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Arbeitsmarktzugang für AsylwerberInnen: Keine unmittelbare Anwendung der AufnahmeRL

KEVIN FREDYHINTERBERGER (WIEN) / JOHANNESPEYRL (WIEN)
  1. Art 15 Abs 1 RL 2013/33/EU sieht die Verpflichtung der Einräumung eines effektiven Arbeitsmarktzuganges nur bis zur Erlassung einer erstinstanzlichen Entscheidung über den Asylantrag vor. Ein Schutz vor Entzug dieses Rechts nach Abs 3 setzt voraus, dass die Gewährung des Arbeitsmarktzuganges durch Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung vor Erlassung der (ablehnenden) erstinstanzlichen Entscheidung im Asylverfahren erfolgte.

  2. Unter Gewährung eines „effektiven“ Arbeitsmarktzuganges ist zu verstehen, dass AntragstellerInnen einen tatsächlichen und wirksamen Zugang erhalten, der nicht in unangemessener Weise beschränkt ist. Ein unbeschränktes Offenstehen sämtlicher Berufsfelder kann daraus aber nicht abgeleitet werden. Die Zulässigkeit der Einschränkung des Arbeitsmarktzuganges für AsylwerberInnen auf Kontingentbewilligungen nach § 5 AuslBG bleibt aber explizit dahingestellt.

1 Mit Bescheid vom 12.2.2019 wies die [...] belangte Behörde [...] den Antrag der zweitmitbeteiligten Partei vom 7.2.2019 auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung für den Erstmitbeteiligten, einen afghanischen Staatsangehörigen, für die berufliche Tätigkeit als Elektrotechniker/in – Elektro- und Gebäudetechnik (Lehrling/Auszubildende/r) – gem § 4 Abs 3 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) mit der Begründung ab, dass die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung vom Regionalbeirat nicht einhellig befürwortet worden sei und auch die sonstigen Voraussetzungen des § 4 Abs 3 leg cit nicht vorliegen würden.

2 Mit dem angefochtenen Erk gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde statt [...].

3 In seiner Entscheidungsbegründung zitierte es die [...] österreichische Stellungnahme an die Europäische Kommission zur Umsetzung der RL 2013/33/EU [...] wie folgt: „In Entsprechung des Artikels 15 Abs 1 der Aufnahme-Richtlinie haben Asylwerberinnen und Asylwerber Arbeitsmarktzugang im Wege eines Beschäftigungsbewilligungsverfahrens gemäß § 4 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG). [...] Die nach Art 15 Abs 2 der Richtlinie 2013/33/EU zulässige Arbeitsmarktprüfung erfolgt nach Maßgabe des § 4b AuslBG [...]. Beschäftigungsbewilligungen sind für Asylwerberinnen und Asylwerber zulässig, die seit drei Monaten zum Asylverfahren zugelassen sind und einen faktischen Abschiebschutz oder ein Aufenthaltsrecht nach dem Asylgesetz haben. Die übrigen für die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung erforderlichen allgemeinen Voraussetzungen des § 4 Abs 1 AuslBG dienen insbesondere der Verhinderung illegaler Beschäftigung und der Sicherung einer ordnungsgemäßen Beschäftigung unter Einhaltung der geltenden Lohn- und Arbeitsbedingungen.“

