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Unfall eines Selbstständigen auf Klettertour mit zukünftigem Geschäftspartner ist kein Arbeitsunfall

SOPHIAMARCIAN

Ein Abgrenzungskriterium für die Frage, ob eine Tätigkeit auch wesentlich betrieblichen Interessen zu dienen bestimmt war, ist, ob diese Tätigkeit hypothetisch auch dann vorgenommen worden wäre, wenn der private Zweck entfallen wäre.

SACHVERHALT

Der Kl ist gewerberechtlicher Geschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter einer Online-Vermittlungs- Plattform, bei der österreichweit Anbieter sportliche Aktivitäten wie Rafting, Canyoning, Paragleiten oder Klettern offerieren können. Der Kl ist zudem auch Geschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter eines Unternehmens, das Tandemflüge anbietet. In diesem Unternehmen sind nicht nur BüromitarbeiterInnen, sondern auch etwa 15 Tandempiloten auf Werkvertragsbasis beschäftigt. Am Tag des Unfalls traf sich der Kl mit einem langjährigen Bekannten, der in der Vergangenheit bereits für ihn als Tandempilot beschäftigt war, zum Klettern. Die beiden gingen regelmäßig gemeinsam auf verschieden schwierigen Kletterrouten und unterhielten sich dabei auch immer wieder über gemeinsame Geschäftspläne. Schon seit geraumer Zeit besprachen sie die Möglichkeit, ein weiteres Franchise- Unternehmen für das Bundesland Tirol zu gründen, welches der Bekannte leiten sollte.

Am 4.11.2018 erlitt der Kl beim Klettern mit seinem Bekannten einen Sturz, wodurch er sich schwere Verletzungen zuzog.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Mit Bescheid vom 25.6.2019 lehnte die bekl Allgemeine Unfallversicherungsanstalt die Anerkennung als Arbeitsunfall sowie das Begehren auf Versehrtenrente ab.

Die Vorinstanzen wiesen das Begehren des Kl auf Anerkennung des Unfallereignisses vom 4.11.2018 als Arbeitsunfall und den Anspruch auf Versehrtenrente einheitlich ab.

Die außerordentliche Revision war mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung nicht zulässig.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„1.1 Die Frage, ob es sich bei einer zu einem Unfall führenden Aktivität um eine Tätigkeit handelt, die in einem örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung steht, beurteilt sich nach ständiger Rechtsprechung nach subjektiven und objektiven Kriterien. Die Tätigkeit muss vom Versicherten mit der Intention gesetzt worden sein, seiner versicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Darüber hinaus muss sie auch objektiv (aus der Sicht eines Außenstehenden) noch als Ausübung oder Ausfluss dieser Erwerbstätigkeit angesehen werden können. Die subjektive Meinung, dass eine bestimmte Tätigkeit den betrieblichen Interessen dienlich ist, muss im Einzelfall in dem objektiven Verhältnissen eine ausreichende Stütze finden (RS0084388).

1.2 Bei Selbständigen richtet sich die Frage, was zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit gehört, in erster Linie nach berufsrechtlichen Bestimmungen (R. Müller in SV-Komm § 175 ASVG Rz 96). Daneben bleibt aber noch ein weiter Bereich von Tätigkeiten, die in der Gestaltungsfreiheit des Selbständigen liegen und zur Aufrechterhaltung, Förderung und Abwicklung seiner selbständigen Existenz dienen, wie zB Tätigkeiten zu Werbezwecken, im Kundendienst oder zur Pflege des geschäftlichen Ansehens, ohne dass zusätzlich ein objektiver geldwerter Nutzen für den Betrieb konkret eingetreten sein muss. Maßgeblich für den Umfang des Schutzes der gesetzlichen Unfallversicherung ist hier allgemein, ob sich das jeweilige Verhalten als Ausübung der selbständigen Erwerbstätigkeit darstellt, indem es im Einzelfall dazu bestimmt war, auch betrieblichen Interessen wesentlich zu dienen (10 ObS 108/08tSSV-NF 22/59; RS0084271 [T6]).

1.3 Auch sportliche Aktivitäten sind vom Unfallversicherungsschutz umfasst, wenn betriebliche Interessen der Teilnahme im Vordergrund stehen und die sportliche Betätigung geeignet ist, die eigene wirtschaftliche Existenz des Versicherten entscheidend zu fördern (10 ObS 203/97v SSV-NF 11/134). Notwendig ist auch hier ein spezifischer Bezug der betreffenden Aktivität zur versicherten Tätigkeit […].

