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Schadenersatzanspruch des Arbeitgebers bei treuwidriger Vereitelung des Abzugsrechts von Sozialversicherungsbeiträgen

MANFREDTINHOF

Die Bestimmung des § 60 Abs 1 ASVG steht nicht der Geltendmachung eines Schadenersatzanspruchs des AG entgegen, der in der treuwidrigen Vereitelung des Abzugsrechts durch den AN wurzelt.

SACHVERHALT

Zwischen dem Geschäftsführer B der g GmbH und dem Bekl war vereinbart, dass der als Bauingenieur tätige Bekl den Firmenwagen auch für Privatfahrten benutzen dürfe. Der Bekl solle aber in das zu führende Fahrtenbuch keine Privatfahrten eintragen, sondern stattdessen erfundene dienstliche Fahrten. Der Zweck dieser Abrede war die Ersparnis von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen sowohl für die g GmbH als auch für den Bekl. Nach einem Betriebsteilübergang auf die Kl blieb B Vorgesetzter des Bekl und bestätigte der andernorts befindlichen Zentrale der Kl gegenüber, dass die Dienstwägen nur für betriebliche Zwecke genützt würden. Dies ging auch aus einem dem Bekl in der Folge ausgestellten Dienstzettel hervor. Seitens B wurde dem Bekl zugesagt, dass er auch weiterhin den Dienstwagen privat nutzen dürfe, allerdings dürfe dies weder im Dienstzettel noch im Fahrtenbuch aufscheinen. Aufgrund einer Steuerprüfung kam es daraufhin wegen der Privatnutzung des Dienstfahrzeugs zu einer Nachverrechnung ua von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern, welche die Kl abzuführen hatte und die im gegenständlichen Verfahren gegenüber dem Bekl gefordert wurden.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Während das Erstgericht dem Klagebegehren zur Gänze stattgab, gab das Berufungsgericht der Berufung des Bekl teilweise Folge. Es sprach der Kl die nachverrechnete Lohnsteuer unter Hinweis auf § 1358 ABGB (Zahlung einer fremden Schuld) zu, wies jedoch das die nachverrechneten Sozialversicherungsbeiträge betreffende Mehrbegehren unter Hinweis auf § 60 Abs 1 ASVG (siehe unten) ab. Der OGH erachtete die außerordentliche Revision der Kl zur Klarstellung der Rechtslage als zulässig und teilweise auch als berechtigt und sprach der Kl auch die nachverrechneten DN-Sozialversicherungsbeiträge zu, nicht jedoch die DG-Sozialversicherungsbeiträge.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„1. Gemäß § 58 Abs 2 erster Satz ASVG schuldet die auf den Versicherten und den Dienstgeber entfallenden Beiträge zur Sozialversicherung der Dienstgeber. Schuldner (und nicht bloß Inkassant oder Zahlstelle) ist daher auch für den Dienstnehmeranteil zur Sozialversicherung der Dienstgeber (vgl VwGH92/08/0090).

Das Berufungsgericht begründet die Klageabweisung in erster Linie unter Hinweis auf § 60 Abs 1 ASVG. Nach dieser Bestimmung ist der Dienstgeber berechtigt, den auf den Versicherten entfallenden Beitragsteil vom Entgelt abzuziehen. Dieses Recht muss bei sonstigem Verlust spätestens bei 325 der auf die Fälligkeit des Beitrags folgenden Entgeltzahlung ausgeübt werden, es sei denn, dass die nachträgliche Entrichtung der vollen Beiträge oder eines Teils dieser vom Dienstgeber nicht verschuldet ist. Im Fall der nachträglichen Entrichtung der Beiträge ohne Verschulden des Dienstgebers dürfen dem Versicherten bei einer Entgeltzahlung nicht mehr Beiträge abgezogen werden, als auf zwei Lohnzahlungszeiträume entfallen.

2. Es trifft zu, dass zu 9 ObA 36/17k ausgesprochen wurde, dass § 60 Abs 1 ASVG eine abschließende Regelung darstellt und abgesehen von den gesetzlich geregelten Ausnahmefällen dann, wenn ein Abzug nach dieser Bestimmung nicht mehr möglich ist, keine Verpflichtung des Dienstnehmers zum Ersatz von auf ihn entfallenden Sozialversicherungsbeiträgen besteht (RIS-Justiz RS0033990 [T1]). Die Berufungsentscheidung lässt aber eine Differenzierung zwischen den Dienstnehmeranteilen zur Sozialversicherung (hier 1.792,70 EUR), für die § 60 Abs 1 ASVG gilt, und den Dienstgeberanteilen zur Sozialversicherung (hier 2.170,87 EUR) vermissen. Insoweit setzt sich das Berufungsgericht nicht mit dem von der Klägerin alternativ geltend gemachten Rechtsgrund des Schadenersatzes auseinander. Im Folgenden ist daher zu prüfen, ob und in welchem Umfang sich die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche auf einen Schadenersatzanspruch gegen den Beklagten stützen lassen.

