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Prüfung der Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenze bei untermonatiger Beendigung der Beschäftigung: Feststellungen zur Arbeitsverpflichtung im laufenden Kalendermonat erforderlich

REGINAZECHNER

Eine Leistungsbezieherin nahm am 24.11.2018 eine für länger als einen Monat vereinbarte geringfügige Beschäftigung auf, was sie dem Arbeitsmarktservice (AMS) rechtzeitig meldete. Am 12.12.2018 wurde das Dienstverhältnis beendet, nachdem sie im Zeitraum 30.11. bis 4.12.2018 krank war und am 3. und 4.12.2018 Krankengeld bezogen hatte. Vom 13. bis 14.12.2018 bestand ein Anspruch auf Urlaubsersatzleistung. Für Dezember 2018 wurde ein Entgelt inklusive 4,10 Überstunden in Höhe von € 355,80 netto (€ 402,54 brutto) abgerechnet und ausbezahlt. Das hatte eine Vollversicherung des Dienstverhältnisses ab 1.12.2018 zur Folge. Das AMS sprach daraufhin den Widerruf der Leistung gem § 24 Abs 2 AlVG in den Zeiträumen 1. bis 2.12.2018 sowie 5. bis 14.12.2018 aus und forderte gem § 25 Abs 1 AlVG die zu Unrecht bezogene Leistung in Höhe von € 468,- zurück.

Das BVwG bestätigte die Entscheidung des AMS und führte dazu aus, dass das im Dezember bezogene Entgelt gem § 5 Abs 3 Z 1 ASVG auf den ganzen Monat hochzurechnen sei, da das Dienstverhältnis für mindestens einen Monat vereinbart, aber dann untermonatig beendet worden sei. Das so errechnete Entgelt würde die Geringfügigkeitsgrenze übersteigen und Arbeitslosigkeit im Zeitraum 1.12. bis 12.12.2020 daher nicht vorliegen. Am 13. und 14.12.2018 ruhe die Leistung wegen des Anspruchs auf Urlaubsersatzleistung. Die Rückforderung der Leistung sei zu Recht erfolgt, da die Beschwerdeführerin die Leistung der 4,10 Überstunden nicht gemeldet habe. Von einer mündlichen Verhandlung sah das BVwG, trotz Antrags der Beschwerdeführerin, ab, da der Sachverhalt durch das AMS „nach einem grundsätzlich ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren“ festgestellt worden sei und „den Sachverhaltsfeststellungen, insb jenen in der Beschwerdevorentscheidung, in der Beschwerde bzw im Vorlageantrag nicht substantiiert entgegen getreten“ worden sei. Zudem liege eine Rechtsfrage von keiner besonderen Komplexität vor.

Die Beschwerdeführerin erhob eine außerordentliche Revision und begründete diese damit, dass sie während des Verfahrens immer bestritten habe, Mehr- oder Überstunden geleistet zu haben. Da das BVwG – ohne Prüfung des Sachverhalts und ohne Anhörung der Beschwerdeführerin – davon ausgehe, dass sie Überstunden geleistet und nicht gemeldet habe, weiche es wesentlich von der Rsp des VwGH zur Frage des Anspruchs auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab.

Der VwGH hat die Revision für zulässig erachtet, weil entgegen der Ansicht des BVwG weder ein unstrittiger Sachverhalt noch eine Rechtsfrage von mangelnder Komplexität vorlag.

