Es kommt dadurch zu keiner (unmittelbaren) Auswirkung auf das zu zahlende Entgelt. Arbeitszeit und Entgelt werden also „entkoppelt“ (Schrank, Arbeitszeitgesetze5 [2018] § 4 AZG Rz 104; Risak, Die Behandlung von Zeitkonten, in Tomandl/Schrammel, Aktuelle Arbeitszeitprobleme [2008] 11). Es gibt also zunächst keinen Entgeltanspruch für diese Arbeitsleistung. Der Anspruch auf Abgeltung entsteht erst am Ende der Durchrechnungsperiode, wenn das Guthaben nicht übertragen werden kann (§ 6 Abs 1a AZG), das Dienstverhältnis beendet wird (§ 19e AZG) oder die AN den Zeitausgleich einseitig festlegen können (§ 19f AZG). Anders verhält es sich hingegen bei der Überstundenarbeit: Hier entsteht der Anspruch auf Entgelt unmittelbar mit der Arbeitsleistung.

Damit ist Folgendes festzuhalten: Zeitausgleich nach § 10 Abs 1 Z 2 AZG ist mit dem Stichtag in eine Geldforderung umzuwandeln und als betagte Forderung auch fällig. Das gilt sowohl für das Insolvenzverfahren (§ 14 IO) als auch für die Entgeltsicherung (§ 3 Abs 1 S 2 und 3 IESG). Er ist damit eine Insolvenzforderung (§ 51 IO) wie auch jenes Überstundenentgelt, das immer schon in Entgelt geschuldet wurde (§ 10 Abs 1 Z 1 AZG).

Anderes gilt hingegen für Zeitguthaben aus allen Formen der Arbeitszeitdurchrechnung. Guthaben an Zeitausgleich sind kein (Natural-)Entgelt, sondern lediglich Überschreitungen der Sollarbeitszeit innerhalb der Normalarbeitszeitdurchrechnung, ohne unmittelbare Entgeltfolge. Das Guthaben kann nach dem Stichtag weiterhin verbraucht werden und ist im Insolvenzverfahren und für die Entgeltsicherung erst zu berücksichtigen, wenn es als Entgeltforderung entsteht.

2.4.
Qualifikation von Zeitguthaben (aus Durchrechnungsmodellen) nach der Insolvenzordnung

Anders als das IESG, das die zeitliche Beurteilung der Ansprüche nunmehr durchgängig anhand der Fälligkeit vornimmt, geht es im Insolvenzrecht noch immer um das Entstehen der Forderung. Vereinfacht gesagt, ist Entgelt für Arbeitsleistung vor der Insolvenzeröffnung eine Insolvenzforderung, für die Zeit danach eine Masseforderung (vgl Reissner in Reissner, Insolvenzrecht5 § 46 IO Rz 6 f). Während Masseforderungen in vollem Umfang ohne Rücksicht auf den Stand des Verfahrens zu befriedigen sind, sind Insolvenzforderungen grundsätzlich nur quotenmäßig zu befriedigen. In OGH vom 25.3.2019, 8 ObA 60/18h, befasst sich der OGH mit der Qualifikation von Zeitguthaben aus Gleitzeit, das auf eine Arbeitsleistung vor der Insolvenzeröffnung zurückzuführen ist.

  • Werde das Zeitguthaben nach der Insolvenzeröffnung in natura verbraucht, so sei dies laufendes Entgelt und damit eine Masseforderung (§ 46 Abs 1 Z 3 IO).

  • Werde hingegen das idente Zeitguthaben nicht während des Insolvenzverfahrens verbraucht, sondern entsteht es erst mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses (§ 19e AZG), soll es jener Arbeitsleistung zugeordnet werden, mit dem das Guthaben ursprünglich erworben wurde. Liegt diese Arbeitsleistung vor der Insolvenzeröffnung, handle es sich um eine Insolvenzforderung.

Ein und dasselbe Guthaben wird also unterschiedlich qualifiziert, je nachdem ob es in natura verbraucht wurde oder abzugelten ist.