4 Dazu führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass die zweitmitbeteiligte Partei am 7.2.2019 [...] die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung [...] beantragt [...] habe. Der Erstmitbeteiligte sei am 3.3.2017 zum Asylverfahren zugelassen worden; gegen die am 6.8.2018 ergangene Rückkehrentscheidung sei Beschwerde eingebracht worden und das Verfahren dazu noch offen. Mit Texteintrag zur Arbeitsmarktpolitischen Stellungnahme vom 7.2.2019 habe die revisionswerbende Partei festgehalten, dass ein „bereits seit 19.10.2019 (richtigerweise wohl 19.10.2018)“ geschalteter Vermittlungsauftrag bisher aufgrund des Lehrlingsmangels in diesem Beruf ergebnislos geblieben sei; ein Einwand gegen die Erteilung bestünde daher nicht. Die Behandlung im Regionalbeirat sei per E-Mail-Korrespondenz erfolgt; der diesbezügliche Texteintrag vom 8.2.2019 enthalte keine Begründung für die Versagung, sondern werde im Gegenteil ausgeführt, dass „kein Einwand gegen die Erteilung“ bestehe und die Voraussetzungen des § 4 Abs 1 AuslBG erfüllt seien. Eine Begründung für die Versagung sei von der revisionswerbenden Partei in der Beschwerdevorlage nachgereicht worden, worin diese sich auf die ergangenen Erlässe GZ 435.006/6-II/7/2004 vom 11.5.2004 und GZ 435.006/0013-VI/B/7/2018 vom 12.9.2018 berufen habe, wonach „im Hinblick auf die Sicherstellung eines geordneten Asylwesens Aufträge [Anm des VwGH: wohl gemeint Anträge], die sich nicht auf eine Beschäftigung im Rahmen des Kontingentes gem § 5 AuslBG beziehen, entsprechend ersterem Erlass nicht positiv erledigt werden können“.

5 Mit der Entscheidung, Asylwerber nicht als Lehrlinge iSd AuslBG zuzulassen, vertrete die revisionswerbende Behörde – so das Verwaltungsgericht weiter – eine, von der in der Stellungnahme an die Europäische Kommission zur Umsetzung der RL 2013/33/EU geäußerten Rechtsansicht 332Österreichs abweichende Meinung [...]. Einer derartigen Einschränkung der Arbeitsmarktzulassung [...] stünde darüber hinaus Art 15 Abs 2 der RL 2013/33/EU entgegen, wonach Asylwerbern ein effektiver Arbeitsmarktzugang zu ermöglichen sei. So sei auch dem Vorschlag des Europäischen Parlaments und des Rates zur RL 2013/33/EU (COM/2008/815/FINAL) zu entnehmen, dass der tatsächliche Zugang von Asylwerbern zu einer Beschäftigung nicht in unangemessener Weise beschränkt werden dürfe und eine faire Chance auf Zugang zu einer Beschäftigung bestehen müsse. Dies wäre aber jedoch bei einer Einschränkung auf Asylwerber, die die Voraussetzungen des § 4 Abs 3 AuslBG oder der Bundeshöchstzahlenüberziehungsverordnung (BHZÜV) erfüllen – also de facto auf Asylwerber, deren Bewilligung vom Regionalbeirat einhellig befürwortet werde (Abs 3 Z 1) oder die im Rahmen von Kontingenten gem § 5 AuslBG beschäftigt werden sollen (Abs 3 Z 5) –, gerade nicht der Fall, zumal damit nur in Einzelfällen eine Beschäftigung ermöglicht würde.

6 [...] Die Frist für die Umsetzung der RL 2013/33/ EU sei der 20.7.2015 gewesen; die in Österreich für Asylwerber bestehenden Einschränkungen des Arbeitsmarktzuganges – durch Beschränkung der möglich auszustellenden Beschäftigungsbewilligungen auf die Bereiche Lehrstellen in Mangelberufen (wobei auch diese Möglichkeit mit dem, die Erstbehörde bindenden Erlass GZ 435.006/0013-VI/ B/7/2018 des BMASGK vom 12.9.2018 gestrichen worden sei) sowie befristete Saisonkontingente, Erntearbeiten und gemeinnützige Hilfsarbeiten – würden keine Deckung in der Richtlinie finden. Die [...] Erlässe würden das Ziel der Richtlinie – die Erreichung eines fairen Arbeitsmarktzuganges für Asylwerber – verhindernde Mittel darstellen. Da im vorliegenden Fall diese Richtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt worden sei, gelange Art 15 der RL 2013/33/EU unmittelbar zur Anwendung. Dementsprechend würde das Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 4 Abs 3 AuslBG der Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung hier auch konkret nicht entgegenstehen. Das Vorliegen eines Aufenthaltsrechts gem § 4 Abs 1 Z 1 AuslBG sei gegenständlich zu bejahen, weil der Erstmitbeteiligte mehr als drei Monate zum Asylverfahren zugelassen sei; die Einhaltung der Lohn- und Arbeitsbedingungen einschließlich der sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften (§ 4 Abs 1 Z 2 AuslBG) sei gewährleistet [...]. Das Ermittlungsverfahren habe ergeben, dass keine geeignete Ersatzkraft habe gestellt werden können. [...]

