Arbeitsrechtliche Auswirkungen der COVID-19-Gesetze – ausgewählte Probleme
Arbeitsrechtliche Auswirkungen der COVID-19-Gesetze – ausgewählte Probleme
Zur Vermeidung einer unkontrollierten Ausbreitung des Corona-Virus und damit zum Schutz der Gesundheit haben sich der österreichische Gesetzgeber und die Bundesregierung zu einem beispiellosen Akt entschlossen: Es wurde angeordnet, die sozialen Kontakte auf ein Minimum zu reduzieren. Zu diesem Zweck wurden der Bevölkerung Ausgangsbeschränkungen auferlegt und Betriebe mit einem „Betretungsverbot“ belegt. Beides in Kombination hat dazu geführt, dass die österreichische Wirtschaft nahezu stillgestanden ist. Viele AN haben ihren Arbeitsplatz verloren oder mussten darum bangen. Die rechtlichen Grundlagen für diese Maßnahmen und jene, die in der Folge zur Unterstützung der Wirtschaft getroffen wurden, sind in sehr kurzer Zeit und damit oft nicht mit der gebotenen Präzision entstanden. Das gilt auch für das Arbeitsrecht und die dortigen Ansätze, um die nachteiligen Folgen der Corona-Pandemie für AG und AN zu mildern. Der vorliegende Beitrag will ausgewählte Problemfelder dieser „COVID-19-Gesetze“ analysieren. Dabei ist zu bedenken, dass diese Bestimmungen zwar einer Ausnahmesituation Rechnung tragen sollen, aber keinen „rechtlichen Ausnahmezustand“ begründen. Der jeweilige Regelungskontext und die herkömmlichen Auslegungsregeln sind daher weiterhin beachtlich.
Der arbeitsrechtliche Inhalt der COVID-19-Gesetze im Überblick
Das erste COVID-19-Gesetz
Das 2. COVID-19-Gesetz
Die nachfolgenden COVID-19-Gesetze
Die Änderungen in § 1155 ABGB
Betretungsverbot als höhere Gewalt oder Grund auf Seiten des AG?
Wer trägt das Entgeltrisiko?
Betretungsverbot als höhere Gewalt?
Urlaubsverbrauch
Urlaubsverbrauch durch einseitige Anordnung?
Urlaubsverbrauch durch Abschluss einer Betriebsvereinbarung?
Zwingende Wirkung des § 1155 Abs 3 und 4 ABGB295
Sonderbetreuungszeit nach § 18b AVRAG
Grundsätzliches
Voraussetzungen für eine geförderte Sonderbetreuungszeit
Vergütungsanspruch für den AG
Freistellungen nach § 735 ASVG
Allgemeines
Konkrete Voraussetzungen
Vorläufiges Fazit
Am 16.3.2020 ist das sogenannte „COVID-19-Gesetz“ (BGBl I 2020/12BGBl I 2020/12) in Kraft getreten. Dabei handelt es sich um ein Sammelgesetz, das sich aus dem COVID-19-FondsG, dem COVID-19-Maßnahmengesetz und diversen anderen Gesetzesänderungen zusammensetzt, die – mit Blick auf das Arbeitsrecht – insb das Arbeitsmarktförderungsgesetz (AMFG), das Arbeitsmarktservicegesetz (AMSG) und das Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz (AVRAG) betreffen.
Die zentrale Rechtsgrundlage zur Eindämmung der Corona-Pandemie ist das „COVID-19-Maßnahmengesetz“. Darin werden vorläufige Maßnahmen geregelt, die eine weitere Verbreitung dieser hoch infektiösen Krankheit verhindern sollen. Insb kann das Betreten von Betriebsstätten und öffentlichen Orten durch Verordnung untersagt werden. Damit geht das COVID-19-MaßnahmenG über die rechtlichen Möglichkeiten des EpidemieG, das sich gem § 1 Z 1 auch auf das Corona-Virus* bezieht, hinaus. Auf dieser Grundlage wurde die Verordnung (V) des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz BGBl II 2020/96BGBl II 2020/96erlassen, die in § 1 ein generelles Betretungsverbot des Kundenbereichs von Betriebsstätten des Handels und von Dienstleistungsunternehmen sowie von Freizeit- und Sportbetrieben zum Zweck des Erwerbs von Waren oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen oder der Benützung von Freizeit- und Sportbetrieben anordnete. Davon waren in § 2 dieser V Ausnahmen vorgesehen, die zunächst auf bestimmte neuralgische Bereiche (Apotheken, Lebensmittelhandel etc) beschränkt waren, durch die nachfolgenden Änderungen* aber sukzessive erweitert worden sind. Mittlerweile ist diese V aufgehoben und durch die „COVID-19-Lockerungsverordnung“ (BGBl II 2020/197, mittlerweile idF BGBl II 2020/246) ersetzt worden.*
Damit ist auch § 4 Abs 2 COVID-19-MaßnahmenG weiter maßgebend, der die Anordnung enthält, dass, sobald der zuständige Minister eine VO iSd § 1 leg cit erlassen hat,*„die Bestimmungen des Epidemiegesetzes 1950 … betreffend die Schließung von Betriebsstätten nicht zur Anwendung“
kommen. Ansonsten bleiben aber die Bestimmungen des EpidemieG gem § 4 Abs 3 COVID-19-MaßnahmenG „unberührt“
. Was das konkret für das Verhältnis von EpidemieG und COVID-19-MaßnahmenG bedeutet, ist unklar.
Die sonstigen Gesetzesänderungen, die im Rahmen des (1.) COVID-19-Gesetzes beschlossen wurden, sollen die dramatischen rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen des verordneten Betretungsverbots abfedern, sowohl für die UnternehmerInnen als auch für die AN. Für letztere wurde insb ein neuer Freistellungsanspruch gem § 18b AVRAG geschaffen sowie ein leichterer und flexiblerer Zugang zur Kurzarbeit beschlossen.*
In Umsetzung des COVID-19-MaßnahmenG wurde außerdem eine weitere V erlassen, die das Betreten öffentlicher Orte einschränkt (BGBl II 2020/98BGBl II 2020/98).* Auch dort waren von dem in § 1 normierten grundsätzlichen Verbot einige Ausnahmen vorgesehen, darunter in § 2 Z 4 für „Betretungen, die für berufliche Zwecke erforderlich sind“. Auch diese V wurde mit 1.5.2020 durch die COVID-19-LV abgelöst, die aber in § 3 ähnliche Vorgaben enthält.*
Leider hat sich rasch gezeigt, dass die Maßnahmen des COVID-19-Gesetzes nicht ausreichten. Der Nationalrat hat daher am 20.3.2020 das sogenannte „2. COVID-19-Gesetz“ (BGBl I 2020/16) beschlossen. Auch dabei handelt es sich um ein Sammelgesetz, mit dem ganz unterschiedliche rechtliche Weichen gestellt wurden, um den negativen Auswirkungen der Pandemie auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt zu begegnen. Aus arbeitsrechtlicher Sicht ist neben der Erweiterung des eben erst geschaffenen Freistellungsanspruchs nach § 18b AVRAG vor allem die Adaptierung des § 1155 ABGB von Interesse, der um einen neuen Abs 3 und 4 erweitert wurde. Die neuen Regelungen lauten wie folgt:
(3) Maßnahmen auf Grundlage des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBI. Nr. 12/2020, die zum Verbot oder zu Einschränkungen des Betretens von Betrieben führen, gelten als Umstände im 296 Sinne des Abs 1. Arbeitnehmer, deren Dienstleistungen aufgrund solcher Maßnahmen nicht zustande kommen, sind verpflichtet, auf Verlangen des Arbeitgebers in dieser Zeit Urlaubs- und Zeitguthaben zu verbrauchen.(4) Für den Verbrauch gemäß Abs. 3 gilt:
Urlaubsansprüche aus dem laufenden Urlaubsjahr müssen nur im Ausmaß von bis zu 2 Wochen verbraucht werden.
Von der Verbrauchspflicht sind weiters ausgenommen solche Zeitguthaben, die auf der durch kollektive Rechtsquellen geregelten Umwandlung von Geldansprüchen beruhen.
Insgesamt müssen nicht mehr als 8 Wochen an Urlaubs- und Zeitguthaben verbraucht werden.
Offenkundiges Ziel dieser Anlassgesetzgebung ist es, sicherzustellen, dass AN, die auf Grund der COVID-19-Sicherungsmaßnahmen ihre Arbeit nicht mehr verrichten können, dennoch einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegenüber ihren AG haben. Gleichzeitig wurde allerdings die Möglichkeit geschaffen, dass AG in diesen Fällen, von ihren AN „verlangen können“, Urlaubs- und Zeitguthaben zu verbrauchen. Die Ergänzung des § 1155 ABGB um die Abs 3 und 4 ist rückwirkend mit 15.3.2020 in Kraft getreten, gilt aber zunächst nur befristet bis zum 31.12.2020 und tritt danach wieder außer Kraft (§ 1503 Abs 14 ABGB).
Flankierend zu § 1155 Abs 3 und 4 ABGB wurde der Betriebsvereinbarungstatbestand des § 97 Abs 1 Z 13 ArbVG erweitert. Dies geschah durch eine Adaptierung des § 170 ArbVG, dessen Abs 3 nunmehr vorsieht:
„Betriebsvereinbarungen nach § 97 Abs. Z 13 in Zusammenhang mit der Corona-Kurzarbeit können auch Regelungen zum Verbrauch des Urlaubs, ausgenommen Urlaub aus dem laufenden Urlaubsjahr, und von Zeitguthaben treffen.“
Im unmittelbaren Kontext mit dieser Bestimmung wird in § 170 Abs 1 ArbVG die Tätigkeitsdauer von Organen der betrieblichen Interessenvertretung sowie von Behindertenvertrauenspersonen bis zur Konstituierung eines neuen Organs erstreckt, wenn die Funktionsperiode des bisherigen Organs in der Zeit zwischen 16.3. und 30.4.2020 geendet hätte. Diese Erstreckung wurde in der Folge im 3. COVID-19-Gesetz (vgl dessen Art 9 Z 1) bis 31.10.2020 verlängert.
Weitere arbeitsrechtlich wesentliche Regelungen durch das 2. COVID-19-Gesetz finden sich im neu angefügten § 18b Abs 2 AVRAG. Dort wird ebenso wie im Hinblick auf die Anfechtung von Kündigungen im Rahmen des Kündigungsschutzes nach § 105 ArbVG oder wegen Diskriminierung nach dem GlBG* der Fortlauf von Fristen gehemmt. Im Fall des § 18b Abs 2 AVRAG geht es um die praktisch so wichtigen Verjährungs- und Verfallfristen. Deren Hemmung ist nach § 19 Abs 1 Z 44 AVRAG am Tag nach der Kundmachung, also am 22.2.2020, in Kraft getreten, kann aber über den 30.4. hinaus bis längstens 31.12.2020 verlängert werden, wenn die COVID-19-Krisensituation länger dauert. Das ist bisher (Stand 18.6.2020) nicht erfolgt.