2.1 Ob – ausgehend von den dargestellten Grundsätzen – ein der betrieblichen oder ein der privaten (eigenwirtschaftlichen) Sphäre zugehöriges Risiko zum Unfall geführt hat, kann immer nur aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden […].

3. […] Gerade in Fällen, in denen eine klare Scheidung von versicherten Tätigkeiten und privaten Handlungen von Menschen, die auch geschäftliche Beziehungen unterhalten, schwierig ist, reicht allein die ‚betriebliche Absicht‘ (hier: geschäftliche Gespräche zu führen) für die Bejahung des Unfallversicherungsschutzes nicht aus, sondern es bedarf auch der Objektivierung des betrieblichen Zusammenhangs (10 ObS 131/00pSSV-NF 14/63). […]

[Es] sind im vorliegenden Fall keine Umstände gegeben, die die sportliche Aktivität (das Felsklettern) notwendig gemacht und die es dem Kläger aus betrieblichen 352 Belangen nicht erlaubt hätten, sich dieser Aktivität zu entziehen. Fest steht nur, dass der Kläger und sein Bekannter eine gemeinsame Klettertour planten, im Zuge derer sie ‚auch‘ über ein gemeinsames geschäftliches Projekt sprechen wollten.

4. Den Revisionsausführungen ist noch entgegenzuhalten, dass eine Tätigkeit, die zum Teil im betrieblichen und zum Teil im privaten Interesse entfaltet wird, nur dann unter Unfallversicherungsschutz steht, wenn die betrieblichen Interessen gegenüber den privaten nicht erheblich in den Hintergrund treten (RS0084271). Selbst wenn man davon ausginge, dass sich der Unfall des Klägers bei einer mit seiner selbständigen Erwerbstätigkeit zusammenhängenden Tätigkeit ereignet hätte, würde dieses betriebliche Interesse gegenüber dem privaten Interesse an der Absolvierung einer Klettertour mit einem langjährigen Freund so in den Hintergrund treten, dass es nur mehr als Nebenzweck und als ‚Gelegenheitsursache‘ für den Unfall angesehen werden könnte. Ein Abgrenzungskriterium für die Frage, ob eine Tätigkeit auch wesentlich betrieblichen Interessen zu dienen bestimmt war, ist, ob diese Tätigkeit hypothetisch auch dann vorgenommen worden wäre, wenn der private Zweck entfallen wäre […].“

ERLÄUTERUNG

Der OGH bestätigt in diesem Zurückweisungsbeschluss die rechtlichen Beurteilungen der Vorinstanzen, welche im Einklang mit seiner bisherigen Rsp, zu Unfällen im Rahmen von privaten Handlungen, bei denen auch geschäftliche Interessen eine (untergeordnete) Rolle spielen, ergangen sind. Trotzdem führt er relativ ausführlich tragende Grundsätze seiner Rsp aus.

Gerade bei selbstständig Erwerbstätigen stellt sich immer wieder die Frage der Abgrenzung von beruflichen und privaten Tätigkeiten. Hier ist – als Abgrenzungskriterium – zu prüfen, ob die Tätigkeit auch dann vorgenommen worden wäre, wenn der private Zweck entfallen wäre. Dies wird im vorliegenden Fall vom OGH mit folgender nachvollziehbarer Begründung verneint: Ohne einen privaten Konnex bzw Zweck wäre das geschäftliche Gespräch über die Begründung eines Franchiseverhältnisses mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht auf einer Klettertour geführt worden.

Die zweite zentrale Frage der vorliegenden E ist, ob gefahrengeneigte Sportarten eventuell den Unfallversicherungsschutz überhaupt ausschließen könnten. Dazu wird klargestellt, dass auch sportliche Aktivitäten vom Unfallversicherungsschutz umfasst sind. Als versichert wurde ein Unfall eines Waffenhändlers bei einer Jagd angesehen, weil er dort kaufinteressierten Kunden Jagdflinten präsentieren wollte (OGH 27.2.1990, 10 ObS 70/90). Die Teilnahme eines PR-Beraters an einem Fußballturnier von Medienmitarbeitern zum Zweck der Kontaktpflege (OGH 27.8.2002, 10 ObS 137/02y) wurde ebenso als unfallversichert gesehen wie der Unfall auf einer Schiabfahrt im Anschluss an vorhergehende Gespräche mit dem Geschäftspartner beim Mittagessen auf einer Almhütte (OGH 23.9.2008, 10 ObS 108/08t). Gefordert ist immer eine Objektivierung des betrieblichen Zusammenhangs. Im Unterschied dazu wurde hier bei einer Klettertour mit Bekannten „auch“ über ein geschäftliches Projekt gesprochen.