28Verfristete Entlassung trotz Suspendierung – Anfechtungsrecht gewahrt
Verfristete Entlassung trotz Suspendierung – Anfechtungsrecht gewahrt
Ein AG darf mit der Ausübung des Entlassungsrechts nicht wider Treu und Glauben so lange warten, dass der AN aus diesem Zögern auf einen Verzicht des AG auf die Geltendmachung der Entlassungsgründe schließen muss, da auch ein AN, dem ein pflichtwidriges Verhalten vorgeworfen wird, nicht ungebührlich lange über sein weiteres dienstrechtliches Schicksal im Unklaren gelassen werden soll.
Eine bis zur Klärung der tatsächlichen oder rechtlichen Lage vorgenommene Suspendierung des AN kann nur dann die Annahme eines Verzichts des AG auf die Ausübung des Entlassungsrechts verhindern, wenn es für den AN erkennbar ist, dass die Dienstfreistellung als vorläufige Maßnahme zur Vorbereitung einer Entlassung dient. Eine Suspendierung berechtigt den AG nicht, die Entlassungsgründe über die Dauer der Erhebungen hinaus bis zu einem beliebigen Zeitpunkt „vorrätig“ zu halten. Je länger die Suspendierung dauert, umso eher ist ein Fortsetzungswille des AG anzunehmen.
Da auch bei einer Verfristung von einer unberechtigten Entlassung auszugehen ist, ist im Fall einer verspätet ausgesprochenen Entlassung die Möglichkeit einer Entlassungsanfechtung gem § 106 ArbVG eröffnet. Dasselbe gilt bei verspätet geltend gemachten personenbezogenen Kündigungsgründen iSd § 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG, weshalb eine in eventu aus diesen Gründen ausgesprochene Kündigung bei Vorliegen von Sozialwidrigkeit genauso mit Erfolg angefochten werden kann, wie eine verfristete Entlassung.
Der Kl war seit 2007 bei der Bekl als Distributionsleiter der Zustellbasis S mit einem monatlichen Entgelt von 3.491,49 € brutto, 14 x jährlich, angestellt. Er wurde am 27.7.2016 wegen entlassungswürdiger Vorkommnisse in seiner Zustellbasis dienstfreigestellt und mit Schreiben vom 4.7.2017 entlassen. Im Revisionsverfahren ist das Vorliegen von Entlassungsgründen nicht mehr strittig.
Der Kl begehrte, die Entlassung für rechtsunwirksam zu erklären. Er brachte vor, ihm sei kein Grund für die Dienstfreistellung genannt worden. Die Aufarbeitung der behaupteten Dienstpflichtverletzungen habe keinesfalls ein Jahr gedauert. Die Entlassung sei daher verfristet. Als Kündigung sei sie auch sozial ungerechtfertigt, weil er im 56. Lebensjahr stehe und mit Langzeitarbeitslosigkeit zu rechnen habe. Die Entlassung sei auch aus einem verpönten Motiv erfolgt, weil er im April 2017 bzw am 1.6.2017 offene Lohnansprüche geltend gemacht habe.
Die Bekl wandte [...] ein, sie habe nach Hervorkommen der Missstände umfangreiche Nachforschungen begonnen. Dem Kl sei am 5.5.2017 Gelegenheit gegeben worden, sich zu den Verdachtsmomenten zu äußern, die er unter Hinweis auf einen Operationstermin nicht wahrgenommen habe. Es seien noch ergänzende Einvernahmen erfolgt, bis mit Schreiben vom 4.7.2017 die Entlassung ausgesprochen worden sei. Da die Entlassung gerechtfertigt sei, stünde ihm der Anfechtungsgrund der Sozialwidrigkeit der §§ 105 Abs 3 Z 2 iVm 106 ArbVG nicht offen. Eine Motiventlassung liege nicht vor. Lohnansprüche von 2.795 € seien zwar nach Geltendmachung im April 2017 nicht ausbezahlt worden, das Motiv sei in Ansehung der einjährigen Dienstfreistellung bei vollen Bezügen aber konstruiert.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. [...]
Das Berufungsgericht teilte diese Beurteilung und gab der Berufung des Kl keine Folge. [...]