Bereits am 3. und 4.4.2020, wurden im Parlament drei weitere „COVID-19-Gesetze“ beschlossen. Von diesen enthält nur das ebenfalls wieder als Sammelgesetz verabschiedete 3. COVID-19-Gesetz (BGBl I 2020/23BGBl I 2020/23) arbeitsrechtlich relevante Bestimmungen. Diese betreffen zunächst wieder „Nachbesserungen“ für kurz vorher geschaffene COVID-Sonderregelungen. Dabei handelt es sich zum einen um eine schon erwähnte nochmalige Erstreckung der Funktionsdauer der Organe der betrieblichen Interessenvertretung in § 170 Abs 1 ArbVG. Zum anderen erfolgte eine neuerliche Erweiterung der „Sonderbetreuungszeit“ in § 18b Abs 1 AVRAG, der nun wie folgt lautet:
„(1) Werden Einrichtungen auf Grund behördlicher Maßnahmen teilweise oder vollständig geschlossen und hat ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsleistung nicht für die Aufrechterhaltung des Betriebes erforderlich ist, keinen Anspruch auf Dienstfreistellung zur Betreuung seines Kindes, kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine Sonderbetreuungszeit im Ausmaß von bis zu drei Wochen, ab dem Zeitpunkt der behördlichen Schließung von Lehranstalten und Kinderbetreuungseinrichtungen, für die Betreuung von Kindern bis zum vollendeten 14. Lebensjahr, für die eine Betreuungspflicht besteht, gewähren. Dasselbe gilt,
wenn eine Betreuungspflicht für Menschen mit Behinderungen besteht, die in einer Einrichtung der Behindertenhilfe oder einer Lehranstalt für Menschen mit Behinderungen bzw. einer höher bildenden Schule betreut oder unterrichtet werden, und diese Einrichtung oder Lehranstalt bzw. höher bildende Schule auf Grund behördlicher Maßnahmen teilweise oder vollständig geschlossen wird, oder auf Grund freiwilliger Maßnahmen die Betreuung von Menschen mit Behinderung zu Hause erfolgt, oder
für Angehörige von pflegebedürftigen Personen, wenn deren Pflege oder Betreuung in Folge des Ausfalls einer Betreuungskraft nach dem Hausbetreuungsgesetz, BGBl. I Nr. 33/2007BGBl. I Nr. 33/2007nicht mehr sichergestellt ist oder
für Angehörige von Menschen mit Behinderungen, die persönliche Assistenz in Anspruch nehmen, wenn die persönliche Assistenz in Folge von COVID-19 nicht mehr sichergestellt ist.
Arbeitgeber haben Anspruch auf Vergütung von einem Drittel des in der Sonderbetreuungszeit an die Arbeitnehmer gezahlten Entgelts durch den Bund. Der Anspruch auf Vergütung nach dem ersten Satz ist mit der monatlichen Höchstbeitragsgrundlage nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz, BGBl. Nr. 189/1955, gedeckelt und binnen sechs Wochen vom Tage der Aufhebung der behördlichen Maßnahmen bei der Buchhaltungsagentur geltend zu machen. …“
Weiters wurde im AuslBG eine „Übergangsbestimmung zur COVID-19-Krisensituation“ eingefügt. Diese findet sich in § 32c* und ermöglicht eine 297Verlängerung der Möglichkeit zur Erteilung von Beschäftigungsbewilligungen für in der Land- und Forstwirtschaft beschäftigte Saisonarbeitskräfte über eine Gesamtdauer von mehr als neun Monaten hinaus. Auch diese Möglichkeit ist bis zum 30.6.2020 befristet, kann aber wieder durch V der Bundesministerin für Arbeit, Familie und Jugend um jeweils zwei Monate, längstens aber bis zum 31.12.2020, verlängert werden (§ 34 Abs 50 AuslBG).
Schließlich wurden noch Regelungen im Rahmen der „Schlussbestimmungen zu Art 45 des BG BGBl I Nr 23/2020“ getroffen, die zunächst nur die Geltungsdauer der Erweiterung* des Unfallversicherungsschutzes für COVID-bedingte Homeoffice-Tätigkeiten in § 175 Abs 1a und 1b ASVG beinhalteten. Diesem § 734 wurde aber noch ein § 735 ASVG angefügt, der arbeitsrechtliche Ansprüche regelt. Bereits mit dem am 28.4.2020 beschlossenen 9. COVID-Gesetz (BGBl I 2020/31BGBl I 2020/31) wurde diese Bestimmung neu gefasst und hat nun folgenden Wortlaut:
„COVID-19-Risiko-Attest(1) Der Dachverband hat einen Dienstnehmer, eine geringfügig beschäftigte Person oder einen Lehrling (im Folgenden: betroffene Person) über seine Zuordnung zur COVID-19-Risikogruppe zu informieren. Die Definition dieser allgemeinen Risikogruppe, die insbesondere schwere Erkrankungen zu berücksichtigen hat und sich aus medizinischen Erkenntnissen und wenn möglich aus der Einnahme von Arzneimitteln herleitet, ist durch Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz im Einvernehmen mit der Bundesministerin für Arbeit, Familie und Jugend auf Grundlage der Empfehlung einer Expertengruppe, die das Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz und das Bundesministerium für Arbeit, Familie und Jugend einrichten, festzulegen. …. Die Verordnung kann rückwirkend mit dem Tag der Kundmachung dieses Bundesgesetzes in Kraft treten.*(2) Der die betroffene Person behandelnde Arzt hat infolge des Informationsschreibens auf der Grundlage der Definition der COVID-19-Risikogruppe nach Abs. 1 die individuelle Risikosituation der betroffenen Person zu beurteilen und gegebenenfalls ein Attest ohne Angabe von Diagnosen über die Zugehörigkeit zur COVID-19-Risikogruppe auszustellen (COVID-19-Risiko-Attest). Die Beurteilung der individuellen Risikosituation auf der Grundlage der Definition der COVID-19-Risikogruppe nach Abs. 1 und die damit zusammenhängende Ausstellung eines COVID-19-Risiko-Attests ist auch unabhängig davon zulässig, dass die betroffene Person ein Informationsschreiben durch den Dachverband nach Abs. 1 erhalten hat.(3) Legt eine betroffene Person seinem Dienstgeber dieses COVID-19-Risiko-Attest vor, so hat sie Anspruch auf Freistellung von der Arbeitsleistung und Fortzahlung des Entgelts, außer1. die betroffene Person kann ihre Arbeitsleistung in der Wohnung erbringen (Homeoffice) oder2. die Bedingungen für die Erbringung ihrer Arbeitsleistung in der Arbeitsstätte können durch geeignete Maßnahmen so gestaltet werden, dass eine Ansteckung mit COVID-19 mit größtmöglicher Sicherheit ausgeschlossen ist; dabei sind auch Maßnahmen für den Arbeitsweg mit einzubeziehen.Die Freistellung kann bis längstens 31. Mai 2020 dauern. Dauert die COVID-19-Krisensituation über den 31. Mai 2020 hinaus an, so hat die Bundesministerin für Arbeit, Familie und Jugend im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz durch Verordnung den Zeitraum, in dem eine Freistellung möglich ist, zu verlängern, längstens jedoch bis zum 31. Dezember 2020.* Eine Kündigung, die wegen der Inanspruchnahme der Dienstfreistellung ausgesprochen wird, kann bei Gericht angefochten werden.(4) Der Dienstgeber hat Anspruch auf Erstattung des an den Dienstnehmer bzw. Lehrling zu leistenden Entgelts, der für diesen Zeitraum abzuführenden Steuern und Abgaben sowie der zu entrichtenden Sozialversicherungsbeiträge, Arbeitslosenversicherungsbeiträge und sonstigen Beiträge durch den Krankenversicherungsträger, unabhängig davon, von welcher Stelle diese einzuheben bzw. an welche Stelle diese abzuführen sind. Von diesem Erstattungsanspruch sind politische Parteien und sonstige juristische Personen öffentlichen Rechts, ausgenommen jene, die wesentliche Teile ihrer Kosten über Leistungsentgelte finanzieren und am Wirtschaftsleben teilnehmen, ausgeschlossen. Der Antrag auf Ersatz ist spätestens sechs Wochen nach dem Ende der Freistellung unter Vorlage der entsprechenden Nachweise beim Krankenversicherungsträger einzubringen. Der Bund hat dem Krankenversicherungsträger die daraus resultierenden Aufwendungen aus dem COVID-19-Bewältigungsfonds zu ersetzen. …“
Eine nähere Behandlung all dieser Regelungen ist im vorliegenden Zusammenhang nicht möglich. Dies gilt umso mehr für die flankierenden Maßnahmen im Hinblick auf Kurzarbeit bzw in der AlV. Daher soll in der Folge nur auf jene Bestimmungen eingegangen werden, die eine besonders deutliche Veränderung der bisherigen Rechtslage bewirkt zu haben scheinen. Das sind zum einen die Ergänzungen in § 1155 ABGB (2.) und zum anderen die Vorkehrungen zu Gunsten von besonders vulnerablen Bevölkerungsgruppen, konkret in § 18b AVRAG (3.) bzw in § 735 ASVG (4.).* Bei deren Analyse wird besonders darauf zu achten sein, in welchem Kontext diese Vorschriften stehen und wie dort entstehende Widersprüche möglichst vermieden werden könnten. 298
Wie ausgeführt, wurde § 1155 ABGB durch das 2. COVID-19-Gesetz um die Abs 3 und 4 erweitert. Der Initiativantrag ([IA] 397/A BlgNR 27. GP) dafür ging offenkundig von der Prämisse aus, dass AN, die auf Grund eines verordneten Betretungsverbots nicht beschäftigt werden können, keinen Anspruch auf Fortzahlung ihres Entgelts haben. Tatsächlich wurde die Rechtsauffassung vertreten, dass AG, die auf Grund des Betretungsverbots ihre Betriebe geschlossen haben, nicht (mehr) verpflichtet seien, Entgelt an ihre AN zu zahlen.* Als Begründung wurde § 4 Abs 2 COVID-19-MaßnahmenG ins Treffen geführt, der § 20 EpidemieG außer Kraft gesetzt hat, womit auch dessen § 32 nicht mehr gelten soll. Diese Bestimmung sieht in Abs 3 vor, dass AN, die in einem gem § 20 EpidemieG beschränkten oder geschlossenen Unternehmen beschäftigt sind, einen Vergütungsanspruch in Höhe des regelmäßigen Entgelts gem Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) haben. Da die Spezialnorm des § 32 EpidemieG nicht mehr zur Anwendung komme, seien AG nicht mehr verpflichtet, das Entgelt fortzuzahlen. Das verordnete Betretungsverbot sei als „höhere Gewalt“ iSd § 1155 ABGB zu qualifizieren. Bei „höherer Gewalt“ hätten die AN das Entgeltrisiko und damit den Schaden im Falle eines Betretungsverbots selbst zu tragen.*
Um den betroffenen AN dennoch einen Entgeltfortzahlungsanspruch zu garantieren, wurde in § 1155 Abs 3 ABGB klargestellt, dass die Maßnahmen nach dem COVID-19-MaßnahmenG als „Umstände, die auf Seiten des Dienstgebers liegen“ iSd Abs 1 dieser Bestimmung „gelten“. Das Betretungsverbot ist offenbar kein solcher Umstand, der auf Seiten des AG liegt, sondern gilt bloß – auf Grund der nunmehrigen Anordnung – als solcher.* Da durch die Novellierung des § 1155 ABGB im Ergebnis die AG vom Gesetzgeber in die Pflicht genommen werden, soll die Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung zum einen zunächst nur zeitlich befristet gelten. Zum anderen sollen die AG nicht alleine dieses „Sonderopfer“ leisten, sondern müssen auch die AN ihren Anteil beitragen: Der Verbrauch von Urlaub und Zeitausgleich soll nunmehr offenbar vom AG einseitig angeordnet werden können.
Der Gesetzgeber ist freilich von unzutreffenden Prämissen ausgegangen.* Denn es ist weder gesichert, dass (1.) durch das COVID-19-MaßnahmenG das Entgeltrisiko auf die AN überwälzt wurde, noch (2.) das verordnete Betretungsverbot als höhere Gewalt zu qualifizieren ist.
§ 32 Abs 3 EpidemieG räumt AN, die von Betriebsschließungen bzw -beschränkungen gem § 20 leg cit betroffen sind, einen Anspruch auf „Vergütung“ ein. Diese ist nach dem regelmäßigen Entgelt gem EFZG zu bemessen, ihre Auszahlung hat über die AG zu erfolgen. Bei Auszahlung geht der Vergütungsanspruch der AN gegenüber dem Bund im Wege einer Legalzession auf die AG über. Diese Konstruktion scheint davon auszugehen, dass im Falle einer Betriebsschließung gem § 20 leg cit kein unmittelbarer Entgeltfortzahlungsanspruch gegenüber dem AG besteht.