8 Die Revision gem Art 133 Abs 4 B-VG erklärte das Verwaltungsgericht für zulässig, weil es an Rsp des VwGH zur Frage fehle, ob im Falle der Arbeitsmarktzulassung von Antragstellern iSd Art 15 der RL 2013/33/EU mittels Beschäftigungsbewilligung die Voraussetzungen des § 4 Abs 3 AuslBG erfüllt sein müssen. [...]

12 In der RL 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (AufnahmeRL), heißt es (auszugsweise):

„Artikel 15 Beschäftigung (1) Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass der Antragsteller spätestens neun Monate nach der Stellung des Antrags auf internationalen Schutz Zugang zum Arbeitsmarkt erhält, sofern die zuständige Behörde noch keine erstinstanzliche Entscheidung erlassen hat und diese Verzögerung nicht dem Antragsteller zur Last gelegt werden kann. (2) Die Mitgliedstaaten beschließen nach Maßgabe ihres einzelstaatlichen Rechts, unter welchen Voraussetzungen dem Antragsteller Zugang zum Arbeitsmarkt gewährt wird, wobei sie gleichzeitig für einen effektiven Arbeitsmarktzugang für Antragsteller sorgen. Aus Gründen der Arbeitsmarktpolitik können die Mitgliedstaaten Bürgern der Union, Angehörigen der Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum und rechtmäßig aufhältigen Drittstaatsangehörigen Vorrang einräumen. (3) Das Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt darf während eines Rechtsbehelfsverfahrens, bei dem Rechtsmittel gegen eine ablehnende Entscheidung in einem Standardverfahren aufschiebende Wirkung haben, bis zum Zeitpunkt, zu dem die ablehnende Entscheidung zugestellt wird, nicht entzogen werden.“

[...]

16 Nach den unbestrittenen Feststellungen des BVwG hat die Republik Österreich gem Art 28 der Richtlinie zu deren Umsetzung die oben genannte Stellungnahme abgegeben, wonach (zusammengefasst) dafür ein Beschäftigungsbewilligungsverfahren nach § 4 iVm § 4b AuslBG zur Anwendung kommt. Darüber hinausgehende Adaptierungen der Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes sind innerhalb der Frist für die Umsetzung der RL 2013/33/EU bis 20.7.2015 unterblieben. In den erwähnten Erlässen des zuständigen Ministeriums (zur GZ 435.006/6-II/7/2004 vom 11.5.2004 und GZ 435.006/0013-VI/B/7/2018 vom 12.9.2018) wurden diese Beschäftigungsbewilligungen für Asylwerber dahingehend beschränkt, dass diese nur im Rahmen der Kontingente gem § 5 AuslBG zu erteilen seien.

17 Wenn das BVwG als Ergebnis seiner Argumentation zur Annahme einer nicht ordnungsgemäßen Umsetzung der Richtlinie durch den innerstaatlichen Gesetzgeber gelangt [...] und auf Grundlage einer daraus abgeleiteten unmittelbaren Anwendung von Art 15 der RL 2013/33/EU die Voraussetzungen für die Erteilung der beantragten Beschäftigungsbewilligung als gegeben sieht, ist ihm Folgendes zu erwidern: [...]