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen erhobene Revision ist zulässig und berechtigt, weil die Frage der Verfristung einer Neubeurteilung bedarf.
1. Die vorzeitige Auflösung des Arbeitsverhältnisses muss unverzüglich, dh ohne schuldhaftes Zögern, erklärt werden. Die dogmatische Rechtfertigung für diesen Grundsatz liegt primär in der jeder vorzeitigen Auflösung wesensimmanenten Unzumutbarkeit der auch bloß kurzfristigen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses (Pfeil in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 25 AngG Rz 31 mwN).
1. Die vorzeitige Auflösung des Arbeitsverhältnisses muss unverzüglich, dh ohne schuldhaftes Zögern, erklärt werden. Die dogmatische Rechtfertigung für diesen Grundsatz liegt primär in der jeder vorzeitigen Auflösung wesensimmanenten Unzumutbarkeit der auch bloß kurzfristigen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses (Pfeil in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 25 AngG Rz 31 mwN).
Bei der Prüfung der Rechtzeitigkeit einer Entlassung ist folglich zu untersuchen, ob in dem Zuwarten mit der Entlassung ein Verzicht auf die Geltendmachung des Entlassungsgrundes zu erblicken ist oder ob dieses Zuwarten in Umständen begründet ist, welche die Annahme eines solchen Verzichts nicht rechtfertigen. Es muss daher die Ursache des zwischen der Kenntnis vom Entlassungsgrund und dem Ausspruch der Entlassung liegenden 337 Zuwartens des AG im Einzelfall geklärt werden (RS0029267).
Ist der Sachverhalt zweifelhaft, ist der DG überdies verpflichtet, die zur Feststellung des Sachverhalts erforderlichen und zumutbaren Erhebungen ohne Verzögerung durchzuführen (RS0029345; RS0029348).
2. Vorläufige Maßnahmen, etwa die bis zur Klärung der tatsächlichen oder rechtlichen Lage vorgenommene Suspendierung eines AN, können die Annahme eines Verzichts des AG auf die Ausübung des Entlassungsrechts verhindern (RS0028987). Allerdings muss die Dienstfreistellung zur Klärung der tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen für einen Entlassungsausspruch erfolgen und für den DN als vorläufige Maßnahme zur Vorbereitung einer Entlassung erkennbar sein; nur wenn dem DN erkennbar ist, dass sein Verhalten die schwerwiegende Folge der Entlassung nach sich ziehen kann und nur noch Abklärungen der Sach- und Rechtslage erforderlich sind, kann aus dem Zeitablauf allein nicht auf einen Verzicht auf die Ausübung des Entlassungsrechts geschlossen werden (9 ObA 185/00x). Eine Suspendierung des DN vom Dienst schließt daher nicht in jedem Fall eine Verwirkung des Entlassungsrechts aus (vgl auch RS0031587 [T2]). Sie bedeutet insb nicht, dass der DG in jedem Fall über die Dauer der Erhebungen hinaus bis zu einem beliebigen Zeitpunkt die Entlassungsgründe „vorrätig“ halten und mit dem Ausspruch der Entlassung zuwarten könnte. Denn wurde der Sachverhalt ermittelt und werden keine weiteren Abklärungen mehr vorgenommen, ohne dass der DG den Fortbestand des Dienstverhältnisses – hier bei vollen Bezügen – in Frage stellt, so kann sich bei einem suspendierten DN mit zunehmendem Zeitverlauf der Eindruck verfestigen, dass die Suspendierung nicht mehr als vorläufige Maßnahme zur Vorbereitung einer Entlassung dient, sondern aus anderen Erwägungen als aus jenen erfolgt, die Anlass der Suspendierung waren. Anders als die Bekl meint, spricht der zunehmende Zeitverlauf hier daher nicht gegen, sondern – im Gegenteil – zunächst für einen Fortsetzungswillen des DG, wenn er Entlassungsgründe wie die vorliegenden auch bei zeitlich großzügig bemessener Ermittlungsarbeit nicht zum Anlass einer unverzüglichen Beendigung des Dienstverhältnisses nimmt.