Das kann nicht richtig sein. Der OGH begründet dieses Ergebnis mit dem Anwartschaftsprinzip, wonach das Zeitguthaben in Insolvenz- und Masseforderungen zu zerlegen ist, je nachdem ob es für Leistungen geschuldet wird, die vor oder nach Insolvenzeröffnung erbracht wurden (OGH8 ObA 60/18h verweisend auf OGH8 Ob 30/95 JBl 1996, 468). Der OGH leitet das Anwartschaftsprinzip für das Insolvenzverfahren aus § 16 AngG ab (OGH 16.11.1995, 8 Ob 30/95) und wendete es zunächst auf Sonderzahlungen an. Nach diesem Prinzip wird ein Anspruch zwar laufend erworben, aber erst zu einem späteren Zeitpunkt fällig. Das Anwartschaftsprinzip stellt also auf den Erwerb der Forderung ab, anstatt auf ihre Fälligkeit.

Durch den Aufbau von Zeitguthaben wird aber eben gerade kein Entgeltanspruch erworben. Das gesteht der OGH sogar ein, wenn er meint, dass Zeitguthaben „nur zu einer anderen Verteilung der Arbeitszeit [führt]“ (OGH8 ObA 60/18h). Im Übrigen ist Zeitguthaben auch keine Anwartschaft nach § 16 AngG.

Wir stehen also vor einem bemerkenswerten Widerspruch:

  • Einerseits vermeidet man eine Umwandlung des Zeitguthabens in eine Geldforderung mit dem Argument, dass bei der Arbeitszeitdurchrechnung Entgelt und Arbeitsleistung entkoppelt sind. Zeitguthaben haben gerade keinen Entgeltcharakter.

  • Andererseits stellt man dann aber für die Forderungsqualifikation in bestimmten Fällen wieder (rückwirkend) auf ebendiese Leistung ab.

Konsequenterweise sind Arbeitszeitdurchrechnung und Entgelt aber in beiden Fällen entweder entkoppelt oder nicht. Es kann nicht sein, dass Entgelt durch Zeitguthaben einmal erworben wird und ein andermal wieder nicht. 387

Wenn man – mE zutreffend – davon ausgeht, dass Zeitguthaben (bei Arbeitszeitdurchrechnung) keinen Entgeltcharakter hat, so kann für die Forderungsqualifikation nur jener Zeitpunkt maßgeblich sein, zu dem dieses Guthaben erstmals in einen (Geld-)Anspruch übersetzt wird; sei es etwa durch § 6 Abs 1a oder § 19e AZG. Kommt es anlässlich der Insolvenzeröffnung zu keiner Umwandlung der Forderung, muss dieser Zeitpunkt zwingend danach liegen und die Forderung ist damit aus der Masse zu berichtigen (nach § 46 Abs 1 Z 3 oder 3a IO; idS bereits zutreffend OGH 22.10.2012, 9 ObA 50/12m; OLG Linz 1.8.2018, 12 Ra 44/18d).

Trivial ausgedrückt: Durch die Durchrechnung soll Arbeitszeit lediglich umverteilt werden. Sie ist nicht dafür gedacht, dauerhaft Guthaben anzuhäufen. Es soll vielmehr laufend durch Freizeit wieder verbraucht werden. Entgelt wird daher auch nicht schon mit der Arbeitsleistung erworben (Entkoppelung!), sondern erst dann, wenn dieses Guthaben nicht mehr rechtzeitig verbraucht werden kann. Diese „Entkopplung“ erkennt der OGH zutreffend, wenn er die Umwandlung des Guthabens zum Stichtag ablehnt, vernachlässigt sie aber bei der Forderungsqualifikation am Ende.

3.
Schlussbetrachtung

Die Behandlung von Zeitguthaben und Zeitausgleich im Rahmen der Insolvenz der AG wirft erhebliche Fragen auf, die mit zunehmender Flexibilisierung an Bedeutung gewinnen. Die Neuerungen durch BGBl I 2017/123BGBl I 2017/123schaffen hier eine Vereinfachung. Abseits der Sicherungsgrenzen bestehen aber grundlegende Fragen; etwa ob es sich dabei um betagte Forderungen handelt, die in Geldforderungen umzuwandeln sind und wie diese Forderungen im Insolvenzverfahren zu qualifizieren sind. Hier ist eine genaue Unterscheidung zwischen Zeitguthaben aus Durchrechnungsmodellen und Zeitausgleich entscheidend.