19 Art 15 Abs 1 der Richtlinie verlangt von den Mitgliedstaaten dafür Sorge zu tragen, dass der Asylwerber spätestens neun Monate nach der Stellung des Antrags auf internationalen Schutz Zugang zum Arbeitsmarkt erhält, sofern die zuständige Behörde noch keine erstinstanzliche Entscheidung erlassen hat“; die Mitgliedstaaten haben weiters „für einen effektiven Arbeitsmarktzugang für Antragsteller [zu] sorgen“ (Abs 2 der Richtlinie). Für den Zeitraum nach der (ablehnenden) erstbehördlichen Entscheidung sieht Art 15 Abs 3 der Richtlinie einen Schutz dahingehend vor, dass dem Antragsteller „das Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt während eines Rechtsbehelfsverfahrens,333 bei dem Rechtsmittel gegen eine ablehnende Entscheidung in einem Standardverfahren aufschiebende Wirkung haben, bis zum Zeitpunkt, zu dem die ablehnende Entscheidung zugestellt wird, nicht entzogen werden darf“ (Hervorhebungen durch den VwGH).

20 Nach dem selbst vom BVwG ins Treffen geführten Vorschlag des Europäischen Parlaments und des Rates zur RL 2013/33/EU (COM/2008/815/FINAL) dürfe der tatsächliche Zugang von Asylwerbern zu einer Beschäftigung nicht in unangemessener Weise beschränkt werden und es müsse eine faire Chance auf Zugang zu einer Beschäftigung bestehen.

21 Unter Berücksichtigung des eindeutigen, keiner anderen Auslegung zugänglichen Wortlautes von Art 15 der Richtlinie ist unter Gewährung eines „effektiven“ Arbeitsmarktzuganges zu verstehen, dass der Antragsteller einen tatsächlichen und wirksamen Zugang erhält, der also nicht in unangemessener Weise beschränkt ist, wie es im Einklang dazu im genannten, bezughabenden Vorschlag des Europäischen Parlaments und des Rates heißt; ein unbeschränktes Offenstehen sämtlicher Berufsfelder kann nach dem Wortlaut und Zweck der Regelung daraus aber nicht abgeleitet werden. Darüber hinaus sieht Abs 1 nach seinem Wortlaut die Verpflichtung der Einräumung eines solchen Zugangs nur bis zur Erlassung einer erstinstanzlichen Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz vor. Ein Schutz vor Entzug des Rechts auf Arbeitsmarktzugang im Rechtsmittelverfahren über den Antrag auf internationalen Schutz (nach Abs 3 der Richtlinie) setzt voraus, dass die Gewährung des Rechts, also des Arbeitsmarktzuganges durch Erteilung einer (entsprechenden) Beschäftigungsbewilligung vor Erlassung der (ablehnenden) erstinstanzlichen Entscheidung im Asylverfahren erfolgte. Diese Auslegung von Art 15 der Richtlinie in seinem Gesamtzusammenhang führt dazu, dass ein Asylwerber innerhalb der ersten Monate seines Aufenthaltes in Österreich nach Zulassung zum Asylverfahren (nach einer Wartefrist von drei Monaten) dem Arbeitsmarkt während des laufenden (behördlichen) Asylverfahrens zugeführt werden kann. Eine weitergehende Anwendung auf Fälle der Antragstellung nach Vorliegen einer ablehnenden behördlichen (erstinstanzlichen) Asylentscheidung findet darin keine Deckung. Der vom BVwG und den Mitbeteiligten in ihrer Revisionsbeantwortung vertretenen Ansicht eines allein aus Art 15 der Richtlinie ableitbaren Anspruches auf einen solchen Arbeitsmarktzugang auch zu einem späteren Zeitpunkt – also wie hier im Rechtsbehelfsverfahren – kann daher nicht gefolgt werden.

22 Im vorliegenden Fall steht – wie die Amtsrevision zutreffend aufzeigt – der unmittelbaren Anwendung von Art 15 der Richtlinie schon entgegen, dass der gegenständliche Antrag am 7.2.2019 und somit erst nach der ablehnenden Entscheidung im erstinstanzlichen Asylverfahren vom 6.8.2018 gestellt wurde. Die Zulässigkeit der Einschränkung des Zugangs von Asylwerbern zum österreichischen Arbeitsmarkt auf Kontingentbewilligungen nach § 5 AuslBG kann bei diesem Ergebnis dahingestellt bleiben.