3. Im vorliegenden Fall erfolgte die Dienstfreistellung des Kl am 27.7.2016 zur Klärung der „Vorkommnisse in S“, womit nach dem festgestellten Sachverhalt unzweifelhaft die Folgen der vom Kl (mit-) zu verantwortenden Datenmanipulation zur Systemisierung der Rayone uä angesprochen waren. Die entsprechenden Kontrollen hatten vom 23.6. bis 4.7.2016 stattgefunden. Am 20.7.2016 war bereits eine interimistische Basenkoordinatorin eingesetzt. Diese blieb bis 15.10.2016 in jener Zustellbasis tätig. Aus dem festgestellten Sachverhalt geht aber nicht hervor, dass die Bekl nach diesem Zeitpunkt noch weitere Erhebungen getätigt oder auch nur Bedarf danach bestanden hätte. Das Vorbringen der Bekl [...] wurde ohne jegliche Zeitangaben erstattet (zB „besonders genaue Prüfung“; dem Kl eingeräumte Gelegenheit, „an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken“) und macht eine nahezu einjährige Dauer der Abklärung der Sach- und Rechtslage nicht plausibel. Für das Vorbringen der Bekl, dass sich „letztlich aus ergänzenden Einvernahmen Ende Mai 2017 erstmals in ausreichender Deutlichkeit“ ergeben habe, dass „der Kl die Missstände zumindest billigend in Kauf genommen“ habe [...], bietet der festgestellte Sachverhalt keine Anhaltspunkte. Aus diesem geht vielmehr eine monatelange Nichtreaktion der Bekl hervor, die den Kl nach seinem Vorbringen annehmen ließ, dass seine Position wegen Restrukturierungsmaßnahmen aufgegeben und er „zwischengeparkt“ werden sollte. Die Bekl trat mit ihm auch erst wieder Anfang Mai 2017 in Kontakt, nachdem der Kl Prämienansprüche geltend gemacht hatte. Doch selbst wenn man der Bekl darin folgte, dass sie erstmals Ende Mai 2017 in ausreichender Deutlichkeit Klarheit hatte, dass „der Kl die Missstände zumindest billigend in Kauf“ nahm, würde dies ihr weiteres Zuwarten mit dem Entlassungsausspruch bis 4.7.2017 nicht erklären. Es könnte aber auch nicht auf ihre Kenntnis von der Haltung des Kl zu den von ihm gesetzten Entlassungsgründen ankommen. Zusammenfassend ist daher eine Verfristung der Entlassung des Kl wegen der „Vorkommnisse in S“ zu bejahen.
4. Gem § 106 Abs 2 ArbVG kann eine Entlassung angefochten werden, wenn ein Anfechtungsgrund iSd § 105 Abs 3 ArbVG vorliegt und der betreffende AN keinen Entlassungsgrund gesetzt hat (s auch RS0029457). Da auch bei einer Verfristung von einer ungerechtfertigten Entlassung auszugehen ist und die Möglichkeit einer Entlassungsanfechtung eröffnet (Wolligger in Neumayr/Reissner, ZellKomm II3 § 106 ArbVG Rz 5), ist zu prüfen, ob die Anfechtungsvoraussetzungen des § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG vorliegen.
Nach den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen zu den Einkommensverhältnissen des Kl und der voraussichtlichen Dauer seiner Arbeitslosigkeit ist hier nicht weiter zweifelhaft, dass die Beendigung des Dienstverhältnisses zu einer wesentlichen Beeinträchtigung seiner Interessen führt; dazu kann auf die Ausführungen des Erstgerichts [...] verwiesen werden.
Für diesen Fall hat bereits das Erstgericht darauf verwiesen, dass jene Umstände, die die Bekl für die Entlassung des Kl heranzieht, auch dann, wenn man einen Entlassungsgrund iSd § 27 Z 1 AngG verneinte, personen- und verhaltensbedingte Rechtfertigungsgründe (§ 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG) wären.
Richtig ist, dass die in der Person des AN gelegenen Gründe, die der AG zur Rechtfertigung der Kündigung gem § 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG geltend machen kann, nicht so gravierend sein müssen, dass sie die Weiterbeschäftigung des AN über den Kündigungstermin hinaus unzumutbar machen (RS0051888 [T14]) oder gar das Gewicht eines Entlassungsgrundes erreichen. Sie müssen aber die betrieblichen Interessen soweit nachteilig berühren, dass sie bei objektiver Betrachtungsweise einen verständigen Betriebsinhaber zur Kündigung veranlassen würden und die Kündigung als gerechte, 338 dem Sachverhalt adäquate Maßnahme erscheinen lassen. Werden die betrieblichen Interessen in erheblichem Maße berührt, überwiegen sie das (wesentliche) Interesse des AN an der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses (RS0051888).