Diese Lesart ist keineswegs zwingend. § 32 Abs 5 EpidemieG enthält nämlich eine Subsidiaritätsbestimmung: Solange der AN einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegenüber dem AG hat, geht dieser vor. Es ist daher keineswegs so, wie Friedrich behauptet,* dass das Entgeltrisiko bei Betriebsschließungen nach dem EpidemieG weder der AG noch der AN, sondern im Ergebnis immer der Staat trägt. Auch Kietaibl/Wolf kann nicht beigepflichtet werden, dass der Ersatzanspruch des AN gegenüber dem Staat das Fehlen eines Entgeltfortzahlungsanspruchs gegenüber dem AG voraussetzt.* Diese Auffassung klammert § 32 Abs 5 EpidemieG aus. Der Gesetzgeber geht vielmehr offenkundig davon aus, dass es auch im Anwendungsbereich des EpidemieG Fälle eines Anspruches auf Entgeltfortzahlung gegenüber dem AG gibt. Das können insb Ansprüche auf Fortzahlung des Entgelts gem § 1154b ABGB, § 2 EFZG bzw § 8 AngG oder eben gem § 1155 ABGB sein.* Gleichzeitig bringt das EpidemieG aber auch klar zum Ausdruck, dass das Entgeltrisiko im Falle einer angeordneten Betriebsschließung nicht die AN tragen sollen. Gem § 32 EpidemieG übernimmt dieses Risiko vielmehr primär der Bund. Das ist nur konsequent, da ja der Bund das Risiko durch seine behördlichen Anordnungen ausgelöst hat. Tatsächlich ist es fraglich, ob der Bund dieses gleichsam von ihm selbst geschaffene Risiko ausschließlich auf die AN überwälzen darf. Dass gerade jene, die das Risiko einer Betriebsschließung überhaupt nicht beherrschen können, letztlich das alleinige Entgeltrisiko tragen sollen, lässt sich sachlich – und zwar auch in einer Krise – kaum rechtfertigen.*
Das muss auch für die Interpretation des § 4 Abs 2 COVID-19-MaßnahmenG maßgeblich sein, will man unsachliche und damit verfassungswidrige Ergebnisse 299 vermeiden.* Deshalb ist eine Interpretation dieser Bestimmung, die zum Ergebnis hat, dass damit § 32 Abs 3 EpidemieG außer Kraft gesetzt wurde, überaus problematisch. Sie ist im Übrigen auch nicht zwingend, gerade, wenn man bedenkt, dass es sich hier um Sonderbestimmungen auf Grund einer Ausnahmesituation handelt, die jedenfalls im Zweifel nicht weit ausgelegt werden dürfen. § 4 Abs 2 COVID-19-MaßnahmenG spricht nämlich lediglich davon, dass „die Bestimmungen des Epidemiegesetzes … betreffend die Schließung von Betriebsstätten nicht zur An-wendung“
kommen, sobald der zuständige Minister eine entsprechende V erlassen hat. Diese Bestimmungen finden sich in § 20 EpidemieG, der Vergütungsanspruch hingegen in dessen § 32. Dort ist also nicht die Schließung von Betriebsstätten geregelt, sondern lediglich ihre Rechtsfolgen. Gem § 4 Abs 3 COVID-19-MaßnahmenG bleiben aber alle anderen Bestimmungen des EpidemieG unberührt. Die Differenzierung zwischen dem Tatbestand und seinen Rechtsfolgen stützt sich also auf eine Auslegung, die sowohl § 4 Abs 2 als auch § 4 Abs 3 EpidemieG berücksichtigt und gleichzeitig ein unsachliches Ergebnis zu vermeiden versucht.*
Nicht zuletzt im Wege einer verfassungskonformen Interpretation spricht also viel dafür, dass zumindest der Vergütungsanspruch der AN gem § 32 Abs 3 EpidemieG vom COVID-19-MaßnahmenG unberührt bleibt und somit weiterhin besteht.* Lediglich die Notwendigkeit, dass die Betriebsschließung bzw -beschränkung auf § 20 EpidemieG zurückzuführen ist, besteht nun nicht mehr, da § 20 EpidemieG bei einem verordneten Betretungsverbot gem § 4 Abs 2 COVID-19-MaßnahmenG nicht mehr zur Anwendung kommt. Dass aber ein Betretungsverbot eine Beschränkung des Betriebs darstellt, ist unzweifelhaft, so dass der Anwendungsbereich des § 32 Abs 3 EpidemieG dem Grunde nach weiterhin erfüllt ist. Im Übrigen wird lediglich in Abs 1, nicht hingegen auch in Abs 3 des § 32 EpidemieG auf § 20 leg cit verwiesen. Hätte der Gesetzgeber den Vergütungsanspruch gem § 32 Abs 3 ausschließen wollen, so hätte er das wohl explizit machen müssen und nicht noch ausdrücklich klarstellen dürfen, dass das EpidemieG ansonsten unberührt bleibt.
Folgt man dieser – auf eine ausgewogene Risikoverteilung und damit letztlich Verfassungskonformität bedachten – Interpretation des § 4 Abs 2 COVID-19-MaßnahmenG nicht, so hat dies dennoch nicht zur Konsequenz, dass die AN das Entgeltrisiko bei einem verordneten Betretungsverbot zu tragen haben. Denn es handelt sich nicht zwingend um einen Fall „höherer Gewalt“, zumal man sich die Frage stellen muss, ob für diese allgemeinen Regeln des Zivilrechts zur „höheren Gewalt“ im Arbeitsverhältnis überhaupt Platz ist.
Eine gesicherte Dogmatik zu den Auswirkungen höherer Gewalt auf den Entgeltanspruch des AN gibt es nämlich nur vermeintlich.* Klar ist, dass eine explizite Regelung, welche „höhere Gewalt“ anerkennt und in diesem Fall den AG von der Entgeltpflicht entbindet, nicht existiert. Zuweilen wird daher § 1447 ABGB ins Treffen geführt, demzufolge alle wechselseitigen Verbindlichkeiten aufgehoben sind, sollte durch „zufällige Unmöglichkeit“ die Erfüllung einer Verbindlichkeit nicht möglich sein. Zur „zufälligen Unmöglichkeit“ gehören nach der hM auch Fälle höherer Gewalt.* Dabei handelt es sich um einen allgemeinen Grundsatz des Schuldrechts* – jedoch mit einer wichtigen Ausnahme: Es ist allgemein anerkannt, dass § 1155 ABGB das Leistungsstörungsrecht des allgemeinen Zivilrechts für den Dienstvertrag modifiziert.* Bereits die Materialien zur III. Teilnovelle des ABGB, mit der § 1155 eingeführt wurde, stellen klar, dass der AG auch für Zufälle einzustehen hat.* Entscheidend für den Entgeltanspruch des AN ist, ob der Zufall „auf Seiten des DG“ liegt.* Zuweilen wird in diesem Zusammenhang auch von der „DG-Sphäre“ gesprochen.
In einem zweipersonalen Verhältnis ist klar, dass dort, wo es eine „DG-Sphäre“ gibt, auch eine „AN-Sphäre“ existieren muss. Eine Dienstverhinderung „auf Seiten des AN“ wäre etwa, wenn der AN wegen Erkrankung nicht arbeitsfähig ist. Für diesen Fall hat der Gesetzgeber freilich aus sozialpolitischen Gründen dennoch dem AG zumindest vorerst das Entgeltrisiko aufgebürdet (vgl bloß § 1154b ABGB). Keineswegs gesichert ist hingegen, dass es auch eine dritte, sogenannte „neutrale Sphäre“ geben muss.* Die Existenz des § 1155 als Ausnahme von der Regel des § 1447 ABGB spricht eher dagegen. Hinzu kommt, dass die „neutrale 300Sphäre“ keineswegs „neutral“ ist.* Sie soll ja zur Konsequenz haben, dass § 1155 ABGB nicht greift und der AN deshalb auch kein Entgelt bekommt. Im Ergebnis besteht also kein Unterschied, ob die Dienstleistung aus Gründen unterbleibt, die der AN verschuldet hat oder aus der „neutralen Sphäre“ stammen: Das Entgeltrisiko trägt in beiden Fällen letztlich der AN. Von einer „neutralen Sphäre“ kann also mit Blick auf die Rechtsfolgen keine Rede sein.
Darüber hinaus tendiert auch die Rsp, jedenfalls im Anwendungsbereich des § 1154b Abs 5 ABGB, dazu, Naturereignisse, die dazu führen, dass der AN die geschuldeten Dienste nicht erbringen kann, entweder der einen oder der anderen Partei zuzuordnen. Nach der Judikatur stellt es einen wichtigen die Person des DN betreffenden Grund dar, wenn der AN die geschuldete Arbeit nicht aufnehmen kann, weil er auf Grund widriger Witterungsverhältnisse oder sonstiger Verkehrsstörungen nicht in den Betrieb gelangt.* Das wirtschaftliche Risiko solcher Naturereignisse soll im Anwendungsbereich des § 1154b Abs 5 ABGB nicht der AN tragen. Weshalb im Anwendungsbereich des § 1155 ABGB anderes gelten soll, ist wenig einsichtig. Es lässt sich kaum argumentieren, dass der wirtschaftlich und persönlich abhängige AN das Entgeltrisiko in diesen Fällen zur Gänze tragen soll, während dieses Abhängigkeitsverhältnis ansonsten der Grund dafür ist, dass Entgeltschmälerungen im Arbeitsverhältnis auch bei Schlecht- oder Minderleistungen unzulässig sind und selbst zu viel gezahltes Entgelt nicht zurückgefordert werden kann, wenn es gutgläubig empfangen und verbraucht wurde.* Das, was Friedrich einen „holprigen Vergleich“ nennt,* ist eine systematische Zusammenschau, die verdeutlichen soll, dass einerseits ein Durchgriff auf den Entgeltanspruch des AN selbst bei subjektiver Vorwerfbarkeit weitgehend abgelehnt wird und andererseits zum Schutz des Entgeltanspruches sogar allgemeine zivilrechtliche Grundsätze modifiziert werden. Diesen hohen Stellenwert des Entgeltschutzes kann man auch im Anwendungsbereich des § 1155 ABGB nicht einfach ausblenden, insb wenn man bedenkt, dass dessen Neufassung im Zuge der III. Teilnovelle darauf abzielte, genau diesen sicherzustellen.* Der bloße Verweis auf den Grundsatz „Ohne Entgelt keine Arbeit“ taugt deshalb auch nicht als Gegenbeweis,* geht es doch darum, dessen Reichweite erst auszuloten. Ein Blick auf das Gesamtsystem legt vielmehr nahe, dass die Schutzfunktion des Arbeitsrechts sich nicht ohne Weiteres mit der These von der „höheren Gewalt“* verträgt und zumindest eine restriktive Sicht der sonst in Austauschverhältnissen geltenden Regel „ohne Leistung auch kein Entgelt“ erfordert.