23 Indem das BVwG dies verkannte und die Voraus setzungen für die Ausstellung der beantragten Beschäftigungsbewilligung als gegeben sah, hat es seine Entscheidung mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet, sodass diese gem § 42 Abs 2 Z 1 VwGG aufzuheben war. [...]

ANMERKUNG
1.
Einleitung

Und täglich grüßt das Murmeltier: Rechtsfragen iZm dem Zugang von AsylwerberInnen zum österreichischen Arbeitsmarkt stehen schon sehr lange auf der rechtlichen Agenda. Bezeichnend ist, dass der sogenannte „Bartensteinerlass“ (GZ 435.006/6-II/7/2004 vom 11.5.2004), der die Erteilung von Beschäftigungsbewilligungen für AsylwerberInnen im Wesentlichen lediglich für Saisonarbeit zulässt, mittlerweile seit 16 Jahren (!) in Kraft ist (siehe dazu jüngst Peyrl, Neuregelung der Möglichkeit zur Beendigung einer Lehre von AsylwerberInnen nach negativem Abschluss des Asylverfahrens, DRdA-infas 2020, 121 und Hinterberger, Die Beendigung der Lehre von abgewiesenen AsylwerberInnen gem § 55a FPG, ÖJZ 2020, im Erscheinen). In Bezug auf den „Bartenstein-Erlass“ ist aber noch immer die Frage ungeklärt ist, ob dieser im Einklang mit Europarecht und innerstaatlichem Recht steht (zu Recht verneinend Ammer, Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylsuchende aus menschenrechtlicher Perspektive, juridikum 2013, 28 und Brandt, Unselbstständige Beschäftigung von Asylwerbern, migraLex 2017, 78). Das aktuelle Erkenntnis des VwGH klärt diese Frage wieder nicht ausdrücklich. Der VwGH hatte zu prüfen, ob sich Personen, deren Asylverfahren bereits in der zweiten Instanz anhängig ist, sich auf Art 15 RL 2013/33/EU (AufnahmeRL) stützen können, wenn der Zugang zum Arbeitsmarkt nach neun Monaten lediglich abstrakt vorlag, aber konkret keine Beschäftigungsbewilligung erteilt wurde.

2.
Zur Anwendbarkeit der AufnahmeRL bei geplanter Aufnahme der Erwerbstätigkeit nach erstinstanzlich „negativem“ Asylbescheid

Gem Art 15 Abs 1 RL 2013/33/EU müssen AsylwerberInnen spätestens neun Monate nach Asylantragstellung Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten, wenn noch keine erstinstanzliche Entscheidung getroffen wurde und diese Verzögerung nicht den AntragstellerInnen zur Last gelegt werden kann. Dieses Recht kann in weiterer Folge gem Art 15 Abs 3 im Rechtsmittelverfahren nicht entzogen werden. Im Ausgangsverfahren wurde der Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung erst gestellt, nachdem der Asylantrag erstinstanzlich abgewiesen wurde und das Verfahren vor dem BVwG anhängig war, dh in erster Instanz weder der Status als Asylberechtigter noch als subsidiär Schutzberechtigter zuerkannt wurde (vgl §§ 3, 8 und 10 AsylG). 334

2.1.
Auslegung des Begriffs „Arbeitsmarktzugang“

Unserer Ansicht nach ist die zentrale Frage, wie der Begriff „Arbeitsmarktzugang“ iSd Art 15 Abs 1 RL 2013/33/EU auszulegen ist. Haben AsylwerberInnen bereits einen Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten, da das erstinstanzliche Asylverfahren noch nicht nach neun Monaten abgeschlossen wurde, darf der Arbeitsmarktzugang im Rechtmittelverfahren nicht mehr entzogen werden. Unstrittig ist, dass der Arbeitsmarktzugang in einem Verfahren geregelt werden darf, das die Mitgliedstaaten in ihrem innerstaatlichen Recht vorsehen. Unklar ist dabei jedoch, ob der Arbeitsmarktzugang verstanden wird als die grundsätzliche Möglichkeit, aufenthaltsrechtlich in Verbindung mit einer Beschäftigungsbewilligung zu arbeiten oder ob dafür eine konkrete Beschäftigungsbewilligung erteilt werden muss.