Allerdings gilt auch in diesem Zusammenhang der arbeitsrechtliche Unverzüglichkeitsgrundsatz (RS0109392; 9 ObA 134/18y). Hat der DG ihm zur Kenntnis gelangte konkrete Vorfälle bloß zum Anlass für eine Ermahnung genommen, so kann eine derartige Erklärung nur dahin verstanden werden, dass der DG auf das Recht, den DN wegen dieses Verhaltens zu entlassen bzw zu kündigen, verzichtet hat (9 ObA 134/18y mwN). Das kann aus den bereits dargelegten Gründen für den Fall einer Suspendierung, die auf dem Verdacht eines Entlassungstatbestands gründet, nach aufgeklärtem Sachverhalt aber nicht zum Anlass der Beendigung des Dienstverhältnisses genommen wird, nicht anders gelten.
Da die Anfechtungsvoraussetzungen iSd § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG zu bejahen sind, ist auf die Frage einer Motivkündigung iSd § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG nicht mehr einzugehen.
5. Insgesamt ist das Klagebegehren daher wegen der verfristeten Geltendmachung von Entlassungsoder personenbezogenen Kündigungsgründen iSd §§ 106 Abs 2, 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG berechtigt. [...]
In der vorliegenden E musste der OGH entscheiden, welche „Qualifikationen“ eine Suspendierung von der Arbeitsleistung erfüllen muss, um dem AG das Recht auf Ausspruch einer Entlassung zu wahren. Außerdem äußerte sich das Höchstgericht erstmals klar zu der Frage, ob eine zwar begründete, aber verspätet ausgesprochene Entlassung im Rahmen des allgemeinen Entlassungsschutzes des ArbVG angefochten werden kann.
Grundsätzlich erfordert eine berechtigte Entlassung nicht nur das Vorliegen eines wichtigen Grundes, der eine Aufrechterhaltung der Vertragsbeziehung zum AN für den AG unzumutbar macht. Gleichzeitig muss vielmehr auch diese Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung zeitnah zum Eintritt des für die Vertragsbeendigung sprechenden Umstands geltend gemacht werden (RIS-Justiz RS0029131: OGH 28.6.2018, 8 ObA 41/16m; Friedrich in Marhold/Burgstaller/Preyer, AngG § 25 Rz 28 ff mwN). Hat daher ein AN einen Entlassungsgrund gesetzt, ist der AG verpflichtet, diesen Entlassungsgrund unverzüglich geltend zu machen. Wird diese Geltendmachung ohne sachliche Rechtfertigung hinausgezögert, geht selbst in dem Fall, in dem der AN tatsächlich einen Entlassungsgrund gesetzt hat, das Entlassungsrecht des AG unter (Kuderna, Entlassungsrecht2 [1994] 13 f mwN). Eine sachliche Rechtfertigung für ein verzögertes Vorgehen des AG kann etwa darin liegen, dass ein noch aufzuklärender Sachverhalt vorliegt (vgl RIS-Justiz RS0029297: OGH 29.5.2012, 9 ObA 35/12f; Kuderna, Entlassungsrecht2 15 f) oder die Entscheidungsfindung über die Geltendmachung des Entlassungsrechts aufgrund der Unternehmensstruktur nicht unmittelbar nach Bekanntwerden des Entlassungsgrundes abschließbar ist (OGH8 ObA 29/97s Arb 11.608; OGH8 ObA 380/97h Arb 11.686 = DRdA 1998, 59 [Holzer]). Liegt kein rechtfertigender Grund vor, ist eine verspätet ausgesprochene Entlassung aufgrund der Nichteinhaltung des wesensimmanenten Unverzüglichkeitsgrundsatzes genauso zu behandeln wie eine Entlassung, die ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes ausgesprochen wurde.