3.1 Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Beklagte während seines Dienstverhältnisses zur Klägerin bzw zu deren Rechtsvorgängerin das Firmenauto zu privaten Zwecken nutzen durfte und auch genutzt hat. Demgegenüber hat das Erstgericht die Vereinbarung zwischen dem damaligen Geschäftsführer der g*, B*, und dem Beklagten über die inoffizielle Privatnutzung des Dienstwagens als nichtig im Sinn des § 879 Abs 1 ABGB beurteilt, weil deren Zweck die Vermeidung von Steuern und Abgaben durch Täuschung über Tatsachen war.
3.2 Nach § 916 ABGB ist eine Willenserklärung nichtig, die einem anderen gegenüber mit dessen Einverständnis nur zum Schein abgegeben wird (‚absolutes‘ Scheingeschäft). Soll dadurch aber ein anderes (‚verdecktes‘) Geschäft verborgen werden, bleibt dieses grundsätzlich gültig und ist nach seiner wahren Beschaffenheit zu beurteilen. Maßgeblich ist der übereinstimmende tatsächliche Parteiwille (8 ObA 82/11h). […]
3.3 Daraus folgt, dass die zwischen B* und dem Beklagten vereinbarte Privatnutzung des Dienstfahrzeugs als Entgeltbestandteil (Sachbezug) nicht ungültig ist. In diesem Umfang ist die Vereinbarung nach § 3 Abs 1 AVRAG daher auch auf die Klägerin als Übernehmerin des Betriebsteils übergegangen. Insofern trifft die Beurteilung des Berufungsgerichts zu, dass der Beklagte zu der Privatnutzung des Firmenwagens auch nach dem Betriebsteilübergang berechtigt war. Von der Nichtigkeitssanktion des § 879 Abs 1 ABGB ist jedoch der Teil umfasst, der das Verheimlichen der Vereinbarung gegenüber den Steuerbehörden zwecks Steuerhinterziehung betrifft. Das heißt, die Klägerin muss diesen Teil der Vereinbarung trotz § 3 Abs 1 AVRAG nicht gegen sich gelten lassen. Vielmehr hätte der Beklagte die Klägerin aufgrund seiner Treuepflicht (vgl RS0021449) über die mit B* getroffene Nebenabrede zum Dienstvertrag aufklären müssen. Er musste – wie sich aus den Feststellungen ergibt – wissen, dass diese Vereinbarung nicht offiziell in den Unterlagen aufschien, und konnte nicht davon ausgehen, die Klägerin werde sich an der mit dem ehemaligen Arbeitgeber vereinbarten Steuerhinterziehung beteiligen. Im Wissen um die Privatnutzung des Dienstwagens wäre die Klägerin nach den Feststellungen nur mit einer Offenlegung gegenüber dem Finanzamt einverstanden gewesen, auch wenn sie die Privatnutzung des Dienstwagens weiterhin zu dulden gehabt hätte. Die Offenlegung entspricht auch der hypothetischen Absicht redlicher Vertragsparteien (vgl RS0087391). Damit hätte die Klägerin aber ihre Beitragspflicht (rechtzeitig) erfüllen können.

4.1 Der Beklagte hat der Klägerin einen Schaden verursacht, weil er – wie sie auch vorgebracht hat – durch die rechtswidrige und schuldhafte Verschweigung der Privatnutzung des Dienstwagens verhindert hat, dass sie ihrer Beitragspflicht nachgekommen ist. […] Zum anderen hat das Verhalten des Beklagten dazu geführt, dass die Klägerin ihr Abzugsrecht für die Dienstnehmeranteile zur Sozialversicherung verloren hat (siehe dazu Punkt 5.).
4.2 Dagegen ist der Klägerin weder in Bezug auf die Dienstgeberanteile zur Sozialversicherung (2.170,87 EUR) noch in Bezug auf die Dienstgeberabgaben und -zuschläge für die Lohnsteuer (750,69 EUR) und die Kommunalsteuer (459,59 EUR) ein Schaden entstanden. Da sich die Klägerin – wie bereits ausgeführt wurde – nicht darauf berufen kann, dass die Vereinbarung über die Privatnutzung des Dienstwagens nicht (gültig) geschlossen wurde, hätte sie diese Beiträge und Gebühren auch dann zu tragen gehabt, wenn der Beklagte sie ordnungsgemäß über den Sachbezug informiert hätte und dieser in der Folge gegenüber den Behörden offengelegt worden wäre. Das Klagebegehren über einen Betrag von insgesamt 3.381,15 EUR ist aus diesem Grund abzuweisen.