Der VwGH wählt eine sehr enge Auslegung des Begriffs „Arbeitsmarktzugang“ und setzt diesen mit der Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung gleich. Der Gerichtshof vertritt somit die Ansicht, dass der Nichtentzug des Rechts auf Zugang zum Arbeitsmarkt notwendigerweise voraussetzt, dass vor Erlassung der (abweisenden) erstinstanzlichen Entscheidung im Asylverfahren eine Beschäftigungsbewilligung erteilt wurde. Diese Auslegung ist nicht unionsrechtskonform, da sie die Entscheidung über den Zugang zum Arbeitsmarkt von AsylwerberInnen de facto dem Ermessen der Mitgliedstaaten überlässt. Dies ist aber mit dem klaren Ziel des EK-Entwurfs, AsylwerberInnen einen leichteren Arbeitsmarktzugang zu ermöglichen (Europäische Kommission, Geänderter Vorschlag für eine des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Asylbewerbern, KOM[2011] 320 endg), nicht zu vereinbaren: Würde man der Argumentation des VwGH folgen, wäre der Arbeitsmarktzugang während des Rechtsbehelfsverfahrens (in Österreich: Verfahren vor dem BVwG) gem Art 15 RL 2013/33/EU europarechtlich nicht zwingend nötig, wenn zwar innerhalb von neun Monaten keine erstinstanzliche Entscheidung im Asylverfahren ergangen ist, aber keine Beschäftigungsbewilligung vor dieser Entscheidung erteilt wurde. Umgelegt auf die Praxis würde das bedeuten, dass etwa nach einer erstinstanzlichen Asylentscheidung nach zehn Monaten und darauffolgendem zweijährigen Gerichtsverfahren idR europarechtlich die Einräumung eines Arbeitsmarktzuganges nicht notwendig wäre. Die Zeitspanne, in der eine Beschäftigungsbewilligung erteilt und folglich ein Arbeitsmarktzugang ermöglicht werden müsste, wäre also nur die Zeit nach Ablauf von neun Monaten bis zur erstinstanzlichen Entscheidung (beachte dazu auch Art 31 Abs 2 RL 2013/32/EU [VerfahrensRL], wonach idR nach sechs Monaten eine Entscheidung getroffen werden muss, die Behörde also auch bereits säumig ist, wenn nach neun Monaten noch kein Bescheid ergangen ist). Gegen die Ansicht, dass ein Zugang zum Arbeitsmarkt nur nach erteilter BeschäftigungsbewilliBeschäftigungsbewilligung anzunehmen ist, spricht auch, dass zT für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit keine solche Berechtigung nötig ist – vgl etwa die explizit für AsylwerberInnen geltende Ausnahme vom Geltungsbereich des AuslBG hinsichtlich Beschäftigung mit Dienstleistungsscheck gem § 1 Z 16 AuslBVO.