Da eine unberechtigte Entlassung im Rahmen des von der hA angenommenen Schadenersatzprinzips (vgl dazu Friedrich in Marhold/Burgstaller/Preyer, AngG § 25 Rz 71 ff mwN aus Rsp und Lehre) zwar zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses führt, aber für den AG zahlreiche beendigungsabhängige Ansprüche des AN mit sich bringt, gilt es, unberechtigte Entlassungen tunlichst zu vermeiden. Oft ist aber das Vorliegen eines Entlassungsgrundes nicht auf den ersten Blick ersichtlich, weshalb ein Spannungsverhältnis zwischen Prüfung des Vorliegens eines Entlassungsgrundes und unverzüglicher Vertragsbeendigung besteht. Um dieses unter Wahrung des Entlassungsrechts aufzulösen, bietet sich an, den AN unverzüglich nach Aufkommen des Verdachts eines Entlassungsgrundes zu suspendieren. Da der für die Zeit der vom AG verfügten Dienstfreistellung gem § 1155 ABGB zustehende Entgeltfortzahlungsanspruch bloß dispositive Wirkung hat, kann im Arbeitsvertrag (bzw auch im KollV) für den Fall einer Suspendierung wegen schwerer Vorwürfe gegen den AN (zB Setzen eines Entlassungsgrundes) die Entgeltfortzahlungspflicht abbedungen werden (Reissner in Reissner/Neumayr [Hrsg], ZellHB AV-Klauseln2 Rz 49.25 f). Fehlt eine derartige „vorsorgliche“ Regelung, ist es auch denkbar, für den Fall einer auf die Suspendierung folgenden berechtigten Entlassung eine Rückzahlungsklausel bezüglich des nach § 1155 ABGB bezogenen Entgelts zu vereinbaren, inklusive einem Ausschluss des gutgläubigen Verbrauchs, da in diesem Fall nicht mehr angenommen werden kann, dass es sich bei der Suspendierung um einen vom AG zu vertretenden Dienstverhinderungsgrund handelt (idS bereits Burger-Ehrnhofer/Drs, Beendigung von Arbeitsverhältnissen [2014] 47 f).
In der vorliegenden E stellte der OGH nun ausdrücklich klar, welche Vorgaben erfüllt sein müssen, damit eine Suspendierung das Entlassungsrecht wahrt. Einerseits sieht es der OGH als Pflicht des AG an, dem betroffenen AN gegenüber klar zu kommunizieren, dass die Suspendierung im Zusammenhang mit der Prüfung eines Entlassungsgrundes erfolgt (idS bereits OGH9 ObA 99/05g339 ARD 5656/10/2006; OGH9 ObA 185/00x ARD 5193/31/2001). Andererseits verpflichtet der OGH den suspendierenden AG auch dazu, so rasch als möglich zu klären, ob nun ein Entlassungsgrund gegeben ist oder nicht. Denn je länger die Dienstfreistellung andauert, umso eher kann auf einen Verzicht des AG auf sein Entlassungsrecht geschlossen werden. Ergebnis: Nicht jede Freistellung von der Arbeit führt dazu, dass während des gesamten Zeitraums das Damoklesschwert der Entlassung über dem AN schwebt. Demnach muss auch eine Suspendierung dem bei der Prüfung der Rechtzeitigkeit einer Entlassungserklärung einzuhaltenden Grundsatz, dass der Vertragspartner, dem ein pflichtwidriges Verhalten vorgeworfen wird, nicht ungebührlich lange über sein weiteres Schicksal im Unklaren gelassen werden soll (RISJustiz RS0031799: OGH 29.5.2012, 9 ObA 35/12f), entsprechen (vgl dazu auch OGH14 ObA 27/87 ARD 3888/15/87).