Das entspricht im Übrigen auch der Rsp des OGH. Naturereignisse – ebenso wie Seuchen – sind nach der Judikatur nur dann als „allgemeine Kalamität“ zu qualifizieren und damit der sogenannten „neutralen Sphäre“ zuzuordnen, wenn ihre Auswirkungen über die AG-Sphäre hinaus in vergleichbarer Weise die Allgemeinheit treffen.* Dabei gilt es zu bedenken, dass im konkreten Fall nicht die Krankheit selbst, sondern erst das verordnete Betretungsverbot dazu geführt hat, dass die versprochenen Dienste nicht zustande gekommen sind. Oder anders ausgedrückt: Nicht die Seuche selbst, sondern die behördliche Anordnung ist letztlich der entscheidende Grund bzw die vermeintliche „höhere Gewalt“. Dass dieser behördliche Akt auf eine Krankheit zurückzuführen ist, sagt dabei noch nicht viel aus. Der bloße Umstand, dass eine anzeigepflichtige Krankheit iSd EpidemieG ausgebrochen ist, heißt noch nicht, dass sich betroffene Betriebe auf höhere Gewalt berufen und die Entgeltzahlungen aussetzen können. Dasselbe gilt für den Umstand, dass eine behördliche Anordnung getroffen wurde. Aus Sicht der Vertragsparteien macht es tatsächlich auch keinen Unterschied, ob ein Betrieb auf Grundlage des § 20 EpidemieG geschlossen wird oder wegen mangelhafter Hygiene. In beiden Fällen ist der Grund der Betriebsschließung eine behördliche Anordnung, die nicht in der Ingerenz des AG liegt. Bei mangelhafter Hygiene bestünde aber wohl kein Zweifel, dass die AN gem § 1155 ABGB einen Entgeltfortzahlungsanspruch hätten, selbst wenn den AG kein Verschulden trifft. Dem könnte man nun entgegenhalten, dass es sich bei den Maßnahmen nach dem COVID-19-MaßnahmenG im Gegensatz zum EpidemieG eben nicht um individuell-konkrete, sondern um generell-abstrakte Maßnahmen handelt. Das könnte die Betroffenheit der Allgemeinheit und damit das Vorliegen einer „allgemeinen Kalamität“ indizieren.*
Allerdings wurde zu Recht bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass für den Fall, dass tatsächlich die Allgemeinheit betroffen ist, ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung regelmäßig bereits deshalb nicht bestehen wird, weil der AN – auf Grund der allgemeinen Betroffenheit – seinerseits nicht in der Lage ist, seine Dienste anzubieten.* Oder anders ausgedrückt: Bei einer „allgemeinen Kalamität“ wird es typischerweise (auch) an der Leistungsbereitschaft des AN fehlen, was wiederum einen Entgeltfortzahlungsanspruch gem § 1155 Abs 1 ABGB ausschließt. Im Fall der COVID-19-Sicherungsmaßnahmen hat der Verordnungsgeber allerdings alles unternommen, um die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen, damit AN ihre 301Dienste weiterhin anbieten können. So gilt das Verbot, öffentliche Orte zu betreten, insb dann nicht, wenn es für berufliche Zwecke erforderlich ist.* Ansonsten soll möglichst die Ausübung der vereinbarten Tätigkeit außerhalb der Betriebsstätte, also zu Hause im Wege der Telearbeit, ermöglicht werden.* Selbst Beherbergungsbetriebe durften weiterhin betreten werden, wenn dies aus beruflichen Gründen erfolgt.* Das alles sind letztlich Maßnahmen, welche die Leistungsbereitschaft der AN sicherstellen und gleichzeitig eine „allgemeine Betroffenheit“ verhindern (sollen).
Gegen die Sichtweise, dass es sich bei den COVID-19-Sicherungsmaßnahmen um eine allgemeine Kalamität handelt, lässt sich ferner einwenden, dass ein Betretungsverbot nicht zwingend eine Betriebsschließung zur Konsequenz haben muss. Das ist primär eine unternehmerische Entscheidung, die zB davon abhängen wird, ob der Betrieb auch online aufrechterhalten werden kann oder die AN vielleicht auch in anderen Bereichen eingesetzt werden können.* Dieser – zweifelsfrei stark eingeschränkte, aber dennoch weiterhin bestehende – unternehmerische Entscheidungsspielraum spricht gegen eine „allgemeine Betroffenheit“, der man sich nicht entziehen kann. Und darum muss es wohl letztlich gehen, wenn von einer „allgemeinen Kalamität“ die Rede ist. Die Frage, ob das Ereignis groß- oder kleinflächig auftritt, kann in diesem Zusammenhang daher allenfalls Indizwirkung haben. Einem großflächig auftretenden Phänomen kann man sich durch organisatorische Maßnahmen, wie zB der Wahl des Betriebsstandortes, typischerweise weniger leicht entziehen, wie einem kleinflächigen. Eine eigenständige rechtliche Bedeutung kommt der flächenmäßigen Ausbreitung oder Anzahl der betroffenen Betriebe aber wohl eher nicht zu.* Die mit dem Betretungsverbot zumeist einhergehenden Betriebseinschränkungen können darüber hinaus weitgehend durch die großzügige COVID-19-Kurzarbeitsregelung abgefedert werden. Im Falle des COVID-19-MaßnahmenG liegt also eine Betriebsschließung ungleich mehr in der Ingerenz des AG als nach dem EpidemieG. Das ist auch nach der Rsp von Bedeutung: Können auf Grund eines Elementarereignisses – im konkreten Fall starker Schneefall – AN nicht zum Betrieb gelangen, ist es aber mit dem verfügbaren Personal grundsätzlich möglich, an einigen Maschinen die Produktion aufzunehmen, so ist die vorübergehende Stilllegung des Betriebs letztlich nicht „höherer Gewalt“, sondern – als primär betriebswirtschaftlich motivierte Entscheidung – der AG-Sphäre zuzurechnen.* Nichts anderes kann letztlich für den konkreten Fall gelten: Bei Betriebsschließungen als Reaktion auf das verordnete Betretungsverbot handelt es sich nicht um „höhere Gewalt“, sondern um eine unternehmerische Entscheidung und damit – um mit den Worten des ABGB zu sprechen – letztlich um einen Umstand, der iSd § 1155 leg cit auf Seiten des DG liegt. Insofern ist es tatsächlich nicht erforderlich, zwischen unmittelbarer und mittelbarer Betroffenheit zu unterscheiden.*
Das bedeutet freilich zusammengefasst, dass es gar keiner Ergänzung des § 1155 ABGB um die Abs 3 und 4 bedurft hätte, da der Fall der Betriebsschließung auf Grund eines verhängten Betretungsverbots ohnehin unter Abs 1 zu subsumieren ist.
Hält man sich dies vor Augen, so zeigt sich, dass eigentlich mit dem EpidemieG, das zu-nächst auch die primäre Rechtsgrundlage zur Bekämpfung des Corona-Virus in Österreich war, das Auslangen zu finden gewesen wäre. Auch die Regelung des § 4 Abs 2 COVID-19-MaßnahmenG erweist sich letztlich als arbeitsrechtlich überflüssig. Die eigentliche Intention dahinter war wohl, sicherzustellen, dass der Bund nicht mit überbordenden Forderungen von AG auf Ersatz der Vergütungen gem § 32 EpidemieG konfrontiert wird. Freilich trägt der Bund selbst im Anwendungsbereich des EpidemieG nicht ausschließlich das Entgeltrisiko. § 32 Abs 5 EpidemieG sieht vielmehr vor, dass auf den gebührenden Vergütungsbetrag jene Beträge anzurechnen sind, „die dem Vergütungsberechtigten wegen einer solchen Erwerbsbehinderung nach sonstigen Vorschriften oder Vereinbarungen sowie aus einer anderweitigen während der Zeit der Erwerbsbehinderung aufgenommenen Erwerbstätigkeit zukommen“. Diese Regelung ist nichts anderes als eine Subsidiaritätsklausel. Andere Ansprüche gehen jenem auf Vergütung gem § 32 EpidemieG vor. Das können auch solche auf Entgeltfortzahlung gegenüber dem AG sein, insb gem § 2 EFZG bzw § 8 AngG im Fall einer diagnostizierten COVID-19-Erkrankung oder gem § 1155 ABGB. MaW: Die Anwendbarkeit des EpidemieG schließt das Bestehen von Entgeltfortzahlungsansprüchen gegenüber dem AG nicht aus.
Ein weiterer Anspruch, der jenem nach § 32 EpidemieG vorgeht, ist der auf Krankengeld gem § 138 ASVG. Zwar sieht § 143 ASVG seinerseits vor, dass der Anspruch auf Krankengeld in gewissen Fällen ruht, ua dann, wenn der Versicherte auf Grund gesetzlicher oder vertraglicher Bestimmungen Anspruch auf Weiterleistung von mehr als 50 vH der vollen Geld- und Sachbezüge iSd § 49 Abs 1 ASVG vor dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit hat. Ein Entgeltfortzahlungsanspruch gem § 2 EFZG bzw § 8 Abs 1 AngG geht demnach dem Anspruch auf Krankengeld vor, solange zumindest 50 % des Entgelts zu leisten sind. Der Vergütungsanspruch gem § 32 Abs 3 EpidemieG ist von dieser Bestimmung allerdings wohl nicht erfasst. § 143 Abs 1 Z 3 ASVG stellt auf die Weiterleistung der „Geld- und Sachbezüge“ ab und verweist in diesem Zusammenhang explizit auf § 49 Abs 1 ASVG; also auf den 302sozialversicherungsrechtlichen Entgeltbegriff. Beim Anspruch nach § 32 Abs 3 EpidemieG handelt es sich aber nicht um einen Anspruch auf „Entgelt“ gegenüber dem DG oder einem Dritten, sondern – nach dem expliziten Wortlaut – um einen „Anspruch auf Vergütung gegenüber dem Bund“.* Dh, die Ruhensbestimmung des § 143 Abs 1 Z 3 ASVG ist nicht einschlägig. Folgt man dem, so liegen keine konkurrierenden Subsidiaritätsbestimmungen vor. Vielmehr wäre der Fall – bei festgestellter COVID-19-Erkrankung – jedenfalls vom ASVG erfasst, was zur Folge hätte, dass auch der Anspruch auf Krankengeld gem § 138 ASVG jenem nach dem EpidemieG gem § 32 Abs 5 leg cit vorgeht.
Die gesetzliche Anordnung, dass der AG die Entgeltfortzahlung im Falle eines verordneten Betretungsverbots zu leisten hat, wurde mit einem Recht des AG verknüpft, den Verbrauch von Urlaubs- und Zeitguthaben vom AN verlangen zu können. Die Ergänzung in § 1155 Abs 3 zweiter Satz iVm Abs 4 hat offenkundig den Zweck, den Abbau von bestehenden Ansprüchen auf Urlaub und Zeitausgleich zu ermöglichen, um so die Urlaubsrückstellungen in den Bilanzen reduzieren zu können und mehr Liquidität zu schaffen. Daneben handelt es sich aber wohl auch um eine Art „Selbstbehalt“ für die AN zur Kompensation der (vermeintlich) neuen Belastung der AG mit der Entgeltfortzahlungspflicht gem § 1155 Abs 3 ABGB.*
Das im Gegenzug dafür neu geschaffene Recht des AG, vom AN den Verbrauch von Urlaubs- und Zeitguthaben verlangen zu können, setzt auf Grund des Wortlauts und der Systematik zweierlei voraus: 1. muss der Betrieb vom Betretungsverbot gem COVID-19-MaßnahmenG betroffen sein und zusätzlich muss 2. dieses Betretungsverbot dazu geführt haben, dass die vertraglich vereinbarten Dienstleistungen auf Grund solcher Maßnahmen nicht zustande kommen.
Der Wortlaut des Abs 3 ist insoweit eindeutig, dass „Maßnahmen, die auf Grundlage des COVID-19-Maßnahmengesetzes …, die zum Verbot oder zu Einschränkungen des Betretens von Betrieben führen“
als Gründe gelten, die ein Verlangen des AG, Urlaub zu verbrauchen, rechtfertigen. Die bloße Betroffenheit des Betriebs von einem Betretungsverbot reicht allerdings nicht aus. Das Betretungsverbot muss vielmehr dazu geführt haben, dass, bezogen auf den konkreten AN, die vertraglich vereinbarte Dienstleistung auf Grund solcher Maßnahmen nicht zustande kommt. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass selbst in Betrieben, die vom Betretungsverbot betroffen sind, eine einseitige Anordnung des Urlaubsverbrauchs nicht zulässig ist, wenn die Dienstleistungen weiterhin zustande kommen, zB weil der betreffende AN nunmehr in einem anderen Bereich eingesetzt wird oder die versprochenen Dienste von zu Hause via Telearbeit erbringt.*
Unklar ist freilich, welches Recht dem AG konkret aus § 1155 Abs 3 ABGB unter den genannten Voraussetzungen erwächst. Der Gesetzeswortlaut spricht davon, dass der AG „verlangen“ kann, dass der AN „in dieser Zeit“ Urlaubs- und Zeitguthaben verbraucht. Damit ist wohl jene Zeit gemeint, in welcher der Betrieb von einem Betretungsverbot betroffen ist und die Dienstleistungen deshalb nicht zu Stande kommen kann. Außerhalb dieses Zeitraums kann der AG den Urlaubsverbrauch somit nicht verlangen.
