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Einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld für getrennt lebende Eltern auch bei unter 91-tägiger Hauptwohnsitzmeldung möglich

SARAPÖCHEIM
SACHVERHALT

Aufgrund der Geburt seines Sohnes am 2.9.2017 bezog der Kl im Anschluss an den Bezug der Kindsmutter das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld in der Variante „365 + 61“ (früher „12 + 2“) für die Dauer von 2.6. bis 1.8.2018, sohin für 61 Tage. Für diesen Zeitraum bezog der Kl auch die Familienbeihilfe. Der Kl lebt von der Kindsmutter getrennt, wobei beide Eltern obsorgeberechtigt sind. Sein Sohn war von 1.6. bis 6.8.2018 bei ihm hauptwohnsitzlich gemeldet und auch tatsächlich bei ihm wohnhaft.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Mit Bescheid widerrief die Bekl den Bezug des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes und verpflichtete den Kl zur Rückzahlung von € 4.026,- mit der Begründung, dass eine dauerhafte Wohnund Wirtschaftsgemeinschaft iSd § 2 Abs 6 KBGG mangels Vorliegens einer 91-tägigen gemeinsamen Hauptwohnsitzmeldung des Kl und seines Sohnes nicht gegeben sei.

In seiner dagegen erhobenen Klage begehrte der Kl die Feststellung, dass der Bezug von einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld nicht zurückzuzahlen sei, da kein Rückforderungsgrund iSd § 31 KBGG vorliege und im Fall von getrennt lebenden Eltern ein über den Bezugszeitraum hinaus bestehender gemeinsamer Hauptwohnsitz keine Anspruchsvoraussetzung darstelle.

Das Erstgericht verpflichtete den Kl zur Rückzahlung des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes.

Das Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichts dahingehend ab, dass es feststellte, der Kl sei nicht verpflichtet, das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld zurückzuzahlen. Unter Berufung auf die OGH-E vom 26.3.2019, 10 ObS 17/19a, bejahte es das Vorliegen eines gemeinsamen Haushalts des Kl und seines Sohnes. Es führte aus: Bei Inanspruchnahme des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes genüge eine zweimonatige Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft zwischen dem beziehenden Elternteil und dem Kind zur Begründung eines gemeinsamen Haushalts iSd § 2 Abs 6 KBGG.

In ihrer dagegen erhobenen außerordentlichen Revision brachte die Bekl vor, dass § 2 Abs 6 KBGG mit der Novelle BGBl I 2019/24BGBl I 2019/24 novelliert worden sei und nunmehr für das Vorliegen eines gemeinsamen Haushalts erforderlich sei, dass dieser mindestens 91 Tage andauere

Der OGH ließ die außerordentliche Revision zu, da sich die Rechtslage nach dem Schluss der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz geändert hatte.

Der OGH kam zu dem Ergebnis, dass das Berufungsgericht dem Klagebegehren zu Recht stattgegeben 356 hat. Bei getrennt lebenden Eltern, die sich für die Bezugsvariante „365 + 61“ entschieden haben, ist eine „dauerhafte“ Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft iSd § 2 Abs 6 KBGG auch dann als erfüllt anzusehen, wenn sie im „Verlängerungszeitraum“, der nur 61 Tage umfasst, an derselben Wohnadresse leben und das Kind dann wieder in den Haushalt des anderen Elternteils zurückkehrt.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„[…]
1.2 Würde bei getrennt lebenden Elternteilen ein gemeinsamer Haushalt während der auf zwei Monate reduzierten Mindestdauer zur Begründung einer „dauerhaften Wohn‑ und Wirtschaftsgemeinschaft“ nicht ausreichen, wären sie von der Bezugsvariante 12 + 2 (365 Tage + 61 Tage) von vorn- herein ausgeschlossen. […] Dieses Ergebnis stünde nicht nur der Zweckrichtung des KBGG entgegen, die Flexibilität bei der Wahl der Bezugsdauer und bei der Handhabung von Bezugswechseln zu fördern, sondern auch der Intention des Gesetzgebers, im Interesse der Vereinbarkeit von Familie und Beruf die Wahlfreiheit zu stärken (10 ObS 17/19a; 10 ObS 51/19a). […]

2.3 Gemäß § 2 Abs 6 Satz 1 KBGG in der geltenden Fassung liegt ein gemeinsamer Haushalt daher nur dann vor, wenn der Elternteil und das Kind in einer „dauerhaften (mindestens 91 Tage durchgehenden) Wohn‑ und Wirtschaftsgemeinschaft“ an derselben Wohnadresse leben und beide an dieser Adresse auch „hauptwohnsitzlich“ gemeldet sind. Die Gesetzesmaterialien (IA 584/A 26. GP) enthalten keine näheren Aufschlüsse. […]
2.5 Unverändert in Kraft steht auch die von § 24b KBGG seit dem BGBl I 2016/53BGBl I 2016/53 normierte Möglichkeit, Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens in der Bezugsvariante 365 Tage + 61 Tage (426 Tage) in Anspruch zu nehmen (bis dahin: Bezugsvariante 12 + 2, § 24b KBGG idF BGBl I 2009/116BGBl I 2009/116). Die Mindestbezugsdauer für das Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens beträgt nach wie vor 61 Tage (§ 24b Abs 4 KBGG idF BGBl I 2016/53BGBl I 2016/53). […]

4.1 Auch nach der neuen Rechtslage wäre es getrennt lebenden Eltern nicht möglich, das Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens in der Bezugsvariante „365 Tage + 61 Tage“ zu beziehen, forderte man auch vom zweiten Elternteil einen gemeinsamen Haushalt im Sinn des § 2 Abs 1 Z 2 KBGG in Form einer seinen Anspruchsteil von 61 Tagen übersteigenden, mindestens 91 Tage durchgehenden Wohn‑ und Wirtschaftsgemeinschaft. An den dafür bereits in 10 ObS 17/19a ausgeführten Gründen hat sich nichts geändert […].