§ 60 Abs 1 ASVG (auch) einem Schadenersatzanspruch des Dienstgebers hinsichtlich der Dienstnehmerbeiträge zur Sozialversicherung (hier 1.792,70 EUR) entgegensteht. In der Entscheidung 9 ObA 36/17k wurde nur ein Anspruch des Dienstgebers nach § 1358 ABGB und § 1042 ABGB explizit abgelehnt; eine Stellungnahme zu einem allfälligen Schadenersatzanspruch war dort nicht erforderlich. […]
5.3 Im Anlassfall ist schadenskausal, dass der Beklagte der Klägerin durch die Nichtmeldung der 326 Privatnutzung des Dienstwagens (im kollusiven Zusammenwirken mit B*) die Möglichkeit genommen hat, von ihrem Abzugsrecht nach § 60 Abs 1 ASVG Gebrauch zu machen. Da die nicht fristgerechte Beitragszahlung ausschließlich dem Beklagten zum Vorwurf zu machen ist, der treuwidrig eine Aufklärung der Klägerin unterlassen hat, und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Klägerin ihrerseits schuldhaft irgendwelche Pflichten vernachlässigt hat, hat der Beklagte der Klägerin die auf den Dienstnehmer entfallenden Sozialversicherungsbeiträge zu ersetzen. Dem Normzweck des § 60 Abs 1 ASVG, der auf eine regelmäßige, nicht allzu plötzliche Belastung des Arbeitnehmers abzielt (vgl RS0083996; 8 ObA 20/04f), kann nicht unterstellt werden, dass er in einer Konstellation wie der vorliegenden den Schutz des Schädigers bezweckt.“

ERLÄUTERUNG

Im vorliegenden Fall vereinbarten die Arbeitsvertragsparteien die Möglichkeit der Privatnutzung eines firmeneigenen Kfz durch den AN. Auch wenn hier im Zusammenwirken von (ehemaligem) Geschäftsführer und AN abgabenrechtliche Vorschriften nicht eingehalten wurden, war diese Vereinbarung arbeitsrechtlich wirksam und ging auch auf den Erwerber des Betriebsteils, in dem der AN beschäftigt war – die nunmehrige Kl –, über. Da die Privatnutzung eines Firmen-Kfz einen Wert für den AN darstellt (Sachbezug), ist gesetzlich vorgesehen, davon Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer zu entrichten. Der Sozialversicherungsbeitrag setzt sich aus einem AG- und einem AN-Anteil zusammen. Bei ordnungsgemäßer Vorgangsweise berechnet der AG vom Sachbezug den AN-Anteil und die Lohnsteuer und führt diese gemeinsam mit dem AG-Anteil an den Sozialversicherungsträger bzw an das Finanzamt ab. Da dies im gegenständlichen Fall unterlassen worden war, hatte die Kl im Zuge einer Prüfung (Gemeinsame Prüfung aller Lohnabhängigen Abgaben [GPLA]) die ausständigen Beträge nachzuzahlen, und zwar ohne, dass sie ein Verschulden an der ursprünglichen Nichtentrichtung der Abgaben getroffen hatte. Fraglich war, inwieweit sie sich beim AN regressieren konnte.

Der AG ist nämlich nicht nur Schuldner sämtlicher Sozialversicherungsbeiträge (§ 58 Abs 2 erster Satz ASVG), sondern es ist auch im § 60 Abs 1 ASVG festgelegt, wie und in welchem Umfang der AG sein Abzugsrecht der DN-Sozialversicherungsbeiträge wahrzunehmen hat. Der AG darf auch ohne sein Verschulden dem AN nicht mehr Beiträge abziehen als auf zwei Lohnzahlungszeiträume entfallen. Dies soll einer allzu großen Belastung des AN durch die notwendig gewordene Beitragsnachentrichtung entgegenwirken. § 60 Abs 1 ASVG bildet die gesetzliche Grundlage für die Überwälzung des DN-Beitrags auf den AN und wird vom OGH als abschließende Regelung angesehen (vgl OGH9 ObA 36/17kDRdA-infas 2018, 81 [Auer-Mayer]). Der OGH erweckte in der zitierten E den Eindruck, dass § 60 ASVG keinen Raum für allfällige zivilrechtliche Ersatzansprüche des AG lasse. Aus diesem Grund hat auch das Berufungsgericht die Klage hinsichtlich der nachverrechneten Sozialversicherungsbeiträge abgewiesen.

Der OGH hat in seiner Entscheidungsbegründung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass zu 9 ObA 36/17keine Stellungnahme zu einem allfälligen Schadenersatzanspruch des AG nicht erforderlich war. Fraglich war, ob ein solcher Schadenersatzanspruch dem § 60 Abs 1 ASVG wegen dessen abschließender Regelung entgegensteht. Diese Frage hat der OGH hier hinsichtlich der DN-Anteile zur SV unter Hinweis auf die mangelnde Schutzwürdigkeit des Bekl verneint. Die DG-Beiträge wurden der Kl nicht zugesprochen, weil ihr diesbezüglich kein Schaden entstanden sei. Die AG hätte diese bei ordnungsgemäßer Vorgangsweise nämlich sowieso tragen müssen. Die nachverrechnete Lohnsteuer war der AG bereits im Berufungsverfahren unter Hinweis auf die Zahlung einer fremden Schuld (§ 1358 ABGB) zugesprochen worden.