„Verlangen“ ist darüber hinaus etwas anderes als „einseitig anordnen“.* Der AG kann wohl nicht den Zeitpunkt einseitig festlegen, zu dem Urlaubs- oder Zeitguthaben verbraucht werden müssen.* Hätte das der Gesetzgeber gewollt, hätte er – so wie er es nur kurz zuvor in § 7a Arbeitsruhegesetz (ARG) zu Gunsten des AN gemacht hat* – dem AG das Recht einräumen müssen, den „Zeitpunkt des Antritts“ des Urlaubs „einseitig zu bestimmen“. Auch in § 10 Abs 4 Arbeitszeitgesetz (AZG) ist iZm den durch die AZG-Novelle 2018* neu geschaffenen Sonderüberstunden die Rede davon, dass der AN „bestimmen“ kann, ob er eine Abgeltung in Geld oder Zeitausgleich wünscht. Dem Umstand, dass der Gesetzgeber in § 1155 Abs 3 ABGB lediglich einen Urlaubsverbrauch „auf Verlangen“ des AG vorsieht, muss demnach normative Bedeutung zukommen; zumal im öffentlichen Dienstrecht – ebenfalls mit dem 2. COVID-19-Gesetz (!) – ein Recht geschaffen wurde, unter bestimmten Voraussetzungen den Verbrauch des Erholungsurlaubes einseitig anzuordnen (vgl § 68 Abs 1 Beamten-Dienstrechtsgesetz [BDG] bzw § 27e Abs 1 Vertragsbedienstetengesetz [VBG]).* Dem IA ist zu entnehmen, dass dieses einseitige Anordnungsrecht deshalb notwendig und gerechtfertigt erscheint, da der „öffentliche Dienstgeber nicht über jene Gestaltungsmöglichkeiten verfügt, mit denen andere Arbeitgeber im Rahmen der Privatautonomie nachdrücklich auf einen Verbrauch des Erholungsurlaubs aus früheren Kalenderjahren hinwirken können“
.* Daraus lässt sich im Umkehrschluss folgern, dass in der Privatwirtschaft ein einseitiges Anordnungsrecht (selbst in der Krise) nicht erforderlich ist und es somit weiterhin einer individuellen Vereinbarung gem § 4 Abs 1 UrlG bedarf. Oder anders ausgedrückt: Das Konsensprinzip des § 4 Abs 1 UrlG wird durch § 1155 Abs 3 ABGB nicht außer Kraft gesetzt, der AN wird lediglich – unter noch zu klärenden Voraussetzungen – verpflichtet, diesem Verlangen zu entsprechen.*303
Gleiches gilt im Wesentlichen für den Verbrauch von Zeitausgleich. Auch hier ist die Regel, dass gem § 19f AZG der Abbau von Zeitguthaben sowohl an Normalarbeitszeit (Abs 1) als auch aus Überstundenarbeit (Abs 2) im Einvernehmen zwischen AG und AN zu erfolgen hat. Nur wenn ein solches Einvernehmen nicht zu Stande kommt, kann der AN unter bestimmten – relativ komplex geregelten – Voraussetzungen einseitig den Zeitausgleich antreten. Auch in diesem Kontext spricht der Gesetzgeber davon, dass der AN „den Zeitpunkt des Ausgleichs … selbst bestimmen“
kann. Wenn nunmehr in § 1155 Abs 3 ABGB die Rede davon ist, dass „auf Verlangen des Arbeitgebers … Zeitguthaben zu verbrauchen“
sind, so ist damit offenkundig etwas anderes als ein einseitiges Bestimmungsrecht gemeint. Dh, auch für den Verbrauch von Zeitausgleich hat weiterhin zu gelten, dass der konkrete Zeitpunkt zwischen AG und AN zu vereinbaren ist.
Allerdings haben sich nunmehr die „Vorzeichen“ für diese Vereinbarung geändert. Der normative Mehrwert des § 1155 Abs 3 ABGB liegt auch weniger in einem Initiativrecht des AG, das ja auch sonst nicht ausgeschlossen ist, man denke nur an Betriebsurlaube. Vielmehr handelt es sich um eine Art „gesetzliche Vermutung“, dass der Urlaubsverbrauch (und vorerst wohl: nur) in diesem Zeitraum betrieblichen Interessen entspricht. Muss der AN nicht arbeiten, da dies schlichtweg nicht möglich ist, ist auch von einer hinreichenden Erholungsmöglichkeit iSd § 4 Abs 1 UrlG für den AN auszugehen. Über diesen Weg kann also § 1155 Abs 3 ABGB zum – vielfach wohl auch konkludenten – Abschluss einer Urlaubsvereinbarung führen. Mit einem Automatismus oder gar einem einseitigen Anordnungsrecht ist das freilich nicht gleichzusetzen. Der Gegenbeweis steht dem AN weiterhin offen.
Dass hier kein bedingungsloses Weisungsrecht des AG bestehen kann,* bestätigen auch weitere Überlegungen. Zum einen könnten sonst auch andere zwingende AN-Ansprüche (insb auf Entgeltfortzahlung bei Krankheit oder wegen Pflegefreistellung) ausgehebelt werden, die nach der unverändert weiter bestehenden gesetzlichen Anordnung der Festlegung eines Urlaubstermins (und zwar selbst bei „regulärer“ Vereinbarung) entgegenstehen (vgl § 4 Abs 2 UrlG).
Gegen eine Interpretation des § 1155 Abs 3 ABGB, die dem AG das Recht zur einseitigen Anordnung des Verbrauchs von Urlaubsguthaben einräumt, spricht weiters, dass ein solches Verständnis der Neuregelung einen völlig unerwünschten sozialpolitischen Effekt hätte: Offene Urlaubs- und Zeitausgleichsguthaben waren bis dato ein zentrales Argument, sich für die Kurzarbeit an Stelle der Kündigung zu entscheiden. Würde nunmehr die Möglichkeit bestehen, während des Laufs der Kündigungsfrist noch Urlaub und Zeitausgleich einseitig abzubauen, so könnte das verstärkt zur Auflösung von Arbeitsverhältnissen führen – eine Reaktion auf das verordnete Betretungsverbot, die der Gesetzgeber (zusammen mit den Sozialpartnern) durch die Flexibilisierung der Kurzarbeitsregelungen gerade vermeiden wollte.
Und schließlich sollte nicht vergessen werden, dass die Anordnung in § 1155 Abs 3 Satz 2 ABGB gleichsam als Abtausch zur Anordnung in Satz 1 dieser Bestimmung zu sehen ist. Insofern stimmt es tatsächlich, dass sich der Anwendungsbereich der beiden Regelungen deckt.* Wenn aber Satz 1, wie oben (2.1.) ausgeführt, nicht schlechthin bei jedem mit Corona zusammenhängenden Nichtzustandekommen der Arbeitsleistung zur Anwendung kommen kann, ist auch das Recht des AG, Urlaubsverbrauch zu verlangen und die damit korrespondierende Verpflichtung der AN, diesem Verlangen nachzukommen, entsprechend enger zu verstehen.
Was nun das Ausmaß der betroffenen Urlaubsansprüche betrifft, stellt § 1155 Abs 4 Z 1 ABGB klar, dass solche aus dem laufenden Urlaubsjahr nur in einem Ausmaß von zwei Wochen verbraucht werden müssen. Das bedeutet im Ergebnis eine Beschränkung der Verpflichtung zum Verbrauch von Urlaub. Urlaubsansprüche, die aus vorhergehenden Urlaubsjahren resultieren, unterliegen dieser Beschränkung auf zwei Wochen hingegen nicht. In diesem Fall greift bloß der „Acht-Wochen-Deckel“ gem § 1155 Abs 4 Z 3 ABGB.
Entscheidend ist somit, was unter dem „laufenden“ Urlaubsjahr zu verstehen ist. IS einer Wortlautinterpretation sollte klar sein, dass Urlaubsjahre, die bereits vor dem Inkrafttreten des § 1155 Abs 3 ABGB geendet haben, nicht mehr „laufen“.
Es kann durchaus problematisiert werden, ob diese Zwei-Wochen-Regelung nicht zu grob ist, weil sie AN, die zB im Winter noch drei Wochen weg waren, jegliche Chance auf einen bezahlten Sommerurlaub nehmen würde, wenn der AG von den Möglichkeiten des § 1155 Abs 3 ABGB Gebrauch macht, während andere AN diese Chance noch haben. Solche Zufälligkeiten sind dem UrlG aber nicht fremd, weil etwa nach § 10 Abs 1 eine Aliquotierung der Ersatzleistung vorgesehen ist, wenn das Arbeitsverhältnis während des Urlaubsjahres endet. AN, die schon mehr Urlaub konsumiert haben, hätten Glück, wenn nicht ausnahmsweise eine Rückerstattung iSd Z 1 und 2 dieser Bestimmung in Betracht kommt.
Es bleibt daher wohl bei zwei Wochen oder weniger, wenn vorher schon mehr Jahresurlaub verbraucht worden ist. Ein einseitiger Vorgriff auf Ansprüche künftiger Jahre ist durch § 1155 Abs 4 ABGB jedoch nicht gedeckt.
Eine weitere urlaubsrechtliche Regelung wurde mit dem 2. COVID-19-Gesetz im ArbVG geschaffen. § 170 ArbVG – zuletzt idF BGBl I 2020/23BGBl I 2020/23– sieht in seinem Abs 3 nunmehr eine befristete Erweiterung des Betriebsvereinbarungstatbestandes des 304§ 97 Abs 1 Z 13 ArbVG vor. Bisher konnten auf dieser Grundlage fakultative Betriebsvereinbarungen über die vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der Arbeitszeit getroffen werden. Von praktischer Bedeutung war und ist vor allem der Tatbestand der vorübergehenden Verkürzung der Arbeitszeit. Hierbei handelt es sich um die gesetzliche Grundlage für die Vereinbarung von Kurzarbeit auf kollektivem Wege.* Das gilt auch für die derzeit vielfach praktizierte und großzügig geförderte Corona-Kurzarbeit. Genau aus diesem Grund hat sich wohl der Gesetzgeber auch zur Neuregelung des § 170 Abs 3 ArbVG veranlasst gesehen. In diesem Zusammenhang stellt sich vor allem die Frage, was mit „Regelungen zum Verbrauch des Urlaubs“ gemeint ist. Wurde damit den Betriebsparteien das Recht eingeräumt, mittels BV einen konkreten Zeitraum festzulegen, in dem Urlaub zu verbrauchen ist?
Für eine solche Sichtweise könnte sprechen, dass § 170 Abs 3 ArbVG wohl im unmittelbaren Zusammenhang zu den Fördervoraussetzungen der Corona-Kurzarbeit steht.* Nach Pkt 6.4.2. der Bundes-RL Kurzarbeitsbeihilfe (KUA-RL) sind alle Unternehmen, die eine Beihilfe zur Corona-Kurzarbeit beantragen, davon zu informieren, dass „Alturlaubsansprüche sowie Zeitguthaben tunlichst abzubauen sind“
. Die RL weist freilich selbst darauf hin, dass der AG lediglich „ein ernstliches Bemühen und keinen bestimmten Erfolg“ nachzuweisen hat, da der Urlaubsverbrauch (bzw der Verbrauch von Zeitguthaben) nicht einseitig an-geordnet werden könne. „Kommt es etwa in Verhandlungen mit dem Betriebsrat zu keiner Einigung über den Abbau von Alturlauben (bzw von Zeitguthaben), schadet dies der Arbeitgeberin/dem Arbeitgeber nicht.“
Tatsächlich ist gem § 4 Abs 1 UrlG der Zeitpunkt des Urlaubsantritts zwischen AG und AN zu vereinbaren. Ein einseitiges Anordnungsrecht des AG existiert nicht. Daran hat, wie oben (2.3.1.) ausgeführt, auch § 1155 Abs 3 ABGB nichts geändert. Es fragt sich daher, ob nicht § 170 Abs 3 ArbVG nunmehr die Rechtsgrundlage dafür schaffen soll, dass der Urlaubsverbrauch zumindest während der Corona-Krise betriebseinheitlich mittels BV festgelegt werden kann. Das setzt zwar voraus, dass ein Einvernehmen mit dem BR erzielt wird. Dh, ein einseitiges Anordnungsrecht ist auch § 170 Abs 3 ArbVG nicht zu entnehmen. Einigen sich jedoch Betriebsinhaber und BR, so wäre diese Vereinbarung für alle Beschäftigten des Betriebs gem § 31 Abs 1 ArbVG unmittelbar rechtsverbindlich. Eine individuelle Vereinbarung mit jedem einzelnen AN wäre nicht mehr erforderlich.
