142

Urlaubsersatzleistung bei unberechtigtem Austritt? Vorabentscheidungsersuchen des OGH an den EuGH

MANFREDTINHOF
§ 10 Abs 2 UrlG; Art 7 Arbeitszeit-RL 2003/88/EG; Art 31 Abs 2 EU-GRC

Der Kl war vom 25.6. bis 9.10.2018 bei der Bekl als Arbeiter beschäftigt. In diesem Zeitraum verbrauchte er vier Urlaubstage. Am 9.10.2018 beendete er das Arbeitsverhältnis durch unberechtigten vorzeitigen Austritt. Im Beschäftigungszeitraum hatte er einen Urlaubsanspruch von 7,33 Arbeitstagen erworben. Da er bereits vier Tage Urlaub verbraucht hatte, betrug sein offener Urlaubsanspruch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses 3,33 Arbeitstage. Der Kl verlangte daher von der Bekl die Zahlung einer Urlaubsersatzleistung im entsprechenden Ausmaß. Die Bekl bezahlte dem Kl unter Verweis auf die Bestimmung des § 10 Abs 2 UrlG keine Urlaubsersatzleistung. Der Kl machte diese daraufhin mit vorliegender Klage geltend. Er vertritt den Standpunkt, dass die Bestimmung des § 10 Abs 2 UrlG, wonach keine (Urlaubs-)Ersatzleistung gebührt, wenn der AN ohne wichtigen Grund vorzeitig aus dem Dienstverhältnis austritt, gegen Art 31 Abs 2 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) und Art 7 Arbeitszeit-Richtlinie (AZRL) 2003/88/EG verstoße und daher nicht zur Anwendung komme.

Das Erstgericht wies die Klage ab, das Berufungsgericht bestätigte diese E. Das Berufungsgericht ging davon aus, dass der Rsp des EuGH nicht entnommen werden könne, dass der in § 10 Abs 2 UrlG normierte Entfall des Anspruchs auf Urlaubsersatzleistung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Austritt des AN ohne wichtigen Grund im Widerspruch zu Art 7 Abs 2 Arbeitszeit-RL bzw Art 31 Abs 2 GRC stünde. Dagegen erhob der Kl Revision.

Der OGH hielt im Revisionsverfahren fest, dass sich der EuGH bislang noch nicht dazu geäußert hat, ob (und bejahendenfalls unter welchen Voraussetzungen) ein AN, welcher ohne wichtigen Grund vorzeitig das Dienstverhältnis einseitig aufgelöst und damit Vertragsbruch begangen hat („unberechtigter Austritt“), nach Unionsrecht einen Anspruch auf Ersatzleistung für unverbrauchten Urlaub haben muss. Nach österreichischer Gesetzeslage (§ 10 Abs 2 UrlG) hat der AN in einem solchen Fall in Hinsicht auf unverbrauchten Urlaub des laufenden Urlaubsjahres keinen Anspruch auf eine Urlaubsersatzleistung.

Der OGH legte dem EuGH gem Art 267 AEUV daher folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:

„I.1. Ist mit Art 31 Abs 2 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2010/C 83/02) und Art 7 Arbeitszeit- Richtlinie 2003/88/EG eine nationale Vorschrift vereinbar, wonach eine Urlaubsersatzleistung für das laufende (letzte) Arbeitsjahr nicht gebührt, wenn der Arbeitnehmer ohne wichtigen Grund vorzeitig einseitig das Dienstverhältnis beendet („Austritt“)?I.2. Wenn diese Frage verneint wird:I.2.1. Ist dann zusätzlich zu prüfen, ob der Verbrauch des Urlaubs für den Arbeitnehmer unmöglich war?I.2.2. Nach welchen Kriterien hat diese Prüfung zu erfolgen?“

Das Höchstgericht führte in seiner rechtlichen Beurteilung aus:

Der EuGH betont einerseits, dass Art 7 Abs 2 AZ-RL keine andere Voraussetzung für das Entstehen des Anspruchs auf finanzielle Vergütung aufstelle als die, dass das Arbeitsverhältnis beendet ist und dass der AN nicht den gesamten Jahresurlaub genommen hat, auf den er zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch hatte (EuGH 20.7.2016, C-341/15, Maschek/Stadt Wien, Rn 27). Andererseits hat er geurteilt, dass aus seiner Rsp nicht abgeleitet werden kann, Art 7 AZ-RL wäre dahin auszulegen, dass der Anspruch nach Abs 1 und – im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses – der Anspruch auf die Vergütung, die gem Abs 2 an seine Stelle treten kann, dem AN völlig unabhängig von den Umständen erhalten bleiben müssten, die dazu geführt haben, dass er den bezahlten 340 Jahresurlaub nicht genommen hat (EuGH 6.11.2018, C-619/16, Rs Kreuziger/Land Berlin, Rn 37). Dabei hat der EuGH auch darauf abgestellt, ob der AN vom AG zB durch angemessene Aufklärung zum Urlaubsverbrauch in die Lage versetzt wurde (EuGH Rs Kreuziger/Land Berlin, Rn 56).

Der unberechtigte Austritt des AN aus dem Dienstverhältnis geschieht typischerweise für den AG plötzlich und unerwartet. Anders als bei allen anderen Fällen, in denen das Dienstverhältnis endet, verhindert der AN beim unberechtigten Austritt selbst die Möglichkeit, den Urlaub in natura zu verbrauchen. Nur beim unberechtigten Austritt des AN wird zudem das Dienstverhältnis durch einen Vertragsbruch des AN beendet. Vor dem Austritt hat der AN nur einen Anspruch auf (bezahlten) Urlaub in natura. Dass er durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch unberechtigten Austritt einen Anspruch auf Urlaubsersatzleistung erlangen soll, würde das allgemeine Rechtsprinzip verletzen, dass niemand einen Anspruch dadurch erlangen soll, dass er rechtswidrig vorgeht (ex iniuria ius non oritur). Letztlich würde der Gedanke, dass der bezahlte Urlaub primär die Funktion hat, die Gesundheit eines AN zu erhalten, missachtet, wenn sich ein AN durch unberechtigten Austritt im Ergebnis den Urlaubsanspruch abkaufen lassen könnte. Die dem EuGH gestellte Hauptfrage zielt damit darauf ab, ob § 10 Abs 2 UrlG in toto unionsrechtlich unbedenklich ist.

Sollte der EuGH die Hauptfrage verneinen, so stellt sich die Frage, ob und wie der AG bei einem für ihn nicht vorhersehbaren unberechtigten Austritt den AN – gemäß den Anforderungen des EuGH – in die Lage versetzen soll, den Urlaub zu verbrauchen. Dabei wäre auch zu berücksichtigen, dass der AN beim unberechtigten Austritt gerade keine Kündigungsfrist, während der häufig noch offener Urlaub verbraucht wird bzw verbraucht werden kann, eingehalten hat.