Liegt daher zwischen dem Ausspruch der Suspendierung und dem Ausspruch der Entlassung ein Zeitraum von nahezu einem Jahr, muss wahrlich ernsthaft hinterfragt werden, ob dieser lange Zeitraum im konkreten Einzelfall wirklich erforderlich war, um als AG das Vorliegen eines Entlassungsgrundes abschließend beurteilen zu können. Bei dieser Frage ist zu Recht darauf abzustellen, welchen Eindruck der AN hinsichtlich des Vorgehens des AG erlangen musste. Wird der AN zwar unter Nennung eines bestimmten Grundes von der Arbeit freigestellt, nimmt aber der AG über mehrere Monate keinerlei Kontakt mit dem suspendierten AN auf, bricht die sachliche Rechtfertigung für das Hinauszögern des Ausspruchs der Entlassung immer mehr weg. Im gegenständlichen Sachverhalt war auch durchaus auffällig, dass die Dinge erst dann wieder ins Rollen kamen, als der AN seine dienstrechtlichen Ansprüche geltend machte. Die Antwort darauf war dann die rund ein Jahr nach Beginn der Freistellung ausgesprochene Entlassung. Diese beurteilte der OGH daher zu Recht als verfristet.
Was der OGH in seiner E aber auch erstmals klarstellte, sind die Auswirkungen einer verspäteten Entlassung im Rahmen der Entlassungsanfechtung nach § 106 ArbVG. Eine Anfechtung im Rahmen des allgemeinen Entlassungsschutzes verlangt nicht nur, dass es sich bei der entlassenen Person um einen AN iSd § 36 Abs 1 ArbVG handelt und sich die Entlassung in einem betriebsratspflichtigen Betrieb iSd § 40 Abs 1 ArbVG ereignet. § 106 Abs 2 ArbVG setzt dafür vielmehr auch voraus, dass einerseits ein Anfechtungsgrund iSd § 105 Abs 3 Z 1 oder Z 2 ArbVG gegeben ist und andererseits kein Entlassungsgrund gesetzt wurde. In welcher Reihenfolge diese Voraussetzungen geprüft werden, ist nach der neueren Rsp des OGH irrelevant; klargestellt ist aber, dass es sich um kumulativ zu erfüllende Voraussetzungen handelt. Fehlt nur eine dieser Voraussetzungen, ist eine eingebrachte Anfechtungsklage abzuweisen (OGH9 ObA 104/04s Arb 12.473 =
; vgl dazu auch Trost in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 106 Rz 41 f).Auf den ersten Blick erscheint im gegenständlichen Sachverhalt eine der beiden Voraussetzungen nicht gegeben, nämlich das Nicht-Vorliegen eines Entlassungsgrundes. Denn dass der AN ein entlassungswürdiges Fehlverhalten gesetzt hat, war im Revisionsverfahren nicht mehr strittig. Die berechtigte Entlassung scheitert vielmehr daran, dass der AG sein sich aus dem (Fehl-)Verhalten des AN ergebendes Recht zur vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund verspätet geltend gemacht hat. Nach der hA geht bei einer verspäteten Entlassung das Entlassungsrecht verloren, weshalb eine nicht unverzüglich ausgesprochene Entlassung dieselben Rechtsfolgen hat, wie eine unberechtigte Entlassung (Kuderna, Entlassungsrecht2 13 f mwN). Das hat zur Folge, dass dem AN im Fall einer verspäteten Entlassung dieselben beendigungsabhängigen Ansprüche zustehen wie bei einer Entlassung ohne Vorliegen eines Entlassungsgrundes. Welche Auswirkungen eine verspätete Entlassung auf das Anfechtungsrecht des entlassenen AN im Rahmen des allgemeinen Entlassungsschutzes hat, war aber bisher – soweit ersichtlich – noch nie Gegenstand einer höchstgerichtlichen Entscheidung, sondern wurde nur vereinzelt in der Lehre angesprochen. So vertritt Wolligger unter Verweis auf die vom OGH vorliegende Rsp zur Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen iSd § 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG die nun auch vom OGH geteilte Ansicht, dass in diesem Fall eine Anfechtung der Entlassung grundsätzlich möglich ist, sofern die restlichen Anfechtungsvoraus setzungen erfüllt sind (Wolligger in ZellKomm3 § 106 ArbVG Rz 5).
Geht man rein nach dem Wortlaut des § 106 Abs 2 ArbVG, so scheint klargestellt, dass eine begründete Entlassung einer erfolgreichen Anfechtung entgegensteht, denn dann ist die Voraussetzung, dass „der betreffende Arbeitnehmer keinen Entlassungsgrund gesetzt hat“, nicht erfüllt. Einen Entlassungsgrund setzt aber auch ein AN, dessen Arbeitsvertrag aufgrund eines entlassungswürdigen Fehlverhaltens zwar vorzeitig, aber unter Missachtung des Unverzüglichkeitsgrundsatzes und damit verspätet durch Entlassung aufgelöst wird.