Gegen eine solche Interpretation spricht freilich, dass die Regelung des § 4 Abs 1 UrlG vom Gesetzgeber unberührt geblieben ist. MaW: Es gilt weiterhin, und zwar auch während der COVID-19-Sicherungsmaßnahmen, dass der konkrete Urlaubszeitpunkt zwischen AG und AN zu vereinbaren ist.* Es könnte sich daher allenfalls um einen Fall der materiellen Derogation handeln. Allerdings wäre nur schwer erklärbar, weshalb im selben Gesetzespaket mit § 1155 Abs 3 ABGB eine Regelung geschaffen wurde, welche den Abschluss einer Urlaubsvereinbarung zu Gunsten des AG erleichtern soll. Dieser Norm wäre durch § 170 Abs 3 ArbVG der Anwendungsbereich entzogen, zumindest wenn es sich um einen Betrieb handelt, in dem ein BR gewählt wurde. Ein solches Ergebnis kann dem Gesetzgeber kaum unterstellt werden.
Letztlich spricht aber auch der Wortlaut dagegen, dass mit § 170 Abs 3 ArbVG eine (neue) Kompetenz der Betriebsparteien geschaffen werden sollte, den Zeitpunkt des Urlaubsantritts mit normativer Wirkung festzulegen. Denn gem § 97 Abs 1 Z 10 ArbVG besteht bereits eine gesetzliche Ermächtigung, „Grundsätze betreffend den Verbrauch des Erholungsurlaubes“
mittels fakultativer BV zu regeln. Mit Blick auf § 4 Abs 1 UrlG ist vollkommen unbestritten, dass von dieser Regelungskompetenz gerade nicht die normative Festlegung des konkreten Urlaubszeitpunktes erfasst ist.* Normativ festgelegt werden können daher lediglich Regelungen wie zB, dass Eltern mit schulpflichtigen Kindern zuerst ihre Urlaubswünsche angeben dürfen oder dass jeweils ein bestimmtes Präsenzquorum pro Abteilung sicherzustellen ist. Nichts anderes kann aber für § 170 Abs 3 ArbVG gelten, wenn dort der Betriebsvereinbarungstatbestand des § 97 Abs 1 Z 13 ArbVG so formuliert wurde, dass nunmehr auch „Regelungen zum Verbrauch des Urlaubsverbrauchs“
erfasst sein sollen. Auch hier bezieht sich die Ermächtigung nach dem eindeutigen Wortlaut nicht auf den Verbrauch selbst, sondern lediglich auf Regelungen „zum Verbrauch“
.* Zu nichts anderem ermächtigt freilich bereits jetzt § 97 Abs 1 Z 10 ArbVG.
Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass die vorgenommene Erweiterung des § 97 Abs 1 Z 13 ArbVG im Ergebnis gegenüber § 97 Abs 1 Z 10 ArbVG keinen normativen Mehrwert bewirkt. Völlig obsolet ist die Regelung des § 170 Abs 3 ArbVG aber vielleicht doch nicht. Sie schafft bei den Betriebsparteien zumindest ein Bewusstsein, iZm der Corona-Kurzarbeitsvereinbarung – gleichsam „in einem“ – auch allgemeine Richtlinien für den Urlaubsverbrauch festzulegen. Gelingt dies, könnte das dem AG den Nachweis erleichtern, dass man sich ernstlich darum bemüht hatte, Alturlaube abzubauen und damit den Zugang zur Corona-Kurzarbeitsbeihilfe eröffnen.
Eine andere Frage, welche die Erweiterung des § 1155 ABGB um die Abs 3 und 4 aufwirft, ist jene nach der Rechtswirkung der Neuregelungen. 305 Gem § 1164 ABGB handelt es sich nämlich bei § 1155 um keine zwingende Norm. Abweichende Vereinbarungen sind – unter gewissen Voraussetzungen – auch zu Lasten des AN zulässig. Unklar ist, ob dies auch für die neuen Abs 3 und 4 dieser Bestimmung gilt.
Zunächst ist festzuhalten, dass § 1164 ABGB durch BGBl I 2020/16BGBl I 2020/16nicht geändert wurde. Ferner hat der Gesetzgeber keinerlei Anordnungen getroffen, welche Auswirkungen die Ergänzung des § 1155 ABGB um die Abs 3 und 4 auf bestehende Kollektivverträge oder Arbeitsverträge hat, die von der Möglichkeit des § 1164 ABGB Gebrauch gemacht und § 1155 ABGB eingeschränkt oder gar abbedungen haben. Es stellt sich daher die Frage, ob diese Restriktionen auch für die neu hinzugefügten Abs 3 und 4 gelten.
Hier ist vorweg darauf zu verweisen, dass sich der zwingende Charakter einer gesetzlichen Regelung auch aus deren Zweck und dem Kontext ergeben kann.* Angesichts der Entstehung und der konkreten Ausgestaltung von § 1155 Abs 3 und 4 ABGB spricht eigentlich alles dafür, dass ein künftiger Ausschluss der dort in Abs 3 Satz 1 vorgenommenen Risikozuordnung durch untergesetzliche Rechtsquellen unzulässig wäre.* Das legen der Zweck und die Umstände der Ergänzung des § 1155 ABGB durch BGBl I 2020/16BGBl I 2020/16 nahe. Die Möglichkeit einer Verkürzung oder eines völligen Ausschlusses der Entgeltfortzahlungspflicht würde auch dem erleichterten Urlaubsabbau die Rechtfertigung entziehen. Der Gesetzgeber war aber offenkundig bestrebt, die Lasten der Krise – aus seiner Sicht – ausgewogen auf beide Arbeitsvertragsparteien zu verteilen. Eine bloß dispositive Wirkung des Abs 3 würde diese Balance in Frage stellen. Eine solche Lesart kann daher nicht der Intention des Gesetzgebers entsprechen. Insofern hätten diese Änderungen also nicht bloß klarstellende Bedeutung, sondern einen durchaus eigenständigen normativen Gehalt in der Form, dass die Ansprüche nach § 1155 ABGB im Kontext von COVID-19-bedingten Arbeitsausfällen zwingender Natur sind. Dafür spricht auch, dass sowohl Abs 3 als auch Abs 4 nur befristet bis zum 31.12.2020 gelten (vgl § 1503 Abs 14 ABGB).
Selbst bei Verneinung der hier vertretenen zwingenden Wirkung des § 1155 Abs 3 ABGB wird man bei Arbeitsverträgen, die bereits zuvor abgeschlossen wurden und eine Einschränkung des § 1155 Abs 1 ABGB enthalten, auf Grund ergänzender Vertragsauslegung (§ 914 ABGB) zu dem Ergebnis kommen müssen, dass weder der AN in einer solchen Ausnahmesituation auf seinen Entgeltanspruch noch der AG auf die erleichterte Möglichkeit des Verbrauchs von offenem Urlaub und Zeitausgleich verzichten wollte. Die Vertragsparteien hatten im Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrags nicht den Fall der Corona-Pandemie vor Augen. Redlichen Vertragsparteien kann daher wohl kaum unterstellt werden, dass sie § 1155 ABGB selbst für den Fall des Inkrafttretens des COVID-19-MaßnahmenG abdingen wollten. Dabei ist auch zu bedenken, dass der OGH bereits bisher (zu) weitgehende Einschränkungen des § 1155 als sittenwidrig qualifiziert hat.*
Bei Kollektivverträgen könnte die rechtliche Beurteilung komplexer sein, da diese objektiv auszulegen sind und nicht auf einen hypothetischen Parteiwillen oder eine redliche Verkehrssitte abgestellt werden kann. Der OGH vertritt allerdings in stRsp, dass bei der Auslegung von Kollektivverträgen zwar in erster Linie der Wortsinn – auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen –, aber ebenso die sich aus dem Text ergebende Absicht der Kollektivvertrags- bzw Betriebsparteien zu ermitteln ist.* Bei der Auslegung muss zumindest im Zweifel unterstellt werden, dass die Parteien eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen und daher eine Ungleichbehandlung der Normadressaten vermeiden wollten.* Dabei steckt stets der äußerst mögliche Wortsinn die Grenze jeglicher Auslegung ab.
Vor diesem Hintergrund muss also selbst unter der – uE zu verwerfenden – Prämisse, dass § 1155 Abs 3 keine zwingende Wirkung hat, davon ausgegangen werden, dass Kollektivverträge, die vor Inkrafttreten von BGBl I 2020/16abgeschlossen wurden, sich nicht auf die neueingefügten Abs 3 und 4 beziehen. Denn zum einen können Regelungen in Kollektivverträgen, die § 1155 ABGB abbedingen und vor Inkrafttreten der Novellierung desselben durch BGBl I 2020/16BGBl I 2020/16vereinbart wurden, ausschließlich Abs 1 und 2 meinen, da zum damaligen Zeitpunkt Abs 3 und 4 noch nicht existierten. Zum anderen kann den Kollektivvertragsparteien – iS eines gerechten Ausgleichs der sozialen und wirtschaftlichen Interessen – kaum unterstellt werden, dass sie auch jene Regelungen abbedingen wollten, die zum einen AN in dieser Krisensituation einen Entgeltanspruch garantieren und zum anderen den AG die Möglichkeit eröffnen, durch Abbau von Urlaubs- oder Zeitguthaben mehr Liquidität zu erzielen.
Werden allerdings nach Inkrafttreten von BGBl I 2020/16die bestehenden Regelungen zur Abbedingung des § 1155 ABGB beibehalten, so ließe sich vor dem Hintergrund der Rsp des OGH durchaus argumentieren, dass sich diese auch auf Abs 3 und 4 beziehen.* Das würde allerdings voraussetzen, dass es sich bei § 1155 leg cit insgesamt um eine dispositive Norm handelt. Das ist jedoch – wie einleitend dargelegt wurde – zu verneinen.
Die nächste arbeitsrechtliche Regelung zur Abfederung von COVID-19-Folgen findet sich in § 18b 306 AVRAG. Wie schon eingangs ausgeführt, wurde die dortige „Sonderbetreuungszeit“ bereits mit dem (1.) COVID-19-Gesetz eingeführt und in der Folge zweimal modifiziert. Dabei ist es zu einer gewissen Verwirrung hinsichtlich des zeitlichen Geltungsbereichs gekommen:* Während die Stammfassung bis 31.5.2020 befristet war (§ 19 Abs 1 Z 43 AVRAG), enthielt die Erweiterung durch das 2. COVID-19-Gesetz keine solche Beschränkung (vgl Z 44 leg cit). Durch Z 45 dieser Bestimmung ist aber nun wieder klargestellt, dass § 18b Abs 1 nur bis 31.5.2020 in Geltung steht, wobei die Befristung für den Vergütungsanspruch des AG und dessen Abwicklung bis 30.6.2021 erstreckt ist.