5.1 Der Gesetzgeber verfolgt in diesem Zusammenhang im KBGG einen zweifachen Regelungszweck:
5.2 Erstens wurde, wie bereits in der Entscheidung 10 ObS 17/19aausgeführt, mit der Novelle BGBl I 2009/116BGBl I 2009/116 die Mindestbezugsdauer pro Bezugsblock generell auf zwei Monate (nunmehr: 61 Tage) herabgesetzt; außerdem wurde das Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens in der Variante „12 + 2“ neu geschaffen (§ 24b KBGG). Der vom Gesetzgeber damit verfolgte Zweck liegt darin, dass die kürzere Mindestbezugsdauer Vätern den Zugang zum Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld erleichtern sollte und deren Beteiligung an der Kinderbetreuung damit gefördert werden sollte. Den Eltern sollte eine flexiblere Handhabung ermöglicht und der abwechselnde Bezug erleichtert werden (ErläutRV 340 BlgNR 24. GP 4). An diesem Gesetzeszweck hat sich nichts geändert.
5.3 Zweitens stellte der Gesetzgeber mit der Normierung einer Mindestdauer von 91 Tagen zur Begründung einer dauerhaften Wohn‑ und Wirtschaftsgemeinschaft in § 2 Abs 6 KBGG für den Anwendungsbereich des KBGG klar, dass zusätzlich zur Absicht, eine dauerhafte Wohn‑ und Wirtschaftsgemeinschaft zu begründen, und zu deren tatsächlicher Begründung ein weiteres Element der (Mindest‑)Dauer einer solchen Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft zu treten habe.

6.1 Diese beiden Gesetzeszwecke lassen sich zwar in Fällen, in denen beide Eltern mit dem Kind im gemeinsamen Haushalt leben und einen Bezugswechsel beim Kinderbetreuungsgeld anstreben, vereinbaren. Anders ist dies im Fall getrennt lebender Eltern, denen der Gesetzgeber aber bei Erfüllung der sonstigen in § 2 Abs 8 KBGG genannten Voraussetzungen ausdrücklich einen Anspruch zubilligt. Vor diesem Hintergrund bleibt aber der dargestellte zweifache gesetzgeberische Regelungsanspruch hinter dem Wortlaut des § 2 Abs 6 Satz 1 KBGG zurück (RS0008979). Denn diese Bestimmung differenziert nicht danach, ob Eltern gemeinsam oder getrennt leben. Die (verdeckte) Lücke in der gesetzlichen Regelung besteht in diesem Fall im Fehlen einer nach der dargestellten ratio legis erforderlichen Ausnahmeregelung für getrennt lebende Eltern, die Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens in der von § 24b Abs 2 KBGG vorgesehenen Variante „365 Tage + 61 Tage“ beantragen wollen.

6.2 Ein sich aus dem Gesetzeszweck ergebender Grund, aus dem getrennt lebende Eltern von der Möglichkeit der Inanspruchnahme von Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens in der Bezugsvariante „365 Tage + 61 Tage“ gemäß § 24b Abs 2 KBGG ausgeschlossen sein sollten, ist nicht ersichtlich. […]“

ERLÄUTERUNG

Eine der Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Kinderbetreuungsgeld nach § 2 Abs 1 Z 2 KBGG ist das Vorliegen eines gemeinsamen Haushalts des beziehenden Elternteils mit dem Kind. 357

Nach § 2 Abs 6 KBGG ist ein solcher gegeben, wenn der Elternteil und das Kind in einer dauerhaften (mindestens 91 Tage durchgehenden) Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft an derselben Wohnadresse leben und beide an dieser Adresse ihren Hauptwohnsitz haben.

Mit dieser E hat der OGH klargestellt, dass bei getrennt lebenden Eltern, die das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld gemeinsam beziehen, eine dauerhafte Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft iSd § 2 Abs 6 KBGG auch idgF nach BGBl I 2019/24BGBl I 2019/24 gegeben ist, selbst wenn der beziehende Elternteil und das Kind im Verlängerungszeitraum weniger als 91 Tage an derselben Wohnadresse hauptwohnsitzlich gemeldet sind und das Kind sodann zum anderen Elternteil zurückkehrt. Diese Klarstellung ermöglicht getrennt lebenden Eltern eine ebensolche Flexibilität bei der Wahl der Bezugsdauer und bei der Handhabung von Bezugswechseln in Hinblick auf das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld wie bei Eltern, die zusammen leben.

Nicht unerwähnt bleiben sollte, wie bereits in der OGH-E vom 26.3.2019, 10 ObS 17/19a, ausgeführt, dass die „Mindestdauer“ pro Bezugsblock zwei Monate (nunmehr: 61 Tage) beträgt. Dies ist sowohl in § 24b Abs 4 KBGG in Bezug auf das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld als auch in § 3 Abs 5 KBGG in Hinblick auf das Pauschale Kinderbetreuungsgeld als Konto normiert.

Ausgehend davon stellt sich die Frage, ob nicht auch das Pauschale Kinderbetreuungsgeld als Konto im Fall von getrennt lebenden Eltern von einem der beiden Elternteile lediglich für 61 Tage bezogen werden kann, wenn das Kind auch nur in diesem Zeitraum mit dem beziehenden Elternteil einen gemeinsamen Haushalt aufweist und dann wieder in den Haushalt des anderen Elternteils zurückkehrt.