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Pauschale Abgeltung ständiger Rufbereitschaft eines Vertragsbediensteten nicht sittenwidrig

MELANIEKOCSAN

Der Kl (Vertragsbediensteter) war von 10.2.1997 bis 31.7.2018 bei der Bekl (Tiroler Gemeinverband) als Klärwärter mit einem Grundbezug von € 2.000,- im Ausmaß von 40 Wochenstunden beschäftigt. Zusätzlich war eine Bereitschaftsdienstzulage vereinbart und leistete der 341 Kl von Montag bis Donnerstag Nachtbereitschaftsdienste, und zwar von jeweils 17:00 Uhr bis 8:00 Uhr des Folgetages sowie in einem dreiwöchigen Rhythmus den Wochenendrufbereitschaftsdienst von Freitag 12:00 Uhr bis Montag 8:00 Uhr. Die dem Kl monatlich bezahlte pauschale Rufbereitschaftsdienstzulage wurde über die Jahre erhöht und betrug zuletzt (2018) € 99,74.

Auf das Vertragsbedienstetenverhältnis des Kl ist § 30 Abs 3 Satz 1 des (Tiroler) Gemeinde-Vertragsbedienstetengesetzes 2012 (G-VBG 2012) anwendbar. Demnach kann der Vertragsbedienstete, soweit es dienstliche Rücksichten zwingend erfordern, verpflichtet werden, in seiner dienstfreien Zeit seinen Aufenthalt so zu wählen, dass er jederzeit erreichbar und binnen kürzester Zeit zum Antritt seines Dienstes bereit ist (Rufbereitschaft). Rufbereitschaft gilt nicht als Dienstzeit (Satz 2 leg cit).

Während der Bereitschaftsdienste musste der Kl seinen Aufenthaltsbereich so wählen, dass er im Störungsfall innerhalb einer Zeitspanne von 30 Minuten bei den Kläranlagen sein konnte. Zudem war eine Alkoholisierung von über 0,5 ‰ während dieser Dienste verboten. In der Zeit zwischen März 2014 und Juni 2018 waren insgesamt zwölf Störungsbehebungen während der Nacht- und Wochenendbereitschaftsdienste des Kl notwendig. Arbeitsleistungen wurden dem Kl während der Bereitschaftsdienste zusätzlich entlohnt.

Der Kl begehrte für den Zeitraum März 2014 bis Juni 2018 die Differenz zwischen den ihm bezahlten Rufbereitschaftsdienstzulagen und dem Betrag, der sich unter Zugrundelegung von € 3,- brutto pro Bereitschaftsstunde ergibt. Der Kl erachtete die Höhe der Entschädigung für die ständige Rufbereitschaft als sittenwidrig und berief sich auf die OGH-E vom 25.1.2019, 8 ObA 61/18f. Der Kl verwies außerdem mangels mengenmäßiger Begrenzung der Rufbereitschaft auf die Unionsrechtswidrigkeit des § 30 Abs 3 Satz 1 G-VBG 2012, sodass es sich folglich bei seiner Rufbereitschaft in Wahrheit um Vollarbeitszeit gehandelt habe und ihm daher zumindest der begehrte Betrag zustehe.

Die Vorinstanzen lehnten das Begehren des Kl ab. Die vom Kl erhobene Revision wurde vom OGH mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückgewiesen.

Der OGH teilte die Ansicht der Vorinstanzen, dass es sich bei den Bereitschaftsdiensten (noch) um Rufbereitschaft und nicht um Arbeitsbereitschaft oder gar Vollarbeitszeit handle und verneinte sowohl die Unionsrechtswidrigkeit als auch die Sittenwidrigkeit.

Rufbereitschaft besteht darin, dass der AN für den AG lediglich erreichbar sein muss, wobei er seinen Aufenthaltsort selbst wählen und über die Verwendung solcher Zeiten im Wesentlichen frei entscheiden kann (RIS-Justiz RS0051403 [T1]). Bei der – in vollem Ausmaß als Arbeitszeit zu qualifizierenden – Arbeitsbereitschaft hat sich der AN demgegenüber an einem vom AG bestimmten Ort mit der Bereitschaft zur jederzeitigen Aufnahme der Arbeitsleistung im Bedarfsfall aufzuhalten (RS0051403 [T6]; OGH 23.7.2019, 9 ObA 77/19t).

Für das Vorliegen der Rufbereitschaft spricht nach Ansicht des OGH im vorliegenden Fall, dass der Kl immerhin eine halbe Stunde Zeit hatte, die Kläranlagen zu erreichen, ihm nur eine Alkoholisierung von über 0,5 ‰ verboten war und vor allem aufgrund des vom Berufungsgericht hervorgehobenen Umstandes, dass grob berechnet nur an 1 bis 2 % der Bereitschaftstage eine Störungsbehebung durch den Kl während der Rufbereitschaftszeiten notwendig war.

Mangels Vereinbarung gebührt gem § 1152 ABGB für die Rufbereitschaft ein ortsübliches bzw angemessenes Entgelt. In der Regel ist die Rufbereitschaft dabei geringer zu entlohnen als die Leistung selbst (RS0027969). Ein Anspruch des DN auf ein bestimmtes Mindestentgelt lässt sich aus § 1152 ABGB nicht ableiten (RS0016702 [T1]). Ist im Vertrag (auch schlüssig) ein Entgelt (dem Grunde und der Höhe nach) bestimmt, kommt daher § 1152 ABGB selbst dann, wenn das vereinbarte Entgelt unangemessen niedrig ist, grundsätzlich nicht zur Anwendung. Eine unangemessene niedrige Entgeltvereinbarung bleibt vielmehr gültig, soweit nicht eine Regelung durch kollektive Rechtsgestaltung bzw eine lohngestaltende Vorschrift vorliegt, die ein höheres Mindestentgelt zwingend vorschreibt, oder sittenwidriger „Lohnwucher“ iSd § 879 ABGB gegeben ist (OGH 4.12.1996, 9 ObA 2267/96i […]).

Der Verweis des Kl auf die OGH-E vom 25.1.2019, 8 ObA 61/18f, führt somit ins Leere, da der Kl über seine Rufbereitschaft sowohl hinsichtlich ihrer Leistung in dem bestimmten, sodann über viele Jahre auch gelebten Ausmaß, als auch – insofern zumindest schlüssig – über die Höhe ihrer (pauschalen) Abgeltung eine Vereinbarung geschlossen hat.

Tatbestandsmerkmal des Lohnwuchers und der Sittenwidrigkeit der Entgeltabrede nach der Generalklausel des § 879 Abs 1 ABGB ist jedenfalls das objektive Missverhältnis der Hauptleistungspflichten […]. Es kann hinsichtlich des objektiven Missverhältnisses – der Abweichung zwischen dem vereinbarten und dem angemessenen Lohn – eine genaue Grenze, ab der insofern grundsätzlich eine „sittenwidrige Entgelthöhe“ vorliegen 342 würde, nicht gefunden werden, sodass es insofern auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalls ankommt.

Nähere Anhaltspunkte für ein solches Missverhältnis und die Sittenwidrigkeit der Entgeltabrede nach der Generalklausel des § 879 Abs 1 ABGB konnte der Kl als Revisionswerber in seinem Rechtsmittel nicht aufzeigen.