Diese Differenzierung der Geltungsdauer macht bereits deutlich, dass § 18b AVRAG aus zwei unterschiedlichen Komponenten besteht. Die erste betrifft die Möglichkeit für den AN, eine Freistellung mit dem AG zu vereinbaren. Dazu hätte es keiner besonderen Regelung bedurft, weil das im Rahmen der Privatautonomie immer möglich ist. Aber das steht durchaus in der Tradition der im AVRAG sonst geregelten Freistellungen, deren normative Bedeutung durchwegs lediglich in den Rechtsfolgen der jeweiligen „geförderten“ Karenzierung liegt.* Die Förderung stellt auch hier die zweite Komponente dar und besteht darin, dass der AG (nur) bei Erfüllung der Voraussetzungen für eine solche Vereinbarung Anspruch auf Vergütung eines Drittels des an die betreffenden AN gezahlten Entgelts durch den Bund hat. Vor dem Hintergrund dieses offenkundig als Anreiz zur Nutzung der Freistellung gedachten Vergütungsanspruchs gewinnt die akribische Determinierung der Voraussetzungen einer Sonderbetreuungszeit doch wieder Sinn. Dabei sind vier Elemente zu differenzieren.
Die erste Voraussetzung in § 18b Abs 1 Satz 1 AVRAG stellt darauf ab, dass eine der in Folge näher beschriebenen Einrichtungen „auf Grund behördlicher Maßnahmen teilweise oder vollständig geschlossen ist“
. Das war aber weder bei „Lehranstalten und Kinderbetreuungseinrichtungen, für die Betreuung von Kindern bis zum vollendeten 14. Lebensjahr“
, also Kindergärten und Schulen für schulpflichtige Kinder, noch bei einer in der Folge durch das 2. COVID-19-Gesetz in Z 1 leg cit als erste Variante gleichgestellten „Einrichtung der Behindertenhilfe oder einer Lehranstalt für Menschen mit Behinderungen bzw einer höher bildenden Schule“
, in der diese Personen betreut oder unterrichtet werden, der Fall.
Praktisch bedeutsamer, weil auf faktische Unmöglichkeit (und wohl auch Unzumutbarkeit) abstellend, sind die in den folgenden Passagen beschriebenen Betreuungssituationen. Das ist zunächst nach der zweiten Variante in § 18b Abs 1 Z 1 AVRAG die auf Grund „freiwilliger Maßnahmen“* erfolgende Betreuung von Menschen mit Behinderungen zu Hause, wenn für diese eine Betreuungspflicht des AN besteht, der betreffende Angehörige aber sonst in einer Einrichtung betreut wird. Nicht einmal mehr auf eine wohl stets familienrechtlich fundierte* Betreuungspflicht stellen die Z 2 und 3 dieser Bestimmung ab. Vielmehr genügt in beiden Fällen bereits, dass die Betreuung eines Angehörigen nicht mehr sichergestellt ist, weil die Betreuungskraft nach dem Hausbetreuungsgesetz (HBeG) ausgefallen ist oder die bisherige persönliche Assistenz nicht mehr zur Verfügung steht.
Diese Erweiterungen sind großzügiger formuliert, aber auch wesentlich ungenauer determiniert: So wäre es nicht einsichtig und angesichts der bekannten Umstände wohl sogar grob unsachlich und daher verfassungswidrig, wenn nur eine Sonderbetreuung wegen Ausfalls einer im Rahmen von Arbeitsverhältnissen organisierten 24-Stunden-Betreuung gefördert werden soll, nicht hingegen der Regelfall einer „selbständigen Personenbetreuung“.* Auch der Begriff der persönlichen Assistenz ist alles andere als eindeutig und kann sicher nicht auf das in anderen Bundesgesetzen enthaltene Begriffsverständnis reduziert werden.*
Vor allem wäre es einem AG, der mit AN in einer schwierigen Situation eine Freistellung vereinbart, um ihnen eine Betreuung für Angehörige zu ermöglichen, nicht zuzumuten, im Detail zu prüfen, warum diese Betreuung genau erforderlich ist und in welchem Naheverhältnis der AN zur Person steht, die nun betreut werden muss. Daher kann ihm dann auch der Vergütungsanspruch nicht verweigert werden, wenn er aus guten Gründen annehmen durfte, dass eine der Betreuungsnotwendigkeiten iSd § 18b Abs 1 Satz 2 Z 1 bis 3 AVRAG besteht.
Dies muss eigentlich auch im Hinblick auf das in § 18b Abs 1 AVRAG als zweites geregelte Kriterium gelten. Die Sonderbetreuungszeit soll nämlich nur für AN in Betracht kommen, deren „Arbeitsleistung nicht für die Aufrechterhaltung des Betriebes erforderlich ist“
. Das wird wohl der AG am besten beurteilen können und einer solchen Vereinbarung gar nicht zustimmen, wenn der betreffende AN unverzichtbar ist. Vermutlich war diese Einschränkung auch weniger an die AG, sondern an die AN adressiert, damit sie familiäre Verpflichtungen im öffentlichen Interesse* weitestmöglich zurückstellen. 307
Eine Verpflichtung kann daraus freilich nicht entstehen. Das zeigt allein der Umstand, dass als dritte Voraussetzung für die Sonderbetreuungszeit eine Subsidiaritätsregel besteht: Eine Freistellung nach § 18b Abs 1 AVRAG ist nicht notwendig, wenn der AN bereits einen anderen bezahlten Freistellungsanspruch hat. Als solche kommen vorrangig eine Pflege- oder Betreuungsfreistellung nach § 16 UrlG, aber etwa auch Freistellungen aus sonstigen wichtigen, die Person des AN betreffenden Gründen (vgl insb § 8 Abs 3 AngG, § 1154b Abs 5 ABGB) in Betracht,* darüber hinaus auch Freistellungsansprüche auf Kollektivvertrags-, Betriebsvereinbarungs- oder einzelvertraglicher Grundlage.* In all diesen Fällen kommt es gerade nicht auf öffentliche Interessen an, sondern einzig darauf, dass schutzwürdige Gründe vorliegen, die für den AN die Erbringung der Arbeitsleistung unmöglich bzw unzumutbar machen. Und dass der AG, der bei Vorliegen solcher Gründe dem AN über diese Ansprüche hinaus eine Freistellung ermöglicht, obwohl die Arbeitsleistung vielleicht zur Aufrechterhaltung des Betriebs erforderlich gewesen wäre, das Risiko der Entgeltfortzahlung alleine tragen soll, kann schwer sachlich zu rechtfertigen sein.
Dies muss umso mehr gelten, als die geförderte Freistellung auf drei Wochen begrenzt ist und nach diesem vierten Element des § 18b Abs 1 AVRAG eine Abwälzung des Entgeltrisikos an den Bund damit nur für höchstens eine Woche möglich ist. Weder der Wortlaut noch der Zweck dieser Regelung verlangen im Übrigen, dass die Sonderbetreuungszeit in einem Block verbraucht werden müsste.* Angesichts der vergleichbaren Freistellungsregelung in § 16 Abs 1 UrlG liegt hier viel näher, per analogiam auf das dreifache Ausmaß der wöchentlichen Arbeitszeit abzustellen, so dass auch eine Stückelung, erforderlichenfalls auch in Stunden, möglich sein muss, ohne dass das eine Vergütung ausschließen würde.
Damit sind schon Eckpunkte für den Vergütungsanspruch des AG angesprochen. Auch dieser ist alles andere als klar formuliert.* Dies gilt noch weniger im Hinblick auf den der Bemessung zu Grunde gelegten Entgeltbegriff („des in der Sonderbetreuungszeit an die AN gezahlten Entgelts“
). Da dieser Entgeltbegriff nicht spezifiziert wird, muss er – wie auch sonst im Arbeitsrecht – weit verstanden werden. Umfasst sind daher insb auch Überstundenvergütungen, Prämien und aliquote Sonderzahlungen, nicht dagegen (echter) Aufwandsersatz.* Zur Abgrenzung kann hier zumindest im Zweifel auf den Katalog des § 49 Abs 3 ASVG zurückgegriffen werden, wird doch auch hinsichtlich der Obergrenze des Vergütungsanspruchs auf das ASVG verwiesen.
Diese Obergrenze wird mit der dortigen monatlichen Höchstbeitragsgrundlage gezogen, das sind derzeit € 5.370,- (vgl § 45 ASVG iVm § 1 Z 2 BGBl II 2019/348BGBl II 2019/348). Der Wortlaut der Bestimmung begrenzt somit eigentlich den Vergütungsanspruch des AG, womit AN mit einem wöchentlichen Entgelt bis zu dieser Höhe erfasst wären. Die Bestimmung erscheint daher grob überschießend und wird insofern teleologisch zu reduzieren sein, als der Deckel auf den monatlichen Entgeltanspruch des AN zu beziehen ist.* Ebenfalls im Wege der Rechtsanwendung korrekturbedürftig (und korrigierbar) scheint die Einleitungspassage dieser Deckelung: Nach ihrem Wortlaut ist diese (nur) auf den „ersten Satz“
des § 18b Abs 1 AVRAG bezogen, womit die in der Folge eingefügten gleichzustellenden Situationen nicht betroffen wären. Das würde zu grob unsachlichen Ergebnissen führen, die dadurch vermieden werden können, dass für die in Z 1 bis 3 umschriebenen Situationen auch hinsichtlich des Deckels „dasselbe gilt“
wie bei der Betreuung von Kindern bis zum vollendeten 14. Lebensjahr.
Da das Gesetz – insoweit wieder plausibel – darauf abstellt, was den AN gezahlt wurde, wird man dabei vom Brutto-Entgelt ausgehen und die anteiligen Sonderzahlungen einbeziehen müssen, solange damit die oben angeführte Grenze nicht überschritten wird. Eindeutig nicht dem AN gezahlt werden und daher auch nicht zu vergüten sind dagegen die DG-Anteile zur SV und sonstige Nebenkosten wie die Beiträge zum Familienlastenausgleichsfonds oder nach Betrieblichem Mitarbeiter- und Selbständigenvorsorgegesetz (BMSVG).*
Der Vergütungsanspruch ist nicht nur in der Höhe, sondern auch hinsichtlich seiner Geltendmachung begrenzt. Diese hat „binnen sechs Wochen vom Tage der Aufhebung der behördlichen Maßnahmen bei der Buchhaltungsagentur“
zu erfolgen. Auch diese Regelung passt nicht für alle Fälle, in denen AN ihr Entgelt aus den oben angeführten Gründen fortbezahlt bekommen haben. Bei den Gleichstellungen in §18b Abs 1 Z 1 zweite Variante sowie Z 2 und 3 AVRAG wird der Fristenlauf erst dann beginnen können, wenn die Versorgung der betreffenden Angehörigen wieder ohne Einsatz der betreffenden AN sichergestellt werden kann. Die in der oben angeführten Richtlinie in Pkt 3. genannten „6 Wochen nach Ende des gewährten Freistellungszeitraumes“
sind indes eindeutig gesetzwidrig. Die Verweigerung der Vergütung würde – wie auch sonst bei Nichterfüllung eines Anspruchs – einen Amtshaftungsanspruch gegen den Bund nach § 5 des Buchhaltungsagenturgesetzes (BHAG-G, BGBl I 2004/37zuletzt idF BGBl I 2018/30) begründen.308
Während die insgesamt nicht sehr geglückte Regelung des § 18b AVRAG AN erleichtern sollte, sich um besonders vulnerable Personen in ihrem Umfeld zu kümmern, zielt die Regelung in § 735 ASVG auf besonders vulnerable AN, konkret solche, die einer COVID-19-Risikogruppe angehören. Diese haben unter gewissen Voraussetzungen sogar einen Anspruch auf Freistellung von der Arbeitsleistung bei Fortzahlung des Entgelts, das aber dann dem AG zuzüglich bestimmter DG-Beiträge durch den Krankenversicherungsträger, hier also die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK), zu erstatten ist.* Von der SV hat auch die Initiative für das dann folgende mehrstufige Procedere auszugehen. Der Dachverband hat nämlich den betroffenen AN (geringfügig Beschäftigten oder Lehrling), in der Folge vom Gesetz „betroffene Person“
bezeichnet, über seine Zuordnung zu einer COVID-19-Risikogruppe zu informieren (§ 735 Abs 1 Satz 1 ASVG). Dies erfolgt auf Grundlage einer Definition, die von einer Expertengruppe ausgearbeitet und durch V verbindlich gemacht wurde.* Auf Basis dieser Definition (aber nicht notwendigerweise nur nach Vorlage des Informationsschreibens, vgl Abs 2 Satz 2) beurteilt der die betroffene Person behandelnde Arzt deren individuelle Risikosituation und stellt gegebenenfalls ein „COVID-19-Risiko-Attest“ aus (Abs 2 dieser Bestimmung). Dessen Vorlage beim AG löst dann den Anspruch auf bezahlte Freistellung aus, wenn keiner der Ausschlussgründe nach Abs 3 Z 1 oder 2 leg cit vorliegt. Dieser Anspruch bestand vorerst nur bis 31.5.2020, wurde aber durch die V BGBl II 2020/230BGBl II 2020/230bis zum Ablauf des 30.6.2020 verlängert. Die Ermächtigung für eine weitere Verlängerung dieses Risikozeitraums durch V der Bundesministerin für Arbeit, Familie und Jugend im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz umfasst aber höchstens Zeiträume bis zum 31.12.2020 (§ 735 Abs 3 vorletzter Satz).