Allerdings würde ein Verständnis des § 106 Abs 2 ArbVG rein nach dem Wortlaut der Bestimmung zu kurz greifen. Einem tatsächlich ohne Vorliegen eines Entlassungsgrundes entlassenen AN steht nämlich im Anwendungsbereich des allgemeinen Entlassungsschutzes ein Wahlrecht zu. Einerseits kann er die trotz Fehlens eines wichtigen Grundes rechtswirksame Entlassung gegen sich gelten lassen und die entsprechenden beendigungsabhängigen Ansprüche gegen den AG geltend machen (also vor allem Kündigungsentschädigung sowie darüber hinausgehender Schadenersatz, Abfertigungsansprüche aus dem System Abfertigung alt und Urlaubsersatzleistung) bzw sich auf die Unwirksamkeit einer vereinbarten Konkurrenz 340klausel oder eines vereinbarten Ausbildungskostenrückersatzes berufen. Andererseits kann er im Wege einer Anfechtungsklage nach § 106 ArbVG auch die Unwirksamkeit der Vertragsbeendigung an sich bewirken, sofern eben – äquivalent zur Kündigung – neben der Einhaltung der erforderlichen Anfechtungsfristen (vgl § 105 Abs 4 ArbVG) entweder eine sozialwidrige oder eine Entlassung aus verpöntem Motiv vorliegt.
Wird jetzt ein AN nach einem zu langen Zuwarten des AG und damit ebenfalls unberechtigt entlassen, so erscheint er genauso schutzwürdig, wie ein AN, dessen Vertragsverhältnis ohne Vorliegen eines Entlassungsgrundes vorzeitig beendet wurde. Auch einem verspätet entlassenen AN muss daher das oben beschriebene Wahlrecht zustehen, weshalb die Voraussetzung des § 106 Abs 2 ArbVG „keinen Entlassungsgrund gesetzt hat“, iSd OGH so zu verstehen ist, dass eben keine berechtigte Entlassung vorliegen darf. Nur bei diesem Verständnis werden die für eine ordnungsgemäße Entlassung erforderlichen Tatbestandsmerkmale – ein wichtiger Grund, der es dem AG unzumutbar macht, das Vertragsverhältnis für die Dauer einer sonst einzuhaltenden Kündigungsfrist aufrecht zu erhalten – auch im Rahmen des allgemeinen Entlassungsschutzes gleich gewichtet. Denn wenn nur eine der beiden sich aus diesem Stehsatz ableitbaren Voraussetzungen – wichtiger Grund und Unverzüglichkeit der Geltendmachung – fehlt, besteht die grundsätzliche Möglichkeit zur Anfechtung dieser fehlerhaften Entlassung im Rahmen des allgemeinen Entlassungsschutzes nach ArbVG.
Der OGH weicht den Unverzüglichkeitsgrundsatz bei vorzeitigen Beendigungen nicht auf. Auch wenn die AG-Seite zur Suspendierung greift, bleibt es bei der Pflicht, einen uU entlassungswürdigen Sachverhalt so schnell als möglich aufzuklären und daraus die Konsequenzen zu ziehen. Kann der AG keine sachlichen Gründe für ein Zuwarten mit dem Ausspruch der Entlassung vorweisen, schützt ihn auch eine verfügte Suspendierung nicht davor, eine verspätete und damit unberechtigte Entlassung auszusprechen.
Egal ob eine Entlassung deshalb unberechtigt ist, weil seitens des AN kein Entlassungsgrund gesetzt wurde bzw vorliegt oder weil ein gegebener Entlassungsgrund nicht unverzüglich geltend gemacht wurde, die Voraussetzung des § 106 Abs 2 ArbVG, wonach für eine Entlassungsanfechtung kein Entlassungsgrund vorliegen darf, ist erfüllt. Sind auch die weiteren in dieser Norm genannten Voraussetzungen gegeben, darf die Anfechtungsklage, die gegen eine zwar begründete aber verspätete Entlassung erhoben wird, nicht wegen mangelnder Voraussetzungen vom Gericht abgewiesen werden.