Der EuGH hat im Hinblick auf die RL 2003/86/ EG (FamilienzusammenführungsRL) bereits festgehalten, dass es nicht von der Bearbeitungsdauer der Asylanträge durch nationale Behörden abhängen darf, ob eine Person als „minderjährig“ einzustufen ist (EuGH 12.4.2018, C-550/16, A., S., Rn 55-57). Der EuGH stützt sich dabei auf Rechtssicherheit und Gleichbehandlung, weshalb sich die Argumentation dem Grunde nach auch auf die Auslegung des Begriffs „Arbeitsmarktzugang“ übertragen lässt. Daher ist dieser so zu verstehen, dass ein solcher Zugang aufenthaltsrechtlich gegeben bzw nicht von vornherein ausgeschlossen sein darf. Es kann dabei nicht darauf ankommen, dass noch keine Beschäftigungsbewilligung erteilt wurde. Andernfalls würden etwa auch drittstaatsangehörige Studierende entgegen der klaren Regelung des Art 24 RL 2016/801/EU über keinen „Zugang zum Arbeitsmarkt“ verfügen, weil sie eine Beschäftigungsbewilligung benötigen. Für diese Auslegung spricht auch, dass sowohl Studierende als auch AsylwerberInnen nach innerstaatlichem Recht bei Erfüllung der Voraussetzungen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben, wofür lediglich der Zugang zum Arbeitsmarkt Voraussetzung ist (vgl § 7 Abs 3 AlVG).

2.2.
Vorlageverpflichtung an den EuGH

Die restriktive Auslegung des VwGH mag zwar nach dem Wortlaut denkmöglich sein, uE ist diese Ansicht jedoch aufgrund einer systematischen und teleologischen Auslegung europarechtswidrig (siehe oben 2.1). Nicht nachvollziehbar ist jedoch, dass das Erkenntnis erlassen wurde, ohne ein Vorabentscheidungsverfahren gem Art 267 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) einzuleiten.

Art 267 Abs 3 AEUV legt eine primärrechtliche Vorlageverpflichtung für jene Gerichte fest, deren „Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können“ (siehe EuGH 4.6.2002, C-99/00, Lyckeskog, Rn 10 ff). Nach der „acte-clair“-Rsp des EuGH besteht eine Vorlageverpflichtung bei jeder sich stellenden Auslegungsfrage des Europarechts (EuGH 6.10.1982, C-283/81, CILFIT, Rn 11 f). „Keine Vorlagepflicht besteht danach nur dann, wenn eine Auslegungsfrage nicht entscheidungserheblich oder bereits entschieden ist oder die Auslegung des Europarechts offenkundig erscheint“ (Mayer, Verfassungsgerichtsbarkeit, in von Bogdandy/Bast [Hrsg], Europäisches Verfassungsrecht2 [2009] 559, 563).

Beim VwGH handelt es sich jedenfalls um ein Gericht iSd Art 267 Abs 3 AEUV. Die Frage nach der Auslegung des Begriffs „Arbeitsmarktzuganges“ gem Art 15 Abs 1 RL 2013/33/EU ist eine 335 entscheidungserhebliche Frage, die eine Vorlageverpflichtung nach der „acte-clair“-Rsp des EuGH auslöst, schließlich ist die Auslegung dieser europarechtlichen Bestimmung keinesfalls „offenkundig“ (siehe oben). Das Erk steht daher uE nicht in Einklang mit den primärrechtlichen Vorgaben des Art 267 Abs 3 AEUV. Gem Art 258 f AEUV müsste die Europäische Kommission daher ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Hierbei ist jedoch anzumerken, dass es – soweit ersichtlich – bislang noch zu keinem einzigen Vertragsverletzungsverfahren gegen einen Mitgliedstaat aufgrund einer Gerichtsentscheidung gekommen ist. Ebenso unwahrscheinlich ist, dass der EuGH auf Antrag der Europäischen Kommission einen Pauschalbetrag oder ein Zwangsgeld gem Art 260 AEUV verhängt, insofern die Vertragsverletzung anhält.