Trotz des weiterhin sehr kurzen Zeitraums, für den der Anspruch in Betracht kommt, sind die Voraussetzungen streng, aber erneut nicht eindeutig formuliert.* Da anders als nach § 18b Abs 1 AVRAG hier zunächst die AN anspruchsberechtigt sind, sind sie es auch, die von dieser Unsicherheit am meisten betroffen sind. Eine solche besteht in mehrfacher Hinsicht.
Zunächst ist schon schwer nachvollziehbar, wie die grundsätzliche Zuordnung zu einer Risikogruppe auf Grund der Definition erfolgen soll, die durch eine Expertengruppe „nach medizinischen Erkenntnissen und wenn möglich aus der Einnahme von Arzneimitteln“ hergeleitet wird. Hier geht es weniger um den – durchaus auch zu problematisierenden – Ursprung dieser Definition, sondern um deren Verbindlichkeit für die jeweils betroffene Person und den diese behandelnden Arzt. Dieser soll nämlich „auf der Grundlage“ dieser Definition eine Beurteilung der individuellen Risikosituation vornehmen. Das soll offenbar bevorzugt telefonisch erfolgen,* setzt aber eigentlich zumindest grobe Kenntnis der Situation am konkreten Arbeitsplatz und der arbeitsvertraglichen Verpflichtungen der betroffenen Person voraus.* Die Beurteilung wird daher auf ähnliche, wenn nicht sogar größere Schwierigkeiten stoßen wie schon bisher jene der Arbeitsunfähigkeit für die Entgeltfortzahlung bei Krankheit. Das dort geltende Alles-oder-Nichts-Prinzip* wird hier vielleicht im Zweifel zu Gunsten des AN ausschlagen.
Selbst dann hat dieser keinen Anspruch, wenn ein Ausschlussgrund nach § 735 Abs 3 Z 1 oder 2 ASVG vorliegt. Der erste dieser Tatbestände stellt darauf ab, dass der AN die Arbeitsleistung im „Homeoffice“ erbringen könnte. Dafür kann nun nicht bereits die theoretische Möglichkeit, in der Wohnung arbeiten zu können, genügen. Es bedarf vielmehr einer entsprechenden Vereinbarung zwischen AG und AN,* in der insb die Modalitäten der Erbringung der Arbeitsleistung in dieser Form zu regeln sind. Dabei wird der AN vermutlich umso eher bereit sein, nachteilige Regelungen in Kauf zu nehmen, je mehr die Homeoffice-Arbeit sonst seinen Interessen entspricht. Dass er aber zumal als „offiziell anerkannter“ Zugehöriger einer Risikogruppe alle Bedingungen akzeptieren muss, um einen Anspruch auf bezahlte Freistellung zu vermeiden, kann unmöglich aus § 735 Abs 3 Z 1 ASVG abgeleitet werden. Dieser Ausschlusstatbestand wird vielmehr nur und insoweit zur Anwendung kommen können, als die Erbringung der Arbeitsleistung in der eigenen Wohnung zumutbar ist.* Dabei wird zum einen auf die Wohn- und Familiensituation abzustellen sein, zum anderen auf die Modalitäten der Arbeitserbringung, also insb darauf, inwieweit der AG die erforderlichen Arbeitsmittel (Hard- wie Software) zur Verfügung stellt, allfällige Zusatzkosten für die Internetnutzung übernimmt oä. Es ist schon zweifelhaft, dass eine vollständige Abwälzung dieser Kosten nicht sittenwidrig wäre,* immerhin liegt das Interesse am (und der Nutzen aus dem) Weiterarbeiten auch 309 beim AG. Dass der anerkanntermaßen einer Risikogruppe angehörende AN einen solchen Zusatzaufwand übernehmen müsste, um seinem AG den Entgeltfortzahlungsaufwand zu ersparen (der diesem dann ohnedies vergütet wird), muss aber in jedem Fall sittenwidrig sein. *
Obwohl auch die Beweislast für diese Zumutbarkeit nach den allgemeinen prozessualen Regeln * beim AG liegt, trägt der AN dennoch faktisch das Risiko, seinen Anspruch möglicherweise zu Unrecht geltend zu machen. Und auch auf den Motivkündigungsschutz nach dem letzten Satz des § 735 Abs 3 ASVG kann er sich zumindest nach dem Wortlaut der Bestimmung („wegen der Inanspruchnahme der Dienstfreistellung“
) möglicherweise nicht berufen. *
Eine ähnliche Schieflage weist die Risikoverteilung beim zweiten Ausschlusstatbestand in Abs 3 Z 2 leg cit auf. Genau genommen müsste der AG schon nach den allgemeinen Regeln der Fürsorgepflicht (§ 1157 ABGB, § 18 AngG) und des AN-Schutzes (vgl insb § 6 ASchG) die Bedingungen der Arbeitsleistungen so gestalten, dass das Risiko der AN, gerade wenn sie einer besonders vulnerablen Gruppe angehören, so gering wie möglich ist. Das wird hier im Hinblick auf das COVID-19-Risiko zunächst nur noch einmal unterstrichen. Dadurch, dass der Anspruch auf bezahlte Freistellung vom Fehlen solcher Vorkehrungen abhängt, liegt es jedoch erst recht wieder beim AN, darzutun, warum der Schutz doch nicht gewährleistet ist.
Dazu kommt, dass sich die betroffenen AN als Risikofall „outen“ müssen, als der sie dann ja wegen ihres „Grundleidens“ auch nach Überwindung der Corona-Krise anzusehen sind. Ob sie das wirklich gerade in einer Situation tun wollen, die es ihren AG objektiv schwer macht, den Betrieb fortzuführen bzw wiederaufzunehmen und den Beschäftigtenstand zu halten, erscheint doch sehr zweifelhaft.* So gesehen ist zu befürchten, dass es sich bei § 735 ASVG auch in seiner Neufassung nur um eine politisch und medial zunächst gut vermarktbare Maßnahme handelt, der aber ähnlich wie die Sonderbetreuung nach § 18b Abs 1 AVRAG höchstens Placebo-Wirkung bescheinigt werden kann.
Rechtspolitisch wäre hier wohl eine ausdrückliche Anerkennung als Dienstverhinderung bei Krankheit oder eine Gleichstellung wie bei Kur- und Erholungsaufenthalten in § 2 Abs 2 EFZG zweckmäßiger gewesen. Dabei hätte genauso eine zeitliche Begrenzung vorgenommen werden können, allenfalls auch indirekt in der Form, dass Zeiten dieser „Risiko-Fortzahlung“ (allenfalls auch erst nach einer gewissen Dauer) auf die Gesamtdauer der An-sprüche bei Wiedererkrankung (vgl § 8 Abs 2 AngG bzw § 2 Abs 4 EFZG) angerechnet würden.
Auch Erstattungsansprüche der AG wären in diesem Kontext nicht ausgeschlossen (vgl die Zuschüsse nach § 53b ASVG), da es in der Tat zweckmäßig erscheint, die Erstattung an die AG den Trägern der KV zu überantworten. Möglicherweise war dieser Zusammenhang auch die Ursache dafür, dass beim Erstattungsanspruch nach § 735 Abs 4 ASVG wie beim Anspruchslohnprinzip (vgl dessen § 49 Abs 1) im ersten Halbsatz auf das „zu leistende Entgelt“
abgestellt wird. Das muss wohl zur Vermeidung grob unsachlicher Ergebnisse im Wege einer teleologischen Reduktion iSv „geleistetem“ Entgelt verstanden werden, wie es auch noch in der ursprünglichen Fassung des § 735 (damals noch als Abs 5) ASVG vorgesehen war.
Die arbeitsrechtlichen Regelungsinhalte der COVID-19-Gesetzgebung verfolgen einen wichtigen sozialpolitischen Ansatz: Sie sollen tatsächliche – das gilt jedenfalls für § 18b AVRAG, zum Teil auch für § 735 ASVG – oder auch bloß vermeintliche Schutzlücken – wie die Analyse des § 1155 ABGB oder § 735 ASVG gezeigt hat – schließen. Beides darf in einer Situation, in der wirtschaftliche Existenzen auf dem Spiel stehen, nicht geringgeschätzt werden. Denn die Betroffenen brauchen gerade in diesem Fall Rechtssicherheit. Langwierige Prozesse zu führen, um eine unklare Rechtslage auszuloten, hilft da nicht weiter. Vor diesem Hintergrund macht die Klarstellung, dass AN während der COVID-19-Maßnahmen jedenfalls einen Entgeltfortzahlungsanspruch gegenüber ihrem AG haben (der zusätzlich über die großzügigen Corona-Kurzarbeitsbeihilfen abgesichert wird) bzw darüber hinaus auch über einen Freistellungsanspruch verfügen, wenn sie zur vulnerablen Personengruppe gehören, durchaus Sinn.
Wenn aber die neugeschaffenen Regelungen mehr Fragen aufwerfen, als sie beantworten, kann dem eigentlichen Anliegen, mehr Rechtssicherheit zu schaffen, nicht entsprochen werden. Ihr Effekt besteht dann mehr in einem Placebo für die Allgemeinheit als in wirkungsvollem Schutz für die einzelnen Betroffenen, wie in § 18b Abs 1 AVRAG, vor allem aber § 735 ASVG. Es ist zwar verständlich, dass Regelungen in einer einzigartigen Ausnahmesituation nicht das übliche Procedere durchlaufen können und deshalb nicht immer der gebotenen – leider auch sonst immer häufiger zu vermissenden – legistischen Qualität entsprechen. Gerade dann wäre es aber umso wichtiger, dass der Gesetzgeber den jeweiligen Regelungskontext beachtet und keine Sonderwege – wie im Entgeltfortzahlungs- oder Urlaubsrecht – beschreitet. Das Vorliegen einer Ausnahmesituation und der damit verbundene Zeitdruck rechtfertigen keinen rechtlichen Ausnahmezustand, mag dieser auch nur zeitlich befristet gelten. 310
Grundregeln des Arbeitsrechts, wie jene, dass der Urlaubsverbrauch den Konsens der Parteien voraussetzt, sollten (nur) dann geändert werden, wenn dem eine entsprechende – politische wie rechtliche – Diskussion vorangegangen ist. Selbst Einstimmigkeit im Nationalrat vermag diese nicht zu ersetzen, vor allem, wenn sie primär einer nur vermeintlichen Alternativlosigkeit geschuldet ist. UE wurden in den hier analysierten Fällen bestehende Grundregeln gar nicht außer Kraft gesetzt, es wurden aber Formulierungen gewählt, die in dieser Weise interpretiert werden können. Das konterkariert nicht nur – einmal mehr – das Streben nach Rechtssicherheit, sondern könnte aus einer Ausnahmesituation einen Dauerzustand werden lassen. Ob das im konkreten Fall beabsichtigt ist, mag dahingestellt bleiben. Einer Entwicklung, bei der die Ausnahme sukzessive zur Normalität wird, ist nicht nur politisch entgegenzutreten, sondern auch von Seiten der Rechtswissenschaft, zumindest dann, wenn diese in Widerspruch zu Grundwertungen der (hier Arbeits-)Rechtsordnung gerät.