Zunächst ist nach den Ausführungen des VwGH zu beurteilen, ob tatsächlich ein mehr als geringfügig entlohntes Dienstverhältnis vorlag. Gem § 12 Abs 3 lit a AlVG gilt nicht als arbeitslos, wer in einem Dienstverhältnis steht. Wer jedoch aus einer oder mehreren Beschäftigungen ein Entgelt erzielt, das die im § 5 Abs 2 ASVG angeführten Beträge nicht übersteigt (Geringfügigkeitsgrenze), gilt gem § 12 Abs 6 lit a AlVG als arbeitslos. Ungeachtet dessen, dass § 12 Abs 3 lit a AlVG nicht auf das Bestehen der Vollversicherungspflicht, sondern auf das Bestehen eines Dienstverhältnisses abstellt, ist zufolge der Bestimmung des § 12 Abs 6 lit a AlVG der Begriff des nicht geringfügig entlohnten Dienstverhältnisses, der sich aus den genannten Bestimmungen des § 12 AlVG in ihrem Zusammenhang ergibt, ident mit dem des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses iSd § 4 Abs 2 ASVG, an welches § 1 Abs 1 lit a iVm Abs 4 AlVG für die Arbeitslosenversicherungspflicht (ua) anknüpft. Liegt kein die Versicherungspflicht feststellender rechtskräftiger Bescheid vor, sind im Verfahren nach dem AlVG Tatsachenfeststellungen über alle relevanten Umstände der in Frage kommenden Erwerbstätigkeit(en) zu treffen, die eine rechtliche Beurteilung betreffend das Bestehen einer die Arbeitslosigkeit ausschließenden Pflichtversicherung ermöglichen. Eine Bindung an die beim Hauptverband (Dachverband) gemeldeten Versichertendaten besteht nach stRsp des VwGH nicht.

Gem § 5 Abs 2 ASVG idF BGBl I 2015/79BGBl I 2015/79 gilt ein Beschäftigungsverhältnis als geringfügig, wenn daraus im Kalendermonat kein höheres Entgelt als (im Jahr 2018) € 438,05 erzielt wird. Gem § 5 Abs 3 Z 1 ASVG liegt kein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis vor, wenn das im Kalendermonat gebührende Entgelt den in Abs 2 genannten Betrag nur deshalb nicht übersteigt, weil infolge Arbeitsmangels im Betrieb die sonst übliche Zahl von Arbeitsstunden nicht erreicht wird (Kurzarbeit) oder die für mindestens einen Monat oder auf unbestimmte Zeit vereinbarte Beschäftigung im Lauf des betreffenden Kalendermonats begonnen oder geendet hat oder unterbrochen wurde.

Mit dem Gehalt in Höhe von € 355,80 netto (€ 402,54 brutto) wurde die Geringfügigkeitsgrenze nicht überschritten. Eine Überschreitung könnte sich aber aus § 5 Abs 3 Z 1 ASVG ergeben. Der VwGH betont, dass Voraussetzung dafür aber ist, dass die Geringfügigkeitsgrenze „nur“ deswegen nicht überschritten wird, weil die für mindestens 345 einen Monat oder auf unbestimmte Zeit vereinbarte Beschäftigung im Lauf des betreffenden Kalendermonats begonnen oder geendet hat oder unterbrochen wurde. Das an den Beschäftigungstagen erzielte Entgelt auf den gesamten Monat hochzurechnen, ohne darauf Bedacht zu nehmen, zu welcher Arbeitsleistung die AN im betreffenden Monat noch verpflichtet gewesen wäre, ist aber unzulässig. Zu prüfen ist, ob die AN im Fall der Aufrechterhaltung des Dienstverhältnisses voraussichtlich zur Erbringung von weiteren Mehrleistungen verpflichtet gewesen wäre oder aber im Gegenteil – wie im vorliegenden Fall behauptet – auf Grund einer Vereinbarung mit dem AG einen Anspruch auf Abgeltung der Mehrleistungen durch Zeitausgleich gehabt hätte.

In Verkennung der Rechtslage hat das BVwG entsprechende Feststellungen nicht getroffen, weshalb sich sowohl der Widerruf als auch die Rückforderung des Arbeitslosengeldes als rechtwidrig erweisen und das Erkenntnis daher aufzuheben war. Abschließend weist der VwGH noch darauf hin, dass – sofern die Voraussetzungen für den Leistungsanspruch tatsächlich nicht vorliegen – die Leistung nicht zu widerrufen, sondern gem § 24 Abs 1 AlVG einzustellen gewesen wäre, weil in diesem Fall nicht schon die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes gesetzlich nicht begründet war, sondern die Voraussetzungen dafür erst nachträglich weggefallen sind (VwGH 6.7.2011, 2008/08/0093).