2.3.
Zur allgemeinen Einschränkung auf Saisonarbeit

Explizit offen lässt der VwGH, ob die faktische Einschränkung der Erwerbsmöglichkeit auf Saisonarbeit mit Art 15 RL 2013/33/EU vereinbar ist. Dem VwGH ist zweifelsohne zuzustimmen, dass ein unbeschränktes Offenstehen sämtlicher Berufsfelder nicht aus dem Wortlaut und Zweck der Regelung abgeleitet werden kann (Rz 21). Tatsächlich muss ein vollkommen unbeschränkter Arbeitsmarktzugang nach Art 15 RL 2013/33/EU nicht gewährt werden, da die Mitgliedstaaten ihre innerstaatlichen Verfahren anwenden und eine Arbeitsmarktprüfung durchführen können, allerdings muss der Begriff „effektiver Arbeitsmarktzugang“ so ausgelegt werden, dass eine faktisch faire Möglichkeit auf Zugang zur Erwerbstätigkeit besteht. Die derzeit bestehende Einschränkung auf bestimmte, pro Bundesland festgelegte Kontingente für Saisonarbeit in zwei Branchen basierend auf dem „Bartensteinerlass“ ist mit diesem Begriff unvereinbar (Peyrl, Zuwanderung und Zugang zum Arbeitsmarkt von Drittstaatsangehörigen in Österreich [2018] 304–309). Dagegen spricht auch, dass für AsylwerberInnen ein Wohnsitzwechsel des Bundeslandes während des Asylverfahrens rechtlich kaum möglich ist (vgl § 15c AsylG), wodurch insb in Wien und allgemein in den östlichen Bundesländern aufgrund der geringen Anzahl an Kontingentplätzen gem § 5 AuslBG nahezu keine Chance auf Erwerbstätigkeit besteht (vgl dazu BGBl II 2019/407BGBl II 2019/407).

3.
Keine Auseinandersetzung mit innerstaatlichem Recht

Der VwGH hat das Erk des BVwG ausschließlich deshalb aufgehoben, weil er die vom BVwG angenommene unmittelbare Anwendbarkeit des Art 15 RL 2013/33/EU jedenfalls dann nicht als gegeben annahm, wenn vor Entscheidung erster Instanz im Asylverfahren keine Beschäftigungsbewilligung erteilt wurde. Auf die Frage der Vereinbarkeit der Erlasslage mit innerstaatlichem Recht geht der VwGH mit keinem Wort ein. Zwar muss sich nun das BVwG im fortgesetzten Verfahren erneut mit diesen Fragen befassen, es wäre aber trotzdem aus der Perspektive der Rechtssicherheit wünschenswert gewesen, wenn sich der VwGH dazu geäußert hätte, zumal im Ausgangsverfahren ja explizit angegeben wurde, dass die Erlasslage der alleinige Grund für die Abweisung des Antrags auf Beschäftigungsbewilligung in erster Instanz war (Rz 1). Somit muss das BVwG nun die Nichtzustimmung des Regionalbeirates auf seine Schlüssigkeit überprüfen (vgl VfGH 22.9.2017, E 503/2016), weiters muss untersucht werden, ob der Erlass nicht den einschlägigen § 4 Abs 1 Z 1 AuslBG in unzulässiger Weise verengt (Peyrl, Zuwanderung) und nicht zuletzt, ob die Erlässe nicht mangels Kundmachung generell nicht angewendet werden dürfen (Brandt, migraLex 2017, 78).

4.
Conclusio

Der VwGH wählt eine sehr enge Auslegung des Begriffs „Arbeitsmarktzugang“ und setzt diesen mit der Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung gleich. Der VwGH vertritt somit die Ansicht, dass der Nichtentzug des Rechts auf Zugang zum Arbeitsmarkt notwendigerweise voraussetzt, dass vor Erlassung der (abweisenden) erstinstanzlichen Entscheidung im Asylverfahren eine Beschäftigungsbewilligung erteilt wurde. Der VwGH hätte diese Frage aber gem Art 267 Abs 3 AEUV dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegen müssen, da die Auslegung des unionsrechtlichen Begriffs „Arbeitsmarktzugang“ gem Art 15 Abs 1 RL 2013/33/EU eine entscheidungserhebliche Frage darstellt. Zudem ist die Auslegung dieses Begriffs uE nicht europarechtskonform, da damit die Entscheidung über den Zugang zum Arbeitsmarkt von AsylwerberInnen de facto dem Ermessen der Mitgliedstaaten überlassen wird.336